Hilfsorganisation Warum SOS Kinderdorf harte Einschnitte braucht

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SOS-Libanon

Dieser Pfad zur Nachhaltigkeit ist ein radikaler Einschnitt. Er schließt seit 2013 Nachtragshaushalte kategorisch aus und gibt nun vor, dass die Vereine in den aufstrebenden Ländern nicht mehr Hilfsempfänger sein sollen, sondern ihre SOS-Kinderdörfer selber finanzieren müssen. „Es ist nicht vertretbar, dass so viel Geld aus Europa in die BRIC- und Schwellenländer geht. Wir müssen erkennen, wo unsere Hilfe nicht mehr notwendig ist“, beschreibt Vyslozil die neue Linie. Künftig sollen „auch wohlhabende Brasilianer, Chinesen oder Südafrikaner für die Einrichtungen in ihrem Land bezahlen“, sagt der SOS-Reformer, „und nicht mehr deutsche Spender“. Welche seiner Länder-Vereine sich von 2020 an mit vor Ort gesammelten Spenden finanzieren, hat SOS mithilfe von OECD-Analysen und des britischen Experten Jonathan Bradshaw von der Universität York bestimmt.

Kindergarten in Ksarnaba Quelle: Benoit Chattaway für WirtschaftsWoche

Hinzu kommt, dass SOS sich „auf die Kernaufgaben konzentrieren muss“, meint Aufsichtsrat Kahl: „Teure Berufsausbildungszentren muss SOS nicht selber betreiben.“ Vyslozil geht noch weiter und fordert: „Wir müssen lernen, Projekte zu beenden.“ So zieht SOS sich nun teilweise aus Programmen zurück und übergibt Einrichtungen an lokale Träger.

In Österreich, Mexiko und Argentinien wurde 2013 aufgrund des Sustainable Path und weiterer Sparprogramme je ein Kinderdorf geschlossen, in Ungarn und Chile zwei, in Brasilien vier. Viele werden andernorts durch neu konzipierte dezentral organisierte Kinderdörfer ersetzt.

Konfliktfrei zu sparen ist aber kaum möglich, zeigt sich im SOS-Stammland. Vor einem Jahr warfen prominente österreichische SOS-Vorstände wie Vizekanzler Michael Spindelegger und der frühere Bundespräsidenten-Sprecher Heinz Nußbaumer aus Protest gegen Entlassungen die Brocken hin, als SOS Österreich die regionalen Geschäftsführer in den Bundesländern abschaffte, „um schlanke und kostengünstige Strukturen zu schaffen und SOS zukunftsfit zu machen“. Eine erschütterte SOSlerin sagte der Zeitung „Kurier“: „Wenn künftig das Herz zu kurz kommt, sind wir dem Untergang geweiht.“

Kfarhay, 70 Kilometer nördlich von Beirut. Afifa Arsanios, 72, ist Präsidentin der SOS-Kinderdörfer im Libanon und Lina Sarkis ihre oberste Spendensammlerin. Die beiden Frauen sitzen in einem Erker des Kinderdorfs in den Batroun-Bergen und verarbeiten den Schock dieses Morgens. Al-Qaida-nahe Selbstmordattentäter haben um 9.25 Uhr in Beiruts Schiiten-Viertel Bir Hasan zwei Autobomben gezündet, 8 Menschen getötet und 100 verletzt.

Nur noch sechs Jahre Zeit

Präsidentin Arsanios ist eine charismatische Lady, die Kulturattaché in der libanesischen Botschaft in Washington war und für die Weltbank, Unicef und das Kulturministerium in Beirut gearbeitet hat. „Wir können 2020 nicht finanziell unabhängig sein“, sagt sie zu den Vorgaben aus Innsbruck. „Das geht nur, wenn wir Frieden haben und wenn wir das Öl und Gas vor der Küste fördern können.“ Beides hält die Libanesin angesichts des Bürgerkriegs in Syrien und der Folgen für den Libanon offenbar für unwahrscheinlich. Die schleichende Destabilisierung des Landes verhindert Investitionen. Ein Drittel der 15- bis 24-Jährigen in dem Viereinhalb-Millionen-Einwohner-Land ist arbeitslos. Touristen aus den Emiraten und Saudi-Arabien bleiben aus. Die Wachstumsraten sinken von 8,0 Prozent auf allenfalls 1,5 Prozent. Wie soll die Spendenbereitschaft steigen?

Spendensammlerin Sarkis macht eine einfache Rechnung auf. Sechs Millionen Dollar brauchen die sechs Kinderdörfer, acht Jugendhäuser und Sozialprogramme von SOS Libanon pro Jahr – ungeachtet der aktuellen Unterbringung von 52 unbegleiteten syrischen Flüchtlingskindern, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert.

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