Es war Ende Juni, da fiel bei uns daheim das Internet aus. Seitdem hat der Sattler meine Ledertasche geflickt, der Installateur war da und hat die Gastherme in Schuss gebracht, die Tierärztin hat der Katze fünf Zähne gezogen. Der Autohändler hat uns einen Gebrauchtwagen verkauft, mit frischem TÜV und frischen Reifen.
All das haben in den vergangenen Wochen freundliche und fleißige Menschen für meine Freundin und mich erledigt. Nur Unitymedia hat es noch immer nicht geschafft, unseren Internet-Anschluss in Gang zu bringen. Wir haben Onlineforen durchstöbert auf der Suche nach Antworten, haben Ethernet-Kabel ausgetauscht und Router konfiguriert. Vier Wochen lang haben wir Gespräche mit der Kundenhotline geführt – viele Gespräche, erfolglose Gespräche, sinnlose Gespräche.
Wer mit dem Auto liegen bleibt, ruft den Pannendienst und der kommt vorbei und kümmert sich. Wer Probleme mit dem Internet hat, ruft das Call-Center an, und das kümmert sich darum, dass bloß keiner vorbeikommt. Denn das kostet. Lieber sollen wir Internet-Kunden uns selbst kümmern. Wir sollen wirren Anweisungen folgen oder „mal den Netzstecker ziehen“. Wir werden genötigt, Software-Updates aufzuspielen, Modems auszutauschen und uns kryptische Telefonansagen anzuhören.
Ja, bei Unitymedia, habe ich das Gefühl, sollen wir in der Hotline-Hölle schmoren, wir kleinen Sünderlein. Und dieses Fegefeuer hat seine ganz eigenen Naturgesetze.
Hotline-Gesetz Nr. 1: Wehre Deine Kunden ab
Die Nummer des Grauens lautet 0221/46619100, und sie anzurufen, kann man eigentlich nicht anders bezeichnen als eine fahrlässige Gefährdung der eigenen seelischen Gesundheit: Wer es zu oft hintereinander tut, kann bald in die Klapse.
Früher hatten wir beim Telefonanbieter einen Menschen am Apparat, dem haben wir unser Problem erzählt, und dann wusste der, an welchen Kollegen er uns weiterverbinden musste. Heute begrüßt uns eine Computerstimme, und wir sollen selbst herausfinden, was unser Problem und wer dafür zuständig ist, indem wir uns durch Labyrinthe aus Wörtern - im Fachjargon: Sprachmenüs - vorankämpfen.
„Haben Sie eine technische Störung oder wollen Sie den Kundenservice sprechen? Für Horizon wählen Sie eins, für HD-TV zwei, für die Fritzbox drei, für den Wlan-Router vier.“ Ich wählte vier. Die Computerfrau sagte, zu diesem Thema gebe es Informationen im Internet und ich solle jetzt auflegen.
An der Kundenbindung scheint Unity Media wenig zu liegen
Da ist mir klar geworden: Die Unitymedia-Hotline anzurufen ist wie ein Gespräch mit der Sphinx von Theben - erst gibt sie dir Rätsel auf, dann gibst du eine falsche Antwort, und sie erwürgt dich und verschlingt dich. Wobei die Sphinx immer noch die Höflichkeit besaß, ihr Gegenüber nicht mit Fragen über seine Herkunft zu nerven. Bevor ich bei Unitymedia dagegen einem Kundenberater auch nur Hallo sagen darf, muss ich mich ausweisen. Nicht mit meinem Namen – der interessiert hier niemanden - sondern mit der Kundennummer.
Meine Kundennummer steht auf der Telefonrechnung. Die Telefonrechnung bekomme ich nicht per Post, ich bekomme sie als Datei. Die Datei muss ich auf einem Portal im Internet abrufen. Um in das Portal mit der Datei mit der Kundenummer zu gelangen, brauche ich ein Passwort. Das Passwort habe ich aber vergessen. Um jetzt ein neues Passwort zu erstellen, brauche ich meine Kundennummer. Die ich nicht habe.
Bald hatte ich das Gefühl, und das mochte jetzt nur mein Gefühl sein, Unitymedia baute Schikanen in seine Hotline ein, um sich lästige Kunden vom Hals zu halten. Lang genug am Telefon bleiben, stellte ich aber bald fest, hilft auch. Dann nehmen sie dich irgendwann auch ohne Kundenummer ran.
Hotline-Gesetz Nr. 2: Vermeide die Bindung zu Deinem Kunden
„Trennen Sie das Modem vom Stromnetz“, sagte die Kundenbetreuerin, als meine Freundin Anfang Juli das erste Mal bei der Unitymedia-Hotline anrief, weil unser Internet nicht funktionierte. Gesagt, getan. Nur war damit auch die Leitung getrennt und das Telefongespräch beendet.
