Ab Dienstag den 1. September erhebt Europas größte Fluggesellschaft eine neue Extragebühr auf Tickets, die nicht über das eigene Buchungssystem erworben werden. Für Tickets über globale Reservierungssysteme (GDS) wie Amadeus, Travelport oder Sabre fallen dann 16 Euro zusätzlich an. Der Zuschlag betrifft vor allem Buchungen in Reisebüros, über Urlaubsportale oder durch Konzernreisestellen. In welchem Umfang die Anbieter die Gebühr tatsächlich am Ende an die Kunden durchreichen, ist noch nicht abzusehen. Die Sorgen sind trotzdem groß.
Reiseunternehmen und Buchungssystemanbieter weltweit befürchten, dass die Transparenz leidet und sie deshalb Kunden verlieren; Reisende, dass sie für Spohrs Konzernsanierung löhnen sollen. Beide Parteien laufen seit Wochen heftig gegen das Vorhaben Sturm. Ohne Erfolg. "Bislang gibt keine Bewegung von Seiten der Lufthansa", sagt eine Sprecherin des Deutschen Reiseverbands (DRV). "Die Argumente sind ausgetauscht, die Fronten klar."
Drohungen und Beschwerden
Verhärtet träfe es ebenso. Die Lage ist mehr als nur angespannt. Die "Allianz selbstständiger Reiseunternehmen" hat ihre Mitglieder dazu aufgerufen, Protestbriefe an Carsten Spohr zu schicken und droht unverhohlen damit, in "größerem Ausmaß auf andere Airlines zurückzugreifen".
Der Geschäftsreise-Verband (VDR) verkündet, bei einer Umfrage unter seinen Mitgliedern sei herausgekommen, dass fast 70 Prozent bereit seien, das Geschäft "von der Lufthansa wegzusteuern". Das würde die Airline hart treffen im lukrativen Geschäft mit First- und Business-Class-Tickets.
Statt mit Drohungen versuchen es die Reisebüros auf juristischem Wege: Der europäische Dachverband der Reisebüros und Reiseveranstalter (Ectaa) beschwerte sich bei der EU-Kommission in Brüssel. Und der Deutsche Reiseverband hat das Bundeskartellamt eingeschaltet. Die Wettbewerbshüter sollen prüfen, ob die Einführung des Aufschlags für Tickets die GDS-Systeme diskriminiert.
Top 10 Fluglinien nach der Anzahl der Passagiere weltweit
Air China
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 54,58 Millionen
Quelle: IATA / STATISTA
Lufthansa
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 59,85 Millionen
Easyjet
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 62,31 Millionen
China Eastern Airlines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 66,17 Millionen
Ryanair
Anzahl der Passagiere im Jahr 2013: 86,37 Millionen
American Airlines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 87,83 Millionen
United Airlines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 90,44 Millionen
China Southern Airlines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 100,68 Millionen
Southwest Airlines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 129,09 Millionen
Delta Air Lines
Anzahl der Passagiere im Jahr 2014: 129,43 Millionen
Die Lufthansa nimmt sich die Kritik derweil nicht an. Man sei überzeugt, sich im Rahmen des geltenden Wettbewerbsrechts zu bewegen, heißt es schlicht aus dem Konzern. Zumindest offiziell hat man bei der Kranich-Linie keine Angst vor rückläufigen Passagierzahlen.
Reisebüros könnten die Gebühr umgehen, wenn sie direkt über das Lufthansa-System buchen. Ein Angebot, dass der DRV als "nicht praktikabel" abgeschmettert. Wichtige Funktionen wie das Stornieren und Umbuchen von Flügen sowie die Anbindung an Buchhaltungs-, Abrechnungs- und Auswertungssysteme von Firmenkunden und Geschäftsreisebüros fehlen. Der Flugticketgroßhändler Aertickt tobt ob des "dreisten" Angebots, dass einfach nur auf die Website der Lufthansa umleitet.
