Für Senioren und Familien mit kleinen Kindern ist der Umstieg in Hannover, für den der Fahrplan acht Minuten vorsieht, schon eine sportliche Herausforderung. In der Praxis ist der Wechsel des Zuges jedoch ein erfolgloses Querbahnsteigeinrennen. Denn allzu oft sind die Züge so verspätet, dass zum Umsteigen nur noch eine Minute bleibt. Der Bahnhof Hannover und seine Vielfahrer-Lounge strotzt dann vor genervten Kunden. Schuld sind fehlende Gleise. In der Hauptverkehrszeit reichen selbst zehn Gleise für den Nah- und Fernverkehr oft nicht mehr aus, weil die vorhandenen Schienenwege für nachfolgende Züge freigegeben werden müssen.
Zu den Engpässen auf der Schiene kommen unsichtbare wirtschaftliche Zwänge. So reißt in Mannheim die Reisekette häufig ab und treibt den Adrenalinspiegel der Fahrgäste in die Höhe. Denn hier treffen die Züge in Richtung München und Frankfurt auf diejenigen von und nach Basel. „In Hauptverkehrszeiten werden bis zu 30 Prozent der Anschlussverbindungen nicht erreicht“, sagt Felix Berschin von der Nahverkehrsunternehmensberatung Südwest.
Ursache sind auch drohende Strafen. Wenn etwa der ICE von Berlin über Basel nach Interlaken nicht zur vereinbarten Zeit das eidgenössische Schienennetz erreicht, verdonnern die Schweizer Bundesbahnen (SBB) ihre deutschen Kollegen zu saftigen Strafzahlungen. Ein ICE, der deswegen in Mannheim nicht auf einen verspäteten Zug aus dem Norden wartet, erspart der Bahn zusätzliche Kosten.
Auch Regionalzüge fahren möglichst auf die Minute ab, weil sie sonst unnötig Geld verschlingen. Insbesondere private Bahn-Konkurrenten vermeiden dadurch empfindliche Vertragsstrafen von ihren Auftraggebern, den Verkehrsverbünden und Bundesländern. Wartende Fahrgäste dagegen kosten die Bahnunternehmen nichts.
Zumindest teilweise Abhilfe brächte ein deutschlandweiter Takt-Fahrplan, weil dieser der Bahn helfen würde, die Anschlüsse zu halten. Dazu müsste der Bund als Hauptfinanzier das Schienennetz entsprechend ausbauen. In der Praxis stecken die Politiker Geld aber lieber in den Bau prestigeträchtiger schneller Punkt-zu-Punkt-Verbindungen wie die fünf Milliarden Euro teure Schnellstrecke Nürnberg–Erfurt.
Nur langsam greift die Einsicht, dass dies nicht den Reisenden dient. Bundesverkehrsminister Peter Raumsauer (CSU) will nun nach Informationen der WirtschaftsWoche eine Machbarkeitsstudie zum sogenannten Deutschland-Takt ausschreiben. Ziel ist der Bau nur noch solcher neuer Strecken, die dem optimalen Fahrplan dienen. Doch bis es so weit ist, wird noch eine Pendler-Generation ins Land ziehen.
Störungen durch alte und anfällige Gleise
Der Kölner Hauptbahnhof gilt Vielfahrern als Hölle am Rhein. Während die S-Bahnen im Minutentakt geschmeidig mit Tempo 50 über die Hohenzollernbrücke in Richtung Gleis 11 ziehen, bekommen die Reisenden im ICE die Skyline der Domstadt meist länger zu sehen, als ihnen recht ist. Denn wenn der Hochgeschwindigkeitszug von seiner Tempo-300-Rennstrecke aus Frankfurt naht, wird ihm häufig die Einfahrt auf einem der verstopften Gleise für die ICE verwehrt. Und/oder die uralten Weichen vor dem Hauptbahnhof erlauben dem weißen Blitz nur Schrittgeschwindigkeit.