Herstatt, Schneider, Holzmann, Arcandor, Schlecker – ja, es gab tatsächlich Zeiten, als nicht nur Emittenten von Mittelstandsanleihen ums Überleben kämpften, sondern echte Großkonzerne in echte Pleiten trudelten. Doch die robuste deutsche Konjunktur und die Geldflut der Europäischen Zentralbank sorgen seit Jahren dafür, dass die Insolvenzzahlen hierzulande sinken und Großverfahren Mangelware sind.
Auch im ersten Halbjahr ist der Trend ungebrochen. Das zeigt eine exklusive Analyse der Online-Plattform Insolvenz-Portal für die WirtschaftsWoche. Der Betreiber der Plattform, der Karlsruher Informationsdienstleister STP Portal, wertete dazu die Angaben deutscher Amtsgerichte zu Unternehmensinsolvenzen aus.
„Im ersten Halbjahr waren sowohl die Zahlen der vorläufigen als auch der eröffneten Unternehmensinsolvenzverfahren weiter rückläufig“, bilanziert Insolvenzportal-Chef Jens Décieux. Auf überschaubare 4264 eröffnete Verfahren über Kapital- und Personengesellschaften summierten sich die Pleitezahlen, knapp sieben Prozent weniger als im ersten Halbjahr 2015.
„Noch offen ist, welche Kanzleigruppen der Verfahrens-Rückgang am stärksten trifft, ob sich also die Branchenschwergewichte besser oder schlechter schlagen als kleinere Einheiten“, sagt Décieux. „Das analysieren wir gerade.“
Jede dritte Pleite geht an die Top 30
Klar ist hingegen, dass sich der Großteil der Verfahren auf einen überschaubaren Kreis von Kanzleien konzentriert. So wurde im ersten Halbjahr 2016 mehr als jede dritte Unternehmenspleite von einem Verwalter aus einer der Top 30 Insolvenzkanzleien abgewickelt. Wer dazu zählt – und wer nicht – zeigt das Ranking der WirtschaftsWoche auf Basis der STP-Daten.
Die Schlecker-Insolvenz in Zahlen
... Menschen kostete die Schlecker-Pleite den Job
... Mitarbeiter hatte Schlecker zu Bestzeiten
... Schlecker-Märkte gab es vor der Insolvenz im In- und Ausland
... Euro zahlte ein Hilfsfonds an Ex-Mitarbeiter
... Milliarde Euro forderten Gläubiger nach der Pleite
... Millionen Euro zahlte Anton Schleckers Familie an die Insolvenzverwaltung
Betrachtet wurden dabei anders als in früheren Statistiken nicht die vorläufigen sondern die eröffneten Insolvenzverfahren. Dadurch werden Rücknahmen von Insolvenzanträgen und Verzögerungen bei der Datenübertragung einzelner Gerichte ausgeblendet. Die Größen und Vermögensmassen der jeweiligen Unternehmen flossen nicht in die Analyse ein. Es lassen sich somit keine direkten Rückschlüsse auf den wirtschaftlichen Erfolg einzelner Kanzleien ziehen. Dennoch zeigt die Aufstellung, wer sich trotz Pleitenschwund im Markt behaupten konnte.
29 eröffnete Verfahren markierten im ersten Halbjahr 2016 die Hürde für den Einstieg in die Top 30. Das Kunststück gelang der Crew um Arndt Geiwitz von Schneider, Geiwitz & Partner. Die Neu-Ulmer sorgten mit ihrem Paradefall Schlecker für Aufsehen, bei dem Geiwitz nun Lieferanten wegen Kartellabsprachen zur Kasse bittet. Nebenher dominierten allerlei Routinefälle aus der Gastro-, Bau- und Immobilienzunft das Tagesgeschehen.
Denkhaus legt den KTG-Agrar-Sumpf trocken
Kaum anders lief es bei der Duisburger Kanzlei Hammes, die es auf die gleiche Schlagzahl brachte. Malte Köster von WillmerKöster gelang indes mit dem Verkauf des Modeunternehmens Zero ein großer Wurf, an dem auch Co-Insolvenzverwalter Tim Beyer von Schultze & Braun beteiligt war.
BRL Boege Rohde Luebbehuesen glänzte derweil mit einem deutlichen Anstieg der Verfahrenszahlen. So wurden Anfang 2016 mehrere Verfahren des Lüneburger Tiefkühl-Fischproduzenten Pickenpack eröffnet. Als Verwalter der betroffenen Gesellschaften amtet BRL-Partner Friedrich von Kaltenborn-Stachau.
