Bis zur vergangenen Woche konnte Eurowings-Chef Karl Garnadt noch entspannt zusehen, als beim Erzrivalen Air Berlin Chaos herrschte. Denn Probleme bei einem Wettbewerber füllten bisher dem von Garnadt geleiteten Billigableger der Lufthansa und den Konzernschwestern regelmäßig die Maschinen – vor allem mit Geschäftsreisenden, die nichts mehr hassen als unnötige Wartezeiten am Flughafen und dafür bis zum Fünffachen eines Touristen zahlen.
Doch als diese Woche bei Air Berlin Hunderte Flüge drastisch verspätet waren oder gar ganz ausfielen, war Garnadt plötzlich hellhörig. Denn die durch eine Welle spontaner Arbeitsunfähigkeit vor allem bei Piloten ausgelösten Probleme betreffen ihn jetzt mehr oder weniger direkt.
Schließlich will Garnadt spätestens im kommenden März von Air Berlin für sechs Jahre 35 Flugzeuge nebst Besatzung anmieten. Offiziell soll das Eurowings groß genug machen, um mit den Billigmarktführern wie Easyjet oder Ryanair mitzuhalten.Inoffizielles und viel wichtigeres Ziel ist jedoch die Lufthansa-Heimatmärkten Deutschland, Österreich und Schweiz so gut es geht so breit machen, dass größeren und gesünderen Flugdiscountern wie Ryanair und Easyjet möglichst wenig Platz zum Wachsen bleibt.
Doch so gut Garnadts Air-Berlin-Deal auf dem Papier auch ist: In der Praxis ist er riskant – und er wird quasi täglich riskanter. Mit Air Berlin wird es für Eurowings noch schwerer, den Flugbetrieb pünktlich und zuverlässig zu organisieren. Dazu drohen die aktuellen Servicemängel bei Air Berlin auf Eurowings abzufärben. Und zu guter Letzt könnte der langjährige Zwist zwischen den Flugbegleiter-Gewerkschaften UFO und Verdi auch bei der Lufthansa wieder eskalieren.
Dabei hat Garnadt schon jetzt mehr als genug zu tun. Der Eurowings-Flugbetrieb hakt bereits heute ohne Air Berlin häufig. Weil Eurowings ihre – ohne die Hauptstadt-Linie – fünf Flugbetriebe wie Sun Express oder die österreichische Eurowings Europe nur mühsam unter einen Hut bekommt, musste sie immer wieder den Flugplan aus Personalmangel kappen. Und trotz der Anpassungen fielen allein am vergangenen Wochenende laut Meldungen wieder gut ein Dutzend Flüge aus.
1. Risiko: zu viele Flieger auf einen Schlag
Kommt Air Berlin nun dazu, wird die fliegerische Vielfalt noch größer und schwerer zu managen. Läuft alles wie geplant, wächst die Flotte mit den 35 Air-Berlin Fliegern Ende März quasi über Nacht um mehr als ein Drittel. „Ein solches Tempo hat sich bisher nicht mal Ryanair zugetraut“, so der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Kompliziert wird der Schritt dadurch, dass die Maschinen der Berliner für Eurowings neu erfasst, erprobt, lackiert und eingerichtet werden müssen.
Das wird bei manchen schwierig. Ein Teil der Flotte gilt als unzuverlässig, etwa die gut ein Dutzend Airbus-Jets, die Air Berlin im vorigen Jahr der ebenfalls von Etihad geführten Alitalia abgenommen hat. Diese können offenbar wegen zu schwacher Schubkraft der Triebwerke etwa in Flughäfen wie Tegel nicht auf denen für Starts vorgesehene kürzeren Bahn abheben, sondern müssen aus Sicherheitsgründen die für Landungen vorgesehene längere Bahn nutzen, was oft zu längeren Wartezeiten führt.
2. Risiko: Patziges Personal
Neben den Jets muss Eurowings auch gut 2000 neue Mitarbeiter umschulen auf die eigenen Arbeitsweisen und die Servicestandards. Das wird kein Selbstläufer. Besonders letzteres wird nicht leicht. Denn bei den Berlinern sind die Zeiten vorbei, als sie Marktforscher wie Skytrax zur „Besten Europäische Billiglinie“ kürten.
Bereits in den vergangenen Wochen waren die Probleme größer denn je. „Die immer neuen Sparprogrammen der vergangenen Jahre sorgten dafür, dass es nicht nur bei den Finanzen, sondern auch beim Service an allen Ecken und Enden knirscht“, sagt ein deutscher Flughafen-Chef.
Und die Unsicherheit der Belegschaft ist weiter gewachsen. Neben dem Deal mit Eurowings gibt die Linie ein weiteres Viertel des Flugbetriebs an ein noch zu gründendes Gemeinschaftsunternehmen mit dem Reisekonzern TUI und dem größten Air-Berlin-Aktionär Etihad. „Ob und in welcher Höhe Air Berlin dran am Ende beteiligt bleibt, weiß heute nicht mal die Unternehmensspitze“, so ein Insider. „Wie soll ein Beschäftigter da ausschließlich an den Kunden denken?“
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Worauf sich Eurowings-Kunden möglicherweise einrichten sollten, zeigt ein Blick in die sozialen Medien. Hier zelebrieren nicht nur nicht nur spezielle Twitter-Accounts wie @airberlinhell alle Patzer. Auch die Facebook-Seite der Berliner dominieren Beschwerden.
