Sie zuckt mit den Schultern. Herbeizaubern kann die Dame am Schalter das Flugzeug auch nicht. Mehr als mit aufgesetztem Lächeln um Geduld zu bitten, ist einfach nicht drin.
Über zwei Stunden ist der Flieger Richtung Stockholm-Arlanda mittlerweile zu spät. Der Grund bleibt erstmal unklar. Sicher ist nur: Der Zeitverlust ist uneinholbar und der erste Termin bereits geplatzt. Zudem wächst die Gewissheit, dass das Nachspiel mit der Fluggesellschaft weitere Nerven kosten wird.
39 Prozent aller Flüge in Europa hatten im April 2015 Verspätung, sagen die Statistiker von Eurocontrol. 27 Minuten im Schnitt. Sind die Flieger fünf, zehn oder 15 Minuten hinter dem Zeitplan, ist das nervig und ärgerlich, aber eigentlich kaum der Rede wert. Hat der Flieger jedoch mehr als drei Stunden Verspätung, haben die Fluggäste ein Anrecht auf Entschädigung. Je nach Länge des Flugs sind nach EU-Recht zwischen 250 und 600 Euro drin.
Einzig "höhere Gewalt", sprich Streik oder richtig schlechtes Wetter, kann die Airlines aus ihrer Zahlungspflicht entbinden. Diese Regelung gilt seit mehr als zehn Jahren. Und trotzdem machen nach Angaben der EU-Kommission gerade einmal zwei bis vier Prozent der betroffenen Passagiere davon Gebrauch. Kein Wunder: Die Fluglinien geben sich alle Mühe, die Zahl der Entschädigungen so gering wie möglich zu halten.
Fluggastrechte - Der Weg zur Entschädigung
Ein Anspruch auf Entschädigung besteht, wenn der Kunde aufgrund von Überbuchung oder eines gestrichenen Fluges seine Reise nicht antreten kann oder das Reiseziel mit mindestens dreistündiger Verspätung erreicht. In diesen Fällen gilt laut EG-Fluggastverordnung die Entschädigungspauschale von 250 bis zu 600 Euro. Ab Ende des Jahres, in dem der Flug angetreten wurde, haben Passagiere drei Jahre zeit, ihren Anspruch geltend zu machen.
Quelle: Verbraucherzentrale / Stiftung Warentest
Wer sich dazu entschließt, eine Beschwerde bei der Fluggesellschaft einzureichen, hat drei Möglichkeiten: diese selbst einreichen, den Fall an einen Anwalt übergeben oder auf Dienstleister und Schlichtungsstellen zurückzugreifen, die dabei helfen, Entschädigungen zu erwirken. Stiftung Warentest rät, sich im ersten Schritt an die Airline selbst zu wenden. Ist diese nicht kooperativ, können im zweiten Schritt Schlichter, Anwälte oder Inkassodienste zu Rate gezogen werden.
Dei Verbraucherzetralen helfen Fluggästen mit einer kostenlosen Ersteinschätzung. Die zuständige Zentrale finden Sie unter www.verbraucherzentrale.de/home
Seit dem 1. November 2013 können sich Passagiere außergerichtlich an die private Schlichtungsstelle für den öffentlichen Nahverkehr (SÖP) wenden, wenn deren Rechte von den Fluglinien ignoriert werden. Die Inanspruchnahme der SÖP ist kostenfrei, aber auch unverbindlich.
Viele Fluggäste sind nicht gewillt, den Streit auf eigene Faust anzugehen und übergeben den Fall an einen Anwalt. Die Anwalts- und Gerichtskosten werden für Passagiere mit Rechtsschutz von der Versicherung getragen. In vielen Fällen ist allerdings ein Selbstbehalt von 150 Euro festgelegt. Ohne entsprechenden Rechtsschutz und im Falle einer gerichtlichen Niederlage muss ein Großteil der Kosten für das Verfahren vom Fluggast selbst übernommen werden.
Firmen wie EUclaim, Flightright, Fairplane und refund.me bieten Fluggästen die Möglichkeit, sie bei Entschädigungsforderungen zu unterstützen. Sie erheben - anders als Anwälte - keine Kosten, wenn die Klage erfolglos bleibt. Im Erfolgsfall erhalten sie eine Provision.
Quelle: Stiftung Warentest
Sabine Fischer-Volk von der Verbraucherzentrale Brandenburg weiß genau, wie die Airlines auch mit berechtigten Ansprüchen umgehen. „Die Fluggesellschaften antworten entweder gar nicht auf diverse Anspruchsschreiben oder lassen Passagiere wochenlang auf eine Antwort warten, um ihnen dann ihr Bedauern auszudrücken und kleinsummige Gutschriftsbeträge für den nächsten Flug anzubieten.“
Andere Fluggäste würden mit Verweis auf das schlechte Wetter, einen technischen Defekt oder abgelaufene Arbeitszeiten der Crew abgewimmelt. Was auf mehreren Seiten in geschliffenem Juristendeutsch vielleicht plausibel klingt, ist aber nach gültiger Rechtsprechung häufig aber gar kein Entlastungsgrund.
