Selbst wenig abergläubische Menschen könnten derzeit mit einem unbehaglichen Gefühl in Flugzeuge der Gesellschaft Malaysia Airlines einsteigen. Schließlich ist das Schicksal des Flugs MH 370 nach wie vor ungeklärt und die über der Ukraine abgeschossene Maschine MH17 stammte ebenso aus dem asiatischen Schwellenland wie die Muttergesellschaft Air Asia, deren Airbus auf Flug QZ 8501 gestern verschwunden ist.
Doch allen Geheimnissen, Verschwörungstheorien und den ungeklärten Fragen zum Trotz: Die Unglücke sind kein Schicksalsschlag oder gar eine Folge laxerer Sicherheitsstandards in der Region. Sie sind – so unangenehm das auch sein mag – vor allem eine Folge kalter Mathematik.
Schwere Flugunglücke der vergangenen Jahre
Ein Airbus der Lufthansa-Tochter Germanwings stürzt auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf in den Alpen ab. Frankreichs Präsident Hollande rechnet nicht mit Überlebenden.
47 Menschen werden am 23. Juli 2014 bei der Notlandung eines Flugzeugs der Linie Transasia auf Taiwan getötet.
Noch nicht restlos geklärt ist der Absturz der malaysischen Passagiermaschine MH17 mit 298 Menschen an Bord über der Ukraine - ein Abschuss über dem Konfliktgebiet Donbass wird als Ursache angenommen.
Der Kontakt zu Flug MH370 der Malaysia Airlines zwischen Kuala Lumpur und Peking mit 239 Passagieren und Besatzung bricht ab. Eine der größten Suchaktionen der Luftfahrt bleibt bis heute ohne Erfolg.
Sieben Insassen eines Learjets kommen beim Absturz des Flugzeugs in Mexiko ums Leben. Unter ihnen ist auch die Sängerin Jenni Rivera.
Eine McDonnell Douglas MD-83 mit 153 Passagieren stürzt in ein dicht besiedeltes Wohnviertel der nigerianischen Metropole Lagos. Alle Menschen an Bord und mindestens 10 Menschen an Land kommen ums Leben.
Ein Linienflugzeug vom Typ Boeing 727 stürzt nahe der pakistanischen Hauptstadt Islamabad ab. Alle 127 Insassen sterben.
Ein Flugbegleiter ist der einzige Überlebende einer abgestürzten Maschine mit Ziel Minsk, die 37 Passagiere (darunter fast die ganze Mannschaft eines russischen Eishockey-Vereins) und acht Besatzungsmitglieder an Bord hatte.
Eine pakistanische Passagiermaschine vom Typ Airbus A321 stürzt beim Landeanflug auf Islamabad ab. Alle 152 Menschen an Bord werden getötet.
Beim Absturz eines Airbus A330-200 während des Landeanflugs in der libyschen Hauptstadt Tripolis kommen 103 Menschen ums Leben. Nur ein neunjähriger Junge überlebt das Unglück.
Im russischen Smolensk sterben die 96 Insassen einer Tupolew 154, darunter der polnische Präsident Lech Kaczynski und andere Spitzenpolitiker.
Eine Boeing 737-800 der Ethiopian Airlines stürzt vor der libanesischen Küste ins Mittelmeer, die 90 Insassen sterben.
Beim Absturz einer russischen Maschine auf ein Dorf im Iran kommen alle 168 Menschen an Bord ums Leben. Die Tupolew 154 der Caspian Airlines hatte kurz nach dem Start Feuer gefangen.
Ein A310 der jemenitischen Fluggesellschaft Yemenia mit 153 Menschen an Bord stürzt im Landeanflug auf die Komoren in den Indischen Ozean. Nur eine Zwölfjährige überlebt.
Ein französisches Verkehrsflug stürzt über dem Atlantik ab. An Bord des Fluges AF 447 von Rio de Janeiro nach Paris sind 228 Menschen, darunter 28 Deutsche. Niemand überlebt.
49 Insassen eines Flugzeuges sowie eine Frau auf dem Boden sterben beim Absturz und der Explosion eines Flugzeugs im Staat New York.
In der Nähe der Hauptstadt von Kirgisistan, Bischkek, sterben 68 der 90 Insassen beim Absturz der Maschine. 22 Menschen überleben den Absturz der Boeing 737.
Beim Start eines Flugzeugs auf dem Madrider Flughafen Barajas stürzt die Maschine kurz nach dem Start ab. 153 Menschen sterben, 19 überleben.
Zum einen gilt: Auch wenn das vergangenen Jahr nun leider zu den schwärzeren des jungen Jahrtausends gehört, ist Fliegen in den vergangenen Jahrzehnten ständig sicherer geworden. Obwohl sich der Flugverkehr seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt hat, lag die Zahl der Unfälle immer bei unter 30 pro Jahr und die Zahl der Todesopfer mit Ausnahme des Jahres 2005 nie bei mehr als 1000 jährlich.
Mehr Flugzeug-Unglück in Asien
Allerdings gibt es hier eine regionale Verschiebung. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Anteil der asiatischen Fluglinien am Weltflugverkehr in etwa verdoppelt. Und, das mag jetzt herzlos klingen, damit steigt notgedrungen auch die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls mit Maschinen asiatischer Fluglinien.
