L'Tur-Inhaber Revolution im Reisebüro

Mit seinem neuen Veranstalter und Internet-Portal HLX läutet L’Tur-Inhaber Karlheinz Kögel das Ende der klassischen Reisebüros ein.

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Umsturz im Gediegenen: Unternehmer Kögel steuert sein Reich vom Büro mit Bibliothek. Quelle: Klaus Weddig für WirtschaftsWoche

Für die Bewohner Baden-Badens ist der Gründerzeitbau am Kurpark ein Zeichen der Gediegenheit: fünf Stockwerke hoch, frei stehend, davor ein Schlagbaum, eine Freitreppe und im Hochparterre ein Edelrestaurant. In der Reisebranche gilt das ehemalige Haus des Kurgastes dagegen als Zentrale der permanenten Revolution. Denn dort residiert Karlheinz Kögel, der mit L’Tur, Europas größtem Anbieter von kurzfristigem Urlaub, kleineren Anbietern wie Flyloco sowie ständigen Neuerungen die Ferienbranche seit Jahren durcheinanderwirbelt.

An seinem 65. Geburtstag am vergangenen Donnerstag hat der badische Multiunternehmer seinen bislang kühnsten Coup vorgestellt. Seine neue Internet-Seite HLX baut komplette Urlaubsreisen mit Flug, Übernachtung und Extras von Verpflegung bis Transfers à la Minute nach den Wünschen der Kunden und vergleicht den eigenen Preis mit den Angeboten von 160 Wettbewerbern. „Ist unser HLX-Angebot das billigste – haben wir gewonnen. Finden wir das gleiche Angebot billiger woanders – haben Sie gewonnen“, wirbt Kögel.

Bisher bieten Urlaubs-Web-Seiten vor allem vorgeschnürte Angebote. HLX hingegen greift online auf 220 Millionen mögliche Kombinationen von Flug und Hotel aus dem Bestand der großen Reiseanbieter zu und zimmert ein persönliches Paket.

Verstörte Reisebüros

Der Kunde kann nicht nur Ort und Reisedauer wählen, sondern auch ein Dutzend Inhalte wie Fitness oder Kinderfreundlichkeit frei kombinieren. Ändert er eine Vorgabe, sucht HLX automatisch neu. „Wir sind weltweit die erste Megasuchmaschine, die die eingegebenen Urlaubskombinationen mit dem Wettbewerb vergleicht und auch den Buchungsweg zu billigeren Angeboten öffnet“, verspricht Kögel.

Das verstört die Reisebüros. Zwar beruhigt sich die Branche damit, dass derzeit nur etwa zehn Prozent aller Urlaube online verkauft werden. „Pauschalreisen sind ein beratungsintensives Produkt“, sagt Klaus Laepple, Ehrenpräsident der Agentur-Dachorganisation Deutscher Reiseverband. Den Optimismus teilen nicht alle. „Das könnte unsere Zukunft gefährden. HLX kann nicht nur im Massenmarkt das Geschäft abgreifen, sondern gibt auch den Preis vor und am Ende müssen alle Veranstalter nachziehen“, klagt ein Reisebüroinhaber, „vorausgesetzt, die Technik funktioniert wie versprochen.“

Daran zweifeln wenige. „Was Kögel bisher angepackt hat, wurde immer ein Erfolg“, sagt Johannes Zurnieden, Inhaber des Veranstalters Phoenix aus Bonn.

Drei Millionen Euro eigenes Geld

Die Öffentlichkeit kennt Kögel eher als Veranstalter der ehrgeizig Deutscher Medienpreis betitelten Auszeichnung an Superpromis wie Ex-US-Präsident Bill Clinton, Kanzlerin Angela Merkel und Rockstar Bono von U2 oder als Spaßunternehmer mit einer Vorliebe für Jeans, offene Hemdkragen und ungewöhnliche Geschäftsprinzipien: „Ich kann nur mit Produkten was anfangen, die wie Musik und Reisen emotional, ja erotisch sind“, sagt er, und seine sonst so stoische Mine lockert sich zum Ansatz eines Lächelns auf.

Doch Erotik hin oder her: Am Ende ist Kögel ein kühl rechnender Mittelständler des deutschen Südwestens. In HLX hat er drei Millionen Euro eigenes Geld gesteckt. „Und das geben wir Badener nie leichtfertig aus“, sagt der Sohn eines Sägewerkbesitzers aus Waldshut.

Das Rezept aus High Tech, Leidenschaft für die Marktlücke und offensiver Verkaufe treibt ihn, seit er 1976 seinen Job als Moderator beim damaligen Südwestfunk kündigt und den Marktforscher Media Control gründet. Es macht ihn verrückt, dass es es zwar Hitparaden gibt, die aber völlig unzuverlässig sind. „Die Sprache des Showgeschäfts ist... oft die der Lüge“, schreibt er 1973 in seinem Buch „Schlager, Pop und Showgeschäft“.

