Am Donnerstag wird Thomas Schäfer oberster Lenker eines Unternehmens. Dann öffnet der Flughafen Kassel-Calden, dessen Aufsichtsrat Schäfer als hessischer Finanzminister ist. „Der Airport“, so jubelte der Christdemokrat, der zur Feier nebst buntem Rahmenprogramm mit einigen Kollegen aus der Landesregierung in einer Sondermaschine aus Frankfurt einfliegen wird, „ist ein beeindruckendes Zeugnis für den wirtschaftlichen Aufschwung in Nordhessen.“
Hoffentlich nicht.
Denn der Landeplatz der kurhessischen Metropole ist nicht nur Deutschlands neuester Flughafen. Er ist auch Deutschlands überflüssigster Airport.
„Ich halte das für ein Investitionsgrab und eine komplette Fehlinvestition“, schimpft Ralf Teckentrup, Chef der Fluglinie Condor und Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Fluggesellschaften. Der Chef eines deutschen Flughafens sekundiert: „Es gibt bei uns grenzwertige Airports, unnötige – und dann gibt es Kassel.“
20 Millionen jährliche Last
Denn fest steht schon vor der Eröffnung: Der „Wohlfühlairport“ (Eigenwerbung) in Deutschlands dünn besiedelter Mitte dürfte den Steuerzahlern des Landes Hessen (Anteil: 68 Prozent), aus Stadt und Landkreis Kassel (je 13 Prozent) sowie der Gemeinde Calden (sechs Prozent) dauerhaft auf der Tasche liegen. Bereits der Bau verschlang mit mehr als 270 Millionen Euro fast doppelt so viel wie ursprünglich geplant.
Und im laufenden Betrieb rechnen selbst die Betreiber zumindest bis zum Jahr 2020 mit Verlusten, die laut den Schätzungen neutraler Experten bis zu zehn Millionen Euro im Jahr betragen können. Aber selbst danach wären Gewinne ein Wunder.
Denn Kassel-Calden hat hohe Kosten. Allein die Abschreibung der Aufwendungen für den Bau auf die üblichen 25 Jahre sorgt für eine Belastung von gut elf Millionen Euro im Jahr. Dazu kommen weitere geschätzte rund zehn Millionen Euro Betriebskosten für Terminal, Lotsen oder Flughafenfeuerwehr.
Diese gut 20 Millionen Euro kann der Flughafen unmöglich auf die Landegebühren umschlagen. Denn bei optimistisch geschätzten 500.000 Passagieren, die von 2015 an pro Jahr in Kassel starten und landen sollen, wären das für eine Urlaubsreise inklusive Steuern und Gebühren gut 100 Euro pro Person. „Das kann keine Fluglinie zahlen, ohne Verlust zu machen“, sagt ein führender Manager der Reisebranche.
Gewinn durch Nebeneinahmen
Nach dem Vorbild anderer Airports wollen die Kassler das gewaltige Manko durch Nebeneinnahmen aus den Läden im Flughafen wettmachen und zugleich mit einer wachsenden Zahl an Reisenden die Gebühren auf immer mehr Passagiere umlegen. Doch bei beidem sieht es schlecht aus.
Kein natürlicher Verkehr
So befindet sich die ganze Airportbranche derzeit im Sinkflug. „In Deutschland macht nur ein halbes Dutzend der internationalen Verkehrsflughäfen Gewinn“, sagt Ralph Beisel, Chef des Flughafenverbands ADV. Als die hessische Regierung und die Stadtverwaltung Kassel den Airport vor gut zehn Jahren planten, bauten sie auf einen Boom im Regionalverkehr. Doch angesichts der unsicheren Konjunktur, steigender Kosten beim Sprit und Steuern wie der deutschen Luftverkehrsabgabe haben Lufthansa und Air Berlin Verluststrecken abseits großer Airports gestrichen.
