Hauptversammlung Marseille Kliniken - kann hier jemand rechnen?

Der Geschäftsbericht der Hamburger Marseille Kliniken enthält viele Ungereimtheiten. Das dürfte am Montag für eine turbulente Hauptversammlung sorgen.

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Offiziell nur Berater - Gründer Marseille hält mit seiner Frau rund 60 Prozent der Aktien Quelle: ZB

Thomas Middelhoff vertritt als Aufsichtsratschef der Marseille Kliniken die Interessen aller Aktionäre. Er lebt diese Rolle – zumindest nach außen. So sollten bei der außerordentlichen Hauptversammlung am Montag die Aktionäre darüber entscheiden, ob der Vorstand die Aktie des Pflegeheimkonzerns vom regulierten Markt der Börse in den Freiverkehr absteigen lassen darf. „Wir wollen Ihre Meinung in die Entscheidungsfindung einbeziehen“, umwarb Middelhoff die Anleger. Im Freiverkehr sind unter anderem die Berichtspflichten weniger umfangreich als im regulierten Markt.

Das Publikum – die meisten männlich, die meisten Rentner – fühlte sich ernst genommen von dem charmanten 59-Jährigen, der auf Zwischenrufe mit freundlichen Worten reagierte. Es hätte so harmonisch sein können, wäre nicht Mehrheitsaktionär Ulrich Marseille anwesend gewesen, der nur einen Satz zu sagen brauchte: „Sehen Sie über die Einwürfe hinweg“, forderte er die Teilnehmer nach der Rede eines kritischen Aktionärs auf. „Sie ändern am Ergebnis sowieso nichts.“ Soll heißen: Am Ende entscheide ich. 99 Prozent der Anwesenden stimmten für den Antrag.

Die Rolle von Unternehmensgründer Marseille ist schon lange umstritten, unter anderem wegen vieler Geschäfte zwischen ihm, seinen privaten Gesellschaften und der Klinikkette. Manche legten den Verdacht nahe, dass sie vorteilhafter für Marseille und seine Frau waren als für das Unternehmen und die Aktionäre. Michael Thanheiser, der seit 15 Monaten die Geschicke des Hamburger Konzerns leitet, hatte das Problem erkannt. Zu Jahresbeginn versprach er, dass es 70 bis 80 Prozent der Geschäfte mit Unternehmen nahestehenden Personen – also unter anderem den Marseilles – bis Mitte des Jahres nicht mehr geben solle. Er hat Wort gehalten.

Angeblich verrechnet

Die Mittel, mit denen er zum Ziel kam, sind jedoch so fragwürdig wie die zuvor betriebenen Geschäfte. So erhielt Marseilles Ehefrau für ihre Anteile an zwei Unternehmen, die mehrheitlich der MK AG gehörten, einen sehr großzügig erscheinenden Preis. Ulrich Marseille wurden Kreditzinsen in Höhe von 106.000 Euro erlassen, weil man sich angeblich verrechnet hatte. Zudem erstattete der Pflegeheimbetreiber einer Marseille-Gesellschaft nachträglich einen Großteil der Kosten aus einem Rechtsstreit, der vier Jahre zurückliegt.

Aktien-Info Marseille Kliniken (zum Vergrößern bitte anklicken)

Marseille gründete die MK AG 1984 und brachte sie zwölf Jahre später an die Börse. Der Gründer wurde zum Multimillionär und hält heute gemeinsam mit seiner Frau Estella-Maria rund 60 Prozent der Aktien. Offiziell arbeitet er nur noch als Berater für die AG – für ein schmales Salär von 119.000 Euro im Jahr, aber mit eigenem Büro am Verwaltungssitz in Hamburg.

Im Aufsichtsrat, dem auch seine Frau angehört, sitzen zwei enge Vertraute. Oberster Kontrolleur ist der frühere Arcandor-Chef Middelhoff, ein langjähriger Freund der Familie. Stellvertreter ist der frühere „Bild“-Chef Hans-Hermann Tiedje, ebenfalls seit Jahren ein enger Begleiter Marseilles. Der sitzt im Gegenzug im Kontrollgremium von Tiedjes PR-Firma WMP.

Innerhalb dieses Zirkels werden schon lange Geschäfte gemacht. Frau Marseille arbeitet als Anwältin für das Unternehmen. Eine Gesellschaft von Ulrich Marseille vermietet der AG ein Flugzeug. Ein Bauunternehmen der Familie plante für zwei Millionen Euro ein Inkontinenzzentrum für die Klinikkette, das nie gebaut wurde. Bei der letzten Hauptversammlung gab es deshalb schon Krach mit den Kleinaktionären.

