Guillaume Cerutti Wie der neue Chef Christie's umbaut

Guillaume Cerutti, der neue Chef des Londoner Auktionshauses Christie's, über kaufwütige Asiaten, junge Onlinebieter – und seine privaten Vorlieben.

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Setzt privat auf Fotokunst. Die alte Welt lässt der neue Christie’s-Chef Guillaume Cerutti am liebsten hinter sich. Quelle: Chris Gloag für WirtschaftsWoche

Guillaume Cerutti, 51, hat mal wieder keine Zeit, klar, die Termine reihen und verschieben sich, mal wieder, deshalb muss ich auf unser Treffen in der Londoner King Street eine Dreiviertelstunde warten. Wofür sich der Chef des Auktionshauses Christie’s mit ausgesuchter Höflichkeit entschuldigt. Seit der hochgewachsene Franzose im Januar die Leitung des Traditionshauses übernommen hat, scheint kein Stein mehr auf dem anderen zu bleiben.

Cerutti will den kleineren Londoner Christie’s-Ableger im Stadtteil South Kensington nach 40 Jahren schließen, 250 der rund 2200 Jobs abbauen und lässt am Standort Amsterdam nur noch zwei statt bisher sechs Auktionen im Jahr über die Bühne gehen. „Wir passen uns an, denn die Verhältnisse haben sich geändert, vor allem in Europa“, sagt er lakonisch. Inzwischen hat Christie’s auch die Londoner Juni-Auktion mit hochpreisiger Nachkriegs- und Gegenwartskunst abgesagt; die Moderne soll dort künftig nur noch im März und Oktober versteigert werden.

Christie’s, so Cerutti in seinem ersten Interview überhaupt, fokussiert sich künftig verstärkt auf Asien, die USA und Onlineauktionen. Und gehorcht damit den drei großen Trends im globalen Kunstmarkt: neue Geografie, neuer Geschmack, neue Technologie. Da ist zunächst die große Marktverlagerung: „Vor zehn Jahren machten die asiatischen Käufer nur einen kleinen Anteil aus“, sagt Cerutti, „heute sind es bis zu 35 Prozent. Deshalb werden wir weiter in Asien investieren.“ Nach den Büros in Hongkong und Shanghai eröffnete Christie’s zuletzt 2016 eine Niederlassung in Peking.

Expandiert wird aber auch an der Westküste Amerikas, etwa mit einer neuen Dependance in Beverly Hills – immerhin kommen 39 Prozent der Neukunden aus den USA. Und auch Deutschland bleibt ein wichtiger Umschlagplatz: In Frankfurt wird im Mai eine neue Repräsentanz eröffnen, geleitet von der Enkelin des deutschen Malers Franz Radziwill, Natalie. In den vergangenen fünf Jahren erzielten Werke zeitgenössischer deutscher Maler wie Gerhard Richter, Sigmar Polke, Georg Baselitz oder Anselm Kiefer Rekordpreise. In Deutschland und in der Schweiz gibt es wichtige Sammler. Doch eines stellt Cerutti klar: „In Europa gibt es mehr Verkäufer als Käufer. In Asien ist es umgekehrt.“

Und die asiatischen Käufer entwickeln zunehmend Appetit auf die europäische Kunst der Moderne. Bei Christie’s entfallen inzwischen rund zwei Drittel des Geschäfts auf Werke aus dem 20. und 21. Jahrhundert, während andere Sektoren einen drastischen Rückgang erleben. Früher spekulierten Sammler aus Asien vor allem auf Zeitgenössisches ihrer Landsleute – Werke, die niedrige Preise und hohe Wertsteigerungen versprachen. Inzwischen bevorzugen sie Markenware aus dem Westen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Verkauf von Modiglianis Nu couché an den Milliardär und Extaxifahrer Liu Yiqian. Er hat den famosen Akt 2015 für 170,4 Millionen Dollar für sein Museum in Shanghai ersteigert.

Was in Scottsdale unter den Hammer kommt
Tucker 48 Quelle: Phil Geatorex, Courtesy of RM Sotheby's
Bugatti Veyron 16.4 Super Sport Quelle: Patrick Ernzen, Courtesy of RM Sotheby's
Porsche 904 GTS Quelle: Bonhams
Ferrari 330 GTS by Pininfarina Quelle: Don Hudson, Courtesy of RM Sotheby's
Lamborghini Miura P400 SV by Bertone Quelle: Erik Fuller, Courtesy of RM Sotheby's
Ferrari 275 GTB/6C by Scaglietti Quelle: Erik Fuller, Courtesy of RM Sotheby's
2003 Ferrari Enzo Quelle: Ryan Merrill, Courtesy of RM Sotheby's

Aber in Asien sind nicht nur die raren Blue Chips gefragt, sondern auch Klassisches aus der zweiten Reihe. Im Januar etwa schickte Christie’s einige Bilder des Architekten Le Corbusier nach Asien, um sie potenziellen Käufern vorzuführen. Solche „Reiseausstellungen“ in Hongkong, Shanghai, Peking und Tokio sowie der direkte Kontakt von Kunstexperten mit den neuen Sammlern werden immer wichtiger, so Cerutti, zumal auch die privaten Verkäufe in der Region an Bedeutung gewännen. Gleichwohl: Die großen Abendauktionen, stellt der Chef des Traditionshauses klar, „bleiben bis auf Weiteres in London und New York“.