Sein Kollege Stefan Denkhaus kümmert sich derweil um den havarierten Energieversorger EEV mit Sitz in Meppen und setzt dabei auf die bewährte Kooperation mit Dietmar Penzlin von Schmidt-Jortzig Petersen Penzlin, der für die EEV-Tochtergesellschaft zuständig ist.
Das Tandem Denkhaus-Penzlin war schon gemeinsam bei Prokon im Einsatz und arbeitete in dem Verfahren unter anderem mit Dorothee Madsen, damals Rechtsanwältin und Insolvenzverwalterin für Kebekus et Zimmermann, zusammen, die im Prokon-Gläubigerausschuss saß. Seit Juni soll die Verwalterin nun für BRL den Raum Bochum und Dortmund erschließen. An Arbeit mangelt es der Kanzlei derzeit offenkundig nicht. Auch das zweite Halbjahr lief gut an. So wurde Denkhaus jüngst zum Sachwalter beim Ackerbaukonzern KTG Agrar bestellt und darf sich dort der Trockenlegung sumpfigen Terrains widmen.
Insolvenzkanzleien im ersten Halbjahr 2016: Plätze 31 bis 21
Kanzlei: hammes. Rechtsanwälte - Insolvenzverwalter
Verfahren: 29
Kanzlei: Mönning & Partner
Verfahren: 29
Kanzlei: Schneider, Geiwitz & Partner
Verfahren: 29
Kanzlei: Eckert Insolvenzrecht GbR
Verfahren: 30
Kanzlei: MHBK Rechtsanwälte Müller-Heydenreich Bierbach & Kollegen
Verfahren: 30
Kanzlei: Piepenburg - Gerling Rechtsanwälte
Verfahren: 31
Kanzlei: Pohlmann Hofmann Insolvenzverwalter Rechtsanwälte Partnerschaft
Verfahren: 31
Kanzlei: WILLMERKÖSTER
Verfahren: 31
Kanzlei: BRL Insolvenz GbR
Verfahren: 32
Kanzlei: Schiebe und Collegen
Verfahren: 33
Kanzlei: SCHWARTZ Rechtsanwälte
Verfahren: 33
Zu den Großpleiten 2016 zählt schon jetzt die Insolvenz der Modegruppe Steilmann. Für die fachgerechte Verwertung der Einzelteile zeichnet Frank Kebekus von Kebekus et Zimmermann verantwortlich. Die Verfahrenszahlen der Düsseldorfer liegen denn auch deutlich über Vorjahr.
Auch das Team von Niering, Stock, Tömp war mit textilem Niedergang befasst - beim Futterstoffhersteller A. Weyemann Söhne GmbH & Co. KG, gegründet 1839. Derweil lotete Peter-Alexander Borchardt von der Kanzlei Reimer Rechtsanwälte die Untiefen der Magellan Maritime Services aus, die zuvor Tausende Anleger von der Sinnhaftigkeit von Container-Investments überzeugt hatte.
Flöther & Wissing wickelt den Unister-Krimi ab
Lucas Flöther von Flöther & Wissing wickelt seit dem März die Fahrzeugtechnik Dessau ab, dirigierte aber auch Zeitarbeitsfirmen und Holzpelletproduzenten durch die Pleite.
Just als sich Flöther auf Mallorca vom insolvenzrechtlichen Wirken im ersten Halbjahr eine sommerliche Auszeit nehmen wollte, platzte schon der nächste Verfahrenskomplex dazwischen: Der spektakuläre Zusammenbruch des Online-Konzerns Unister samt tödlichem Flugzeugabsturz des Unternehmensgründers und verschwundenen Millionen.
Flöther selbst sieht den Fall denn auch „eher als Krimi“ denn als klassische Insolvenz und beeilt sich, Unister-Portale wie ab-in-den-Urlaub und fluege.de möglichst schnell und teuer zu verkaufen. Gelingt der Coup, sind Quotenzahlungen von 100 Prozent drin. Und auch auf das Kanzleiranking dürften die neuen Verfahren einzahlen – wenn auch erst in der Gesamtjahresstatistik.
