GDL-Chef Claus Weselsky "Wer zurückrudert, macht sich unglaubwürdig"

Im Tarifstreit mit der Bahn will Claus Weselsky keine Milde zeigen. Im Interview kontert der Chef der Lokführergewerkschaft GDL die Angriffe auf seine Person, attackiert die Bahn - und droht mit neuen Streiks ab Februar.

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Lokführer und Gewerkschaftsfunktionär Claus Weselsky Quelle: dpa Picture-Alliance

WirtschaftsWoche: Herr Weselsky, wie geht es Ihnen?

Mittlerweile wieder hervorragend! Es wird Sie aber nicht verwundern, wenn ich sage: Die vergangenen Monate waren für mich nicht ganz einfach.

Die wiederholten Bahnstreiks 2014 haben Sie zu einer Reizfigur in ganz Deutschland gemacht. Wie gehen Sie damit um?

Die persönlichen Attacken waren massiv. Ich habe mir ernsthaft die Frage stellen müssen, ob ich weitermachen will. Die klare Antwort lautet: Ja! Auslöser der Hassattacken auf mich ist die Bahn. Es hat sich in Deutschland noch nie ein Konzern erlaubt, der eigenen Gewerkschaft per Pressemitteilung einen „Amoklauf“ vorzuwerfen. Die GDL ist nicht Amok gelaufen, sondern wir haben unsere Arbeit gemacht, für die unsere Mitglieder ihre Beiträge zahlen.

Zur Person

Haben Sie in der Auseinandersetzung mit der Bahn und Ihrer Konkurrenzgewerkschaft EVG persönliche Fehler gemacht?

Auf einer Veranstaltung in Fulda ist mir ein Satz über Behinderte herausgerutscht, für den ich mich mehrfach entschuldigt habe. Ansonsten bereue ich nichts.

Kritiker werfen Ihnen Sturheit und Beratungsresistenz vor. Selbst innerhalb der GDL hat sich eine Oppositionsgruppe formiert, die mehr Transparenz von der Gewerkschaftsleitung einfordert.

Rückgrat und innere Haltung haben nichts mit Sturheit zu tun. Richtig ist: Ich stelle meine Entscheidungen nicht ständig in Frage, nur weil der Wind rauer wird. Das mag man belächeln und falsch finden. Aber wer ständig zurückrudert, macht sich nach innen und außen unglaubwürdig. Und was diese internen Kritiker angeht: Hier geht es nicht um einen konstruktiven Dialog, sondern um einen persönlichen Rachefeldzug meines Amtsvorgängers Manfred Schell gegen mich. Mehr muss man dazu nicht sagen.

Was die GDL erreichen will

Wie hat sich das negative Echo in der Öffentlichkeit auf die Mitgliederzahl der GDL ausgewirkt? Es soll aus Protest gegen Ihre Verhandlungsstrategie eine Reihe von Austritten gegeben haben.

Es gab Austritte, aber es gab auch Eintritte. Ein solche Fluktuation ist vor und während einer Tarifauseinandersetzung – und auch sonst – normal. Unter dem Strich ist unsere Mitgliederzahl im Verlauf des Tarifkonflikts nicht gesunken.

An diesen Montag nehmen Bahn und GDL ihre Tarifverhandlungen wieder auf, ein weiteres Treffen ist für den 28. Januar geplant. Ist eine Einigung nahe?

Nein. Wir werden bis Ende Januar keinen Abschluss hinbekommen, dazu ist die Materie zu kompliziert. Unser Ziel ist es aber, bis zum März durch zu sein. Wenn die Bahn auf Zeit spielt und den Konflikt in die Länge zieht, wofür es Hinweise gibt, dann werden wir darauf reagieren.

Darum geht es bei der geplanten Tarifeinheit

Das heißt: Sie wollen wieder streiken?

Die Urabstimmung ist bekanntlich gelaufen. Ein Arbeitskampf ist daher jederzeit möglich. Wir werden Ende Januar eine Bilanz ziehen und entscheiden, wie es weiter geht. Danach kann alles sehr schnell gehen. Dann sind wir quasi über Nacht wieder im Arbeitskampfmodus. Dann müssen wir wieder mehr trommeln und pfeifen, als er der Bahn lieb ist.

Wo ist das Problem? Die Bahn hat doch Ihre Hauptforderung erfüllt und will mehrere Tarifverträge für einzelne Berufsgruppen akzeptieren. Damit kann die GDL erstmals für das gesamte Zugpersonal verhandeln.