Und ein Ersatz ist derzeit kaum in Sicht. Laut einer Studie der Hamburger Unternehmensberatung ProLogis haben seit 2008 in Europa bereits 65 Regionallinien Pleite gemacht. Dadurch verloren Regionalairports wie Paderborn oder Münster seit 2011 bis zu 40 Prozent der Passagiere und leiden unter wachsenden Verlusten. Der Flughafen im thüringischen Altenburg hat bereits die Tore geschlossen. „Es ist nicht Aufgabe einer Kommune, Fluggesellschaften zu helfen oder fremden Leuten billig Flüge zu ermöglichen“, sagt Altenburgs Oberbürgermeister Michael Wolf.
Das ausgedünnte Liniennetz hinterlässt schon jetzt in dem Kasseler Flugplan tiefe Spuren, ohne dass auch nur eine einzige Maschine an das Gate gerollt wäre. Um die geplanten gut 500.000 Passagiere im Jahr zu erreichen, wären 70 Flüge pro Woche nötig. Tatsächlich stehen im ersten Sommer nur elf Starts pro Woche fest im Programm. Und obwohl Aufsichtsratschef Schäfer den Bau vor allem mit Flügen für Geschäftsreisende begründete, führen sie ausschließlich in Urlaubsregionen wie Mallorca oder die Türkei.
Ein Flug, den der Reiseveranstalter Rewe Touristik ankündigte, wurde bereits zweimal abgesagt, weil die erste Airline Pleite machte und die nächste in der vorigen Woche einen Rückzieher machte. „Es gibt halt keinen natürlichen Verkehr“, kommentiert Condor-Chef Teckentrup die aussichtslose Lage in Nordhessen. „Also werden Flughafen und Politik jetzt wohl weiteres Geld ausgeben, um Fluggesellschaften nach Kassel zu locken.“
Schlechte Aussichten
Bei den Nebengeschäften sind die Hoffnungen für die Nordhessen sogar noch schlechter. Umsatzbeteiligungen an den Kaufläden und Imbissen oder Pachteinnahmen für Hangars, Lager und Büros sprudeln nur an Umsteigeflughäfen, wo viele Flugverbindungen weltweit tätige Unternehmen in die angrenzenden Gewerbeparks locken oder gelangweilte Umsteigepassagiere zum Geldausgeben animieren.
Gnade der späten Geburt
In Kassel hingegen dürften die Läden ähnlich leer bleiben wie im Flughafen in Leipzig, weil das Gros der Kunden aus der Region kommt und nicht zwischen Ankunft und Weiterflug hin und her flaniert. „Vor dem Flug in die Ferien kauft leider kaum einer ein“, weiß Markus Kopp, Chef der Mitteldeutschen Flughafen AG, die Leipzig und Dresden betreibt.
Kassel-Calden-Aufsichtsratschef Schäfer und das Management des Flughafens macht das jedoch nicht bang. „Ich bin sicher, dass wir profitabel werden“, sagt Geschäftsführerin Maria Muller.
Und wenn nicht, ist es offenbar auch nicht schlimm. Denn Flughafen-Chefin Muller sieht die originäre Aufgabe des tiefroten Airports darin, etwas für die Region zu tun – als „Spinnrad für die Wirtschaft“, wie sie sagt. „Keine Straße oder Autobahn schreiben eine schwarze Null, ein Bahnhof wirft auch keinen Gewinn ab, und das ist auch in Ordnung.“
Damit könnte der Flughafen am Ende länger leben als viele seiner Konkurrenten, die zwar operativ Geld verdienen, aber die Abschreibungen auf den Steuerzahler abwälzen. Zwar hält EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia solche Subventionen bei acht deutschen Flughäfen für „grundsätzlich nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar“. Auf gut Deutsch, die Airports gehören geschlossen.
Doch Almunia hat im Augenblick lediglich die deutschen Provinzflughäfen Hahn, Saarbrücken, Berlin-Schönefeld oder Dortmund im Visier, nicht aber den Neuling Kassel-Calden. „Es wäre schon eine echte Ironie, wenn Kassel als Defizitkönig zuerst uns gesünderen Airports mit Kampfpreisen den Verkehr stiehlt und dann dank der Gnade der späten Geburt noch um ein EU-Verfahren herumkäme“, sagt ein deutscher Airport-Manager.