Interview mit Matthias Schranner "Weselsky ist seit drei Jahren an keiner Einigung interessiert"

Die Verhandlungen zwischen der Bahn und der GDL kommen seit Wochen nicht voran. Verhandlungsexperte Matthias Schranner sieht vor allem einen Schuldigen: GDL-Chef Weselsky.

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"Ein ganzes Land in Geiselhaft"
Bundeskanzlerin Angela Merkel empfiehlt ein Schlichtungsverfahren zur Beendigung des Tarifkonflikts. "Es gibt auch die Möglichkeit der Schlichtung, wenn beide Partner zustimmen", sagte die Kanzlerin am Mittwoch in Berlin. Dies hatte die Deutsche Bahn zuvor angeboten. "Ich kann nur an das Verantwortungsbewusstsein appellieren, hier Lösungen zu finden, die für uns als Land einen möglichst geringen Schaden haben - bei aller Wahrung des Rechts auf Streik." Streiks seien eine Möglichkeit der tariflichen Auseinandersetzung, sie müssten aber verhältnismäßig sein, sagte Merkel weiter. Ob dies der Fall sei, darüber könne letztlich nur ein Gericht entscheiden. "Aber es gibt eine Gesamtverantwortung", mahnte Merkel. Gerade im Bereich der Daseinsvorsorge wie dem Verkehr, wo Millionen Bürgern betroffen seien und es um die Zukunft der Wirtschaft gehe, sei von allen Beteiligten ein hohes Maß an Verantwortung notwendig. Quelle: REUTERS
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Bahn dazu aufgerufen, notfalls vor Gericht zu ziehen. Der Streik sei unverhältnismäßig und überstrapaziere die Akzeptanz der Bevölkerung in Tarifauseinandersetzungen, sagte Dobrindt am Mittwoch. "Und deswegen muss man, wenn es jetzt nicht zu einer Schlichtung kommt, die Rechtsposition der Bahn wahrnehmen und muss alle Rechtsmittel nutzen." Wenn die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben sei, könne dies auch vor Gericht geklärt werden, fügte der CSU-Politiker hinzu. In einem Tarifkonflikt müsse in besonderer Weise auf die Auswirkungen auf Dritte Rücksicht genommen werden. Dobrindt schloss nicht aus, dass die von der Bahn ins Spiel gebrachte Vermittlung durch zwei unabhängige Schlichter zustande kommen könne. Er halte dies für ein "seriöses Angebot", durch das es möglich sei, zu einem Ergebnis zu kommen. Er stehe in direkten Gesprächen mit dem Staatskonzern, fügte der Minister hinzu. Quelle: REUTERS
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die GDL ungewöhnlich scharf attackiert und einen Schlichter zur Beilegung des Konflikts gefordert. Er warf der GDL Missbrauch des Streikrechts vor. "Das Streikrecht wurde in den letzten 65 Jahren in Deutschland von den DGB-Gewerkschaften immer verantwortungsbewusst genutzt - und nur dann, wenn es um Arbeitnehmerinteressen ging", sagte er der "Bild"-Zeitung. "Die GDL hat sich von diesem Prinzip verabschiedet." Den Funktionären gehe es nicht um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen, sondern um Eigeninteressen. "Ich appelliere an die Funktionäre der GDL, an den Verhandlungstisch zurückzukommen", sagte Gabriel. Nötig sei jetzt Verantwortungsbewusstsein auf allen Seiten und ein Schlichter oder Vermittler, um den drohenden volkswirtschaftlichen Schaden abzuwenden. Die SPD steht dem Gewerkschaftslager und vor allem dem DGB gewöhnlich sehr nahe. Quelle: dpa
"visitBerlin"-Geschäftsführer Burkhard Kieker sagte, er könne die Politik des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky nicht nachvollziehen. "Das scheint ein Profilneurotiker zu sein, der ein ganzes Land in Geiselhaft nimmt." Quelle: REUTERS
Die Deutsche Bahn hält den angekündigten erneuten Lokführerstreik für „reine Schikane“. „Dieser Streikaufruf macht nur noch sprachlos“, sagte Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber. Das Unternehmen plant wie bei den vorherigen Streiks einen Ersatzfahrplan. So soll etwa ein Drittel des sonst üblichen Zugverkehrs angeboten werden können. Quelle: dpa
"Was derzeit bei der Bahn passiert, ist Gift für den Standort Deutschland", sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutsche Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks. "Neben dem Ärgernis für Urlauber führen Streiks im Güterverkehr bereits nach wenigen Tagen zu Produktionsstörungen, weil Bahntransporte oft nicht kurzfristig auf Straßen oder Schiffe verlagert werden können." In Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie sei die Produktionskette komplett auf Just-in-time-Produktion ausgerichtet, bei der Zuliefer- und Produktionstermine genau aufeinander abgestimmt seien. "Warenlager helfen nur die ersten Tage, dann stockt die Fertigung", sagte Dercks. Quelle: dpa
Das Verständnis der Pendler hält sich in Grenzen. Quelle: Screenshot