Das war in der Tat eine große und schöne Weihnachtsüberraschung. Erstmals in dieser Tarifrunde können wir nun über Inhalte reden. Zum Beispiel über die Frage, ob wir einen eigenen Tarifvertrag für die Zugbegleiter brauchen oder ob sich diese in das existierende Tarifwerk für Lokführer integrieren lassen. Wir haben im Übrigen das Entgegenkommen der Bahn honoriert und fordern unter anderem statt einer Arbeitszeitverkürzung von zwei Stunden nur noch eine Stunde weniger – auf dann 38 Stunden.

"Drei Millionen Überstunden bei den Lokführern"

Plus fünf Prozent mehr Geld.

Ja, aber jeder weiß, dass sich eine Gewerkschaftsforderung in der Regel nicht eins zu eins im Tarifabschluss niederschlägt. Eine Stunde Arbeitszeitverkürzung entspricht einer Lohnerhöhung von 2,6 Prozent, das ist uns sehr wohl bewusst. Dass wir nicht nahe fünf Prozent abschließen, wenn es zu einer sinkenden Arbeitszeit kommt, ist doch logisch.

Würden Sie notfalls ganz auf eine Arbeitszeitverkürzung verzichten?

Nein. Wir wollen die Ressource Arbeit bei der Bahn absichtlich verknappen, um den Druck auf die Gegenseite zu erhöhen, neue Leute einzustellen. Die Bahn versucht ja seit Langem, über Langzeitkonten ihre riesigen Personallücken zu verdecken. Es sind mittlerweile drei Millionen Überstunden bei den Lokführern aufgelaufen und eine Million bei den Zugbegleitern.

"Ein ganzes Land in Geiselhaft"
Bundeskanzlerin Angela Merkel empfiehlt ein Schlichtungsverfahren zur Beendigung des Tarifkonflikts. "Es gibt auch die Möglichkeit der Schlichtung, wenn beide Partner zustimmen", sagte die Kanzlerin am Mittwoch in Berlin. Dies hatte die Deutsche Bahn zuvor angeboten. "Ich kann nur an das Verantwortungsbewusstsein appellieren, hier Lösungen zu finden, die für uns als Land einen möglichst geringen Schaden haben - bei aller Wahrung des Rechts auf Streik." Streiks seien eine Möglichkeit der tariflichen Auseinandersetzung, sie müssten aber verhältnismäßig sein, sagte Merkel weiter. Ob dies der Fall sei, darüber könne letztlich nur ein Gericht entscheiden. "Aber es gibt eine Gesamtverantwortung", mahnte Merkel. Gerade im Bereich der Daseinsvorsorge wie dem Verkehr, wo Millionen Bürgern betroffen seien und es um die Zukunft der Wirtschaft gehe, sei von allen Beteiligten ein hohes Maß an Verantwortung notwendig. Quelle: REUTERS
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Bahn dazu aufgerufen, notfalls vor Gericht zu ziehen. Der Streik sei unverhältnismäßig und überstrapaziere die Akzeptanz der Bevölkerung in Tarifauseinandersetzungen, sagte Dobrindt am Mittwoch. "Und deswegen muss man, wenn es jetzt nicht zu einer Schlichtung kommt, die Rechtsposition der Bahn wahrnehmen und muss alle Rechtsmittel nutzen." Wenn die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben sei, könne dies auch vor Gericht geklärt werden, fügte der CSU-Politiker hinzu. In einem Tarifkonflikt müsse in besonderer Weise auf die Auswirkungen auf Dritte Rücksicht genommen werden. Dobrindt schloss nicht aus, dass die von der Bahn ins Spiel gebrachte Vermittlung durch zwei unabhängige Schlichter zustande kommen könne. Er halte dies für ein "seriöses Angebot", durch das es möglich sei, zu einem Ergebnis zu kommen. Er stehe in direkten Gesprächen mit dem Staatskonzern, fügte der Minister hinzu. Quelle: REUTERS
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die GDL ungewöhnlich scharf attackiert und einen Schlichter zur Beilegung des Konflikts gefordert. Er warf der GDL Missbrauch des Streikrechts vor. "Das Streikrecht wurde in den letzten 65 Jahren in Deutschland von den DGB-Gewerkschaften immer verantwortungsbewusst genutzt - und nur dann, wenn es um Arbeitnehmerinteressen ging", sagte er der "Bild"-Zeitung. "Die GDL hat sich von diesem Prinzip verabschiedet." Den Funktionären gehe es nicht um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen, sondern um Eigeninteressen. "Ich appelliere an die Funktionäre der GDL, an den Verhandlungstisch zurückzukommen", sagte Gabriel. Nötig sei jetzt Verantwortungsbewusstsein auf allen Seiten und ein Schlichter oder Vermittler, um den drohenden volkswirtschaftlichen Schaden abzuwenden. Die SPD steht dem Gewerkschaftslager und vor allem dem DGB gewöhnlich sehr nahe. Quelle: dpa
"visitBerlin"-Geschäftsführer Burkhard Kieker sagte, er könne die Politik des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky nicht nachvollziehen. "Das scheint ein Profilneurotiker zu sein, der ein ganzes Land in Geiselhaft nimmt." Quelle: REUTERS
Die Deutsche Bahn hält den angekündigten erneuten Lokführerstreik für „reine Schikane“. „Dieser Streikaufruf macht nur noch sprachlos“, sagte Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber. Das Unternehmen plant wie bei den vorherigen Streiks einen Ersatzfahrplan. So soll etwa ein Drittel des sonst üblichen Zugverkehrs angeboten werden können. Quelle: dpa
"Was derzeit bei der Bahn passiert, ist Gift für den Standort Deutschland", sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutsche Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks. "Neben dem Ärgernis für Urlauber führen Streiks im Güterverkehr bereits nach wenigen Tagen zu Produktionsstörungen, weil Bahntransporte oft nicht kurzfristig auf Straßen oder Schiffe verlagert werden können." In Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie sei die Produktionskette komplett auf Just-in-time-Produktion ausgerichtet, bei der Zuliefer- und Produktionstermine genau aufeinander abgestimmt seien. "Warenlager helfen nur die ersten Tage, dann stockt die Fertigung", sagte Dercks. Quelle: dpa
Das Verständnis der Pendler hält sich in Grenzen. Quelle: Screenshot

