Der 15. April sollte am Frankfurter Flughafen ein Freudentag werden. Mit einer Reihe von Feiern und Flugzeugen in traditioneller Bemalung wollte die Deutsche Lufthansa an den 60. Jahrestag ihrer Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern. Am 1. April 1955 hob ein Flieger der Deutschen Lufthansa AG zum ersten Linienflug ab.
Doch nach den Ereignissen der vergangenen Woche hat das Unternehmen alle Feiern offiziell abgesagt. Statt der Partys gibt es am 17. April nun einen Gedenkgottesdienst für die Opfer des Germanwings-Absturzes im Kölner Dom.
In der Unternehmenszentrale und an den Flughäfen ist seit der Katastrophe von Flug 4U9525 niemandem zum Feiern zu Mute. Der Schock sitzt so tief, dass selbst ehemalige Mitarbeiter sich wieder als Lufthanseaten fühlen, selbst wenn sie den gelben Hausausweis vor Jahren abgegeben haben: „Dass einer von uns zu so etwas fähig ist“, beginnen die meisten Antworten mit dem unausgesprochenen Hinweis, dass der Co-Pilot der Unglücksmaschine den Absturz nach Ermittlungserkenntnissen offenbar absichtlich herbei geführt hat.
Die Fakten zum Germanwings-Absturz
Der Airbus A320 ist am Dienstag um 10.01 Uhr mit 150 Menschen an Bord in Barcelona gestartet. Kurz nach dem Erreichen der regulären Reiseflughöhe von 38.000 Fuß (11,5 Kilometer) ging die Maschine ohne Hinweis an die französische Flugkontrolle oder ein Notsignal in einen schnellen Sinkflug über. Das Flugzeug zerschellte in den französischen Alpen. Die Maschine flog bis zum Aufprall, ohne dass es eine Explosion gab, wie die französische Untersuchungsbehörde BEA mitteilte.
An Bord der Maschine waren 150 Menschen, darunter nach jüngsten Informationen 72 Deutsche und 50 Spanier. Weitere Opfer stammen nach Angaben von Regierungen und Germanwings offenbar aus den USA, Großbritannien, Kasachstan, Argentinien, Australien, Kolumbien, Mexiko, Venezuela, Japan, den Niederlanden, Dänemark, Belgien und Israel.
Die Germanwings-Maschine verunglückte in den französischen Alpen nahe der kleinen Ortschaft Seyne-les-Alpes. Die Bergung der Wrackteile ist schwierig. Das Gelände an der Unglücksstelle ist zerklüftet und nur schwer zugänglich. Weil die Maschine mit hoher Geschwindigkeit auftraf, sind die Trümmerteile sehr klein und weit verstreut.
Die Bergung der Opfer wurde am 31. März abgeschlossen. Das Kriminalinstitut der französischen Gendarmerie erklärte, die eigentliche Identifizierung, also die Zuordnung zu den Vergleichsdaten der Angehörigen, könne zwei bis vier Monate dauern.
Die Ermittler haben bereits auswertbare Daten aus dem ersten Flugschreiber, dem Stimmrekorder, sichergestellt und ausgewertet. Laut der französischen Staatsanwaltschaft war zum Zeitpunkt des Absturzes nur der Co-Pilot im Cockpit. Der Stimmrekorder hat bis zuletzt Atemgeräusche im Cockpit aufgezeichnet, der Co-Pilot war also am Leben. In den letzten Minuten, bevor der A320 an einer Felswand zerschellte, zeichnete der Rekorder auf, wie der ausgesperrte Kapitän und die Crew von außen gegen die Cockpit-Tür hämmern. Die Ermittler gehen daher davon aus, dass der Co-Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz brachte.
Der zweite Flugschreiber, der detaillierte Flugdaten aufzeichnet, wurde bislang nicht gefunden.
Der Mittelstreckenflieger A320 hatte seinen Jungfernflug 1987 und wurde ein Jahr später erstmals von Airbus an Kunden ausgeliefert. Seither hat er sich in verschiedenen Varianten zum meistverkauften Passagierjet von Airbus entwickelt. Bis Ende Februar hatte der Hersteller von seiner absatzstärksten Modellfamilie knapp 6500 Maschinen an die Kunden überstellt.