Wird Weselsky mürbe?

Nein, im Gegenteil. Er sonnt sich ja offensichtlich in der ihm zuteilwerdenden  Aufmerksamkeit. Jetzt kann er den gnädigen Gewerkschaftschef spielen, der die Menschen wieder Bahn fahren lässt.

 

Matthias Schranner ist Verwaltungsjurist, Verhandlungsexperte und -coach. Zurzeit ist er Vorstandsvorsitzender des Negotiation Institutes AG in Zürich, sowie Dozent an der Universität St. Gallen. Quelle: Presse

Unter anderem wurde Weselskys Telefonnummer veröffentlicht. Hat die Medienhetze ihr Ziel erreicht?

Was heißt hier Medienhetze? Weselsky hat den Streit mit der Öffentlichkeit gesucht, er hat beispielsweise tausende Familien nicht in die Ferien fahren lassen. Wer dieses Spiel beginnt, muss auch mit den Folgen leben können.

 

Was könnte Weselsky jetzt noch dazu bringen, wenigstens eine vorübergehende Einigung zu unterschreiben?

Die Einigung kommt erst, wenn Weselsky das Gefühl hat, einlenken zu müssen. Der öffentliche Druck muss erhöht werden – aber nicht auf der emotionalen Ebene gegen ihn selbst, sondern gegen die Sache.

 

Wie kann das aussehen?

Weselskys Machtposition ist auf die Zustimmung seiner Gewerkschaftsmitglieder begründet. Wenn diese seinen Kurs nicht mehr mittragen, muss er einlenken oder gehen. Da können zum Beispiel auch Sie und ich jeden Tag mitwirken: Sprechen Sie Lokführer, Schaffner und Zugpersonal an, wenn Sie ihnen am Bahnhof begegnen. Teilen Sie ihnen Ihre Meinung mit. Wenn die Zustimmung an der Basis bröckelt, muss die Führung umdenken.

 

Was die GDL erreichen will

Wie sollte sich die Bahn in dieser Situation verhalten?

Der finanzielle Schaden, den die Deutsche Bahn durch die Streiks nimmt, muss öffentlich gemacht werden. Bei der Bahn gab und gibt es einen Solidaritätsgedanken, auf den sich übrigens auch Weselsky immer wieder beruft. Diesen Gedanken sollte die Bahn fördern, dass die GDL-Lokführer nicht nur an sich selbst, sondern auch an die anderen denken. Denn momentan schadet ihr Verhalten dem Unternehmen enorm.

 

Warum ist der Streik überhaupt so eskaliert?

Die Bahn würde alle Forderungen der GDL erfüllen – bis auf eine. Das ist aber die entscheidende, das die GDL für das gesamte Zugpersonal verhandelt. Die Bahn kann gar nicht zusagen, weil das rechtlich nicht möglich ist. Wir reden nicht über einen Tarifkonflikt, in dem es um Lohnerhöhungen geht. Die GDL führt einen Machtkampf. Und solange sie diesen nicht abbläst, kann es nur schwer eine Einigung geben.

Das ist ein Streik mit Machtmitteln

 

Gibt es einen Ausweg aus der verfahrenen Lage aussehen?

In Verhandlungen gibt es immer zwei Ebenen, die rationale und die emotionale. Sachlich wäre die Lösung einfach: Die Bahn setzt sich mit beiden Gewerkschaften, der GDL und der EVG, zusammen und erarbeitet einen Kompromiss, der für alle tragbar ist. Bei jeder Verhandlung sind auch Emotionen dabei, und das Ego der Verhandlungsführer steht einer sachlichen Lösung oft im Weg.

