Germanwings-Absturz Luftfahrtbundesamt nicht ausreichend informiert

Fehlten dem Luftfahrtbundesamt wichtige Informationen zur Depression des Germanwings-Co-Piloten Andreas L.? Der medizinische Dienst der Lufthansa gerät unter Druck.

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 Ein Airbus der Fluggesellschaft Germanwings auf dem Flughafen in Stuttgart. Quelle: dpa

Das Luftfahrtbundesamt (LBA) hat bis zu der Germanwings-Katastrophe nach eigener Darstellung nichts zu den medizinischen Hintergründen des Co-Piloten gewusst. Bis zur Akteneinsicht beim Flugmedizinischen Zentrum der Lufthansa nach dem Absturz habe die Behörde „keinerlei Informationen“ dazu gehabt, teilte das LBA der „Welt am Sonntag“ mit. Das Statement liegt auch der Deutschen Presse-Agentur vor. Man sei vom Flugmedizinischen Zentrum der Lufthansa nicht „über die abgeklungene schwere Depressionsphase“ informiert worden.

Flugmediziner müssen in Fällen schwerer Krankheiten wie Depressionen das LBA einschalten, wie die Zeitung berichtet - allerdings gelte dies erst seit April 2013. Bisher ist bekannt, dass Andreas L. als Flugschüler seine Lufthansa-Verkehrsfliegerschule 2009 über eine „abgeklungene schwere depressive Episode“ informierte, wie das Unternehmen am 31. März eingeräumt hatte. Seit Inkrafttreten der neuen Verordnung gab es noch zwei Tauglichkeitsprüfungen beim Co-Piloten - im Sommer 2013 und im Jahr 2014.

Laut Zeitung könnte dies nun Konsequenzen für die Lufthansa-Ärzte haben, die den Piloten zwischen 2009 und 2013 untersuchten. Die Fluggesellschaft, zu der auch Germanwings gehört, wollte sich zu dem Fall nicht äußern. Ein Sprecher verwies auf die laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungen.

Unterdessen berichtete das "Wall Street Journal" unter Berufung auf zwei mit der Situation vertraute Personen, EU-Vertreter hätten vor dem Crash auf einen Personalmangel beim LBA hingewiesen.

Zweiter Flugschreiber bestätigt Ermittlungen

Derweil hat die Auswertung der zweiten Blackbox den bisherigen Verdacht zur Absturzursache bestätigt: Der Co-Pilot der Germanwings-Maschine hat den Airbus bewusst in den Sinkflug gebracht und dabei beschleunigt, wie die Analyse des Flugdatenscheibers ergab. Dies teilte die französische Untersuchungsbehörde Bea am Freitag mit. Der Autopilot sei von dem Anwesenden im Cockpit so eingestellt worden, dass die Maschine auf 100 Fuß - umgerechnet etwa 30 Meter - hinuntergeht. Während des Sinkflugs sei die Maschine zudem mehrfach beschleunigt worden. Flugunfall-Experten kündigten weitere Analysen der Blackbox an. An der Unglücksstelle in Frankreich gehen auch am Osterwochenende die Bergungsarbeiten weiter.

Das Flugzeug war am 24. März auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf in den französischen Alpen abgestürzt. Unter den 150 Toten waren laut Auswärtigem Amt 72 Deutsche.

Warum Flugschreiber so wichtig sind

Der zweite Flugschreiber war am Donnerstag an der Unglücksstelle in den französischen Alpen gefunden worden. Er war von Geröll verschüttet. Der Rekorder zeichnet Kurs, Geschwindigkeit, Flughöhe oder Neigungswinkel auf. Staatsanwalt Brice Robin hatte sofort gesagt, das Gerät lasse sich vermutlich auswerten - darauf lasse der Zustand hoffen. Die erste Blackbox - den Sprachrekorder - des Flugs 4U9525 hatten Bergungskräfte bereits am Unglückstag gefunden.

Der deutsche Co-Pilot Andreas L. wird verdächtigt, den Kapitän aus dem Cockpit ausgesperrt und die Maschine absichtlich in die Katastrophe gesteuert zu haben.

Nach Erkenntnissen der Ermittler in Düsseldorf suchte L. kurz vor dem Todesflug im Internet nach Suizid-Möglichkeiten und Infos über die Sicherheit von Cockpittüren. Das ergab die Auswertung eines Computers, der in der Düsseldorfer Wohnung des Co-Piloten gefunden wurde.

