Zwischen all den coolen Gründertypen, die neue Messenger-Dienste wie WhatsApp oder andere verrückte Apps entwickeln, wirkt Tobias Bauckhage wie der Chef eines Versicherungskonzerns. Grundsolide ist das Geschäftsmodell seines Start-ups Moviepilot und auch ein wenig altmodisch. Die werbefinanzierte Filmempfehlungsseite ist auch schon seit sieben Jahren im Netz. Bauckhages Unternehmen mit Sitz am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg nimmt damit Jahr für Jahr hohe einstellige Millionensummen ein.
Auf den zweiten Blick ist das Geschäft des 38-Jährigen aber so aufregend, wie es eines seiner Profilbilder im Internet verspricht: Auf dem Foto sieht Bauckhage aus wie Johnny Depp im Drogentrip-Film „Fear and Loathing in Las Vegas“ – mit getönter Skibrille posiert er in der Wüste, die lange Zigarette lässig im Mundwinkel.
Die coole Pose passt, denn in Hollywood ist der deutsche Unternehmer inzwischen ein heimlicher Star. 2012 ging er nach Los Angeles. Am „Silicon Beach“, wo der angesagte Bilderdienst Snapchat oder das Filmportal Hulu sitzen, eröffnete Bauckhage eine Niederlassung und startete eine englische Version von Moviepilot. Inzwischen hat er monatlich bis zu 20 Millionen Besucher, bei Smartphone-Nutzern gehört Moviepilot zu den 50 beliebtesten Seiten der USA. Bei Facebook zählt Bauckhages Unternehmen 27 Millionen Anhänger, verteilt auf Unterseiten für Fans etwa von Vampirfilmen oder von romantischen Komödien.
Im Stammland der digitalen Avantgarde
Vor allem mit dem Wissen über die Vorlieben seiner Nutzer macht der gebürtige Bad Harzburger inzwischen sein Geschäft. „Wir haben mehr Daten über Filmfans als manche Studios“, sagt Bauckhage. Dieses Wissen stellt er den Marketingmanagern in Hollywood zur Verfügung: Wenn Sony oder 20th Century Fox Werbefeldzüge für neue Filme entwickeln, hilft Bauckhage mit seiner mächtigen Datenbank bei der Planung der Kampagnen auf Facebook. Dafür investieren die Filmproduktionsfirmen inzwischen sechsstellige Summen. „Wir konnten unser Geld viel effizienter ausgeben“, sagt Lutz Rippe, Marketingchef bei Studiocanal. Er hat mit Bauckhages Hilfe zuletzt den zweiten Teil der „Tribute von Panem“ in Deutschland beworben: Statt wie sonst 50 musste er nur 30 Cent pro Facebook-Fan ausgeben.
Neben Moviepilot gibt es eine ganze Reihe deutscher Start-ups, die Büros in den USA eröffnet haben, um im Stammland der digitalen Avantgarde mit den US-Newcomern zu konkurrieren. Ihre Geschäfte machen sie ohne großes Tamtam und weitgehend unbemerkt von der breiteren Öffentlichkeit. Weder programmieren sie bekannte Apps, noch gehören sie zu den Online-Händlern, die auf Apple-Normalverbraucher zielen. Ihre Strategie ist unauffällig, aber erfolgreich: Sie bieten hoch spezialisierte Dienste und Software an, etwa für Datenanalyse oder Smartphone-Werbung. Ihre Kunden sind nicht die breite Masse, sondern zahlungskräftige Unternehmen wie Siemens, SAP oder Zalando.
Auch in den USA sind die deutschen Spezialisten zunehmend gefragt. Bei Per Fragemann stammen sogar drei Viertel der 350 Kunden aus den Vereinigten Staaten. Der Chef und Gründer des Berliner Unternehmens Small Improvements bietet Personalchefs eine Software, um Mitarbeiter-Feedback einzuholen. Das populäre Netzwerk Pinterest, Browser-Urgestein Opera oder die aus Australien stammenden Spezialisten für Surferkleidung von Quicksilver nutzen Small Improvements. In Deutschland hat Fragemann dagegen nicht einmal ein Dutzend Kunden. Die meisten Rechnungen seiner deutschen GmbH werden in Dollar fakturiert, darum zählt er auch den Umsatz in der US-Währung: „In den vergangenen 52 Wochen hatten wir 1,3 Millionen“, sagt Fragemann. Die Euro-Million müsste also bald geknackt sein.
In der deutschen Gründerszene werden diese Hidden Champions im Gegensatz zu manchem gehypten Berliner Start-up kaum wahrgenommen. Dabei hat es sogar schon den Milliardenexit gegeben, auf den Investoren und Gründer hierzulande so sehnsüchtig warten: Im Mai wurde TeamViewer aus dem schwäbischen Göppingen übernommen, ohne das jemand groß Notiz davon nahm. Der britische Finanzinvestor Permira zahlte schätzungsweise zwischen 800 Millionen und 1,1 Milliarden Dollar für das Unternehmen.
TeamViewer stellt eine Software her, mit der Computer aus der Ferne gesteuert werden. So können etwa die Kinder damit auf den Rechner der Eltern zugreifen und ein Software-Update installieren, wenn nichts mehr geht. 200 Millionen Anwender weltweit nutzen das Programm, auch in den USA wird TeamViewer immer populärer – vor allem, seit Ende 2013 ein US-Konkurrent mit einer ähnlichen Software seine kostenlose Einstiegsversion abgeschafft hat.