Initiative „Wir zusammen“ „Wir sind in der langfristigen Integration angekommen“

Wie können Geflüchtete integriert werden? Auf der Handelsblatt-Veranstaltung zur Initiative „Wir zusammen“ in Frankfurt präsentierten Unternehmer, Behörden und Helfer ihre Rezepte – und probten den Perspektivwechsel.

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„Wir zusammen“ in Frankfurt: Amira Zarari von der muslimischen Poetry-Slam-Gruppe „I,slam“ bekam für ihren Vortrag viel Applaus. Quelle: Bert Bostelmann für Handelsblatt

Frankfurt Seit dem Herbst 2015, als täglich tausende Geflüchtete an deutschen Bahnhöfen ankamen, ist in Deutschland viel passiert: Damals standen Behörden und ehrenamtliche Helfer vor der schieren Herausforderung, den Ankommenden eine sichere Unterkunft zu gewähren. Inzwischen kommen weitaus weniger Neuankömmlinge nach Deutschland – und auch die Herausforderungen für die Helfer haben sich geändert: „Wir sind in der langfristigen Integrationsarbeit angekommen“, erklärte Alfred Höhn von der Beratungsfirma PwC.

Im Frankfurter PwC-Tower fand am Donnerstag die dritte Handelsblatt-Veranstaltung zur Initiative „Wir zusammen“ von deutschen Unternehmen statt. Die Teilnehmer nutzten die Chance, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Dabei bot sich den Gästen auch die Möglichkeit, die Perspektive zu wechseln. Denn zum Schluss zeigte die Poetry-Slammerin Amira Zarari mit einem muslimischen Poetry-Slam eindrucksvoll, was es bedeutet, mit „langen schwarzen Kleidern“ in Deutschland zu leben – und dabei vielen Vorurteilen ausgesetzt zu sein.

Die Leitfragen des Abends: Wie lassen sich Geflüchtete langfristig integrieren – und welchen Beitrag können Unternehmen dazu leisten? Soviel wurde klar: Die langfristige Integration ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Aber eine, die sich lohnt. „Uns alle hier verbindet eine Herzensangelegenheit“, sagte Handelsblatt-Ressortleiter Grischa Brower-Rabinowitsch, der durch den Abend führte. Das gemeinsame Engagement helfe nicht nur den Geflüchteten, sondern auch den Unternehmern.

Das Netzwerk „Wir zusammen“ will dabei den Einsatz von Deutschen Unternehmen für Flüchtlinge bündeln. „Wir wollen andere Unternehmen für unser Netzwerk gewinnen oder sie ihnen dabei helfen, eigene Initiativen zu starten“, erklärte Projektleiterin Marlies Peine. Inzwischen konnte die Initiative rund 5.500 Arbeitsplätze für Geflüchtete schaffen. „Wir haben viel gelernt und wissen, wo die Hürden liegen“. Diese Expertise will die Initiative weitergeben.

Viel gelernt hat auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das wegen schwerer Fehler im Fall des terrorverdächtigen Franco A. massiv in die Kritik geraten war. Der Bundeswehr-Soldat, der derzeit in Untersuchungshaft sitzt, hatte sich als syrischer Flüchtling ausgegeben und erfolgreich einen Asylantrag gestellt. „Das ist ein ernster Fall, der so nicht hätte passieren dürfen und zu Recht zu großer Bestürzung geführt hat“, räumte BAMF-Vizechefin Uta Dauke ein. Eine interne Untersuchung habe mehrere Fehler aufgedeckt. Eine Stichprobe von 2.000 weiteren Fällen habe aber gezeigt, dass sich das Muster nicht wiederhole. Die Behörde will aus ihren Fehlern lernen: „Wir haben ein Qualitätssicherungskonzept auf den Weg gebracht“.