Seitdem hat Thanheiser einiges bewegt. Im Geschäftsjahr 2010/11 betrugen die Forderungen gegen Familie Marseille noch 7,4 Millionen, die Verbindlichkeiten 4,4 Millionen Euro. Ein Jahr später liegen die Forderungen noch bei einer Million und die Verbindlichkeiten bei 0,7 Millionen.

Sprengstoff für die Hauptversammlung

Dubiose Deals - Marseille-Vorstand Thanheiser hat Geschäfte mit der Familie reduziert Quelle: Presse

Allerdings ist die Liste der Deals, die unter Punkt 12.9 „Beziehungen zu nahestehenden Personen und Unternehmen“ aufgeführt werden, immer noch fast genauso lang wie zuvor. Darunter finden sich viele fragwürdige Geschäfte und jede Menge Sprengstoff für die Hauptversammlung in der kommenden Woche.

Vor elf Jahren erhielt Estella-Maria Marseille von der MK AG einen Kredit, um sich mit sechs Prozent an der Karlsruher-Sanatorium AG (Kasanag) zu beteiligen, die vor allem Reha-Kliniken betreibt. Einen weiteren Kredit bekam sie, um mit sechs Prozent beim Reha-Betreiber Mineralquelle Waldkirch Verwertungsgesellschaft einzusteigen. Den Rest der Anteile hielt jeweils die MK AG. Weil Frau Marseille die Kredite weder tilgte noch Zinsen zahlte, schuldete sie der MK AG Mitte 2012 knapp 3,144 Millionen Euro. Da Thanheiser ihr die Anteile im vergangenen Geschäftsjahr für 3,140 Millionen Euro abkaufte, konnte sie ihr Engagement fast ohne Verlust beenden.

Absurde Rechnungen

Die Kaufsumme ist jedoch ungewöhnlich hoch. So teilt der Vorstand der MK AG im Geschäftsbericht 2010/11 mit, dass ihr Kasanag-Anteil einen Wert von 29,4 Millionen Euro hat. Nach dieser Rechnung dürfte der Sechs-Prozent-Anteil von Estella-Maria nur knapp 1,9 Millionen Euro wert sein. Das wird durch eine Berechnung an anderer Stelle im Geschäftsbericht bestätigt. Dort heißt es, dass das Darlehen an Frau Marseille den Wert ihrer Kasanag-Anteile übersteigt. Bei der Berechnung wurde ihr Anteil ebenfalls mit knapp 1,9 Millionen Euro bewertet. Die Klinikkette hat ihr aber 2,2 Millionen Euro gezahlt.

Die Marseille Kliniken wollten dies weder erklären noch zu anderen Fragen der WirtschaftsWoche Stellung nehmen. In einer E-Mail von Thorsten Mohr und Farid Kanbari, beide Prokuristen der MK AG, heißt es: „In der Sache stellen Sie eine ganze Reihe von Feststellungen auf, die nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Wir widersprechen Ihren Ausführungen ausdrücklich.“ Welche Feststellungen und Ausführungen aus dem Fragen-Katalog gemeint sind, wird nicht erläutert.

Noch absurder ist, dass die AG für die sechs Prozent von Frau Marseille an der Mineralquelle Waldkirch Verwertungsgesellschaft 940.000 Euro gezahlt hat. Die hat zwischen Mitte 2008 und Mitte 2011 insgesamt vier Millionen Euro verbrannt. Der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag zum 30. Juni 2011 liegt bei 7,5 Millionen Euro. Aus dem Umfeld der MK AG heißt es, dass Frau Marseille vom damaligen Vorstand gebeten worden sei, einen kleinen Anteil an den Unternehmen zu erwerben, weil das steuerlich vorteilhaft für die AG war. Es sei nicht zumutbar, dass sie im Gegenzug für Verluste einstehen müsse.

Kann hier jemand rechnen?

Damit nicht genug der Eigentümlichkeiten: Vor einigen Jahren zerstritten sich der MK-Konzern, Marseille sowie ihm nahestehende Unternehmen mit einem Architekten. Die Sache landete vor Gericht. 2008 kam ein Vergleich zustande: Der Architekt sollte 162.000 Euro erhalten. Zunächst sei die Summe von einem Unternehmen aus dem Dunstkreis der Marseille-Familie bezahlt worden, heißt es im Geschäftsbericht. Erst jetzt seien davon 108.000 Euro an die MK AG weiterbelastet worden.