Die Unglücksmaschine war seit mehr als 24 Jahren im Einsatz, verfügte laut Auskunft der Lufthansa jedoch über neueste Technik und habe alle Sicherheitsanforderungen erfüllt. Noch einen Tag vor der Katastrophe sei der Flieger einem Routinecheck unterzogen worden.
Der Kapitän des abgestürzten Flugzeugs galt als erfahren. Er hatte seit mehr als zehn Jahren für Germanwings und Lufthansa gearbeitet. Auf dem Modell Airbus hatte er mehr als 6000 Flugstunden absolviert.
Zu den Geschehnissen im Cockpit der Germanwings-Maschine sagte der Lufthansa-Chef Carsten Spohr: „Es gab ein technisches Briefing zum weiteren Flugverlauf. Dann hat der Pilot dem Co-Piloten das Steuer überlassen.“ Zum Verlassen des Cockpits durch den Kapitän sagte Spohr: „Der Kollege (Pilot) hat vorbildlich gehandelt, er hat das Cockpit verlassen, als die Reiseflughöhe erreicht war.“
Der Co-Pilot der Unglücksmaschine war seit 2013 bei der Lufthansa-Tochter beschäftigt. Zuvor hatte er seit etlichen Jahren für den Konzern gearbeitet, auch als Flugbegleiter. Vor sechs Jahren gab es eine mehrmonatige Unterbrechung der Pilotenausbildung, danach wurde die Eignung des Mannes nach allen Standards überprüft. „Er war 100 Prozent flugtauglich. Ohne jede Auffälligkeit“, sagte Spohr.
Ermittler durchsuchten auf Bitte der französischen Justiz zwei Wohnungen des Co-Piloten. Dort wurde eine zerrissene Krankschreibung gefunden, die auch den Tag des Absturzes umfasste. Der 27-Jährige war vor mehreren Jahren - vor Erlangung des Pilotenscheines - über einen längeren Zeitraum wegen Depressionen und Selbstmordgefährdung in psychotherapeutischer Behandlung.
Quellen: dpa, reuters, sha, jre
Im Gegensatz zu den Tagen nach dem Absturz mischen sich in Trauer und Wut nun auch neue Noten: Trotz und zarte Aufbruchsstimmung. „Wir werden uns nicht unterkriegen lassen“, so ein Lufthanseat. „Wir haben in der Vergangenheit schon viel überstanden und einige deutlich bedrohlichere Situationen gemeistert“, so ein führender Mitarbeiter. Am Ende raufte sich das Unternehmen immer zusammen und schaffte eine Wende. „In der Krise zusammenstehen war schon immer der Geist der Lufthansa“, sagt ein Aufsichtsrat.
Tatsächlich rückten die Lufthansa-Mitarbeiter in den bislang schwersten Stunden eng zusammen – zumindest kurzfristig. War die unmittelbare Gefahr vorbei, endete insbesondere die Partnerschaft zwischen Angestellten und Konzernspitze meist schnell.
Welche Katastrophen die Lufthansa bislang erlebte – und wie sie diese überstanden hat.
1. Neugründung
Während in anderen Ländern Europas die Fluglinien fast unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wieder loslegten, startete die Lufthansa erst 1955. Weil die alte Lufthansa bis 1945 nahe am Nazi-Regime und der Luftwaffe arbeitete – und dabei mindestens 10.000 Zwangsarbeiter beschäftigte -, untersagten die alliierten Siegermächte eine eigene deutsche Fluglinie.
Auslöser der Krise: Andere Fluglinien wie die niederländische KLM und British-Airways-Vorläufer wie BOAC hatten bereits ein eigenes Flugnetz aus ihren Hauptstädten mit treuen Passagieren und ersten Langstreckenverbindungen aufgebaut. In Deutschland war die Lufthansa weit davon entfernt. Ohne echte Hauptstadt fehlte ihr in der föderalen BRD ein natürlicher Heimatflughafen.
