Flüchtlinge Eine Jobplattform für Ukrainer begeistert Unternehmen – und Anwälte

Berlin: Menschen warten in der Anlaufstelle für Flüchtlinge aus der Ukraine auf dem Hauptbahnhof. Das Goethe-Institut registriert eine große Nachfrage nach Deutschkursen für Ukrainer. Quelle: dpa

Marcus Diekmann hat eine Jobplattform speziell für Geflüchtete aus der Ukraine ins Leben gerufen. Die Resonanz ist riesig – doch es droht auch juristischer Ärger. 

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Dass es so gut laufen würde, hatte Marcus Diekmann nicht erwartet. Der Manager, der bereits parallel für den Fahrradhändler Rose Bikes und die Textilhandelskette Peek & Cloppenburg arbeitet, hat derzeit noch einen dritten Job. Er ist einer der Initiatoren der Jobplattform Job Aid Ukraine. Auf der finden sich aktuell gut 11.000 Stellenausschreibungen, die sich an Flüchtlinge richten: vom Mitarbeiter bei McDonald's über IT-Spezialisten bis hin zum Chemielaboranten. Nicht alle Jobs sind in Deutschland, auch wer Arbeitsplätze in den Niederlanden sucht oder sich für einen Beruf als Friseur in Schweden oder Norwegen interessiert, findet Angebote. Über 1.000 neue Stellen kommen zurzeit täglich dazu.

Es ist ein Projekt, das dafür sorgt, dass Diekmann täglich bis zwei Uhr nachts vor dem Laptop sitzt, Freunde nicht mehr trifft, nicht mehr zum Sport kommt. Denn viele Unternehmen wollen Geflüchteten in Deutschland helfen. Wer eine offene Stelle hat, kann sie in nur wenigen Schritten dort einstellen, selbstverständlich ist alles kostenlos. Für Diekmann gibt es also viel zu tun. „Es ist aus sozialer Sicht das Wichtigste, was ich je gemacht habe“, sagt er. Doch das Projekt zieht offenbar auch windige Abmahnanwälte an, gerade in der Anfangsphase bekam Diekmann Schreiben auf Schreiben, sagt er. Sie sehen ihr Einfallstor in einer vermeintlich juristisch strittigen Frage. Diskriminieren Jobs ausschließlich für Geflüchtete andere Bewerber? Davon einschüchtern lassen möchte er sich nicht. „Ich habe darauf nicht einmal geantwortet“, sagt er. 

Am 24. Februar überfiel Russland die Ukraine, ebenso wie die meisten Europäer war Diekmann geschockt. Noch am gleichen Tag veröffentlichte er auf Linkedin einen emotionalen Beitrag, in dem er unter anderem schrieb: „So schlimm, Krieg in unserer Region, Krieg überhaupt, Menschen leiden, Menschen sterben. Wir alle konnten keine politische Lösung finden. Wir konnten nicht die Ukraine schützen. Und warum? Weil wir am Ende unseren eigenen Wohlstand nicht gefährden wollen, wir haben Ängste – Börse, Konjunktur, Wirtschaft, eigener Egoismus und lassen uns davon leiten. Daraus entstehen politische Kompromisse und Taktiken – statt einer konsequenten Handlung.“

Diekmann griff kurze Zeit später zum Telefon und rief Polina an. Während des ganzen vergangenen Jahres passte die 25 Jahre alte Ukrainiern als Au Pair auf seine beiden Kinder auf. Sie solle sich in Sicherheit bringen, könne jederzeit mit ihrer Familie in seinem Haus in Coesfeld nahe Münster in Nordrhein-Westfalen unterkommen. „Polina war am Anfang zögerlich, in Deutschland hatte sie ja keine Perspektive, keinen Job“, erinnert sich Diekmann an den Anfang des Monats zurück.

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Seine Gespräche mit Polina waren der Startschuss für die Plattform. Gemeinsam mit Oliver Grüttemeier, der das Logo der Jobplattform entworfen hat, Cedric Wetzel, der viel bei der Seite programmiert hat und Christian Weis, der geholfen hat, die Seite bekannter zu machen, stellte er sie online. Diekmann hat dann gemacht, was er vermutlich am besten kann: netzwerken, Unternehmen finden, die mitmachen wollen, mit NGOs in Kontakt treten. Mit der Plattform „Händler helfen Händlern“ hatte er schon in der Coronakrise ein Projekt aufgesetzt, Job Aid Ukraine ist schon jetzt größer. „Wir haben aktuell 30.000 Seitenaufrufe pro Tag“, sagt er stolz. Nur die Politik hat er noch nicht erreicht. „Ich habe mehrere Bundespolitiker und Ministerien direkt angeschrieben, eine Antwort kam nicht“, sagt er. Lediglich Finanzminister Christian Lindner hätte sich ganz am Anfang einmal gemeldet. 