Das bedeutet aber keineswegs, dass dies so bleiben kann oder gar als naturgegeben hingenommen werden darf. Jeder Unfall ist eine Mahnung, strenger auf die Sicherheit zu achten und die Standards zu verschärfen. Das tun die Hersteller Airbus und Boeing auch nach Kräften - und aus einer kalten Kalkulation. Denn jeder Absturz ist nicht nur eine menschliche Tragödie. Er ist auch schlecht für das Geschäft.
Zwar boomt die Branche. Gerade in Asien ist die Nachfrage nach neuen Maschinen größer als die Möglichkeiten von Airbus und Boeing sie zu bauen. Doch Abstürze treiben die Kunden einer Fluglinie zur Konkurrenz und ziehen lange Verfahren sowie Entschädigungszahlen nach sich. Das überzeugt auch den herzlosesten Controller zu mehr Sicherheit.
Was für mehr Flugsicherheit wirklich nötig ist
Doch so groß dieser Druck auch ist, er ist offenbar noch nicht groß genug. Denn um die Maschinen sicherer zu machen, müssen die Hersteller genau wissen, was genau kurz vor dem Absturz schief gegangen ist. Die wichtigste Voraussetzung hierzu ist, die Flugzeuge nach einem Crash schnell zu finden und die letzten Minuten vor der Katastrophe genau zu rekonstruieren.
Hier leistet sich die Branche und die Politik, die sie sonst stark reguliert, eine Einstellung, die nur noch mit gutem Willen als erstaunliche Saumseligkeit durchgeht. „Die Regulierer sind gefürchtet für ihre Grabsteinmentalität, die Änderungen erst verlangt wenn es Tote gab“, urteilt der renommierte Branchenanalyst Scott Hamilton.
Drei Maschinen in fünf Jahren verschwunden
Denn mit den Unfällen von Air Asia 8501, Malaysia Airlines 370 und Air France 447 im Jahr 2009 sind in den vergangenen fünf Jahren gleich drei Maschinen plötzlich und spurlos verschwunden. Die Air-France–Maschine wurde zwar gefunden. Aber obwohl die Bergungskräfte von Anfang an eine recht gute Vorstellung hatten, wo das Wrack gelandet sein musste, stießen die Suchkräfte erst nach gut zwei Jahren auf den Flugschreiber. Und bei MH 370 müssen die Fachleute nach wie vor eher raten, wo genau sie suchen sollen.
Grund für die lange Suche ist in allen drei Fällen, dass die Behörden zwar viele Details von der Ausbildung bis zu den Preisen vorschreiben. Doch eine genaue Ortung in Echtzeit hielten sie offenbar bisher für unnötig.
Das ist in der Tat absurd. In einer Zeit, in der Beobachtungssatelliten auch bei Nacht und Nebel jedes Detail auf der Erde erkennen und Überwachungssoftware in schier endlosen Datenbergen erfolgreich nach Schlüsselworten sucht, ist es unvorstellbar, dass eine gut 30 Meter lange und breite Maschine spurlos verschwindet, obwohl sie einen klaren Kurs hat und ständig Daten bis zur Brenntemperatur in den Triebwerken an die Werkstätten funkt.
Doch auch das hat einen Grund. Denn zum Wesen der Regulierung im Fluggeschäft gehört es, dass Einschränkungen für die – meist zumindest teilweise staatlich beherrschten – Airlines nur einvernehmlich von allen Mitgliedern der ICAO genannten Luftfahrtorganisation der UNO getroffen werden dürfen. Die ICAO drückt sich in der Frage seit Jahren vor einer Entscheidung. Denn diese Überwachung kostet Geld, gerade weil auf den langen Flügen über Ozeane eine Ortung aufwändig ist und – da nun mal nicht mal jeder Millionste Flug einen Unfall hat – am Ende vor allem auch viele überflüssige Daten produziert.
Doch seit dem Unglück von Air Asia kann das nicht mehr gelten. Weil Flug QZ8501 auf einem relativ kurzen Flug in einer gut überwachten Gegend verschwand, ist klar: Eine solche Überwachung darf nicht nur regional erfolgen, sondern eben weltweit. Das Überwachungssystem klärt auch gleich ein paar andere Probleme: Denn immer wieder stürzen auch Maschinen in unwegsamen Gebieten an Land ab und wären schneller und leichter zu finden, könnte man sie auch dort orten.
Somit ist klar: Die ICAO muss entscheiden und zwar bald. Wenn zunächst nur ein Teil ihrer Mitglieder aus Nordamerika Europa oder Asien mitzieht, dann ist das eben so. Bei Dingen wie einer gründlicheren Kontrolle von Passagieren und Luftfracht führten die zunächst nur von den USA und der EU betriebenen strengeren Standards nach einer regionalen Übergangsphase am Ende zu einem globalen Standard. Damals hatte die EU auch keine Scheu, ihrer Meinung nach unsichere Airlines zu verbannen.
Das wird die Opfer der bisherigen Abstürze natürlich nicht wieder lebendig machen. Aber es macht künftige Abstürze noch ein wenig unwahrscheinlicher und verhindert damit weitere Opfer. „Denn Grabsteine hatten wir nun wirklich genug“, so Experte Hamilton.