Folgen: Die Lufthansa flog der Konkurrenz erstmal hinterher. Zudem musste die Fluggesellschaft mangels eigener Piloten mit Lizenzen für die neuen britischen oder amerikanischen Maschinen in großem Stil ausländische Piloten beschäftigen.
Das wirkt bis heute nach. Weil gerade die US-Flugzeugführer ihre Gehälter damals nach den Tarifen ihrer Heimat zu einem hohen Wechselkurs erhielten, bekamen auch die hinzukommenden deutschen Piloten überdurchschnittlich viel Geld.
Die sechs größten Baustellen der Lufthansa
13 Mal haben die Piloten der Lufthansa in den vergangenen gut eineinhalb Jahren gestreikt. Die Vereinigung Cockpit sorgt sich, dass die Piloten unter anderem Abstriche Altersvorsorge hinnehmen müssen - und trotzdem immer mehr Jobs aus dem Tarifvertrag ausgelagert werden. Sie liefern dem Konzern deshalb den härteste Arbeitskampf in seiner Geschichte. Das ist nicht der einzige Knatsch mit dem Personal: Die Flugbegleiter von Ufo sind etwas moderater unterwegs, wollen aber auch ihre tariflichen Besitzstände verteidigen.
Carsten Spohr hat die Lufthansa auf eine Strategie mit zwei sehr unterschiedlichen Plattformen festgelegt, die jetzt gerade erst anlaufen. Die Kernmarke Lufthansa soll bei gleichzeitiger Kostensenkung zur ersten Fünf-Sterne-Airline des Westens aufgewertet werden - eine Luxus-Auszeichnung des Fachmagazins Skytrax, die bislang nur Airlines aus Asien und dem Mittleren Osten erreicht haben. Am anderen Ende der Skala steht künftig „Eurowings“, die nur noch als Plattform für die diversen und möglichst kostengünstigen Flugbetriebe des Lufthansa-Konzerns dienen soll. Die ersten Eurowings-Langstrecken ab Köln werden beispielsweise von der deutsch-türkischen Gesellschaft Sunexpress geflogen. Noch komplizierter wird das Angebot durch die Strategie, auf beiden Plattformen jeweils unterschiedliche Service-Pakete anzubieten.
So richtig gut läuft es für die Lufthansa mit ihrem schwierigen Heimatmarkt Zentraleuropa eigentlich nur in den Neben-Geschäftsbereichen Technik und Verpflegung. In ihrem Kerngeschäft der Passagier- und Frachtbeförderung fliegt die Lufthansa unter dem Strich Verluste ein. Spohrs Plan, Wachstum nur noch in kostengünstigen Segmenten stattfinden zu lassen, bedeutet eigentlich einen Schrumpfkurs für die Kerngesellschaft der Lufthansa Passage. Doch den Mitarbeitern wird Wachstum auch dort versprochen.
Sinkende Ticketpreise sind gut für die Passagiere, knabbern andererseits aber an den schmalen Margen der Fluggesellschaften. Bereits im vergangenen Jahr sind die Erlöse auf breiter Front um drei Prozent zurückgegangen. Der zuletzt stark gesunkene Kerosinpreis begünstigt derzeit Gesellschaften, die sich nicht gegen starke Preisschwankungen abgesichert haben. Lufthansa gehört nicht dazu, sondern hat einen Großteil ihres Spritbedarfs für die kommenden zwei Jahre bereits abgesichert und leidet zudem an der ungünstigen Währungsrelation zwischen Euro und Dollar. Um ihre Tickets zu verkaufen, muss sie aber die Kampfpreise der Konkurrenz halten.