"Die GDS haben uns ausgepresst"
Die Logik hinter der Extragebühr ist aus Sicht des Konzerns sogar verständlich: Die Buchung über eines der Systeme bringt vor allem den Kunden einen Vorteil, weil sie so auf Knopfdruck einen genauen Preisvergleich zwischen allen Fluglinien haben. Doch die Kosten für die Abwicklung über externe Systeme muss die Fluglinie zahlen.
Nun reicht sie die Gebühren weiter. 18 Euro fallen bei Fremdbuchern an, sagt die Airline, nur zwei, wenn die Kunden über die Lufthansa-Seiten buchen. Macht 16 Euro Aufschlag.
Die wichtigsten Kennzahlen der Lufthansa
2015: 32,1 Mrd Euro
2014: 30,011 Mrd Euro
2013: 30,027 Mrd Euro
Quelle: Lufthansa
2015: 1,8 Mrd Euro
2014: 954 Mio Euro
2013: 699 Mio Euro
2015: 1,69 Mrd. Euro
2014: 55 Mio Euro
2013: 313 Mio Euro
2015: 107 Mio
2014: 106 Mio
2013: 104,6 Mio
Vergleichbare operative Marge:
2015: 5,2 %
2014: 3,7 %
2013: 3,0 %
2015: 119.559
2014: 118.973
2013: 117.414
Weil zwei Drittel aller Lufthansa-Kunden ihre Tickets über Fremdsysteme kaufen, summieren sich die Beträge schnell. Bis zu 250 Millionen Euro soll die Extragebühr jährlich bringen. Ein Drittel des operativen Gewinns im Jahr 2014 – und Geld, das die klamme Airline im Umbau dringend braucht.
Und trotz des heftigen Gegenwinds: Für ihren Vorstoß wird die Lufthansa in der Branche bewundert, hat er doch das Potenzial, das Geschäft tüchtig aufzumischen. Nachdem Spohr sein Modell auf der Jahreskonferenz des Weltluftfahrtverbands IATA im Juni vorgestellt hatte, erklärten bei einer spontanen Umfrage 96 der anwesenden rund 120 Fluggesellschaften, dass sie dem Vorbild Lufthansa gern folgen möchten.
Abkehr von den GDS
Ihnen geht es nicht allein darum, Gebühren weiterzuleiten, sondern um die Chance, sich unabhängiger von den Reservierungssystemen machen zu können. "Die GDS haben uns dank ihres Monopols ausgepresst und mit unserem Geld fantastisch verdient", sagt ein Manager einer großer Fluggesellschaft. Er spielt an auf die Umsatzrendite von rund 20 Prozent, die das Reservierungssystem Amadeus im ersten Halbjahr 2015 erreichte.
ie mächtigsten Reservierungssysteme
Amadeus
Umsatz: 3.412 Mio Euro
operatives Ergebnis: 955 Mio Euro
Marktanteil weltweit: 41 Prozent
Sabre
Umsatz: 1.934 Mio Euro
operatives Ergebnis: 317 Mio Euro
Marktanteil weltweit: 28 Prozent
Travelport
Umsatz: 1.620 Mio Euro
operatives Ergebnis: 121 Mio Euro
Marktanteil weltweit: 25 Prozent
Quelle: Handelsblatt
Einst mit Unterstützung der Airlines selbst ins Leben gerufen, um das Buchen von Tickets für externe Stellen wie Reisebüros zu erleichtern, ist deren Macht den Fluggesellschaften längst ein Dorn im Auge. Trotz verschiedener Anbieter am Markt besaßen die Großen eine Art Gebietsmonopol. In Europa kam keiner an Amadeus vorbei, in den USA niemand an Sabre.
Die Reservierungssysteme zwingen die Fluglinien zudem dazu, Transparenz zu zeigen, wo die es gar nicht wollen und mit standardisierten Angeboten vergleichbar zu sein. Dank GDS können nicht nur Reisebüros mit wenigen Mausklicks verschiedene Airlines direkt nebeneinander stellen, sondern dank verschiedener Onlineportale auch jeder Passagier selbst.