Das Quasiduopol im Kunstmarktgeschäft

Alle Zeichen stehen also auf Boom im Kunstmarkt – wieder einmal? Was die wachsende Anzahl kaufkräftiger Kunden anbetrifft, mag das sein. Etwas ganz anderes sind die Beschaffung hochwertigen Nachschubs und Geschäftsergebnisse. Christie’s, das führende Kunsthandelsunternehmen weltweit, 1766 von James Christie gegründet, heute im Besitz des französischen Unternehmers und Kunstmäzens François Pinault, dominiert zusammen mit dem Konkurrenten Sotheby’s als Quasiduopol das Kunstgeschäft im Höchstpreissegment.

Und doch schrumpfte im Jubiläumsjahr 2016 der Absatz um 16 Prozent auf vier Milliarden Pfund. Cerutti hofft, nur eine kleine Delle, nichts weiter. Potenzielle Einlieferer seien mit Blick auf die weltpolitische Lage verunsichert gewesen. Schon aber wende sich das Blatt erneut. Der Markt, angetrieben vom Kaufinteresse neuer Sammler, belebe sich. Starke Auktionen in London für Impressionisten und Gegenwartskunst, Rekordverkäufe bei der Asia Week New York und positive Signale im Vorfeld der großen Mai-Auktionen in New York: „Die Lage ist im Moment dramatisch anders als 2016.“

Der Frage allerdings, ob Christie’s die Erholung mit Garantien für Einlieferer künstlich erzeuge, weicht Cerutti aus: „2016 war es deutlich weniger als 2015 ... Im Februar war es nur eine Handvoll ... Im Moment kann ich noch nicht sagen, wie es in New York aussehen wird ...“ Dabei weiß man, dass das Auktionsgeschäft durch Garantien – die Zusicherung einer Mindestsumme, oft durch dritte Parteien finanziert – abgesichert wird: Das Auktionshaus riskiert einen Verlust, wenn sich das Los nicht verkauft. Oder aber seine Marge sinkt, weil externe Garanten am Auktionsgewinn mitverdienen. Angeblich sollen dieses Jahr bei den Londoner Versteigerungen von Sotheby’s 15 und von Christie’s 10 Lose garantiert worden sein. Im „Art Market 2017“-Report heißt es sogar, dass immer noch die Hälfte der Lose mit Garantien ausgestattet sei.

Künftige Gewinne erhofft sich Cerutti von der Digitalisierung des Kunstmarktes: „Das Internet ist ein fantastischer Kanal, um neue Käufer zu rekrutieren und Objekte von relativ niedrigem Wert zu verkaufen.“ Vor allem jüngere Interessenten fänden übers Netz leicht Zugang zu Auktionen. 2016 verdoppelte sich die Zahl der reinen Onlineauktionen bei Christie’s auf 118; ein Drittel der Neukunden kommt übers Internet. Bisher machen die Onlineumsätze gerade mal ein Prozent des Gesamtgeschäftes aus, aber Cerutti beobachtet, dass die „Kunden zunehmend bereit sind, auch höherwertige Ware im Internet zu kaufen“. Hinzu kommt, dass die Kunden vermehrt mit Kunstwerken auch deren Geschichte einkaufen wollten: die Geschichte des Kunstwerkes selbst und auch die seiner Vorbesitzer. Der Wissensvermittlung und Kunsterziehung komme daher eine ganz neue Bedeutung zu, sagt Cerutti.

Foto und Design - die Vorlieben des Chefs

Und wie sieht es mit seinen eigenen Vorlieben aus? Cerutti hat eine beeindruckende Karriere in der Kunstwelt hingelegt. Er war bereits mit 30 Jahren Geschäftsführer des Pariser Centre Pompidou, wechselte 2007 als Geschäftsführer Frankreich zu Sotheby’s, stieg zum stellvertretenden Chairman in Europa auf und wechselte 2016 zu Christie’s, wo man ihn kurz darauf ganz nach oben beförderte. Guillaume Cerutti befasst sich seit einem Vierteljahrhundert beruflich mit Kunst. Doch wenn es um seine private Sammlerleidenschaft geht, wird er schmallippig. Was hängt bei ihm zu Hause an der Wand? „Ich will keine Namen nennen.“ Er kaufe Fotokunst, so viel immerhin lässt er sich dann doch noch entlocken, und er schätze den dänischen Möbeldesigner Verner Panton. Foto und Design? Wenn das mal keine Trendsignale sind.

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