Diese Trennung auf Ansage war, wie sich herausstellte, symptomatisch. Denn an einer Bindung zum Kunden scheint Unitymedia wenig zu liegen: Bei jedem Anruf bei der Hotline hatten wir einen anderen Kundenberater am Apparat. Ich weiß nicht, wie viele hundert Mitarbeiter Unitymedia in seinem Call-Center beschäftigt, aber bald hatten wir das Gefühl, mit einem Großteil von ihnen schon einmal gesprochen zu haben. Und jedem durften wir alles von vorne erklären: Welche Störung unser Anschluss hatte. Was wir alles unternommen hatten, um sie zu beheben. Und was die zahlreichen Kollegen in den Gesprächen zuvor zu unternehmen versprochen hatten, ohne es am Ende zu tun.
Die Antworten waren immer die gleichen: Da sei ein „Ticket“ offen, sagte der Call-Center-Agent, was bedeute, dass ein Techniker sich um den Fall kümmere. Was genau der Techniker tat, könne er aber nicht sagen. Das könne er nicht auf seinem Bildschirm sehen, weil das Ticket noch offen sei. In den Bildschirmen der Menschen bei Unitymedia muss es Dinge geben, die so aussehen wie die unmöglichen Figuren in den Bildern von M.C. Escher: Alle Seiten sind miteinander verbunden, nur kein Anfang ist in Sicht und erst Recht kein Ende.
Aus der Hölle ist so schnell kein Entkommen
Geduld, Geduld, sagten uns immer wieder die Kundenberater, das werde schon. In zwei, drei Tagen werde das Internet laufen. Und wenn es so weit sei, bekäme ich eine SMS aufs Handy. Aber die SMS kam nie. Und langsam wünschte ich mir, ein Mensch mit Ahnung würde endlich zu uns kommen und den Kabelsalat fachgerecht sezieren.
Hotline-Gesetz Nr. 3: Das beste Gespräch ist das Verkaufsgespräch
So ein Helfer war am Anfang immerhin einmal bei uns gewesen: Nach den ersten Telefonaten kam eines schönen Vormittags Mesut Özil bei uns vorbei. Der Name stand jedenfalls auf dem Trikot, das der Service-Mitarbeiter trug, der müde die Treppe zu unserer Wohnung hinauf schlurfte. Es war der Tag nach dem WM-Finale und Mesut Özil wirkte noch etwas angeschlagen.
Das mag nicht verwundern nach einem derart harten 120-Minuten-Spiel. Doch leider mussten wir bald feststellen, dass auch unsere Internet-Auszeit in die Verlängerung gehen sollte. Ein paar Minuten lang prüfte der offensive Mittelfeldspieler mit wenigen Handgriffen das Antennenkabel, klinkte ein merkwürdiges Messgerät in die Kabelbuchse ein und zog dann ohne weiteren Federlesens die rote Karte: Unser WLAN-Router sei kaputt.
Ich hätte länger darüber nachdenken sollen. Stattdessen nahm ich die Diagnose zum Anlass, unseren Vertrag bei Unitymedia aufzufrischen. Keine 15 Minuten sprach ich mit der Verkäuferin am Telefon, da hatte ich schon einen neuen Vertrag mit schnellerem Internet, schärferem Fernsehen und „mobilem Datenvolumen“ – Mindestvertragslaufzeit: Zwei Jahre. Zwei Tage später erhielten wir ein Paket. Ein Anschreiben fehlte, auch ein schriftlicher Vertrag, auch die versprochene Mobilfunkkarte. Zumindest war ein neues Modem in der Kiste, dazu noch ein WLAN-Router und eine Settop-Box fürs Digitalfernsehen, die „Horizon“ hieß.
Mein geistiger Horizont allerdings schien nicht weit genug zu sein, um die Geräte anhand der spärlichen Bedienungsanleitungen ans Laufen zu kriegen. Knapp drei Stunden lang fummelte ich an Kabeln herum, konfigurierte den Router, schaltete Modem und Router an und aus. Nichts half, weder das Internet funktionierte noch das Telefon. Und bald dämmerte es mir: Um bei Unitymedia Kunde zu werden, reicht ein kurzer Anruf. Um aber bei Unitymedia Hilfe zu bekommen, wenn etwas nicht klappt, reichen auch 30 Anrufe nicht. Aus der Hölle ist so schnell kein Entkommen.
Hotline-Gesetz Nr. 4: Lasse den Kunden für Dich arbeiten
Ach so, sagte der Herr an der Hotline nach einer Weile, das neue Modem sei ja noch gar nicht aktiviert. Das geschehe aus der Ferne, über das Kabel, das habe er jetzt in Gang gesetzt, und dann müsse ich nur warten, ja und wie lange das dauere, könne er nicht genau sagen, zwischen einer halben Stunde und einem Tag, davon solle ich mal ausgehen.
