Irgendwann wurde es Karl Maria Kinsky buchstäblich zu bunt. Irgendwann, erzählt der Berliner Gastronom, stand nicht nur ein Kurier eines Online-Lieferdienstes in seinem Restaurant „Black Cat“. Es waren gleichzeitig zwei, drei, gar vier bis fünf Fahrer der Anbieter Foodora und Deliveroo, die sich in seinem Lokal tummelten: Die einen gekleidet in knallig pinken T-Shirts, die anderen in mintgrüner Montur, auf dem Rücken jeweils klobige, pinke oder mintgrüne Rucksäcke.
Viele Restaurant-Besucher, erzählt Kinsky, empfanden die herumstrolchenden Fahrer als störend. „Die Gäste wollten ja in Ruhe essen.“ Der Berliner Gastronom musste etwas unternehmen.
Die Kuriere-Geschichte aus dem „Black Cat“ ist ein Symptom für das, was sich gerade in der ganzen Republik ereignet: Online-Lieferdienste rollen die deutsche Restaurant-Szene auf. Deliveroo und Foodora, indem sie die Speisen mit eigenen Fahrern ausliefern. Die beiden anderen Player, Lieferheld und Lieferando, indem sie Bestellungen im Netz an Restaurants vermitteln, die bereits eigene Kuriere beschäftigen.
Mit Verve werfen sich die Unternehmen in den Straßenkampf. Der Markt für Online-Lieferdienst, er ist milliardenschwer – und alle Firmen wollen einen möglichst großen Happen davon abhaben. Zu den Unersättlichen zählt etwa Niklas Östberg, Chef der Foodora-Mutter Delivery Hero, der in der aktuellen Ausgabe der WirtschaftsWoche ankündigt, das Unternehmen bis Ende des Jahres profitabel machen zu wollen.
Am 30. September ging zudem die Muttergesellschaft von Lieferando an die Börse, die niederländische Takeaway-Gruppe. Sie will mit frischem Kapital ihren Expansionshunger stillen. Schon entbrennt in der Gastronomie eine Diskussion darüber, was beim großen Fressen der pinken und mintgrünen Invasoren eigentlich für die Restaurants übrigbleibt – und wie sich das Problem mit den wartenden Fahrern lösen lässt.
Einer, der eifrig mitdiskutiert, ist Black-Cat-Inhaber Kinsky. Mit seinem Restaurant ist der Österreicher mit Vollbart mittlerweile zum Szene-Gastronomen geworden, mitten im noch szenigeren Berliner Kiez Prenzlauer Berg. Kinsky serviert in seinem Lokal etwa Spareribs in selbst gemachter Barbecue-Marinade, Krautsalat mit veganer Mayonnaise und Hüfte vom irischen Weidevieh mit Meerrettich.
Die Gäste speisen neben mit Kunst verzierten Wänden, Kinsky hat etwa lebensgroße Engel aus einem ehemaligen besetzen Haus aufgehängt, sozusagen sein ganz eigenes Corporate Design, das durch die kreischend bunten Fahrer indes empfindlich gestört wurde.
Der Berliner Gastronom dachte eine Weile nach, bevor er eine Lösung für das Kurier-Problem fand: Er hat ihnen einen extra Warteraum geschaffen. Das klingt zunächst nach viel, vielleicht zu viel Aufwand für ein einziges Restaurant. Aber für Kinsky war es ein ganz logischer Schritt. Sein Restaurant läuft auch wegen der Kuriere so gut.
Pizza.de verdreifachte die Provision
Der Gastronom konnte seinen Umsatz nach eigenen Angaben um mehr als die Hälfte steigern, seit er mit den Lieferdiensten kooperiert. Drei neue Mitarbeiter musste er einstellen. „Sonst hätten wir die Nachfrage gar nicht mehr bewältigen können“, erzählt er. Die Online-Bestellungen wirken sich sogar positiv auf sein klassisches Geschäft aus, denn immer wieder kommen Gäste ins „Black Cat“, die erst im Internet von dem Lokal erfahren haben. Es ist eine Win-win-win-Situation: für die Kunden, für den Gastronomen – und für die Essens-Logistiker selbst, die an den Liefer-Provisionen verdienen.
