Entweder es schmeckt oder es schmeckt nicht. Wer wirklich glaubt, an diesem einfachen Grundsatz entscheidet sich, was wir im Supermarkt erneut kaufen, irrt. Das sagt zumindest Sybille Kircher. Es entscheidet noch etwas anderes darüber, ob wir nochmals zugreifen oder nicht: der Name.
Die Molkerei Müller hatte solche Molke-Fruchtgetränke im Angebot, mit dem simplen Namen „Drink“. „Das war aber zu normal, das hat sich kein Mensch gemerkt“ sagt Kircher. „Inzwischen heißt das Produkt „Fructiv“ und verkauft sich aus dem Regal heraus sehr gut, obwohl keine spezielle Werbekampagne seit der Umbenennung geschaltet wurde.“
Kircher entwickelt als Deutschland-Geschäftsführerin der Agentur Nomen im großen Stil Namen für Produkte und Unternehmen – vom Molkegetränk über Autos bis hin zu ganzen Banken. Die Namensexpertin weiß um die Bedeutung der Marken – und deren Wirkung.
Über die Wirkung eines Namens kann auch Stephan Grünewald berichten. Der Geschäftsführung des Marktforschungsinstituts Rheingold hat selbst erlebt, was ein Name ausmachen kann. „Lange Zeit hieß unser Institut IFM Köln – viel zu technokratisch und austauschbar. Rheingold ist prägnanter und zeigt, dass das Gold beziehungsweise die Erkenntnis in der Tiefe schlummert und psychologisch gehoben werden muss“, so Grünewald. „Innerhalb eines Jahres nach der Umbenennung hat sich unser Umsatz verdoppelt, ohne, dass wir etwas an unserer Dienstleistung geändert hätten.“
1. Merkwürdig
Das Erfolgsrezept für einen guten Namen ist leicht umschrieben, aber schwer umzusetzen. „Ein Name bleibt hängen, wenn er auffällt und man sich bewusst oder unbewusst mit ihm beschäftigt“, sagt Kircher. „So ist die Chance höher, sich Namen und Produkt zu merken, als wenn man anhand eines beschreibenden Namens sofort weiß, worum es sich handelt – und den Namen sofort wieder vergisst.“
Die wertvollsten Markennamen der Welt
Markenwert 2015: 80,4 Milliarden Dollar
Veränderung zu 2014: 19 Prozent
Rang 2014: 9.
Quelle: BrandZ Millward Brown
Markenwert 2015: 81,2 Milliarden Dollar
Veränderung zu 2014: -5 Prozent
Rang 2014: 5.
Markenwert 2015: 83,8 Milliarden Dollar
Veränderung zu 2014: 4 Prozent
Rang 2014: 6.
Markenwert 2015: 86 Milliarden Dollar
Veränderung zu 2014: 36 Prozent
Rang 2014: 11.
Markenwert 2015: 89,5 Milliarden Dollar
Veränderung zu 2014: 15 Prozent
Rang 2014: 8.
Markenwert 2015: 92 Milliarden Dollar
Veränderung zu 2014: 16 Prozent
Rang 2014: 7.
Markenwert 2015: 94 Milliarden Dollar
Veränderung zu 2014: 0 Prozent
Rang 2014: 3.
Markenwert 2015: 115,5 Milliarden Dollar
Veränderung zu 2014: 28 Prozent
Rang 2014: 3.
Markenwert 2015: 173,7 Milliarden Dollar
Veränderung zu 2014: 9 Prozent
Rang 2014: 1.
Markenwert 2015: 247 Milliarden Dollar
Veränderung zu 2014: 67 Prozent
Rang 2014: 2.
Ein Getränk „Drink“ zu nennen ist also viel zu einfach. In einem Umfeld wie dem Supermarkt, in dem man nur von Markennamen und -logos umgeben ist, hat der den Erfolg, der beim Kunden hängen bleibt. Gerade, wenn er etablierten Namen wie Coca-Cola, Tempo, Zewa oder Pampers im Regal liegt.