Was haben die GDL die Streiks im vergangenen Jahr gekostet?

Die Rechnung ist einfach. Bei Warnstreiks wird nichts gezahlt. Unsere längere Streikaktion lief über drei Tage. Rund 3000 Kollegen haben dabei pro Tag die Arbeit niedergelegt. Jeder erhält maximal 50 Euro pro Tag an Streikunterstützung. Macht also insgesamt 450 000 Euro...

...die Ihr Dachverband, der Deutsche Beamtenbund (DBB), tragen will.

Moment! Zunächst gehen wir komplett in Vorleistung. Auf Antrag und unter gewissen Vorbedingungen gibt es dann Mittel aus einem Unterstützungsfonds des DBB. Die Erfahrung früherer Arbeitskämpfe zeigt, dass wir am Ende etwa die Hälfte unserer Streikkosten erstattet bekommen.

Das sind die Bahngewerkschaften GDL und EVG

Sind die Finanzen der GDL denn so in Ordnung, dass Ihnen das nicht weh tut?

Absolut. Wir sind eine sehr alte Gewerkschaft und haben im Lauf der Jahrzehnte ein beachtliches Vermögen aufbauen können, Immobilienbesitz inklusive. Die GDL-Zentrale in Frankfurt gehört uns, dazu haben wir eine – zum Teil vermietete – Immobilie in Halle.

Wenn es bei der Bahn künftig zwei Tarifverträge gibt, woher soll der Arbeitgeber dann wissen, welcher Mitarbeiter unter welchen Vertrag fällt? Seine Gewerkschaftsmitgliedschaft will ja sicher nicht jeder dem Chef brühwarm mitteilen. Und nach einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts muss man das auch nicht.

Das ist auch gar nicht nötig. Die betroffenen Arbeitnehmer müssen dem Arbeitgeber lediglich erklären, unter welchen Tarifvertrag sie fallen wollen. Damit geben sie keinen Hinweis auf ihre Mitgliedschaft. So wird es bereits bei einigen privaten Bahnunternehmen praktiziert.

Und dann wählt man sich das Weihnachtsgeld von der GDL und das Urlaubsgeld von der EVG? Ein solches System lädt doch zum ständigen Tarifhopping ein – ein bürokratisches Horrorszenario für den Arbeitgeber.

Theoretisch ja. Das Problem lässt sich aber durch klare Regelungen ausschließen. Rosinenpickerei wollen wir nicht. Man könnte zum Beispiel festlegen, dass der Wechsel von einem Tarifvertrag zum anderen nur einmal im Jahr möglich ist.

Wie ist derzeit das Verhältnis zu Ihrer Konkurrenzgewerkschaft EVG? Ist das Tischtuch komplett zerschnitten?

Es gibt kein Verhältnis. Die gewerkschafts- und tarifpolitischen Philosophien sind völlig konträr. Und aus dem Dilemma kommen wir auch nicht mehr raus.

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