Der Einstieg in den chinesischen Markt gelang Siemens vor knapp zehn Jahren. China wollte auch in der Hochgeschwindigkeit auf der Schiene zum nächsten Schritt ansetzen - und nicht mehr nur noch Werkbank der Welt sein.
Ausländische Konzerne, die in China Geschäfte machen wollten, sollten das technologische Know-How liefern und waren gezwungen, in China mit einem Joint-Venture-Partner zusammen zu arbeiten. Auch Siemens. Die Münchener sollten Hochgeschwindigkeitszüge für das Riesenreich bauen.
Die ersten drei Züge baute Siemens noch im deutschen Werk in Krefeld. Die nächsten 57 Züge produzierte Siemens dann mit einem Ableger des staatlichen Zugherstellers China Northern Rail (CNR) in Tangshan, 150 Kilometer östlich von Peking. Die Züge des Gemeinschaftsunternehmens wurden Teil der chinesischen Hochgeschwindigkeitsflotte.
Inzwischen gehört der chinesische Zughersteller zu den größten der Welt. Siemens ist raus, so scheint es. Die Münchener verkaufen ihre Züge vor allem in Deutschland – und das verspätet.
Doch Siemens' Einstieg in China zahlt sich auch heute noch aus. Während der französische Zughersteller Alstom aus Angst vor Technologieklau den Einstieg in China verzögerte, profitiert Siemens noch immer von den ersten Schritten in China. Für die Züge von CNR, die auf dem Konzept des Velaro-Hochgeschwindigkeitszuges basieren, der baugleich mit dem deutschen ICE ist, liefert Siemens wichtige Komponenten. Siemens steht zwar nicht mehr drauf, steckt aber noch drin.
Geheime Abmachung getroffen
Und das Geschäft boomt. „China ist ein sehr attraktiver Markt für Siemens geworden“, sagt der Chef der neuen Konzernsparte Siemens Mobility, Jochen Eickholt. Allein in diesem Jahr bauen die Chinesen bis zu 300 Hochgeschwindigkeitszüge – mehr als die existierende Hochgeschwindigkeitsflotte der Deutschen Bahn. Und in den kommenden Jahren erwartet Siemens eine ähnlich hohe Schlagzahl. Siemens liefert für einen Großteil der Züge einen "signifikanten Anteil an Komponenten", so Eickholt. Allein im vergangenen Jahr brachte das China-Geschäft für Siemens rund 700 Millionen Euro Umsatz.
Doch was, wenn die Chinesen mit ihren Zügen expandieren und in Bieterverfahren gegen Siemens-Züge konkurrieren? Dafür hat Siemens in geheimer Abmachung vorgesorgt. Solange die Chinesen Züge bauen, die auf dem Velaro-Konzept basieren, dürfen die Chinesen im Ausland Züge nur mit Zustimmung von Siemens anbieten. Siemens wäre dann also erneut als wichtiger Zulieferer von Bauteilen mit an Bord. Oder die Münchener könnten Lizenz-Gebühren kassieren, weil die Züge auf der Blaupause aus Krefeld basieren.
Siemens sieht Wachstumschancen in Lateinamerika
Das Risiko des Technologieklaus in China hat Siemens damit offenbar begrenzt. Technologisch sehen sich die Münchener ohnehin in Führung. „Es kann sein, dass ein älterer Siemens-Zugtyp über einen chinesischen Hersteller mit einem neuen Siemens-Zugtyp von uns bei einer Ausschreibung konkurriert“, sagt Mobility-Chef Eickholt. Das sei auch schon vorgekommen. „Doch die Innovationskraft der Chinesen sehen wir noch nicht mit Sorge.“ Die Chinesen seien nicht so innovativ, wie sie es sich wünschten.
Das Geschäft mit den Hochgeschwindigkeitszügen soll somit wieder an alte Erfolgszeiten anknüpfen. Dazu dient auch die Umstrukturierung des Konzerns. Ab Oktober dieses Jahres übernimmt Eickholt die Führung der neuen Division Mobility. Die Konzernbereiche, die ab Oktober ihren formalen Hauptsitz in Berlin haben werden, setzten 2013 zusammen rund sieben Milliarden Euro um. Dazu gehören neben der Produktion von Hochgeschwindigkeitszügen auch der Bau von Nahverkehrszügen, Lokomotiven, Metrobahnen, Zugsicherungsanlagen und das Wartungsgeschäft von Zügen.
Sieben Hochgeschwindigkeitszüge für die Türkei
Wachstumsmöglichkeiten sieht Siemens derzeit überall auf der Welt. Vor allem im Mittleren Osten und Lateinamerika würden sich in Zukunft Chancen auftun, heißt es aus dem Unternehmen. Für die Türkei baut Siemens aktuell sieben Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ Velaro. Über weitere zehn Einheiten sei Siemens im Gespräch. Theoretisch könnten es deutlich mehr sein, da die Türken insgesamt bis zu 100 Schnellzüge auf dem Markt anschaffen wollen. Selbst Russland stuft Eickholt noch als attraktiven Markt ein. Von den Sanktionen sei die Produktion und Wartung von Velaro-Zügen nicht betroffen.
Ein ganz neuer Markt könnte sich bald in den USA auftun. Die Vereinigten Staaten diskutieren derzeit über den Ausbau des Fernverkehrs auf der Schiene, beispielsweise auf der Strecke von San Francisco nach Los Angeles mit bis zu 330 Kilometer pro Stunde. „Wir wollen dort Züge und Anlagen für die Zugsicherung bauen“, sagt Eickholt. Die politische Debatte sei angelaufen. Es gebe Hoffnung, dass in ein bis anderthalb Jahren der Ausbau des Schienennetzes und der Bau von Zügen ausgeschrieben werde.
Doch der Wettbewerb im prestigeträchtigen Hochgeschwindigkeitssektor hat deutlich zugenommen. Neben Alstom und den Chinesen ist auch der deutsch-kanadische Zugbauer Bombardier in den Hochgeschwindigkeitsmarkt eingestiegen. Für den italienischen Markt hat Bombardier bereits Züge mit bis zu 330 Kilometer pro Stunde gebaut. Zudem expandieren andere Hersteller wie der Hitachi-Konzern aus Japan und - ganz neu - auch die Hyundai-Tochter Rotem aus Korea.
Siemens hofft, mit der alten Philosophie zu punkten, die schon in China Erfolg hatte. Sollte der Konzern irgendwo auf der Welt den Zuschlag für den Bau von Zügen bekommen, will Siemens lokale Produktionsstrukturen aufbauen. Den Vorteil erklärt Eickholt an dem Beispiel USA, wo Siemens eine Fabrik etwa für Nahverkehrszüge in Sacramento unterhält: „Was wir dort liefern, wird verstanden als amerikanisches Produkt.“