„Letztlich muss ein Name im wahrsten Sinne des Wortes etwas Merkwürdiges haben“, bestätigt Markus Lindlar, der sich mit seiner Kölner Agentur Nambos ebenfalls professionell Namen ausdenkt und prüft. Für Lindlar ist es wichtig, mit einem Namen die Emotionen anzusprechen. „Die Emotionalisierung ist der Anker im Gehirn“, sagt der Sprachwissenschaftler. „Ein Name wie „Zalando“ ist mit dem „Z“ am Anfang sicher ungewöhnlich, klingt aber mediterran – was wir meist mit Sonne, Urlaub und Entspannung verbinden. Zusammen mit der auffälligen Kampagne hat Zalando einen Maßstab gesetzt.“
2. Auffällig
Sind zwei Produkte oder Dienste fast identisch, kann die Marke – und das Markenversprechen – den Unterschied ausmachen, sagt Marktforscher Grünewald. „Die Zigaretten von West und Marlboro sind nachweisbar nicht zu unterscheiden. Marlboro inszeniert den Markennamen aber deutlich besser“, so Grünewald. „Im Schriftzug sind das „l“ und „b“ größer als das „M“ – das versinnbildlicht den Ausbruch, der aber durch das rote Dach auch wieder eingefangen wird. Der ‚bedachte‘ Ausbruch trifft die Sehnsucht vieler Raucher.“
3. Klangvoll
Die Optik des Schriftzuges und des Logos sind das eine, die Aussprache des Namens das andere. „Der Name ist das einzige Mittel am Produkt, das man ausspricht. Deshalb ist die Phonetik wichtiger als die Schreibweise“, sagt Kircher. „Dennoch ist es wichtig, dass der geschriebene Name gut gelesen werden kann und klar ist, wie er ausgesprochen werden soll. Wenn man sich nicht traut, einen Namen auszusprechen, ist es schlecht.“
4. Zutreffend
Um einen Markennamen inszenieren zu können, braucht man erst einmal einen guten Vorschlag. Und das ist echte Detailarbeit. „Die Entwicklung eines Namens ist ein individueller Prozess“, sagt Lindlar. „Wir haben keine Software oder Datenbanken, in der tausende ungenutzte Namen liegen. Es ist vielmehr eine Mischung aus Handwerk und Kreativität.“
1.500 Vorschläge für einen Namen
Bis ein Name steht, bringen Lindlar und sein Kreativteam bis zu 1.500 Vorschläge zu Papier. Die wenigsten sind gut. Doch auch Scheitern bringt voran. „Namen entstehen nicht am Reisbrett“, sagt Grünewald. „Es sind intuitive und kreative Akte zwischen Faszination und Zweifel, so etwas kann man nicht erzwingen. Erst wenn mich ein Einfall nicht mehr loslässt, muss etwas dran sein.“
Nach dem Brainstorming wird aussortiert – die meisten der Vorschläge schaffen es kaum über die erste Stufe hinaus. Mal ist der Name schon vergeben, mal stehen rechtliche Bedenken im Weg. Nambos hat hierzu einen eigenen Anwalt in der Geschäftsführung. „Die rechtliche Komponente nimmt heute den größten Raum ein. Vor 50 Jahren konnte man noch einen Namen entwickeln und hat dann im Nachhinein nach möglichen Problemen gesucht“, sagt Lindlar. „Heute wenden wir 80 Prozent der Zeit für die rechtliche Prüfung aus. Wir machen nicht nur schöne Namen, sondern auch solche, die man verwenden kann.“
Über die Jahre sind weitere Kriterien dazugekommen, die die Namenssuche noch aufwändiger machen. Gerade wenn ein Name international verwendet werden soll, ist oft die Internetdomain ein Stolperstein: Weltweit sind bereits über 100 Millionen „.com“-Domains registriert – bei Websites mit „.de“-Endung sind es immerhin über 15 Millionen Einträge.
5. Nicht peinlich
Bei internationalen Namen müssen die Entwickler auch auf sprachliche Feinheiten achten, um peinliche Fehlgriffe zu vermeiden. Schon fast legendär sind einige Patzer aus der Autobranche wie der Mitsubishi Pajero (in Spanisch schlicht ein Wichser), der Toyota MR2 (auf Französisch ausgesprochen erinnert der Name an die gängige Bezeichnung für Fäkalien) oder der Fiat Uno, welcher in Finnland ein „Idiot“ ist. Aber auch andere Marken sind nicht in jedem Land verwendbar: Die Kaffeemarke Tchibo kann in Japan wie der Tod ausgesprochen werden.
Um solche Pannen zu umgehen, arbeiten die Namensagenturen mit Korrespondenten zusammen. Diese müssen jeweils nicht nur Muttersprachler sein, sondern sich auch mit Slang- und Szenebegriffen in ihrer jeweiligen Sprache auskennen.
Eine Sonderstellung nimmt für die Namensgeber die Pharmabranche ein. Hier kann eine Verwechslung schwerwiegende Folgen haben. „Bei Medikamentennamen geht es um Leben und Tod“, sagt Kircher. „Die Gesundheitsbehörden achten darauf, dass der Name nicht verwechselt werden kann. Sonst bestünde die Gefahr, dass ein Patient aufgrund einer Verwechslung das falsche Präparat mit dem falschen Wirkstoff erhält.“ Aus diesem Grund hat Nomen eine eigene Tochter, die sich nur mit der Healthcare-Branche beschäftigt.