Dabei geht es nicht nur um übliche Pannen wie etwa verspätetes oder gestohlenes Gepäck. Oft ärgert die Kunden die nicht selten teilnahmslose Reaktion des Servicepersonals. So klagt ein Kunde, dem die Flugbegleiterin gerade einen Kaffee über den Anzug geschüttet hat, er habe statt einer Entschuldigung die Antwort bekommen, er soll doch lieber mal froh sein, dass er nicht verbrüht worden sei. Die Jacke könne er ja zuhause waschen. Und als er sich per Mail beschwerte, gab es einen unpersönlichen Standardtext.
Am häufigsten bemängeln die Kunden Verspätungen bemängelt. „Bei Air Berlin stieg die Zahl der Beschwerden gegenüber dem Vorjahr um fast die Hälfte – obwohl die Zahl der Flüge gesunken ist“, sagt Andreas Sernetz, Chef des Fluggastrechteportals Fairplane, das für Kunden Entschädigungen eintreibt. Wettbewerber wie Condor legen bei der Zahl der Beschwerden nur einstellig zu, obwohl auch sie – nach den Terroranschlägen in der Türkei und Ägypten – ihre Flugpläne kräftig umbauten.
3. Risiko: Mehr Arbeitskämpfe
Auch der Betriebsfrieden bei Eurowings könnte beim Zugang von Air Berlin leiden. Zwar hatten die Berliner in den vergangenen Jahren keine größeren Streiks. Die Lufthansa hingegen kam auf mehr als ein Dutzend, bei fast allen ging es um die im Vergleich zum Rest der Lufthansa niedrigeren Eurowings-Gehälter.
Die Ruhe bröckelt bereits. Zwar hat sich Lufthansa mit der für die Flugbegleiter zuständigen Gewerkschaft UFO nach langem Ringen und dem längsten Ausstand der Lufthansa-Geschichte auf ein neues Abkommen geeinigt, dass den niedrigeren Einkommen bei den Billigfliegern Rechnung trägt. Doch in dieser Woche drohte UFO wieder mit Streik.
Wie es bei der Lufthansa besser werden soll
Service: | andere sind besser |
Lösung: | mehr und besser maßgeschneiderte Angebote |
Kosten: | sind zu hoch |
Lösung: | schlankere Abläufe und neue Ansätze |
Veränderungen: | dauern viel zu lange |
Lösung: | Probierkultur statt perfekt geplanter Programme |
Wartungstochter: | Technologievorsprung bröckelt |
Lösung: | neue Geschäftsfelder mit anspruchsvolleren Produkten |
Fracht: | wachsende Billigkonkurrenz |
Lösung: | automatisierte Abfertigung und neuer Hightechservice |
Ein Grund ist, dass Lufthansa aus Sicht der Gewerkschaft den Tarifkompromiss zu Ungunsten der Beschäftigten verändern will. Dazu fürchtet UFO gegen die Konkurrenz von Verdi ausgespielt zu werden, die dank des Zuwachses durch Air Berlin nun wieder eine Vorreiterrolle bei Tarifverhandlungen fordern könnte. „Wir schauen Ver.di genau auf die Finger“, sagt UFO-Sprecher Nicoley Baublies.
Zudem könnten aus UFO-Sicht durch Air Berlin Jobs verloren gehen. Schließlich verkündete Eurowings-Chef Garnadt, Air Berlin nur beschäftigen zu wollen, wenn deren Flüge nicht mehr kosten als die Dienste bei der günstigsten seiner bislang fünf Eurowings-Flugbetriebe. „Das bedeutet im Klartext: Bis zu vier der heutigen Töchter sind dann teurer als Air Berlin und würden dann bei Kürzungen als erste runtergefahren“, so ein Arbeitnehmervertreter.
Die Gefahr ist real. Denn bei der Air Berlin-Übernahme gibt es neben den genannten internen Hürden noch ein großes Hindernis von außen: Die Wettbewerbsbehörden. Die könnten etwa verlangen, dass Lufthansa an Flughäfen wie Hamburg oder Köln Flugrechte abgibt und weniger Flugzeuge betreibt als geplant. Für den Fall wird laut Unternehmenskenner bei Lufthansa intern bereits diskutiert bis zu zehn Maschinen der bisherigen Flotte – zumindest vorüber gehend – am Boden zu lassen.
Doch am Ende schrecken die Risiken durch Air Berlin die Eurowings-Macher nicht ab. „So schlimm es auch werden mag, wenn wir den Air-Berlin-Deal sein lassen, schrumpft Air Berlin trotzdem oder verschwindet – und dann wird es richtig ungemütlich“, so ein Lufthanseat.
Wie sehr, das zeigte Ryanair-Chef Michael O’Leary zu Beginn der Woche. Er startete eine neue Niederlassung in Nürnberg, erweiterte sein Angebot in Hamburg sowie Köln und garnierte es mit den Worten: „Ich freue mich auf einen Preiskampf.“
Wie der aussieht hat Eurowings in Köln bereits erlebt. hier musste die Linie den Flug nach Berlin-Schönefeld streichen, weil bei Ryanair die Tickets in der Regel nur halb so teuer waren.