 

Warum die Lokführer eigentlich streiken, interessiert doch keine Sau mehr: Die wollen also den Krieg mit den Kunden. Zeit für uns Bahnfahrer, zurückzuschlagen. Ein kleiner Rache-Ratgeber.
von Marcus Werner

Sie meinen damit GDL-Chef Weselsky. Warum hat er den Weg dieser harten Konfrontation eingeschlagen?

Weselsky und auch die GDL haben zunächst nur Vorteile. Sie werden in Talkshows eingeladen. Sämtliche Medien berichten über ihre Themen. Sie haben die volle Aufmerksamkeit. Würde Weselsky nicht in dieser Art und Weise äußern oder im Konflikt klein bei geben, verschwinden er und seine Gewerkschaft schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit.

 

Schießt er in Ihren Augen über das Ziel hinaus?

Natürlich. Wenn Weselsky überzieht, schadet er auch der GDL – bis hin zum Totalschaden halte ich vieles für möglich. Wenn die Lokführer mit ihren Streiks der Bahn weiter einen so großen finanziellen Schaden zufügen, drohen mittelfristig auch Stellenstreichungen. Deshalb müssen sich jetzt auch die Gewerkschaftsmitglieder fragen, ob der Kurs von Weselsky noch richtig ist. Wenn er jetzt nicht langsam zur Vernunft kommt, könnte es kritisch werden.

 

Das sind die Bahngewerkschaften GDL und EVG

Der aktuelle Konflikt bahnt sich seit drei Jahren an. Wieso haben es gut bezahlte und ausgebildete Manager nicht geschafft, in dieser Zeit einen Kompromiss zu finden, bei dem keine der Seiten das Gesicht verliert?

Ganz einfach: Weselsky ist seit drei Jahren an keiner Einigung interessiert. Wer profitiert von einer Nicht-Einigung? Die Bahn verliert Geld, Kunden und deren Vertrauen. Die GDL hingegen stärkt ihr Profil und gewinnt an Aufmerksamkeit.

 

Ist eine nachhaltige Einigung überhaupt noch möglich?

Das glaube ich nicht, dazu hat Weselsky sich mit seiner unnachgiebigen Haltung zu viele Feinde bei der Bahn gemacht. Mit ihm wäre nur noch eine vorübergehende Einigung möglich, aber keine echte Lösung des Problems. Dazu müsste bei der GDL ein personeller Neuanfang her.

 

Hatte die GDL in der Vergangenheit die Möglichkeit, ohne Vertrauensverlust bei den eigenen Mitgliedern eine Lösung zu finden?

Die wohl größte Chance gab es am Wochenende: Die Richter am Arbeitsgericht haben die Rechtmäßigkeit des GDL-Streiks anerkannt und gleichzeitig einen Kompromissvorschlag samt Gang zum Schlichter vorgelegt. Darauf hätte Weselsky eingehen müssen. Es wäre für alle Beteiligten ein gangbarer Weg gewesen, die Richterin hat eine gute Brücke gebaut. Auch seine Mitglieder werden sich jetzt fragen: Wenn er nicht einmal über diese Brücke geht, über welche dann?

 

Liegt es wirklich nur an der Person Weselsky?

Nehmen wir den früheren GDL-Chef Manfred Schell: Auch er war ein knallharter Verhandler, von allen gefürchtet, aber zugleich geschätzt. Schell wusste aber, wann er einlenken muss. Das ist der alles entscheidende Unterschied.

 

Sie haben in einem Blog-Eintrag die Verhandlungsführer in den aktuellen Tarifkonflikten bei der Bahn und der Lufthansa als „Anfänger“ bezeichnet. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Der Streik ist ein Machtmittel. Man treibt es sprichwörtlich auf die Spitze, um eine Einigung zu erzielen. Das läuft alles nach einem Prozess, der bestehende Regeln hat. Der Streik ist das ultimative Eskalationsmittel, danach muss man sich einigen. Diese Regeln werden bei der Bahn, der GDL, der Lufthansa oder der Vereinigung Cockpit ignoriert.

 

Was passiert, wenn es nicht zur Einigung kommt?

Verhandlungen, die nicht zur Einigung führen, werden zu einem Machtkampf, die heutzutage meist in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Wenn man sich nach der Eskalation des Streiks nicht einigen kann, was soll dann als nächstes kommen? Mit einem zehntägigen oder 100-tägigen Streik hilft keiner Seite weiter.

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