Abzocke der Airlines
Die Masche hat Methode und sich in den vergangenen Jahren kaum geändert. Denn viele Airlines stehen unter finanziellem Druck, und weil die Entschädigungssummen schnell den Ticketpreis übersteigen können, fressen die Ansprüche der Passagiere schon mal den Gewinn mehrerer Flüge auf. Grund genug also für die Gesellschaften, sich vor den Zahlungen zu drücken.
Im Januar deckten Reporter des WDR auf, dass zum Beispiel Deutschlands zweitgrößte Fluglinie Air Berlin ihre Mitarbeiter systematisch schult, Passagieren die Ausgleichszahlungen vorzuenthalten. Und damit kommt die kriselnde Airline häufig sogar durch.
„Bei den Fluglinien wird getrickst und gemauert“, sagt Marek Janetzke. „Das macht aus deren Sicht natürlich Sinn. Würden sie jeder Forderung ohne weiteres nachgeben, müssten sie jährlich hunderte Millionen zurückzahlen.“ Janetzke ist Geschäftsführer von Flightright – und verdient mit dem Fehlverhalten der Airlines sein Geld. Der Rechtsdienstleister ist darauf spezialisiert, sich im Namen der Kunden mit den Fluggesellschaften anzulegen. Und kommt dabei mit durchaus kuriosen Fällen in Kontakt.
„Ein Kunde erzählte uns, dass sein Flieger nicht starten konnte, da ein Pilot vor dem Andocken am Gate mit seinem Flugzeug ein stehendes gerammt und es so flugunfähig gemacht hatte“, erinnert sich Janetzke. „Es stellte sich heraus, dass der Pilot betrunken war und daraufhin von der Polizei mitgenommen wurde.“ Von höherer Gewalt konnte in diesem Fall also keine Rede sein.
Fluggastrechte - Die Rechtsdienstleister im Überblick
Inkassodienstleister versuchen Fluggesellschaften ohne Mitwirkung eines Gerichts durch Schreiben zum Zahlen von Entschädigungen zu veranlassen. Ist dies nicht zielführend, greifen sie auf Partneranwälte zurück, die dann eine Klage einreichen. Anders als Anwälte erheben sie keine Kosten, wenn die Klage erfolglos bleibt. Im Erfolgsfall erhalten sie eine Provision von bis zu 30 Prozent der Entschädigungssumme.
Link: http://www.euclaim.de
Kosten (bei Erfolg): Provision in Höhe von 22,5 Prozent der anfangs geforderten Entschädigungssumme
Link: https://www.fairplane.de
Kosten (bei Erfolg): 24,5 Prozent der Entschädigungssumme plus Mehrwertsteuer
Link: http://new.flightright.de
Kosten (bei Erfolg): Erfolgsprovision von 25 Prozent (zuzüglich Mehrwertsteuer) der von der Fluggesellschaft ausgezahlten Summe
Link: https://www.refund.me/de/
Kosten (bei Erfolg): 15 Prozent zuzüglich Umsatzsteuer der Entschädigungssumme
Quelle: Stiftung Warentest
Verlockend für geschädigte Fluggäste: Anders als ein Anwalt, der stets seine Bezahlung will, trägt Flightright die Kosten, wenn der Anspruch vor Gericht abgeschmettert wird. Dafür bekommt der Dienstleister 25 Prozent der Entschädigungssumme, wenn die Beschwerde erfolgreich ist. Ein Geschäftsmodell, das sich nur lohnt, wenn der Großteil der Fälle gewonnen wird.
Um das sicherzustellen, hat Flightright einen Großteil des juristischen Prozesses so weit wie möglich automatisiert. Auf der Website des Dienstes gibt der Passagier lediglich seine Flugnummer und den Tag ein. Die Software im Hintergrund filtert die aussichtslosen Fälle gleich heraus. Wer sich wegen eines ausgefallenen Flugs an einem Streiktag beschwert, hat keine Chance. „Wir gehen nur vor Gericht, wenn es erfolgversprechend ist“, sagt Janetzke.
Erst wenn der Fluggast es über die erste Stufe hinaus schafft, übernehmen Sachbearbeiter und Juristen den Fall und übernehmen die verschiedenen Eskalationsstufen vom Anschreiben bis zur Klage. Gründe, Streit mit den Airlines zu suchen, gibt es offenbar genug. Denn egal ob Billigflieger oder Traditionslinie mit vielgelobtem Kundenservice: Geht es um Entschädigungen, stellen sich alle quer. „In der ganzen Branche gibt es eigentlich keine herausragenden Positiv-Beispiele“, weiß Janetzke.