Die 8 wichtigsten Antworten zur German-Pellets-Insolvenz
German Pellets stellte Holzpellets zum Heizen her - einen Brennstoff aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz, der als klima- und umweltfreundlich gilt. Holzpellets sind gepresste Holzspäne (englisch: pellet = Kügelchen) aus Holzabfällen oder Stammholz. Durch das Pressen unter hohem Druck haben sie einen niedrigen Wassergehalt und eine hohe Dichte. Sie werden zum Heizen in privaten Haushalten genutzt, aber auch in Kraftwerken zur Herstellung von Strom und Wärme. German Pellets war nach eigenen Angaben der weltgrößte Pelletproduzent und -händler mit 650 Mitarbeitern.
Als anleihefinanziertes Unternehmen hat sich German Pellets Geld nicht bei Banken, sondern bei verschiedenen Anlegern geliehen. Denen wurden hohe Zinsen versprochen. Eine Anleihe mit einem Volumen von 100 Millionen Euro, verzinst mit 7,25 Prozent, sollte zum 1. April 2016 zurückgezahlt werden. Doch dafür fehlte das Geld. Das Unternehmen meldete im Februar beim Amtsgericht Schwerin Insolvenz an. Anfang Mai wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Geschäftsführung mit Firmengründer Peter H. Leibold gab als einen Grund die gesunkene Nachfrage nach Holzpellets wegen des niedrigen Ölpreises an. Auch zwei milde Winter mit geringerem Verbrauch wurden ins Feld geführt. Zudem soll sich die Übernahme des Ofenbauers Kago im Jahr 2010 als Fehlinvestition erwiesen haben. Kago meldete kurz vor German Pellets im Januar Insolvenz an.
Als Insolvenzverwalterin wurde die Rechtsanwältin Bettina Schmudde von der Kanzlei White & Case eingesetzt. Sie legte bei der Suche nach Investoren ein schnelles Tempo vor. Im Mai fand sie Interessenten für die Werke der German Pellets-Gruppe in Deutschland. Der US-amerikanische Finanzinvestor Metropolitan Equity Partners (MEP) hat den Stammbetrieb in Wismar übernommen. Die Werke in Ettenheim und Herbrechtingen (Baden-Württemberg) werden durch die J. Rettenmaier & Söhne GmbH + Co KG aus Rosenberg (Baden-Württemberg) weiter betrieben. Das Werk im sächsischen Torgau wurde von der PLT Pellet Lohnfertigung Torgau GmbH übernommen. An den Standorten sollen zumindest in der Produktion fast alle Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Die Projekte in den USA werden durch das US-Kompetenzteam von German Pellets unter der Regie der Insolvenzverwalterin weitergeführt. Im Juni wurde auch das Kohlekraftwerk im belgischen Langerlo verkauft.
Was der Insolvenzantrag für die betroffenen Anleger bedeutet, ist noch unklar. Sie müssen um ihre Anlagen von zusammen etwa 280 Millionen Euro in drei verschiedenen Anleihen und einem Genussschein bangen. Der Wert der im April fälligen Anleihe sank zu Jahresbeginn innerhalb weniger Wochen auf 0,5 Prozent des Nennwertes. Mit Bekanntwerden der Insolvenz wurden die Anleihen vom Handel ausgesetzt. Die etwa 17 000 Anleger haben jetzt Gelegenheit, zunächst auf Gläubigerversammlungen in Schwerin pro Anlage einen Gemeinsamen Vertreter zu wählen, der ihre Rechte bei der Insolvenzverwalterin geltend macht. Die Versammlungen sind an vier Tagen in der Schweriner Kongresshalle geplant. Die eigentliche Gläubigerversammlung mit dem Berichtstermin der Insolvenzverwalterin ist am 5. Oktober ebenfalls in Schwerin anberaumt.
Geschäftsführer Leibold hat sich bisher nicht öffentlich zu der Pleite geäußert. Gegen ihn und andere leitende Mitarbeiter des Unternehmens sind bei der Staatsanwaltschaft Rostock 30 Anzeigen von Kapitalanlegern wegen Betruges eingegangen. Ein Zulieferer erstattete Anzeige wegen Insolvenzverschleppung und Betruges. Die Staatsanwaltschaft prüft nach Angaben eines Sprechers noch, inwieweit ein hinreichender Tatverdacht besteht. Ein Knackpunkt dabei ist, den Zeitpunkt festzustellen, zu dem die Zahlungsunfähigkeit eintrat.
