Streckenstreichungen, kranke Piloten, ausgefallene Flüge, wütende Passagiere – und dann das: In eine Reihe von Hiobsbotschaften für Air Berlin platzt die Nachricht, dass es offenbar mindestens einen Interessenten mehr für die insolvente Fluglinie gibt als bislang angenommen.
Gegenüber WirtschaftsWoche Online bestätigten unternehmensnahe Kreise, dass bereits vor mehreren Tagen ein „Letter of Intent“ des chinesischen Unternehmens LinkGlobal bei Air Berlin eingegangen ist.
Ein offizielles Angebot lag bis zum Mittwochmittag aber noch nicht vor. Zuvor hatte die Bild über die Absichtserklärung berichtet.
Überraschend ist nicht, dass sich kurz vor Ende der Bieterfrist noch neue Interessenten melden. Es ist der Kopf hinter der Offerte: LinkGlobal - Chef Jonathan Pang ist in der deutschen Luftfahrtindustrie schließlich kein Unbekannter.
Parchim soll China und Europa verbinden
2007 übernahm der Chinese den Flughafen Parchim in Mecklenburg-Vorpommern. Aus dem bereits damals jahrelang brachliegenden Militärflughafen mitten in der Provinz, so träumte Pang, soll ein Drehkreuz für den internationalen Flugfrachtverkehr aufgebaut werden. "Parchim International Airport" liegt direkt an der Autobahn A24, welche Hamburg und Berlin verbindet. Der Flughafen liegt nur rund 120 beziehungsweise160 Kilometer von beiden Städten entfernt.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
In den folgenden Jahren wurden die Träume größer. Von Parchim aus sollen in Zukunft täglich 3000 chinesische und arabische Touristen ihre Deutschland- und Europareisen starten, hieß es bald. Und dann: Ein 200-Betten-Hotel werde entstehen und eine Luxusmall, der "größte Duty-free-Center der Welt". "Es gibt eine Passage mit Läden von Gucci, Prada, Armani. Dieser Flughafen wird den Berliner Flughafen ersetzen", sagte Pang selbst in einer Reportage über den Flughafen. Chinesen lieben doch europäische Luxusmarken, Parchim soll sie alle bieten.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Absichtserklärung für ein Air-Berlin-Angebot zu sehen: Offenbar soll der Flughafen so gestärkt werden. "Wir glauben, dass wir eine Win-Win-Situation für Air Berlin und den Flughafen Parchim schaffen können, wenn wir die Basis der Fluggesellschaft auf unseren Flughafen in Parchim verlegen können", schreibt Pang in dem Brief, den die Bild auf ihrer Internetseite veröffentlichte.
Wie genau die Pläne des Chinesen allerdings aussehen, ist allerdings nicht klar. Pang war zunächst für keine Stellungnahme zu erreichen, sein Anwalt Helmut Naujoks lehnte einen Kommentar ab. Air Berlin und ein Sprecher von Sachwalter Lucas Flöther äußern sich nicht. Und auch am Flughafen Parchim selbst möchte man zu den Vorgängen lieber nicht Stellung nehmen.
Anrufe im Rathaus der 18.000-Einwohner-Stadt. "Grundsätzlich sind wir natürlich aus wirtschaftlicher Sicht an der Fertigstellung des Flughafens interessiert", heißt es offiziell vom Pressesprecher. Die Sache sei aber "die Angelegenheit von Herr Pang."
Hinter vorgehaltener Hand räumen Stadt-Mitarbeiter ein, dass auch die Oberen im Rathaus erst aus der Zeitung von den Air-Berlin-Plänen erfahren hätten – und ziemlich überrascht sind.
Denn während die Träume über ein Jahrzehnt gediehen, blieb es auf dem Rollfeld seltsam leer. Zurzeit heben vor allem einige leere Übungsflüge von Fluggesellschaften wie Air Berlin oder Lufthansa ab. Passagierverkehr gibt es nicht. Im April beschäftigte der Flughafen gerade einmal etwa 25 Mitarbeiter.
Parchim wartet auf Neuigkeiten
Die Menschen in der Region warten bislang vergebens auf den Start des Flugbetriebs. Auch wie es mit der geplanten Mall aussieht, ist unklar: "Die Pläne stehen, wann genau das alles umgesetzt wird, ist aber noch unklar", sagt der Stadt-Sprecher. Ein Ort an dem China Europa trifft, ist Parchim beileibe nicht.
Kein Wunder, dass den Parchimern langsam der Geduldsfaden reißt und sie Versprechungen nicht mehr trauen. Zehn Jahre nach dem Einstieg des chinesischen Investors Jonathan Pang und des Logistikunternehmens Link Global in den Provinzflughafen „ist unterm Strich von den Investitionen nicht viel umgesetzt“, wetterte Wolfgang Waldmüller vom regionalen Unternehmerverband bereits im August in der Lokalpresse. Die von Pang geschürten Erwartungen „haben sich nicht erfüllt“.