Das ist eigenartig. Wenn die MK AG tatsächlich in der Pflicht gewesen wäre, die Kosten aus dem Rechtsstreit zum Großteil zu übernehmen, warum fordert Ulrich Marseille die Summe erst vier Jahre später von dem Unternehmen ein? Wäre die Forderung berechtigt und von Marseille zuvor schon eingefordert worden, hätte sie in früheren Geschäftsberichten ausgewiesen werden müssen. Die Forderung taucht allerdings erstmals im Bericht 2011/12 auf.

Keine Stellungnahme

Die schlechtesten Managementleistungen 2011
Thomas Middelhoff Quelle: dpa
Léo Apotheker Quelle: dapd
Angelika Dammann Quelle: dpa
Masataka Shimizu Quelle: dapd
Clemens Börsig Quelle: rtr
Wolfgang Werner Quelle: dpa
Rupert Murdoch Quelle: dapd

Ulrich Marseille wollte dies weder erklären noch zu anderen Fragen der WirtschaftsWoche einzeln Stellung nehmen. In einer E-Mail heißt es: „Ihre Ausführungen gehen an der Sache vorbei. Ihre Feststellungen sind im Wesentlichen unrichtig und werden ausdrücklich bestritten.“

Mit Geschäften wie diesen vermiest sich Thanheiser seine tadellose operative Bilanz. Er konnte in 2011/12 nicht nur den Umsatz des Pflegeheimbetreibers um fünf Millionen auf 195 Millionen Euro steigern, sondern auch das Konzernergebnis auf 6,5 Millionen Euro mehr als verdoppeln. Die Auslastung der MK-AG-Häuser ist mit knapp 89 Prozent laut Branchenkennern überdurchschnittlich gut.

Doch seine Leistung geht bei all den Deals innerhalb der Marseille-Familie unter. Zum Beispiel durch so kuriose Verrechnungen wie diese: Vor einigen Jahren hatte die Klinikkette Ulrich Marseille ein Darlehen gewährt, das er zwei Jahre später zurückgezahlt haben will. Erst heute – weitere zwei Jahre später – will den Parteien aufgefallen sein, dass die MK AG Ulrich Marseille damals viel zu hohe Zinsen in Rechnung gestellt hat, nämlich 106.000 Euro. Die will man ihm nun erstattet haben. So steht es im Geschäftsbericht.

Zweifel werden laut

Davon abgesehen, dass es verwunderlich ist, wenn sich Geschäftsprofis um 106.000 Euro verrechnen und das erst zwei Jahre später merken, weckt die Summe an sich Zweifel. Sie taucht nämlich bereits in einem früheren Geschäftsbericht auf in Form einer nicht beglichenen Forderung der MK AG gegen Ulrich Marseille.

Mitte 2010 hatte die MK AG ein für sie kostspieliges Geschäft gemacht. Der Vorstand kaufte aus dem Reich der Familie Marseille die Allgemeine Ansgar Pflege Pflegedienste (AAP) heraus. Der Kaufpreis betrug 6,5 Millionen Euro – obwohl AAP Ende 2009 eine negative Eigenkapitalquote aufwies und kein nennenswertes Vermögen besaß. AAP ist vielmehr eine Dienstleistungsgesellschaft, die eine Altenpflegeeinrichtung in Gera betreibt. Die 6,5 Millionen Euro wurden damals mit Forderungen verrechnet, die die MK AG gegen Ulrich Marseille geltend machte. Am Ende blieb eine Restsumme von 106.000 Euro übrig. Und die wurde laut Geschäftsbericht auch im Folgejahr nicht bezahlt. Ausgerechnet um exakt jene Summe will sich die MK AG nun verrechnet haben.

Zu hinterfragen ist auch die Rolle der Kommunikationsagentur WMP von Aufsichtsrat Tiedje. Im aktuellen Geschäftsbericht heißt es, dass der Vertrag mit dem Spin-Doktor zum 31. August gekündigt wurde. Auf dem Aktionärstreffen im Oktober waren aber mindestens zwei WMP-Mitarbeiter zugegen. Eine Sprecherin erklärte gegenüber der WirtschaftsWoche, dass WMP noch auf Projektbasis für die MK AG tätig sei.

All das wirft Fragen auf, die die MK AG nicht beantworten will. Fragen, denen Thanheiser bei der Hauptversammlung von Montag an nicht mehr aus dem Weg wird gehen können. Wie gut, dass Chefaufseher Middelhoff für das Aktionärstreffen vorsorglich zwei Tage angesetzt hat.

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