In regelmäßigen Abständen verlangt Lufthansa politischen Schutz vor dem angeblich unfairen Wettbewerb durch Fluggesellschaften vom Arabischen Golf. Zuletzt stimmten auch die großen US-Gesellschaften in den Chor ein. Aber es bleibt dabei: Emirates, Qatar Airways und Etihad lenken mit immer größeren Flugzeugen tausende Fluggäste aus Europa über ihre Wüstendrehkreuze und haben bereits weite Teile des Verkehrs nach Südostasien und Ozeanien fest im Griff. Um streitbare Gewerkschaften, hohe Gebühren und Sozialabgaben oder Nachtflugverbote an ihren Heimatbasen müssen sich die Araber keine Gedanken machen. Zudem ändern die europäischen Billigflieger ihr Geschäftsmodell und werden für Geschäftsleute immer attraktiver. So folgt Ryanair dem Vorbild von Easyjet und verlässt die Provinz-Flughäfen. Am Eurowings-Drehkreuz Köln-Bonn treten die Iren demnächst sogar wieder mit Inlandsflügen nach Berlin an.
Auf Hilfe aus Berlin oder Brüssel hat die Lufthansa in den vergangenen Jahren meist vergeblich gewartet. Die nationale Luftverkehrssteuer verteuert Tickets für Flugreisen von deutschen Flughäfen. Sie bietet zudem der europäischen Konkurrenz Anreize, Umsteiger auf die eigenen Drehkreuze zu locken. Grenznah lebende Passagiere können gleich ganz auf ausländische Flughäfen und Airlines ausweichen. Den häufig angemahnten nationalen Luftverkehrsplan gibt es auch immer noch nicht. Dafür unsinnige Subventionen für Regionalflughäfen, die bislang das Geschäftsmodell der Billigflieger gestützt haben.
Reaktion: Wie der Rest der deutschen Wirtschaft setzte auch die Lufthansa auf Technik und Effizienz, um aus hohen Löhnen erträgliche Lohnstückkosten zu machen. Als Nachzügler konnte die Lufthansa fast als erste Linie neue sparsamere Maschinen wie die Propellermaschine Lockheed „Super-Connie“ und bald die ersten Düsenjets vom Typ Boeing 707 kaufen.
Erfolg: Der Fokus auf Zuverlässigkeit und Sicherheit, sowie das deutsche Wirtschaftswunder mit dem Exportboom ließen die Lufthansa rasch wachsen. Sie wurde zu einer der größten Linien in Europa.
Ölkrise und Golfkrieg
2. Ölkrise und Abstürze
Anfang der Siebzigerjahre stockte der Lufthansa-Boom. Die großen US-Airlines beherrschten die Branche, auch weil sie dank des schwächeren Dollars ihre Tickets günstiger anbieten konnten. Darüber hinaus verdienten sie schon auf dem großen US-Markt viel Geld. Linien wie Pan Am oder TWA boten zudem nicht nur Flüge von und in ihr Heimatland an, sondern durften auch außerhalb der USA etwa zwischen Japan und Asien oder Europa und Indien fliegen.
Auslöser der Krise: Der steigende Ölpreis sorgte ab 1972 für höhere Kosten und die nachlassende Konjunktur drückte auf die Nachfrage. Dann erschütterte 1974 der Absturz eines Lufthansa-Jumbos in der kenianischen Metropole Nairobi durch einen Pilotenfehler das Vertrauen der Kunden.
Folgen: Die Lufthansazahlen wurden schlechter. Die langen Diskussionen um die Schuld an dem Unfall irritierten die Passagiere.
Reaktion: Die Lufthansa konzentrierte sich noch stärker auf die Sicherheit und trieb technische Änderungen voran, die einen solchen Unfall verhindern sollten. Während andere aufstrebende Fluglinien wie Singapore Airlines mit mehr Service punkten wollten, tat die Lufthansa - auch um Geld zu sparen - in Sachen Komfort an Bord und Boden immer nur das Nötigste.
Erfolg: Trotz späterer Katastrophen wie der Entführung einer Maschine durch Terroristen im Jahr 1977 und dem Absturz einer Frachtmaschine, wuchs die Lufthansa weiter.
3. Golfkrieg 1991
Der Boom und die Globalisierung der Achtzigerjahre bescherten der Lufthansa einen beispiellosen Aufschwung, nicht zuletzt weil das Unternehmen als eine der erste Linien im großen Stil in China aktiv war und die strengen Regulierungen der Flugbranche den Wettbewerb beschränkten.