6. Getestet
Wenn es der Auftraggeber wünscht, kann der potenzielle Erfolg des neuen Namens auch gleich noch getestet werden. „Im Verbrauchermarkt können wir viel über Online-Marktforschung abdecken, dazu haben wir eine eigene Abteilung“, sagt Kircher. „Wenn es eine Fach-Zielgruppe ist, kommt man um aufwändige Telefoninterviews oder persönliche Gespräche kaum herum.“
Der Aufwand schlägt sich natürlich auch im Preis nieder. „Die Namensgebung kann zwischen 5.000 und 50.000 Euro kosten“, sagt Lindlar. „Ein Handwerksbetrieb, der nur in Köln aktiv ist, braucht keine „.com“-Domain oder eine aufwändige Sprachanalyse, ob sein Name auch in China gut zu verwenden ist. Bei internationalen Konzernen ist das natürlich anders, hier sind Recherche und Prüfung ungleich aufwändiger.“
Warum Sky heute besser als Premiere ist
Je nach Strategie und Umfang kann es bis zu zwei Jahre dauern, bis ein Name steht – wenn es schnell gehen muss, kann er schon nach zwei bis vier Wochen fertig sein. Ein Erfolg ist dann aber nicht vorprogrammiert. „Der Name kann immer nur so gut sein wie das Produkt. Ein Kunde kann nicht erwarten, dass der Name das Produkt rettet“, sagt Nomen-Geschäftsführerin Kircher. „Im Gegenteil: Wenn ein Produkt nicht gut ist, wird auch ein guter Name dadurch niedergemacht.“
7. Emotional
Der kreative Prozess mag ähnlich sein, für Kircher macht es aber einen Unterschied, ob ein Firmen- oder Produktname gesucht ist. „Bei Produkten können wir gezielter arbeiten, ein Produkt ist greifbar“, sagt Kircher. „Ein Unternehmensname hat eine ganz andere Reichweite und ist deshalb viel schwieriger zu entwickeln. Bei einer Firma müssen wir eine Identität schaffen, mit der sich Mitarbeiter identifizieren können und die gleichzeitig für Kunden, Lieferanten und die Gesellschaft attraktiv ist.“
Die größten Werbe-Holdings der Welt
Umsatz: 5,2 Milliarden Dollar
U.a.: Dentsu, Carat, McGarry Bowen
Quelle: WPP
Umsatz: 7,1 Milliarden Dollar
U.a.: McCann, Lowe, FCB
Umsatz: 9,2 Milliarden Dollar
U.a.: Saatchi & Saatchi, Leo Burnett, Vivaki, Bartle Bogle Hegarty
Umsatz: 14,6 Milliarden Dollar
U.a.: BBDO, DDB, TBWA
Umsatz: 17,3 Milliarden Dollar
U.a.: JWT, Ogilvy, Y&R, Grey
Für die Namensexperten ist eine solche Umbenennung ein heikles Thema. „Da wird etwas Bestehendes zerstört“, sagt Lindlar. „Will ein Unternehmen expandieren und sich einen international kompatibleren Namen zulegen, ist das recht einfach. Schwieriger wird es, wenn etwas wegen einer Insolvenz oder einem Verkauf umbenannt wird.“
Auch Kircher warnt davor, die emotionale Bindung zu unterschätzen. „Kunden und Mitarbeiter hängen an dem alten Namen“, sagt die Namensexpertin. „Gerade bei Firmenumbenennungen kann noch die Ungewissheit über den Verlust des Arbeitsplatzes mitschwingen. Diese Ängste müssen wir abbauen. Da müssen wir sehr vorsichtig vorgehen.“
Für Grünewald zeigt die Umbenennung von Premiere in Sky, wie ein Markenname in unterschiedlichen Zeiten jeweils besser passen kann. „Beim analogen Fernsehen vermittelte Premiere einen exklusiven Charakter und brachte den USP auf den Punkt – Inhalte, die es zu dieser Zeit nur bei Premiere gab“, sagt der Rheingold-Geschäftsführer. „In Zeiten des Digitalfernsehens, in der Inhalte nahezu überall verfügbar sind, wäre Premiere zu eng gedacht. Sky hingegen eröffnet eine eigene Welt, in die der Kunde eintauchen soll.“
8. Einzigartig
Um Verwechslungen auszuschließen, hilft auch eine Alleinstellung – nicht nur beim Produkt, auch beim Namen. „Mit dem Namen „Flinkster“ für das Carsharing-Projekt der Deutschen Bahn sind wir einen neuen Weg gegangen. Von den beschreibenden Begriffen der Konkurrenz wie „Car2go“ und „DriveNow“ wollten wir uns bewusst abheben“, sagt Lindlar. Der Name hat eine Alleinstellung, und ist ein Produktname etabliert, kann ich mehr Geld verlangen.“
Die Einzigartigkeit ist auch für Kircher einer der wichtigsten Punkte, den Erfolg eines eingängigen Namens hin oder her. „Wir warnen die Kunden davor, dass es nicht das höchste der Gefühle ist, wenn es der eigene Name in den allgemeinen Sprachgebrauch schafft“, sagt Kircher. „Klar ist jeder stolz darauf, wenn man googelt oder sich die Haare föhnt.“ Gerade Föhn sei aber ein Beispiel, bei dem der Namen nicht mehr auf den Hersteller verweise, sondern austauschbar geworden sei. „Man kauft einen Föhn und denkt nicht mehr über die Marke nach. Das ist das Schlimmste, was einem Hersteller passieren kann.“