Das verneint die Staatsanwaltschaft. Das Verteilverfahren sei ausschließlich Sache der Insolvenzverwalterin.
„Die Rangfolge der Kanzleien ist erstaunlich stabil geblieben“, sagt Insolvenzexperte Décieux. „Gerade auf den vorderen Plätzen hat sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wenig geändert.“ Tatsächlich beherrschen weiter die bekannten Player das Feld der zehn meistbestellten Kanzleien.
Eine Überraschung gab es dann doch. Kreplin & Partner arbeiteten sich mit 48 eröffneten Verfahren in die Top 10 vor. Dabei half unter anderem die Insolvenz der Amsterdamer Unlimited Sports Group, die auch vier deutsche Tochtergesellschaften erwischte. Mit holländischen Firmen in Not kennt sich Georg Kreplin ohnehin bestens aus. Schon 2015 bei der Pleite der Modemarke Mexx war er als Verwalter der deutschen Ableger im Einsatz.
Auch Dirk Andres von AndresPartner hatte in den ersten sechs Monaten des Jahres wenig Grund zur Klage: 59 eröffnete Verfahren zieren die Kanzleistatistik, zwei mehr als im Vorjahreszeitraum. Darunter befand sich etwa der Flugveranstalter ÖgerTürk Tur des früheren Vorzeigeunternehmers und TV-Start-up-Förderers Vural Öger.
Insolvenzkanzleien im ersten Halbjahr 2016: Plätze 20 bis 11
Kanzlei: VOIGT SALUS GbR
Verfahren: 33
Kanzlei: Münzel & Böhm Rechtsanwälte PartGmbB
Verfahren: 34
Kanzlei: Kebekus et Zimmermann
Verfahren: 35
Kanzlei: Dr. Beck & Partner GbR
Verfahren: 36
Kanzlei: Flöther & Wissing Insolvenzverwaltung GbR
Verfahren: 40
Kanzlei: Niering Stock Tömp Rechtsanwälte GbR
Verfahren: 40
Kanzlei: LEONHARDT RATTUNDE
Verfahren: 41
Kanzlei: Reimer Rechtsanwälte Partnergesellschaft
Verfahren: 41
Kanzlei: BBL Bernsau Brockdorff Insolvenz- und Zwangsverwalter GbR
Verfahren: 42
Kanzlei: westhelleundpartner
Verfahren: 43
Brinkmann & Partnerkonnte die Zahl der eröffneten Verfahren sogar von 84 auf 102 steigern. Für großes Hallo in der Branche sorgte allerdings eine Klage von Kanzleigründer Berthold Brinkmann als Insolvenzverwalter der Werftengruppe P+S. Er fordert schlanke 514 Millionen Euro von KPMGund dürfte den Prüfern damit mehr zusetzen als alle Schlagzeilen um deren unrühmliche Rolle beim gescheiterten Verkauf des Provinzflughafens Hahn.
Bei den vier führenden Kanzleien dominierten derweil Routinefälle das Geschehen. Ein Kopf-Kopf-Rennen lieferten sich Pluta und White & Case, wobei Letztere vom Flächenbrand beim Brennstoffhersteller German Pellets profitierten. Verwalterin Bettina Schmudde fackelte nicht lange und spaltete German Pellets unter zwei Kerninvestoren auf. Trotzdem brachte Pluta am Ende ein Verfahren mehr auf die Waage. Auf Rang zwei konnte sich hww Hermann Wienberg Wilhelm behaupten, während Platz eins in der Halbzeit an – Tusch! – den ewigen Rankingsieger Schultze & Braun ging.
Insolvenzkanzleien im ersten Halbjahr 2016: Plätze 10 bis 1
Kanzlei: Kreplin & Partner
Verfahren: 48
Kanzlei: HENNINGSMEIER Rechtsanwälte
Verfahren: 50
Kanzlei: AndresPartner Partnerschaft mbB
Verfahren: 59
Kanzlei: KÜBLER
Verfahren: 60
Kanzlei: GÖRG Rechtsanwälte/Insolvenzverwalter GbR
Verfahren: 85
Kanzlei: Brinkmann & Partner
Verfahren: 102
Kanzlei: White & Case Insolvenz GbR
Verfahren: 132
Kanzlei: PLUTA Rechtsanwalts GmbH
Verfahren: 133
Kanzlei: hww hermann wienberg wilhelm
Verfahren: 136
Kanzlei: Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH
Verfahren: 143