Angst bei den Reisebüros
Über ihre eigenen IT-Systeme können die Linien hingegen nicht nur vordefinierte Tickets verkaufen, sondern auch individuelle Extras. Die Airline werde ihre Leistungen künftig "mit maßgeschneiderten Preisangeboten und zusätzlichen Services flexibler und modularer anbieten", heißt das etwa im Sprech des Lufthansa-Konzerns, der zuletzt mit der Staffelung der Economy-Tarife für Aufsehen sorgte.
Die Einnahmen durch Extras wie zusätzliche Gepäckstücke, Sitzplatzreservierungen oder Lounge-Zugang sind für die Airlines eine wichtige Geldquelle. Während die Umsatzrendite der Flugtickets nach jahrelangem Preiskampf wenige Prozent beträgt, liegt sie bei den Zusätzen schon mal bei einem Drittel und mehr.
Die sechs größten Baustellen der Lufthansa
13 Mal haben die Piloten der Lufthansa in den vergangenen gut eineinhalb Jahren gestreikt. Die Vereinigung Cockpit sorgt sich, dass die Piloten unter anderem Abstriche Altersvorsorge hinnehmen müssen - und trotzdem immer mehr Jobs aus dem Tarifvertrag ausgelagert werden. Sie liefern dem Konzern deshalb den härteste Arbeitskampf in seiner Geschichte. Das ist nicht der einzige Knatsch mit dem Personal: Die Flugbegleiter von Ufo sind etwas moderater unterwegs, wollen aber auch ihre tariflichen Besitzstände verteidigen.
Carsten Spohr hat die Lufthansa auf eine Strategie mit zwei sehr unterschiedlichen Plattformen festgelegt, die jetzt gerade erst anlaufen. Die Kernmarke Lufthansa soll bei gleichzeitiger Kostensenkung zur ersten Fünf-Sterne-Airline des Westens aufgewertet werden - eine Luxus-Auszeichnung des Fachmagazins Skytrax, die bislang nur Airlines aus Asien und dem Mittleren Osten erreicht haben. Am anderen Ende der Skala steht künftig „Eurowings“, die nur noch als Plattform für die diversen und möglichst kostengünstigen Flugbetriebe des Lufthansa-Konzerns dienen soll. Die ersten Eurowings-Langstrecken ab Köln werden beispielsweise von der deutsch-türkischen Gesellschaft Sunexpress geflogen. Noch komplizierter wird das Angebot durch die Strategie, auf beiden Plattformen jeweils unterschiedliche Service-Pakete anzubieten.
So richtig gut läuft es für die Lufthansa mit ihrem schwierigen Heimatmarkt Zentraleuropa eigentlich nur in den Neben-Geschäftsbereichen Technik und Verpflegung. In ihrem Kerngeschäft der Passagier- und Frachtbeförderung fliegt die Lufthansa unter dem Strich Verluste ein. Spohrs Plan, Wachstum nur noch in kostengünstigen Segmenten stattfinden zu lassen, bedeutet eigentlich einen Schrumpfkurs für die Kerngesellschaft der Lufthansa Passage. Doch den Mitarbeitern wird Wachstum auch dort versprochen.
Sinkende Ticketpreise sind gut für die Passagiere, knabbern andererseits aber an den schmalen Margen der Fluggesellschaften. Bereits im vergangenen Jahr sind die Erlöse auf breiter Front um drei Prozent zurückgegangen. Der zuletzt stark gesunkene Kerosinpreis begünstigt derzeit Gesellschaften, die sich nicht gegen starke Preisschwankungen abgesichert haben. Lufthansa gehört nicht dazu, sondern hat einen Großteil ihres Spritbedarfs für die kommenden zwei Jahre bereits abgesichert und leidet zudem an der ungünstigen Währungsrelation zwischen Euro und Dollar. Um ihre Tickets zu verkaufen, muss sie aber die Kampfpreise der Konkurrenz halten.