Auslöser der Krise: Der Golfkrieg im Jahr 1991 und die Angst vor dem Terrorismus, förderten die Sorge zu Reisen. Die Furcht vor Anschlägen in Deutschland war so groß, dass die Gasmasken knapp wurden. Dazu erlaubte die EU nun, dass Airlines ihre Flugstrecken selbst aussuchen durften. Zudem konnten die Fluggesellschaften ihre Preise immer öfter ohne Erlaubnis der Behörden in Start- und Zielland festlegen. In dem beginnenden Preiswettbewerb rächte es sich, dass die Lufthansa – eine Parallele zu heute – zuvor auf Sparmaßnahmen verzichtet hatte, um den Betriebsfrieden zu wahren.
Folgen: Die Lufthansa schrieb hohe Verluste. Der damals 50-jährige Ingenieur Jürgen Weber löste den Bürokraten Heinz Ruhnau an der Konzernspitze ab und stellte erschreckt fest: Der Verlust – abseits des damals wie heute hoch profitablen Wartungsgeschäfts – war deutlich höher als erwartet. Angesichts gut einer halben Milliarde Euro Minus bei rund sechs Milliarden Umsatz drohte der Airline das Geld auszugehen.
Reaktion: Obwohl Weber vor allem mit Rückendeckung der Belegschaft Chef wurde, scheute er keine unpopulären Maßnahmen. Er setzte Gehaltskürzungen und Teilzeitarbeit durch - und überzeugte die Beschäftigten davon. Schwieriger war es offenbar, die in der Krise besonders kreditunwilligen Bankmanager zu überzeugen, die Lufthansa mit Überbrückungshilfen zu retten. „Die waren zwar fast alle statusbewusste Elitekunden, sahen aber lange kein Problem, wenn wir Pleite gingen“, erinnert sich einer, der damals dabei war. Weber übernahm Neuerungen wie ein Drehkreuz in Frankfurt statt des damals ungeordneten Netzes von Langstreckenflügen aus vielen deutschen Städten. Später baute Weber mit der Star Alliance das erste Allianzsystem auf und teilte den Konzern in kleinere selbstständige Einheiten.
Erfolg: Die Lufthansa überlebte und schaffte von 1993 bis 1998 beim Aktienkurs den Sprung von gut drei auf das Allzeithoch von fast 29 Euro. Doch die Reformen bescherten dem Unternehmen eine Erbsünde. Als Preis für geringfügig sinkende Gehälter gewährte Weber den Piloten eine in der Branche ungewöhnlich üppige Versorgung, wenn Piloten vor der gesetzlichen Rente in den Ruhestand mussten. Damit legte er den Grundstein für die Pilotenstreiks der vergangenen Monate.
11. September und Finanzkrise
4. Krise nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001
Nach 1999 endete die goldene Zeit etablierter Fluglinien wie Lufthansa. Bis dahin war es besonders auf den Routen über den Atlantik üblich, mehrere tausend Euro für Tickets in der Business Class und oft kaum weniger für Flugscheine in der Holzklasse zu zahlen. Demensprechend standen die Zeichen der Branche eher auf "Streiks um Lohnerhöhungen" als "Sparprogramme" – und beschleunigten im Jahr 2001 noch den Niedergang.
Auslöser der Krise: Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf New York und Washington schlossen die USA ihren Luftraum für mehrere Tage. Danach folgten in hektischer Folge immer neue Sicherheitsauflagen wie strengere Personenkontrollen an den Flughäfen und gesicherte Cockpit-Türen.
Folgen: Dort, wo es noch Flüge gab, blieben sie oft halb leer. Aus Angst vor weiteren Anschlägen flog nur der, der musste. Dazu bauten besonders Billigflieger wie Ryanair ihr Angebot aus - mit niedrigeren Preisen und weil sie vor allem von kleineren Flughäfen starteten, wo die Sicherheitskontrollen in der Regel weniger lange dauerten als auf den überlasteten großen Airports. Zwar hatte der damalige Konzernchef Jürgen Weber bereits Anfang 2001 das neue Sparprogramm "D-Check" gestartet. Doch es war zu wenig. Da Lufthansa erst Geld verdiente, wenn ihre Maschinen zu mindestens 70 Prozent ausgelastet waren, wuchsen die Verluste.
