Als Lehre aus der Germanwings-Katastrophe empfehlen Experten, die Anlaufstellen für Mitarbeiter mit psychischen Problemen bei den Fluggesellschaften zu stärken. Außerdem soll geprüft werden, wie die Kontrollen auf Medikamente, Drogen oder Alkohol intensiviert werden können, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) bei der Vorstellung des Zwischenberichts einer Arbeitsgruppe am Dienstag in Berlin. Der Sicherheitsmechanismus der Cockpittür soll demnach unverändert bleiben. Die Vorgabe, dass sich immer zwei Personen im Cockpit aufhalten müssen, wird vorerst beibehalten.
Bei dem Absturz am 24. März in den französischen Alpen kamen alle 150 Menschen an Bord ums Leben, darunter viele Deutsche. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft sperrte der Copilot seinen Kollegen aus dem Cockpit aus und brachte die Maschine absichtlich zum Absturz. Der 27-Jährige hatte nach Überzeugung der Ermittler psychische Probleme und Suizidgedanken. Eine Krankschreibung für den Absturztag hatte er vor seinem Arbeitgeber verheimlicht. Die vielen Mediziner, die er aufsuchte, behielten ihre Diagnosen wegen der ärztlichen Schweigepflicht für sich.
Die Arbeitsgruppe unter dem Dach des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) war kurz nach dem Unglück eingesetzt worden. Dobrindt betonte: „Wir haben die einhellige Einschätzung, dass die Sicherheitsstandards in der Luftfahrt bereits heute außerordentlich hoch sind.“ Handlungsbedarf sehen die Experten vor allem bei der Beurteilung der Flugtauglichkeit.
Alle Beteiligten müssten verstärkt für psychische Erkrankungen sensibilisiert werden, raten sie in ihrem Bericht. Anlaufstellen für Crewmitglieder, die psychische Probleme haben oder bei Kollegen feststellen, sollten EU-weit verbindlich vorgeschrieben werden.
Die Fakten zum Germanwings-Absturz
Der Airbus A320 ist am Dienstag um 10.01 Uhr mit 150 Menschen an Bord in Barcelona gestartet. Kurz nach dem Erreichen der regulären Reiseflughöhe von 38.000 Fuß (11,5 Kilometer) ging die Maschine ohne Hinweis an die französische Flugkontrolle oder ein Notsignal in einen schnellen Sinkflug über. Das Flugzeug zerschellte in den französischen Alpen. Die Maschine flog bis zum Aufprall, ohne dass es eine Explosion gab, wie die französische Untersuchungsbehörde BEA mitteilte.
An Bord der Maschine waren 150 Menschen, darunter nach jüngsten Informationen 72 Deutsche und 50 Spanier. Weitere Opfer stammen nach Angaben von Regierungen und Germanwings offenbar aus den USA, Großbritannien, Kasachstan, Argentinien, Australien, Kolumbien, Mexiko, Venezuela, Japan, den Niederlanden, Dänemark, Belgien und Israel.
Die Germanwings-Maschine verunglückte in den französischen Alpen nahe der kleinen Ortschaft Seyne-les-Alpes. Die Bergung der Wrackteile ist schwierig. Das Gelände an der Unglücksstelle ist zerklüftet und nur schwer zugänglich. Weil die Maschine mit hoher Geschwindigkeit auftraf, sind die Trümmerteile sehr klein und weit verstreut.
Die Bergung der Opfer wurde am 31. März abgeschlossen. Das Kriminalinstitut der französischen Gendarmerie erklärte, die eigentliche Identifizierung, also die Zuordnung zu den Vergleichsdaten der Angehörigen, könne zwei bis vier Monate dauern.
