Lokführer-Streik Es droht der härteste Arbeitskampf aller Zeiten

Die Bundesregierung verabschiedet das Tarifeinheitsgesetz, um die Macht der Kleingewerkschaften einzuschränken. Doch im Fall der Lokführer wirkt das Gesetz wie ein Streik-Verstärker.

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Die Logos der Deutsche Bahn AG und der Gewerkschaft der Lokführer (GDL). Quelle: dpa

Der Deutsche Beamtenbund (DBB) droht der Deutschen Bahn mit „einem der schlimmsten Arbeitskämpfe aller Zeiten“. Die Bahn müsse der Lokführergewerkschaft GDL bis zum Mittwoch kommender Woche ein Angebot "ohne Vorbedingungen" unterbreiten, sagte der Zweite DBB-Vorsitzende Willi Russ der "Süddeutschen Zeitung" vom Freitag. "Im Vergleich zu dem, was uns dann bei der Bahn bevorstehen wird, war alles Bisherige nur Kinderkram." Der DBB ist der Dachverband der GDL, er unterstützt die Lokführergewerkschaft.

Die Bahn muss die Drohung ernst nehmen – trotz oder gerade wegen des Tarifeinheitsgesetzes, das die Bundesregierung gestern im Kabinett verabschiedet hat. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will mit dem Gesetz zwar die Macht der Kleingewerkschaften einschränken und verhindern, dass einzelnen Berufsgruppen ein ganzes Land lahmlegen können. Doch genau das könnte jetzt passieren.

"Ein ganzes Land in Geiselhaft"
Bundeskanzlerin Angela Merkel empfiehlt ein Schlichtungsverfahren zur Beendigung des Tarifkonflikts. "Es gibt auch die Möglichkeit der Schlichtung, wenn beide Partner zustimmen", sagte die Kanzlerin am Mittwoch in Berlin. Dies hatte die Deutsche Bahn zuvor angeboten. "Ich kann nur an das Verantwortungsbewusstsein appellieren, hier Lösungen zu finden, die für uns als Land einen möglichst geringen Schaden haben - bei aller Wahrung des Rechts auf Streik." Streiks seien eine Möglichkeit der tariflichen Auseinandersetzung, sie müssten aber verhältnismäßig sein, sagte Merkel weiter. Ob dies der Fall sei, darüber könne letztlich nur ein Gericht entscheiden. "Aber es gibt eine Gesamtverantwortung", mahnte Merkel. Gerade im Bereich der Daseinsvorsorge wie dem Verkehr, wo Millionen Bürgern betroffen seien und es um die Zukunft der Wirtschaft gehe, sei von allen Beteiligten ein hohes Maß an Verantwortung notwendig. Quelle: REUTERS
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Bahn dazu aufgerufen, notfalls vor Gericht zu ziehen. Der Streik sei unverhältnismäßig und überstrapaziere die Akzeptanz der Bevölkerung in Tarifauseinandersetzungen, sagte Dobrindt am Mittwoch. "Und deswegen muss man, wenn es jetzt nicht zu einer Schlichtung kommt, die Rechtsposition der Bahn wahrnehmen und muss alle Rechtsmittel nutzen." Wenn die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben sei, könne dies auch vor Gericht geklärt werden, fügte der CSU-Politiker hinzu. In einem Tarifkonflikt müsse in besonderer Weise auf die Auswirkungen auf Dritte Rücksicht genommen werden. Dobrindt schloss nicht aus, dass die von der Bahn ins Spiel gebrachte Vermittlung durch zwei unabhängige Schlichter zustande kommen könne. Er halte dies für ein "seriöses Angebot", durch das es möglich sei, zu einem Ergebnis zu kommen. Er stehe in direkten Gesprächen mit dem Staatskonzern, fügte der Minister hinzu. Quelle: REUTERS
SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die GDL ungewöhnlich scharf attackiert und einen Schlichter zur Beilegung des Konflikts gefordert. Er warf der GDL Missbrauch des Streikrechts vor. "Das Streikrecht wurde in den letzten 65 Jahren in Deutschland von den DGB-Gewerkschaften immer verantwortungsbewusst genutzt - und nur dann, wenn es um Arbeitnehmerinteressen ging", sagte er der "Bild"-Zeitung. "Die GDL hat sich von diesem Prinzip verabschiedet." Den Funktionären gehe es nicht um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen, sondern um Eigeninteressen. "Ich appelliere an die Funktionäre der GDL, an den Verhandlungstisch zurückzukommen", sagte Gabriel. Nötig sei jetzt Verantwortungsbewusstsein auf allen Seiten und ein Schlichter oder Vermittler, um den drohenden volkswirtschaftlichen Schaden abzuwenden. Die SPD steht dem Gewerkschaftslager und vor allem dem DGB gewöhnlich sehr nahe. Quelle: dpa
"visitBerlin"-Geschäftsführer Burkhard Kieker sagte, er könne die Politik des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky nicht nachvollziehen. "Das scheint ein Profilneurotiker zu sein, der ein ganzes Land in Geiselhaft nimmt." Quelle: REUTERS
Die Deutsche Bahn hält den angekündigten erneuten Lokführerstreik für „reine Schikane“. „Dieser Streikaufruf macht nur noch sprachlos“, sagte Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber. Das Unternehmen plant wie bei den vorherigen Streiks einen Ersatzfahrplan. So soll etwa ein Drittel des sonst üblichen Zugverkehrs angeboten werden können. Quelle: dpa
"Was derzeit bei der Bahn passiert, ist Gift für den Standort Deutschland", sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutsche Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks. "Neben dem Ärgernis für Urlauber führen Streiks im Güterverkehr bereits nach wenigen Tagen zu Produktionsstörungen, weil Bahntransporte oft nicht kurzfristig auf Straßen oder Schiffe verlagert werden können." In Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie sei die Produktionskette komplett auf Just-in-time-Produktion ausgerichtet, bei der Zuliefer- und Produktionstermine genau aufeinander abgestimmt seien. "Warenlager helfen nur die ersten Tage, dann stockt die Fertigung", sagte Dercks. Quelle: dpa
Das Verständnis der Pendler hält sich in Grenzen. Quelle: Screenshot