Reaktion: Als erstes verschärfte Weber das Sparprogramm zu "D-Check akut". Gleichzeitig zogen alle Lufthanseaten fast beispiellos an einem Strang. Überstunden und Gehalteinbußen sorgten für niedrigere Kosten. Die Erfahrung konnte Lufthansa später gut brauchen. Denn kurze Zeit später brach der Asienverkehr ein, weil die Furcht vor der Lungenseuche Sars die Reisenden verschreckte. Um die Lufthansa weniger anfällig zu machen, kauften Weber und sein Nachfolger Wolfgang Mayrhuber Fluglinien wie Swiss und gründeten den Billigableger Germanwings.
Erfolg: Die Lufthansa überwand die Krise, fand aber angesichts der wachsenden Konkurrenz von Billigfliegern und Fluglinien vom Golf nie zu alter Stärke zurück.
5. Finanzkrise
Die Globalisierung und der Boom durch Rohstoffe, Digitalisierung und billige Kredite trieben die Weltwirtschaft und damit auch den Luftverkehr in immer neue Höhe. Der Aufschwung war so stark, dass nicht nur Billigflieger und Fluglinien vom Golf wuchsen, sondern auch genug bei den etablierten Fluglinien ankam.
Auslöser der Krise: Mit dem Platzen der Immobilienblase startete die Finanzkrise und die Nachfrage nach Flügen brach im Rekordtempo ein. Selbst der lange sichere Asienverkehr rutschte ins Minus. Durch ihre vergleichsweise hohen Kosten litt die Lufthansa stark. Dafür sorgte erstmals auch die lange profitable Absicherung des Kerosinpreises. Weil der Spritpreis binnen eines knappen halben Jahres auf weniger als ein Drittel sackte, kosteten viele dieser Hedges auf einmal Geld.
Carsten Spohr: Pilot und Lufthansa-Kenner
Charismatisch, flugbegeistert und erfahren: Mit Carsten Spohr hat sich die Lufthansa für einen Favoriten auf den Chefposen entschieden. Seine steile Karriere bei der Airline findet so ihre Krönung.
Carsten Spohr wurde 1966 in Wanne-Eickel im nördlichen Ruhrgebiet geboren. Nach seinem Studium zum Wirtschaftsingenieur an der Universität Karlsruhe erwarb er die Verkehrspiloten-Lizenz an der Fliegerschule der Lufthansa. Danach absolvierte er das Trainee-Programm bei der Deutschen Aerospace AG.
Mit 27 Jahren kehrte Spohr zu der Airline zurück und schlug dort eine steile Karriere ein: Zunächst übernahm er die Leitung des zentralen Personalmarketings, später arbeitete er sich über verschiedene Funktionen zur Koordination der Regionaltöchter und dem Airline-Bündnis Star Alliance in die Spitze der Kerngesellschaft Lufthansa Passage empor. Zeitweise war er Assistent von Lufthansa-Legende Jürgen Weber.
Als Chef der Frachttochter Lufthansa Cargo lieferte Spohr bis zur Finanzkrise blendende Ergebnisse und zog schließlich 2011 gemeinsam mit dem scheidenden Lufthansa-Chef Christoph Franz in den Konzernvorstand ein. Gemeinsam setzten sie das harte Sparprogramm „Score“ durch.
Anfang Februar 2014 hat die lange Suche nach einem Nachfolger für Christoph Franz ein Ende: Lufthansa will Carsten Spohr zum neuen Vorstandschef machen. Der 47-Jährige galt im Vorfeld schon als Favorit.
Auch wenn seine Beliebtheit in der Belegschaft während der Sanierung abgenommen haben dürfte, gilt der begeisterte Flieger Spohr als charismatischer Gegenpol zu Franz. Dessen kühle, analytische Art verprellte viele Lufthanseaten. Spohr ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Folgen: Die Lufthansa rutschte erneut ins Minus, nicht zuletzt, weil viele Firmenkunden entweder ihre Flüge stornierten oder in Scharen zu Golflinien oder Billigfliegern wechselten. Es rächte sich, dass die Kranich-Linie ihren Billigflieger Germanwings aus Rücksicht auf die Stammbelegschaft klein gehalten und quasi aus dem Lufthansa-Netz verbannt hatte.