Stunden später blinkten alle Lämpchen am Modem grün. In der Regel ein gutes Zeichen. Doch im Browser erschien nicht wiwo.de – sondern entweder immer nur das Befehls-Menü des Wlan-Routers oder jene grammatikalisch fragwürdige Nachricht, die jeder Internet-Nutzer liebt wie 1000 Phishing-Mails: „Verbindung zum Internet konnte nicht hergestellt werden“.
Beschwerde einlegen möglich
Meinen ersten Internet-Anschluss bekam ich 1998. Damals gab es noch keine Flatrates, jede Minute, die ich online war, kostete Geld, und ich musste mich an- und wieder abmelden. Heute ist es viel einfacher geworden, im Internet zu surfen, online bin ich praktisch rund um die Uhr. Nur einen Internet-Anschluss erst einmal ans Laufen zu bekommen, das scheint über die Jahre schwerer geworden zu sein.
Jedenfalls war in der Hotline-Hölle niemand bereit, erneut einen Techniker vorbeizuschicken. Ein Ortsbesuch sei erst möglich, wenn die Fernwartung abgeschlossen sei, sagte ein Hotliner. Außerdem, fügte er nicht ohne Bedauern hinzu, seien die Wartungsmitarbeiter externe Dienstleister, und da gebe es durchaus welche, die ihren Job nicht gerade mit Liebe erledigten. Wenn so einer zu uns käme, könne ich ja Beschwerde einlegen.
Ich will mich aber nicht beschweren. Ich will Internet. Also weiter selbst rumfummeln an Kabeln, Modem und Router. Wobei der Router, wie sich bei irgendeinem weiteren Telefonat zufällig herausstellte, gar nicht nötig war, denn, sagte der Mitarbeiter, WLAN sei schon im Modem drin. Auch ihm blieb es ein Rätsel, warum uns Unitymedia für 30 Euro den weißen kleinen Kasten geschickt hatte. Überhaupt wurde es immer bunter. Per Zufall fanden wir heraus, warum das Telefon seit Tagen nicht lief. Wir hatten es am Modem in Buchse zwei eingeklinkt, eine von zwei identisch aussehenden Buchsen. Das aber, sagte uns ein Call-Center-Mitarbeiter, sei falsch. Buchse eins müsse es schon sein.
Irgendwie stellte sich auch heraus, warum sich die Box fürs Digitalfernsehen nicht einrichten ließ. Dazu bräuchten wir einen Splitter am Kabelanschluss, sagte bei einem unserer letzten Anrufe ein Mann von der Hotline - ob wir den nicht hätten? Hatten wir nicht, hatten wir nie von gehört, hatte man uns nicht geschickt.
Ich finde nicht, sagte ich schließlich an einem Nachmittag zu einem Kundenmitarbeiter, dass ich Gebühr für einen Dienst zahlen soll, den ich nicht erhalte. Immerhin erstattete er uns daraufhin 25 Euro Grundgebühr – und 30 Euro für den WLAN-Router, den wir ja ohnehin nicht brauchen. Und die fehlende Sim-Karte? Ach ja, die hätten die Kollegen vergessen, zu versenden, die gehe gleich nächsten Montag ist die Post.
Ende Juli, wir glaubten es kaum, hatten wir zwischendurch kurzzeitig eine Internet-Verbindung. Nicht auf allen Rechnern, nicht auf dem Handy, eigentlich nur auf meinem iMac - aber immerhin. Es war ein Gefühl wie damals, als ich mein erstes Modem anschloss und plötzlich mit der weiten Welt verbunden war.
Allerdings war die Verbindung nicht 100 MBit schnell, wie im Verkaufsgespräch versprochen, sondern fünf, zehn, höchstens 30 MBit. Ja, mit WLAN sei das doch normal, sagte uns ein Hotline-Mitarbeiter, schneller gehe es nur per Kabel-Verbindung. Wenn das so ist, liebe Leute von Unitymedia - warum habt Ihr uns den schnelleren Vertrag verkauft, inklusive Wlan-Router?
Ich hatte schon einen Internet-Anschluss bei Unitymedia, da hieß Unitymedia noch Ish. Immer wieder habe ich meinen Vertrag verlängert, und wenn ich umgezogen bin, habe ich habe das schwarze Kabelmodem in eine Umzugskiste gepackt und in mein neues Leben mitgenommen. Die nächste Reise aber tritt das Modem alleine an, und zwar zurück nach Bochum. Denn bei Unitymedia habe ich jetzt gekündigt.