Das Problem ist: Diese Win-win-win-Situation ist nur eine Momentaufnahme, aus der bald schon eine Win-win-lose-Situation werden könnte. Und die Loser, das könnten die Gastronomen sein. Was ihnen droht, zeigt die David-gegen-Goliath-Geschichte von Thomas Wilde.
Wilde ist Inhaber der Berliner Franchise-Kette „Call a Pizza“. Mehr als 100 Filialen tragen den Namen, deutschlandweit liefern unternehmenseigene Fahrer das Essen an die Kunden aus. Wilde arbeitete lange Zeit mit der Plattform Pizza.de zusammen, die wie Lieferheld und Foodora heute Teil des Delivery-Hero-Imperiums ist. Doch als Pizza.de die Provision erhöhte, reichte es Wilde. Er sollte statt 36 Cent pro Auftrag plötzlich mehr als einen Euro zahlen. „Das war eine unverschämte Forderung“, findet Wilde.
Seinen Franchise-Nehmern, so rechnet er vor, wäre dadurch die Hälfte ihres Einkommens weggebrochen. Statt beispielsweise 6000 Euro im Monat wären einem selbstständigen Pizza-Bäcker nur noch 3000 Euro geblieben.
„Ich kann meinen Leuten nicht erklären, warum sie für ein so vergleichsweise niedriges Gehalt überhaupt noch unternehmerische Risiken eingehen sollen“, sagt Wilde. Er verließ pizza.de und wechselte zur Konkurrenz von Lieferando, weil das Unternehmen eine niedrigere Provision verlangt. Ein Happy End – das es in einigen Jahren so womöglich nicht mehr geben wird.
Es ist das Wesen des Internets, dass nicht wie in der analogen Vergangenheit mehrere Anbieter koexistieren – sondern meist ein Unternehmen übrig bleibt, das fast den gesamten Markt beherrscht und die Gewinne abschöpft. Es gibt heute nur noch eine relevante Auktionsplattform im Netz: Ebay. Amazon dominiert den E-Commerce, Google den Suchmaschinen-Markt.
Auch bei den Essens-Logistikern könnte einer nach dem anderen aufgeben, bis sich ein Unternehmen durchsetzt. „Hat erst mal ein Online-Lieferdienst wesentlich mehr Restaurants als die anderen im Angebot, werden immer mehr Kunden zu dieser Plattform wechseln. Mehr und mehr Lokale werden folgen, weil sie auf dieser einen Plattform mehr Nutzer erreichen können“, sagt Jochen Pinsker, Gastro-Experte des deutschen Ablegers des US-amerikanischen Marktforschungsinstituts npdgroup. In der digitalen Ökonomie zählt vor allem Größe.
Hin zur eigenen Online-Plattform
Im selben Maße, wie die Umsätze und Gewinne des übriggebliebenen Lieferdienstes steigen, fallen die Einnahmen der Gastronomen – weil sie diesem einem Unternehmen letztlich ausgeliefert sind. Denn Restaurants verlieren mit den Online-Lieferdiensten eine Stellung, die sie im analogen Zeitalter innehatten: Sie waren quasi eine Art örtlicher Monopolist.
Wer am Sonntagabend Essen gehen wollte, der wollte nicht erst noch eine halbe Stunden unterwegs sein. Je nach Vorliebe gingen die Hungrigen mal flott zum Inder, Italiener oder Chinesen um die Ecke – obwohl es beim Inder, Italiener oder Chinesen einen Stadtteil entfernt noch einen Ticken besser schmeckte. Die Menschen, sie waren auch schon im Vor-Internet-Zeitalter bequem. Oder wie es im Unternehmens-Berater-Deutsch heißt: convenient.