Trotzdem gebe es noch immer einige Geflüchtete, deren Identität nicht erfasst sei. „Das ist aber eine sehr kleine Zahl, die wir in den kommenden Wochen abarbeiten werden“. In diesem Jahr hätten bis Ende Mai rund 90.000 Geflüchtete in Deutschland Asyl beantragt. „Die Welle ist ein wenig abgeebbt, aber immer noch auf relativ hohem Niveau“. So hätten sich auch die Aufgaben für das BAMF verändert: Jetzt spiele die Integration der Neuankömmlinge eine noch größere Rolle. „Wir haben verschiedene Stellschrauben, an denen wir arbeiten müssen, aber wir sind sicher, dass wir das schaffen“.

Auch die Unternehmer, die auf der Bühne aus dem Integrationsalltag berichteten, zeigten sich optimistisch. Aber: „Es gibt überall kleine Hürden und Hindernisse“, berichtete Michael Bräuning, der das „Projektbüro Integrations-Offensive“ der Allianz leitet. So sei es dem Versicherungskonzern mitunter schwergefallen, passende Kandidaten für offene Stellen zu finden. „Wir hatten anfangs eine hohe Fluktuation, die wir aber reduzieren wollen“. Dabei hilft ein System aus „Buddys“ – das sind Mitarbeiter, die Flüchtlinge im Alltag begleiten.


Jobführerschein für Neuankömmlinge

Auch der Nahrungsmittelriese Nestlé Deutschland leistet Integrationsarbeit: Inzwischen hat der Konzern 40 Geflüchtete als Auszubildende gewonnen – zusätzlich zu den regulären 300 Azubis. Doch Nestlé-Manager Ralf Hengels berichtet von einem Problem, das auch andere Unternehmer umtreibt, die Flüchtlinge beschäftigen wollen: „Einer unserer Auszubildenden sollte abgeschoben werden“. Und das trotz des laufenden Ausbildungsvertrags.

Von einer ganz ähnlichen Erfahrung berichtete Friedemann Hensgen von der Rittal Foundation: „Bei uns gab es leider auch einen Fall, bei dem ein junger Mann nach Afghanistan abgeschoben werden sollte.“ Die Belegschaft zeigte sich schockiert – und Hensgen musste für den Azubi anwaltliche Hilfe organisieren, um die Abschiebung abzuwenden. Für die Betroffenen geht es um die Existenz. Aber auch die Unternehmen sei die Erfahrung ernüchternd, berichtete Hensgen.

Dabei dürfte es solche Fälle eigentlich gar nicht mehr geben, erklärte Bettina Wolf, die das operative Geschäft der Bundesagentur für Arbeit in Hessen verantwortet. „Die Gesetzeslage ist da eindeutig“, sagte Wolf. Sie rief betroffene Unternehmen dazu auf, sich direkt an die Arbeitsagentur zu wenden, um gemeinsam eine Lösung zu finden. Auch für ihr Haus ist die Integration von Neuankömmlingen eine Herausforderung. Denn: „Die allermeisten Menschen kommen nicht mit so viel Wissen, Können und Sprachkenntnissen zu uns, dass wir sie sofort an Arbeitgeber vermitteln können.“

Das hat auch der Gastgeber der Veranstaltung, PwC, erkannt. Das Unternehmen hat einen „Jobführerschein“ für Neuankömmlinge aufgelegt. Der achtwöchige Kurs soll neben Sprachkenntnissen auch grundlegendes Wissen über die deutsche Arbeitswelt vermitteln. „Es ist eben nicht so, dass nur gut gebildete Akademiker nach Deutschland kommen“, erklärt PwC-Partner Alfred Höhn.

Doch auch die gibt es: Der syrische Informatikstudent Muhanned Darraj berichtete dem Publikum davon, wie er den Weg an eine deutsche Universität fand. Er ist Stipendiat der Deutschen Universitätsstiftung, die Stipendienprogramme für Studierende mit Flüchtlingsstatus aufgelegt hat.

Auch das Informatikstudium von Taber Hendawi wird von der Stiftung gefördert. Er stand in Syrien kurz vor dem Abschluss, als er nach Deutschland fliehen musste – und will sein Studium nun in Hannover beenden. Sein Fazit: „Deutschland ist ein tolles Land mit vielen Möglichkeiten“. 

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