Das Gesetzesvorhaben wirkt kurzfristig wie ein Streik-Verstärker. Das Gesetz muss noch durch den parlamentarischen Prozess, der bis Sommer 2015 abgeschlossen sein könnte. Gerade deshalb gilt bei der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) das Motto: Jetzt erst recht! Bevor das Gesetz die Befugnisse der GDL einschränkt, wird sie also mit voller Vehemenz für ihre aktuellen Forderungen eintreten. Die Lokführer fordern höhere Löhne, geringere Arbeitszeiten und wollen künftig auch für Zugbegleiter und Bordgastronomie-Mitarbeiter tarifieren. Das Herbeireden eines der schlimmsten Arbeitskämpfe aller Zeiten ab Mitte Januar ist also keine übliche Streik-Rhetorik, sondern sie hat Endspiel-Charakter.

Natürlich gibt es auch Grenzen. Die Rechtsprechung verlangt, dass ein Streik verhältnismäßig sein muss und im konkreten Fall nur als letztes Mittel eingesetzt werden darf. Ein Streik über viele Wochen wäre also ausgeschlossen. Zudem hängt die Dauer auch von der Streikkasse ab. Die Gewerkschaften machen daraus ein großes Geheimnis, um sich im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht selbst klein zu machen.

Doch die GDL gilt als eine der solventesten Gewerkschaften in Deutschland. Pro Streiktag zahlt sie ihren Mitgliedern bis zu 50 Euro als Ausgleich für entgangene Gehälter. Die GDL hat 34.000 Mitglieder und kassiert als Beitrag 0,65 Prozent des Bruttoeinkommens. Pro Mitglied sind das für Lokführer zwischen 16 und 20 Euro pro Monat. Die Streikkasse dürfte damit gut gefüllt sein. Hinzu kommt, dass die GDL in der Vergangenheit erst wenige Streiks finanzieren musste, weil alle Lokführer bis 1994 Beamte waren, die nicht streiken durften.

Was die GDL erreichen will

Die Deutsche Bahn hat zwei Möglichkeiten: Zum einen kann sie der GDL ein Stück weit entgegenkommen und ihr anbieten, in Zukunft neben den Lokführern auch für Zugbegleiter und Bordgastronomen zu sprechen. Das gilt als unwahrscheinlich. Zum anderen könnte sie weiter darauf pochen, dass in Zukunft für ein und dieselbe Berufsgruppe auch nur ein Tarifvertrag existieren darf. Dann dürfte das neue Tarifeinheitsgesetz bei der Deutschen Bahn wohl bald als erstes Anwendung finden.

Doch selbst dann bleibt die GDL eine mächtige Gewerkschaft. Das Gesetz definiert Streitlösungen für den Fall einer Tarifkollision „in einem Betrieb“. Die Deutsche Bahn hat jedoch mehr als 300 Betriebe. In der Mehrheit der Gesellschaften dürfte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) die Mehrheit der Mitglieder vertreten. In zahlreichen Betrieben ist aber auch die GDL die stärkste Gewerkschaft.

Ohnehin ist unklar, ob das Gesetz am Ende des parlamentarischen Prozesses so bleibt wie es derzeit ist. Der Bundestag muss zustimmen, doch unter den Abgeordneten befinden sich auch namhafte Kritiker des Gesetzes. Rudolf Henke ist nicht nur Mitglied des Bundestages, sondern gleichzeitig auch Präsident des Marburger Bundes. Die Ärztelobby lehnt wie die GDL das Gesetz ab. Der CDU-Politiker wird in den kommenden Wochen und Monaten alles dran setzen, das Gesetz in wesentlichen Punkten zu verändern und dafür Mitstreiter in den eigenen Reihen zu mobilisieren.

Bis Sommer 2015 könnte das Gesetz also aufgeweicht werden – für den schlimmsten Arbeitskampf aller Zeiten wäre das aber zu spät.

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