Jetzt zerbröckelt dieses Monopol, weil Kuriere die Distanzen für die Kunden zurücklegen – und anderthalb Kilometer mehr oder weniger für die Fahrer keine allzu große Rolle spielen. Statt der Nähe zum Kunden entscheidet über die Einnahmen eines Restaurants künftig vor allem, wie weit oben es auf der Webseite des Online-Dienstes steht – und eine gute Position werden die Restaurant-Betreiber bezahlen müssen. Immer höher könnten die Provisionen steigen, wenn die Nachfrage immer größer wird. Gastronomen droht eine unfreiwillige Diät auf Raten.
Acht Superfoods - und was sie können
Das ist es: Die Quinoa-Pflanze gedeiht im Hochland der Anden. Dort sind die Körner des Fuchsschwanzgewäches eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel der Menschen. Der Gehalt an Eiweiß und einigen Mineralien übertrifft den gängiger Getreidearten. Dafür enthalten Quinoa-Körner kein Vitamin A oder C.
Superfood-Faktor: Das gerne als "Reis der Inkas" bezeichnete Pseudogetreide ist vielfältig. Die mineralstoffreichen Blätter kommen in den Anden als Gemüse oder Salat auf den Tisch, die senfkorngroßen Nussfrüchte werden gekocht. Besonders wertvoll sind das hochwertige Eiweiß und die ungesättigten Fettsäuren. Quinoa ist vor allem für Menschen mit Glutenunverträglichkeit eine gute Alternative zu anderen Getreidesorten.
Quellen: aid infodienst e.V., eigene Recherchen
Das ist es: Weizengras ist nichts anderes als die jungen Weizensprossen, die einige Tage nach der Aussaat geerntet werden. Es enthält vor allem Vitamin C, E, K, einige Mineralstoffe und ist reich an Eiweiß und Chlorophyll. Weizengras wird meistens als Pulver verkauft und dann mit Wasser vermischt. Es schmeckt: speziell.
Superfood-Faktor: Oft ist über Weizengras zu lesen, dass es 60-mal mehr Vitamin C als Orangen, 50-mal mehr Vitamin E als Spinat und 30-mal mehr Vitamin B1 als Kuhmilch enthalte. Das ist nicht falsch, aber vor allem ein cleverer Werbetrick. Denn die Angaben beziehen sich auf 100 Gramm Weizengras - von dem ausgepresst nur ein Bruchteil als Saft übrig bleibt. Um die Nährwerte zu erreichen müsste man also 100 Gramm Saft trinken. Doch wer den einmal pur probiert hat, weiß: 100 Gramm bekommt keiner herunter.
Das ist es: Açai-Beeren sind die Früchte der Kohlpalme aus dem Amazonasgebiet. In voller Reife sind die blaubeergroßen Beeren tiefschwarz. Sie sind reich an pflanzlichen Proteinen, Antioxidantien, Kalzium und Vitaminen.
Superfood-Faktor: Die Açai-Beere ist ein hochwertiges Lebensmittel. Ihre verjüngende und entschlackende Wirkung dagegen ist ein Gerücht - hierfür fehlt der wissenschaftliche Beweis. Wer im Sommer in den Garten geht und Heidelbeeren, Sauerkirschen oder schwarze Johannisbeeren nascht, verspeist die gleichen Inhaltsstoffe.
Das ist es: Chia-Samen sind schwarze oder graue Körner der Salbeipflanze. Sie machten angeblich schon die Inka satt. Die Samen enthalten fünfmal so viel Kalzium wie Milch, liefern Antioxidantien, Omega-3-Fettsäuren und reichlich pflanzliche Proteine.
Superfood-Faktor: Oft wird behauptet, die mittelamerikanischen Samen machten schlank. Der wissenschaftliche Beweis dafür aber fehlt. Trotzdem sind die Inhaltsstoffe interessant. Wegen des hohen Gehalts an Ballaststoffen gelten die Samen als Sattmacher. Heimische Leinsamen haben dieselbe Wirkung, sind aber deutlich günstiger.
Das ist es: Chlorella ist die Bezeichnung für Mikroalgen, die auch in Süßwasser wachsen. Sie liefern Vitamin B12, mehrere Mineralstoffe und viel Eiweiß.