Die Ermittlungen nach dem Absturz von Flug 4U9525

Bereits seit kurz nach dem Absturz war bekannt, dass L. die Ausbildung in der Verkehrsfliegerschule der Lufthansa mehrere Monate unterbrach. Lufthansa hatte mitgeteilt, der Co-Pilot habe die Schule 2009 in einer E-Mail über eine „abgeklungene schwere depressive Episode“ informiert. Er wurde danach aber als flugtauglich eingeschätzt.

Bei der Identifizierung der Opfer werden den französischen Ermittlern zufolge die gefundenen DNA-Profile mit Proben von Angehörigen abgeglichen. Die Arbeit soll Anfang kommender Woche losgehen. Die Angehörigen sollen bei einer Übereinstimmung rasch informiert werden.

Nach dem Absturz ist dem ARD-„Deutschlandtrend“ zufolge nur eine Minderheit der Flugpassagiere in Deutschland sorgenvoller. 81 Prozent der Flugreisenden machen sich demnach beim Fliegen keine größeren Sorgen, 17 Prozent machen sich mehr Sorgen, wie die repräsentative Umfrage unter Menschen über 18 Jahren ergab. Dementsprechend wollten 89 Prozent der Flugreisenden das Flugzeug wie bisher nutzen.


Die Lehren aus dem Unglück

Fachleute der deutschen Luftfahrtbranche wollen über weitere Lehren aus dem Absturz der Germanwings-Maschine beraten. Eine neu eingerichtete Arbeitsgruppe soll nach Ostern starten und auch künftige Ermittlungsergebnisse aufnehmen. Das kündigten Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Klaus-Peter Siegloch, am Donnerstag in Berlin an. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) brachte eine Ausweispflicht für Passagiere auch auf innereuropäischen Flügen ins Gespräch.

von Stephan Happel, Jana Reiblein

Die Expertengruppe soll unter anderem über mögliche Veränderungen der Regeln zur festen Verriegelung der Cockpittüren beraten. Geprüft werden sollen auch weitere medizinische und psychologische Checks, mit denen die Flugtauglichkeit von Piloten festgestellt wird. In dem Gremium vertreten sein sollen die Flugbetriebschefs der großen deutschen Airlines, Flugmediziner sowie Verbände der Piloten und Flugbegleiter. Das Verkehrsministerium und das Luftfahrtbundesamt sollen eingebunden werden. Vorschläge sollen an europäische und internationale Behörden, Branchenverbände und Luftfahrtorganisationen weitergeleitet werden.

„Die Aufgabe dieser Taskforce ist offen“, sagte Siegloch. „Es ist wichtig, dass wir nicht zu übereilten Beschlüssen kommen.“ Wichtig sei, ausgiebig über Vor- und Nachteile möglicher Änderungen zu beraten. Denkbar sei auch, dass bestehende Regeln bestätigt würden. Bis zu ersten Erkenntnissen würden sicherlich nicht Monate vergehen.

Als Reaktion auf den Absturz hatten die deutschen Fluggesellschaften bereits entschieden, dass immer zwei Personen im Cockpit sein sollen. Der Germanwings-Co-Pilot wird verdächtigt, seinen Kollegen ausgesperrt und die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht zu haben.

De Maizière schlug die Einführung einer generellen Ausweispflicht an Flughäfen vor. Die Airlines sollten auch bei Flügen innerhalb des Schengen-Raumes die Identität ihrer Passagiere überprüfen, sagte der Minister am Donnerstag in Dresden. Sonst wüssten die Fluggesellschaften unter Umständen nicht, wer tatsächlich im Flugzeug sitze. Dabei gehe es nicht um die Wiedereinführung von Grenzkontrollen in der EU, betonte er. Der Vorschlag müsse nun mit den Partnern in der EU besprochen werden.

Bislang müssen Passagiere bei Flügen innerhalb des Schengen-Raumes nicht immer einen Ausweis vorzeigen, bevor sie eine Maschine besteigen. De Maizière hält das für ein Sicherheitsproblem. Hintergrund ist das Schengener Abkommen, dem sich bis auf wenige Ausnahmen alle EU-Staaten sowie einzelne andere Länder angeschlossen haben. Im Schengen-Raum gibt es keine systematischen Grenzkontrollen.

Dobrindt und Siegloch äußerten sich offen für eine mögliche Ausweispflicht innerhalb der Schengen-Grenzen. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte „Spiegel Online“, dies zu prüfen, sei sinnvoll - allerdings nicht als rein nationale Regelung. Die Linke-Abgeordnete Ulla Jelpke sprach dagegen von einer „pietätlosen Stimmungsmache für Fluggastüberwachung“.

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