Hartnäckige Engpässe Was Kunden an der Deutschen Bahn so sehr nervt

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Bahn-Bashing Teil des Geschäfts

Frust an der Bahnsteigkante - Im täglichen Betrieb fehlen der Bahn zwölf Fernzüge Quelle: dpa

Wohl kein Unternehmen muss sich mit so viel feindlich gesonnenen Kunden herumschlagen wie die Deutsche Bahn. Das „Bahn-Hasser-Buch“ oder die Spottschrift „Senk ju vor träwelling“ stehen für ein Phänomen, das in der deutschen Unternehmenslandschaft seinesgleichen sucht.

Einer, der Erklärungsversuche für die zahllosen Wutausbrüche an den Bahnsteigen und in den Zügen unternimmt, ist der Marktforscher Stephan Grünewald vom Kölner Rheingold Institut. Zwischen Kunden und Bahn gebe es ein „besonderes Verhältnis“, sagt der Psychologe. Die Deutsche Bahn sei kein „normales Unternehmen“. Sie werde vielmehr „als staatliche Instanz wahrgenommen, die den Menschen gehört“. Insofern glaube der Kunde, einen „staatlich verbrieften Anspruch“ auf Grundversorgung mit Transportleistung zu haben.

Persönliche Kränkung

Deutsche Bahn stellt den XXL-Güterzug vor
Der erste Güterzug der Deutschen Bahn (DB) mit 835 Meter Länge fährt in Seevetal auf dem Rangierbahnhof Maschen (südlich von Hamburg) ein. Auf der Strecke von Maschen nach Padborg an der dänischen Grenze fahren ab dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember diese gigantischen Güterzüge. Quelle: dapd
Die Mega-Züge erhöhen die Kapazität auf der wichtigen Transitstrecke nach Skandinavien pro Zug um zehn Waggons, wie die Deutsche Bahn AG mitteilte. Quelle: dapd
Der erste 835-Meter-Güterzug ist mit PKW beladen. Rund zehn Millionen Euro steckte die Bahn in die erforderlichen Infrastruktur-Anpassungen auf der 210 Kilometer langen Strecke von Maschen bis Padborg. In Dänemark sind die überlangen Züge schon länger erlaubt. Bislang mussten sie an der Grenze zu Deutschland aufgeteilt werden. Quelle: dapd
Mirko Pahl, Vorstand für die Produktion bei der DB Schenker Rail Deutschland AG, nannte die überlangen Züge einen ersten und wichtigen Meilenstein. Die Megazüge seien zwingend notwendig, "um die Produktivität im Schienengüterverkehr auf ein besseres und wettbewerbsfähigeres Level zu heben". Quelle: dapd
Doch 835 Meter sind noch nicht das Ende der Fahnenstange. Langfristig will die Bahn sogar Güterzüge bis zu 1500 Metern Länge einsetzen. Ein erstes Forschungsprojekt für die 1500-Meter-Züge soll 2013 gestartet werden, sagte Pahl. Quelle: dapd
Zunächst sollen die Züge mit Überlänge nur einmal in der Woche nach Padborg fahren, später dann häufiger, wie der "NDR" berichtete. Quelle: dapd

Daraus leitet Grünewald eine These ab, die für die Bahn seiner Ansicht nach einer Art Naturgesetz gleichkommt. „Unpünktlichkeit erleben viele Reisende als persönliche Kränkung“, sagt der Ergründer der Konsumentenseele. Denn anders als beim Auto, in dem sich das Individuum als Herr über das Verkehrsmittel wähne, meinten die Kunden bei der Bahn, mit dem Kauf einer Fahrkarte ihre Eigenständigkeit zu verlieren. „Im Zug fühlen sie sich dann ohnmächtig einem fremden Räderwerk ausgeliefert“, sagt Grünewald. „Verspätungen oder störende Mitreisende empfinden sie als Zuspitzung der Ohnmacht. Der artikulierte Ärger ist dann ihr Versuch, ein Stück Autonomie zurückzugewinnen.“

Bashing ist für Grünewald deshalb ein integraler Bestandteil des Bahn-Geschäfts, ja geradezu „unvermeidlich“. Weil Zugfahren ein „Akt partieller Selbstaufgabe“ sei, gewinne der Kunde „durch Bahn-Bashing wieder die Oberhand“.

Die Deutsche Bahn will das Problem in den Griff bekommen, indem sie versucht, Wutattacken ihrer Kunden die Spitze zu nehmen. Dazu hat sie in dem Kurznachrichtendienst Twitter den Kanal @db_bahn eingerichtet. Auf ihm können ungehaltene Reisende ihre Aggressionen in 140 Zeichen lesbar für alle Twitterer loswerden. Ein Twitter-Team aus rund einem Dutzend Mitarbeiter antwortet darauf in der Regel innerhalb von Minuten – in geschult höflichem Ton und inhaltlich kompetent.

Das Twitter-Team hätte die Entscheidung von Bahn-Fan Appelt, seine teure Bahncard 100 durch die viel preiswertere Bahncard 50 zu ersetzen, aber wohl kaum verhindern können. So testete die WirtschaftsWoche die Überredungskünste der Kundenberuhiger mit der Beschwerde: „Immer diese Verspätungen. Hätte gute Lust, meine Bahncard 100 zu kündigen. Was halten Sie von der Idee?“ Daraufhin kam von der Deutschen Bahn letztlich die Antwort: „Es tut mir leid, dass Sie von Verspätungen betroffen waren. Vielleicht geben Sie uns ja noch eine Chance.“

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