Polina ist mit ihrer kleinen Schwester nach Deutschland geflohen. Sie wohnt zurzeit bei Marcus Diekmann zu Hause im Zimmer seiner Tochter. Ihren 20-jährigen Bruder und ihre Mutter musste sie in ihrem Dorf im Südwesten der Ukraine, nahe der Grenze zu Rumänien, zurücklassen. „Die Region ist immer noch relativ ruhig“, sagt sie. Sicher sei es aber wohl nirgendwo mehr in der Ukraine. „Als ich noch da war, hatten wir schon viel Luftalarm, meine Mutter hatte im Keller schon alles fertig gemacht“, erzählt sie. Der Luftalarm komme nun immer häufiger. 

Polina ist gewissermaßen auch die erste Mitarbeiterin für die Jobplattform. „Zu Beginn habe ich geholfen, das Netzwerk mit aufzubauen“, sagt sie. Die Arbeit helfe auch, sich im Alltag von dem Krieg in ihrem Heimatland ablenken zu können. Inzwischen gibt es auf der Plattform einen Chat. Flüchtlinge, von denen viele auch nicht deutsch sprechen, haben viele Fragen. Polina versucht sie so gut es geht zu beantworten. „Viele wollen zum Beispiel wissen, ob sie hier ohne Sprachkenntnisse arbeiten können und wollen genauer wissen, wie das mit der Jobvermittlung funktioniert“, sagt sie.

Es gibt auch Unternehmen, die Job Aid Ukraine aktiv unterstützen. Die Deutsche Bank etwa stellt Programmierer zur Seite. Die Vermittlung der Stellen soll möglichst einfach sein, die Seite in verschiedenen Sprachen funktionieren. Ab kommender Woche wird es auch einen Blog geben, in dem die wichtigsten Fragen der Flüchtlinge beantwortet werden. „Die Ereignisse in der Ukraine haben uns vom ersten Tag an sehr beschäftigt. Als wir von der Plattform erfahren haben, haben wir unsere Hilfe sofort angeboten.“ sagt Theresa Matlage, Head of Business Development HR bei der Bank. Sie koordiniert nun die Zusammenarbeit des Geldhauses mit der Plattform. Um die 40 Mitarbeiter hätten sich in der Bank gefunden, um bei der Entwicklung der Plattform zu helfen. Auch eigene Stellenangebote hat das Geldhaus dort veröffentlicht. Die ersten Bewerbungen seien schon gekommen, sagt Matlage.

Auch Jessica Jacobi, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Kliemt, hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Julia Uznanski geholfen. Sowohl für Geflüchtete aus der Ukraine als auch für Arbeitgeber habe sie die wichtigsten juristischen Informationen in den FAQs der Plattform zusammengefasst. „Gerade zu Beginn war die Rechtslage im Hinblick auf das Einwanderungsrecht noch deutlich unklarer als heute“, sagt Jacobi. Schließlich ist es das erste Mal, dass Menschen, die aus einem Krieg fliehen, ohne Asylverfahren in der EU Schutz finden. 

Unternehmen, die nun Geflüchtete einstellen wollen, rät sie, unbedingt den Papierkram zu beachten. „Sie sollten auf jeden Fall vermeiden, Geflüchtete schwarz zu beschäftigen“, sagt sie. Ansonsten könnte es teuer werden. Wird ein Arbeitgeber erwischt, muss er unter Umständen sämtliche Sozialversicherungsbeiträge und auch die Einkommensteuer nachzahlen. Damit Unternehmen Ukrainer ordentlich einstellen können, brauchen die eine Arbeits- und eine Aufenthaltserlaubnis. 

Was bleibt, ist eine gewisse Gefahr durch Diskriminierungskläger. Diese bewerben sich zum Schein auf Arbeitsstellen, um nach der Ablehnung eine Entschädigung wegen Diskriminierung einzuklagen. „Das Thema wird uns wohl länger beschäftigen, hoffentlich aber nur selten“, sagt Jacobi. Unternehmen rät sie daher generell, die Ablehnung einer Bewerbung nur fachlich oder gar nicht zu begründen. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass ein Gericht in der derzeitigen Situation wirklich einer Klage gegen den Arbeitgeber wegen Diskriminierung durch die Ausschreibung auch oder nur für Ukrainer stattgeben würde“, sagt sie. 

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Noch hätten Abmahnanwälte keine konkreten Summen gefordert, sagt Marcus Diekmann. Auch wenn ihre Erfolgsaussichten wohl gering sind, könnten sie Diekmann Zeit und im Zweifelsfall auch Anwaltsgebühren kosten. Wer wirklich hinter den Abmahnungen steckt, ist unklar. „Ich werde aber jedes Mahnschreiben, in dem es um eine konkrete Forderung geht, öffentlich machen“, sagt Diekmann. „Es soll dann jeder sehen können, wer juristisch gegen unsere Seite vorgehen möchte.“  

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