In regelmäßigen Abständen verlangt Lufthansa politischen Schutz vor dem angeblich unfairen Wettbewerb durch Fluggesellschaften vom Arabischen Golf. Zuletzt stimmten auch die großen US-Gesellschaften in den Chor ein. Aber es bleibt dabei: Emirates, Qatar Airways und Etihad lenken mit immer größeren Flugzeugen tausende Fluggäste aus Europa über ihre Wüstendrehkreuze und haben bereits weite Teile des Verkehrs nach Südostasien und Ozeanien fest im Griff. Um streitbare Gewerkschaften, hohe Gebühren und Sozialabgaben oder Nachtflugverbote an ihren Heimatbasen müssen sich die Araber keine Gedanken machen. Zudem ändern die europäischen Billigflieger ihr Geschäftsmodell und werden für Geschäftsleute immer attraktiver. So folgt Ryanair dem Vorbild von Easyjet und verlässt die Provinz-Flughäfen. Am Eurowings-Drehkreuz Köln-Bonn treten die Iren demnächst sogar wieder mit Inlandsflügen nach Berlin an.
Auf Hilfe aus Berlin oder Brüssel hat die Lufthansa in den vergangenen Jahren meist vergeblich gewartet. Die nationale Luftverkehrssteuer verteuert Tickets für Flugreisen von deutschen Flughäfen. Sie bietet zudem der europäischen Konkurrenz Anreize, Umsteiger auf die eigenen Drehkreuze zu locken. Grenznah lebende Passagiere können gleich ganz auf ausländische Flughäfen und Airlines ausweichen. Den häufig angemahnten nationalen Luftverkehrsplan gibt es auch immer noch nicht. Dafür unsinnige Subventionen für Regionalflughäfen, die bislang das Geschäftsmodell der Billigflieger gestützt haben.
Schafft es die Lufthansa, die Kunden ohne nennenswerten Verlust auf die eigene Buchungsseite zu ziehen, bringt ihr das zudem nicht nur mehr Geld. Sie bekäme auch sehr viel mehr Daten über die Passagiere als bislang. Das ließe sich nutzen, um direkt mit Kunden Kontakt aufzunehmen, etwa um ihnen gewinnbringende Extras vor dem Flug leichter verkaufen zu können – per E-Mail zum Beispiel.
Unter anderem Malaysia-Airlines-Chef Christoph Müller spielte bereits öffentlich mit der Idee, die Preise für Tickets künftig auch anhand der bisherigen Buchung festzulegen. Dank der Daten aus den eigenen Buchungssystemen bekämen die Linien ihre Flieger zum für sie besten Preis voll. Das Nachsehen hätten Kunden und Reisebüros, die auf der Suche nach dem Bestpreis verschiedene Anbieter und Portale miteinander vergleichen müssten.
Sonderfall Lufthansa
Kein Wunder also, dass der Kunden-Schreck der Lufthansa für andere Airlines als Vorbild taugt. Doch bis sie einen ähnlichen Schritt gehen, könnte es sich noch eine Weile hinziehen. Zum einen können viele die Gebühr noch gar nicht erheben. "Lufthansa war ein Sonderfall, weil bei den Kollegen die Verträge mit den GDS ausgelaufen sind", erklärt etwa Alexandre de Juniac, Chef von Air-France-KLM. "Unsere hingegen laufen noch und binden uns."
Zum anderen wollen viele Gesellschaften erst mal abwarten, ob sich das System durchsetzt, heißt es aus der Branche. Holt sich Lufthansa mit ihrem Vorstoß keine blutige Nase, dürften fast alle Fluglinien nachziehen.
Allein der Gedanke daran lässt in den Reisebüros die Alarmglocken schrillen. "Unsere Befürchtung ist natürlich, dass das Vorgehen der Lufthansa Schule macht", sagt eine Sprecherin des Deutschen Reiseverbands. "Es wäre Irrsinn, wenn plötzlich jede Fluglinie auf ihr eigenes Buchungssystem setzt und ein Rückschritt in vorsintflutliche Buchungsmethoden von vor Jahrzehnten."