Frachtdiebstahl Nachts kommen die Planenschlitzer

Auf deutschen Rastplätzen suchen professionelle Banden in Lastern nach Beute. Die Schäden reichen oft in die Millionen. Sicherheits-Parkplätze helfen - doch es gibt zu wenige.

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Planenschlitzer auf deutschen Autobahnen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Das Gas strömt langsam durch die Lüftungsanlage in das Führerhaus, farblos, geruchlos, geräuschlos. Der Fahrer würde ohnehin nichts merken, er schläft tief und fest in seiner Fahrerkabine. Nur am nächsten Morgen wundert er sich, wegen diesem fahlen Geschmack auf der Zunge und dem drückenden Gefühl im Kopf. Beim Rundgang um den Lastwagen wird es ihm klar: Es waren Diebe, die ihn betäubt haben. Von seiner Ladung ist nichts mehr da.

Beinahe täglich wird in Deutschland ein Rastplatz zu einem Tatort. Vor allem nachts tauchen dort Räuberbanden auf. Nur wenige sind dabei so vorsichtig, die Fahrer zu betäuben: Sie wandern umher, schlitzen die Planen der Lastwagen auf, brechen Container auf, zwanzig oder dreißig Lkw inspizieren sie so in einer Nacht. Was sich irgendwie verkaufen lässt, nehmen sie mit: Elektrogeräte, Motoren, Kleidung, selbst Lebensmittel.

Wie im März im sächsischen Schkeuditz: Diebe stahlen einen kompletten Kühllaster von einem Parkplatz, beladen mit Fleisch im Wert von 100.000 Euro. Eine gute Beute: Denn Lebensmittel haben im Gegensatz zu Elektro-Artikeln keine Seriennummern und Abnehmer finden sich überall.

Drei Tonnen Schuhe entwenden Diebe im Februar von einem Lkw auf einem Parkplatz im bayrischen Weibersbrunn. Der Fahrer schlief, er bemerkte erst beim Rundgang um seinen Laster am nächsten Morgen den Schlitz in der Plane. Wert der Beute: über 110.000 Euro.

Überwältigt und gefesselt

Schlimmer traf es doch jedoch einen ihrer Kollegen: Zwei Täter stoppten den Lkw-Fahrer in der Nähe von Kassel mit einer inszenierten Kontrolle. Sie überwältigten und fesselten den Mann, drückten ihn in das Führerhaus und fuhren los. Erst nach 20 Minuten stoppten die Diebe, um die Ladung - wertvolle Autoteile - auf zwei kleinere Laster zu verteilen und mit diesen zu flüchten. Der Fahrer blieb gefesselt in seinem Fahrerhaus zurück, heißt es in einer Mitteilung der zuständigen Polizei Homberg.

Drei Vorfälle, die zeigen, wie gefährlich deutsche Autobahnen und Rastplätze mittlerweile für Lkw-Fahrer sind. Zwischen West und Ost führen fast alle Routen über Deutschland, als Transitland steht das Bundesgebiet deshalb im Fokus der internationalen Banden. "Deutschland nimmt beim Frachtdiebstahl innerhalb Europa weiterhin einen Spitzenplatz ein“, sagt Thorsten Neumann. Er ist Vorsitzender der Transported Asset Protection Association (Tapa) mit Sitz im niederländischen Amstelveen, die Frachtdiebstähle verhindern will. Nach Schätzungen von Tapa hat es alleine im vergangenen Jahr rund 5000 Fälle von ausgeräumten oder gestohlenen Lkw in Deutschland gegeben. Genaue Zahlen gibt es nicht, denn Fälle von Frachtkriminalität wird von den deutschen Polizeibehörden bisher nicht einmal zentral erfasst.

Diebstähle von Lkw-Ladungen in Deutschland (zum Vergrößern bitte anklicken)

Genauso schwierig lässt sich feststellen, wie viel Schaden die oft gut organisierten Banden anrichten. Die jüngste Studie der EU stammt aus dem Jahr 2007: Alleine in Deutschland summierte sich damals der Schaden auf 1,5 Milliarden Euro, stellte die EU fest, europaweit beläuft sich die Summe sogar auf 8,5 Milliarden Euro.

Seitdem habe sich die Lage eher verschlimmert, sagt Neumann: „Die Kriminalität ist viel organisierter, die Schadenssummen sind in den vergangenen Jahren immens gestiegen", sagt Neumann. Nach Angaben von Tapa liegt der durchschnittliche Wert der Beute bei einem Ladungsdiebstahl bei rund 300.000 Euro.

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