Reaktion: Nach einem weiteren Sparprogramm legte die Lufthansa unrentable Flüge still. Aber Konzernchef Mayrhuber scheute grundlegende Änderungen und setzte stattdessen weiterhin auf internen Wettbewerb. Im Gegensatz zu früheren Krisen zog das Personal weniger stark mit.
Erfolg: Lufthansa meisterte die Krise, doch mangels wirklicher Reformen blieben die Probleme. Ohne echte Billigflugstrategie und eine Partnerschaft mit den unaufhaltsamen Fluglinien vom Golf oder dem Allianz-Partner Turkish Airlines wuchs die Fluggesellschaft weiterhin deutlich schwächer als der Markt.
Der Germanwings-Absturz
6. Absturz Germanwings
Der neue Lufthansa-Chef Christoph Franz ging ab 2011 die verschleppten Reformen an. Doch die Belegschaft reagierte zurückhaltend. Weil der Aufschwung der Konkurrenz wie Easyjet und Emirates die Lufthansa lediglich langsam zermürbte, aber sie, anders als frühere Krisen, nicht in tiefrote Zahlen stürzte, waren besonders die Piloten von einer weiteren Sparrunde nicht überzeugt.
Auslöser der Krise: Der erste Unfall einer Lufthansa-Maschine im Reiseflug beendete eine nahezu makellose Serie der Sicherheit. Das trifft die Lufthansa härter als andere, weil sie, trotz aller Bemühungen in jüngerer Zeit, beim Service deutlich hinter den wichtigsten Wettbewerbern liegt.
Folgen: Der Absturz erschütterte das Fundament der Lufthansa. Bereits die Tatsache eines Unfalls rührte am Bild der besonders sicheren Lufthansa. Und die immer neuen Entwicklungen bis hin zur unvorstellbaren Wendung, dass ein Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz brachte, lähmten die Linie. Das saß anfangs so tief, dass ein Teil der Belegschaft nicht mehr fliegen wollte. Einige davon gingen gar an die Presse mit dem Hinweis, das Flugzeug sei unzuverlässig gewesen.
„Bei allem Verständnis für den Schock und den Schmerz müssen sich die Mitarbeiter doch fragen lassen, warum ihnen das Risiko ihres Berufs so wenig bewusst war, dass sie in einer Notlage den Kunden und gerade den Angehörigen der Opfer kein Signal des Vertrauens in die Sicherheit ihres Unternehmens geben konnten, so wie es die Mehrzahl der Kollegen konnte“, sagt ein führender Manager der Reisebranche.
Reaktion: Der neue Konzernchef Carsten Spohr ging offensiv in die Öffentlichkeit und warb um Vertrauen, weil er offen seine Erschütterung zeigte und versprach, die Sicherheit weiter zu verbessern. „Da waren wir intern wohl alle froh, dass Spohr Konzernchef war, denn er brachte dies besser rüber als es sein Vorgänger Christoph Franz in seiner kühleren, rationalen Art gekonnt hätte“, so ein Insider. Ganz fehlerlos agierte Spohr nicht, etwa, als er zunächst ausschloss, dass wie bei anderen Airlines ein Flugbegleiter ins Cockpit geht, sobald einer der Piloten den Führerstand verlässt.
Erfolg: Wie sich die Lufthansa diesmal schlägt, ist noch nicht absehbar. „Aber wenn Spohr die Katastrophe mit Bedacht aufarbeitet, kann sie ihn auch bei seinem überfälligen Neuanfang unterstützen“, glaubt der selbstständige Unternehmensberater Markus Franke. „Die gemeinsame Bewältigung des Unglücks könnte das Wir-Gefühl stärken und Energie für den Umbau des Konzerns liefern.“
Und das hat in früheren Krisen immer geklappt. Zumindest bis zum Jahr 2001.