Die Ermittler haben bereits auswertbare Daten aus dem ersten Flugschreiber, dem Stimmrekorder, sichergestellt und ausgewertet. Laut der französischen Staatsanwaltschaft war zum Zeitpunkt des Absturzes nur der Co-Pilot im Cockpit. Der Stimmrekorder hat bis zuletzt Atemgeräusche im Cockpit aufgezeichnet, der Co-Pilot war also am Leben. In den letzten Minuten, bevor der A320 an einer Felswand zerschellte, zeichnete der Rekorder auf, wie der ausgesperrte Kapitän und die Crew von außen gegen die Cockpit-Tür hämmern. Die Ermittler gehen daher davon aus, dass der Co-Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz brachte.
Der zweite Flugschreiber, der detaillierte Flugdaten aufzeichnet, wurde bislang nicht gefunden.
Der Mittelstreckenflieger A320 hatte seinen Jungfernflug 1987 und wurde ein Jahr später erstmals von Airbus an Kunden ausgeliefert. Seither hat er sich in verschiedenen Varianten zum meistverkauften Passagierjet von Airbus entwickelt. Bis Ende Februar hatte der Hersteller von seiner absatzstärksten Modellfamilie knapp 6500 Maschinen an die Kunden überstellt.
Die Unglücksmaschine war seit mehr als 24 Jahren im Einsatz, verfügte laut Auskunft der Lufthansa jedoch über neueste Technik und habe alle Sicherheitsanforderungen erfüllt. Noch einen Tag vor der Katastrophe sei der Flieger einem Routinecheck unterzogen worden.
Der Kapitän des abgestürzten Flugzeugs galt als erfahren. Er hatte seit mehr als zehn Jahren für Germanwings und Lufthansa gearbeitet. Auf dem Modell Airbus hatte er mehr als 6000 Flugstunden absolviert.
Zu den Geschehnissen im Cockpit der Germanwings-Maschine sagte der Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „Es gab ein technisches Briefing zum weiteren Flugverlauf. Dann hat der Pilot dem Co-Piloten das Steuer überlassen.“ Zum Verlassen des Cockpits durch den Kapitän sagte Spohr: „Der Kollege (Pilot) hat vorbildlich gehandelt, er hat das Cockpit verlassen, als die Reiseflughöhe erreicht war.“
Der Co-Pilot der Unglücksmaschine war seit 2013 bei der Lufthansa-Tochter beschäftigt. Zuvor hatte er seit etlichen Jahren für den Konzern gearbeitet, auch als Flugbegleiter. Vor sechs Jahren gab es eine mehrmonatige Unterbrechung der Pilotenausbildung, danach wurde die Eignung des Mannes nach allen Standards überprüft. „Er war 100 Prozent flugtauglich. Ohne jede Auffälligkeit“, sagte Spohr.
Ermittler durchsuchten auf Bitte der französischen Justiz zwei Wohnungen des Co-Piloten. Dort wurde eine zerrissene Krankschreibung gefunden, die auch den Tag des Absturzes umfasste. Der 27-Jährige war vor mehreren Jahren - vor Erlangung des Pilotenscheines - über einen längeren Zeitraum wegen Depressionen und Selbstmordgefährdung in psychotherapeutischer Behandlung.
Quellen: dpa, reuters, sha, jre
Ob es bei Piloten künftig Zufallskontrollen auf Medikamente, Alkohol oder Drogen geben soll, ist noch offen. Wichtig wäre aus Sicht der Experten außerdem, dass Mediziner, Psychologen und Aufsichtsbehörden einen Überblick über die Krankengeschichte bekommen können. Derzeit gehen solche Daten nur pseudonymisiert - also verschlüsselt - an Behörden. Nun soll geprüft werden, ob Alternativen denkbar sind, ohne den Datenschutz oder die ärztliche Schweigepflicht zu verletzen.
Die Taskforce wird an diesen Punkten weiterarbeiten. Ihre Zwischenergebnisse sollen auch auf europäischer und internationaler Ebene beraten werden. Zur Pseudonymisierung wird im Ministerium eine Expertengruppe eingerichtet, zur Frage der Medikamenten- und Drogen-Kontrollen eine Kommission beim Luftfahrt-Bundesamt.