High Tech à la Siebzigerjahre

Seine Abhilfe: High Tech à la Siebzigerjahre. Der Manager mit dem kinnlangen Bob-Haarschnitt schneidet auf Tonband die gängigen Sender mit. Gefängnisinsassen hören die Bänder ab, notieren, was wie oft läuft, und Kögel baut daraus Deutschlands erste ehrliche Charts. Weil ihm das zu umständlich ist, lässt der IT-Besessene eine Computerüberwachung entwickeln. Als alles läuft, erfassen die auch Rundfunk- und Fernsehprogramme sowie Verkäufe von Büchern, Kinokarten und Computerspielen, und Kögel verkauft die Daten an Plattenfirmen, Verlage und Kinos.

Mitte der Achtzigerjahre ist Kögel Multimillionär. Ein anderer hätte sich seinen Hobbys Segeln und Privatflugzeug gewidmet. Doch längst macht Kögel etwas anderes verrückt: leere Plätze in Flugzeugen und Ferienhotels. Noch Anfang der Achtziger gilt: Was bis zum Abreisetag nicht verkauft ist, verfällt. „Eine unfassbare Verschwendung“, sagt Kögel und versteinert kurz, was laut Vertrauten der äußerste Grad der Erregung ist, den er zeigt.

Kögels Lösung: kurzfristige Reisen mit hohen Abschlägen. Er lässt sich ein neues Computersystem bauen, mit dem er auf die Restbestände von TUI & Co. zugreift, leere Betten des einen mit Flügen des anderen kombiniert und das Ganze über eigene Läden verkauft. Das kopieren viele. Doch L’Tur ist kundenfreundlicher, etwa durch die Möglichkeit, Urlaub neben Reisezeit und Ort auch über Inhalte oder das gewünschte Wetter vor Ort zu buchen. Zudem bauen die Badener ihre Palette ständig aus und verkaufen früh Angebote der Deutschen Bahn und Lufthansa.

Bei L'Tur gibt es kein Schulterklopfen

Für die Innovationsflut sorgt nicht zuletzt Kögels Managementstil. So setzt er als einer der Ersten in Deutschland auf flache Hierarchien und gibt Mitarbeitern früh Verantwortung. Er schafft unternehmensweit das Sie als Anrede ab, ist für alle Mitarbeiter erreichbar und motiviert durch originelle Firmenpartys, einen hohen Anteil erfolgsabhängiger Gehälter und den offenen Umgang mit Problemen. „Bei L’Tur gibt es kein Schulterklopfen, sondern ehrliche, um nicht zu sagen brutal offene Aussprachen“, erinnert sich ein Ex-Mitarbeiter.

So herrscht trotz aller Lockerheit und der privaten Atmosphäre seines Büros, das mit Bibliothek und drei Terrassen fast die ganze vierte Etage am Augustaplatz 8 einnimmt, kein Easygoing. Ruft Kögel, eilt eine der drei Assistentinnen im Laufschritt herbei. Die Geschäftsführer seiner derzeit rund ein Dutzend Firmen nehmen Gespräche spätestens beim dritten Klingeln ab.

Die Mischung aus Erfolg, Ehrlichkeit und Entspanntheit treibt nicht nur die Mitarbeiter zu Höchstleistungen, damit schafft Kögel auch ein einzigartiges Kontaktnetz. So bieten heute alle großen Veranstalter L’Tur ihre Restposten an. „Jeder macht gern Geschäfte mit ihm“, sagt ein namhafter Fluglinien-Manager. „Er tritt zurückhaltend auf und kommt keinem unmittelbar in die Quere, sondern beflügelt dank seiner Ideen insgesamt das Business.“

L'Tur ist wieder in Top-Form

Mögen viele Manager beschwören, dass ihr Erfolg sie nicht berauscht: Nur wenige haben dies so bewiesen wie Hobbypilot Kögel. „Geschäft hat wie jeder Flug Aufstieg, Reiseflug und Landung“, sagt er 2006. Das zeigt sich, als 2007 bei L’Tur der Umsatz stockt und die Gewinne sinken. Eine bedrohliche Situation: Kögel führt zwar Media Control und L’Tur, hat aber, um die internationale Expansion zu finanzieren, 70 Prozent an den Marktforscher GfK beziehungsweise TUI abgegeben. „Unabhängig bleiben wir nur, wenn wir die geplanten Ergebnisse erfüllen“, sagt Kögel. Soll heißen: profitabler sind als die Mütter.

Kögel wechselt das Management und zieht sich in den Aufsichtsrat zurück. Und er straft alle Skeptiker Lügen. Zwar nennt er aus Rücksicht auf die bevorstehende Jahresbilanz der TUI keine Zahlen. Doch Unternehmenskenner bestätigen, dass L’Tur wieder in Top-Form ist. 2011 beschließt das Unternehmen wohl mit deutlich mehr als 400 Millionen Euro Umsatz und gut einer Million Kunden – ein Plus von jeweils rund 20 Prozent gegenüber 2008. L’Tur erreicht wieder die gewohnte Umsatzrendite von rund vier Prozent, die praktisch kein anderer Veranstalter in Deutschland schafft.

Zwar wollen 2012 auch andere Veranstalter ihre Systeme durch eine HLX-ähnliche Technik verbessern. Doch das wird Kögel nicht bange machen. Karl Born, Ex-TUI-Vorstand und Professor für Tourismus-Management an der Hochschule Harz: „Bisher hat er es noch immer geschafft, technologisch vorne zu bleiben.“ n

160 Veranstalter vergleicht Kögels neue Web-Site mit dem eigenen Angebot.

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