Superfood-Faktor: Für Veganer können die Algen ein wichtiger Vitamin B12-Lieferant sein. Der Gehalt der Mikronährstoffe hängt allerdings stark von der Wasserqualität ab, in dem die Algen gezüchtet werden. Zudem gibt es Chlorella fast ausschließlich in Tabletten- oder Pulverform zu kaufen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung stuft als bedenklich ein, dass die Algen unerwünschte Stoffe wie Pestizide, Fungizide und Schwermetalle im Körper an sich binden.
Das ist es: Als Kakao-Nibs werden die getrockneten Stücke der Kakaobohne verkauft. Sie enthalten 54 Prozent Fett, Eiweiß, Mineralstoffe und 300 weitere Inhaltsstoffe. Dazu jede Menge aromagebende Substanzen.
Superfood-Faktor: Kakao liefert viel Polyphenole, die unter anderem Entzündungen und Krebs vorbeugen. Ein anderes Verkaufsargument ist, dass der Kalziumgehalt der Bohnen höher sei als der von Milch. Das stimmt. Allerdings ist ein Glas Milch schneller getrunken als ein Haufen Kakaobohnen gegessen. Auch eine Banane hätte einen ähnlichen Effekt.
Das ist es: Goji Beeren sind nichts anderes als die Früchte des Gemeinen Bocksdorns. Den gibt es schon ziemlich lange - aber Goji-Beeren klingt eben spannender. Die Früchte enthalten einige Vitamine, vor allem Vitamin C. Sie werden frisch, als Saft oder Trockenfrucht angeboten.
Superfood-Faktor: Getrocknete Goji-Beeren werden oft als Anti-Aging-Sensation verkauft. Laut der europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA gibt es dafür aber kaum Belege. Auch der vermeintlich hohe Vitamin C-Gehalt relativiert sich bei näherer Hinsicht: Schwarze Johannisbeeren oder ein Apfel sind genauso gesund.
Das ist es: Vor allem im Norden Deutschlands ist Grünkohl beliebt. Er ist kalorienarm und liefert viele Vitamine und Mineralstoffe. Schon mit einer Portion lässt sich etwa der Tagesbedarf an Vitamin C decken. Auch Folsäure, Calcium, Kalium und Magnesium liefert Grünkohl reichlich.
Superfood-Faktor: Der Grünkohl ist, wie jeder andere Kohl auch, ein wahres Supergemüse. Neben den genannten Inhaltsstoffen liefert er sekundäre Pflanzenstoffe. Die entzündungshemmenden und krebsrisikosenkenden Effekte des Grünkohls sind wissenschaftlich belegt.
Auf den ersten Blick bliebe Gastronomen in diesem Szenario nur eine Radikal-Option: Sie könnten sich wieder von der Plattform abmelden – aber so einfach wird das nicht. Wenn das Online-Geschäft immer weiter wächst und Lokale erst mal einen größeren Teil ihres Umsatzes damit erzielen, müssten sie ihren Abgang mit einem deutlichen Minus bezahlen. Fraglich, ob sich das viele Gastronomen erlauben können.
Call-a-Pizza-Inhaber Thomas Wilde feilt unterdessen an seiner ganz eigenen Online-Strategie: Er will sich jetzt schon, sobald es eben geht, von den Lieferdiensten lossagen. Die Kunden sollen künftig nur noch über die unternehmenseigene Webseite bestellen können. Es ist eine Wette darauf, dass die eigene Marke stark genug ist, um gegen die immer aggressiver werdende Online-Konkurrenz zu bestehen.
Wilde haben zwei Beobachtungen zu diesem Schritt ermutigt: Die Bestellungen über den Online-Caterer Lieferando würden derzeit stagnieren, während über seine eigene Homepage immer mehr Aufträge hineinkämen. Hat Wilde tatsächlich Erfolg mit seiner Strategie, kann er in einigen Jahren die nächste David-gegen-Goliath-Geschichte erzählen.