Gibt es einen Ausweg aus der verfahrenen Lage aussehen?
In Verhandlungen gibt es immer zwei Ebenen, die rationale und die emotionale. Sachlich wäre die Lösung einfach: Die Bahn setzt sich mit beiden Gewerkschaften, der GDL und der EVG, zusammen und erarbeitet einen Kompromiss, der für alle tragbar ist. Bei jeder Verhandlung sind auch Emotionen dabei, und das Ego der Verhandlungsführer steht einer sachlichen Lösung oft im Weg.
Sie meinen damit GDL-Chef Weselsky. Warum hat er den Weg dieser harten Konfrontation eingeschlagen?
Weselsky und auch die GDL haben zunächst nur Vorteile. Sie werden in Talkshows eingeladen. Sämtliche Medien berichten über ihre Themen. Sie haben die volle Aufmerksamkeit. Würde Weselsky nicht in dieser Art und Weise äußern oder im Konflikt klein bei geben, verschwinden er und seine Gewerkschaft schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit.
Schießt er in Ihren Augen über das Ziel hinaus?
Natürlich. Wenn Weselsky überzieht, schadet er auch der GDL – bis hin zum Totalschaden halte ich vieles für möglich. Wenn die Lokführer mit ihren Streiks der Bahn weiter einen so großen finanziellen Schaden zufügen, drohen mittelfristig auch Stellenstreichungen. Deshalb müssen sich jetzt auch die Gewerkschaftsmitglieder fragen, ob der Kurs von Weselsky noch richtig ist. Wenn er jetzt nicht langsam zur Vernunft kommt, könnte es kritisch werden.
Das sind die Bahngewerkschaften GDL und EVG
Die 1867 als Verein Deutscher Lokomotivführer gegründete GDL hat rund 34.000 Mitglieder. In ihr sind nach Gewerkschaftsangaben rund 80 Prozent der Lokführer bei der Deutschen Bahn und zahlreiche Zugbegleiter organisiert. Die GDL gehört dem Deutschen Beamtenbund an.
Die EVG entstand 2010 aus der Fusion von Transnet und GDBA und hat rund 210.000 Mitglieder. Die Vorgängerin Transnet wurde 1896 gegründet und gehörte zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Die 1948 gegründete Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamter und Anwärter (GDBA) hatte Mitglieder aus allen Sparten von Bahn bis Bus. Sie gehörte dem Deutschen Beamtenbund an, kooperierte zuletzt aber in einer Tarifgemeinschaft mit Transnet.
Der aktuelle Konflikt bahnt sich seit drei Jahren an. Wieso haben es gut bezahlte und ausgebildete Manager nicht geschafft, in dieser Zeit einen Kompromiss zu finden, bei dem keine der Seiten das Gesicht verliert?
Ganz einfach: Weselsky ist seit drei Jahren an keiner Einigung interessiert. Wer profitiert von einer Nicht-Einigung? Die Bahn verliert Geld, Kunden und deren Vertrauen. Die GDL hingegen stärkt ihr Profil und gewinnt an Aufmerksamkeit.
Ist eine nachhaltige Einigung überhaupt noch möglich?
Das glaube ich nicht, dazu hat Weselsky sich mit seiner unnachgiebigen Haltung zu viele Feinde bei der Bahn gemacht. Mit ihm wäre nur noch eine vorübergehende Einigung möglich, aber keine echte Lösung des Problems. Dazu müsste bei der GDL ein personeller Neuanfang her.
Hatte die GDL in der Vergangenheit die Möglichkeit, ohne Vertrauensverlust bei den eigenen Mitgliedern eine Lösung zu finden?
Die wohl größte Chance gab es am Wochenende: Die Richter am Arbeitsgericht haben die Rechtmäßigkeit des GDL-Streiks anerkannt und gleichzeitig einen Kompromissvorschlag samt Gang zum Schlichter vorgelegt. Darauf hätte Weselsky eingehen müssen. Es wäre für alle Beteiligten ein gangbarer Weg gewesen, die Richterin hat eine gute Brücke gebaut. Auch seine Mitglieder werden sich jetzt fragen: Wenn er nicht einmal über diese Brücke geht, über welche dann?
Liegt es wirklich nur an der Person Weselsky?
Nehmen wir den früheren GDL-Chef Manfred Schell: Auch er war ein knallharter Verhandler, von allen gefürchtet, aber zugleich geschätzt. Schell wusste aber, wann er einlenken muss. Das ist der alles entscheidende Unterschied.
Sie haben in einem Blog-Eintrag die Verhandlungsführer in den aktuellen Tarifkonflikten bei der Bahn und der Lufthansa als „Anfänger“ bezeichnet. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Der Streik ist ein Machtmittel. Man treibt es sprichwörtlich auf die Spitze, um eine Einigung zu erzielen. Das läuft alles nach einem Prozess, der bestehende Regeln hat. Der Streik ist das ultimative Eskalationsmittel, danach muss man sich einigen. Diese Regeln werden bei der Bahn, der GDL, der Lufthansa oder der Vereinigung Cockpit ignoriert.
Was passiert, wenn es nicht zur Einigung kommt?
Verhandlungen, die nicht zur Einigung führen, werden zu einem Machtkampf, die heutzutage meist in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Wenn man sich nach der Eskalation des Streiks nicht einigen kann, was soll dann als nächstes kommen? Mit einem zehntägigen oder 100-tägigen Streik hilft keiner Seite weiter.