Lufthansa Wie Carsten Spohr die Airline umkrempeln will

Billigflieger und Golfairlines setzen der Lufthansa zu. Konzernchef Carsten Spohr verordnet der Traditionslinie Innovationen. Doch er stößt auf Widerstand.

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Lufthansa: Carsten Spohr verordnet der Traditionslinie Innovation. Quelle: Bloomberg

In dem Altbau rund 100 Meter von der Gedenkstätte Berliner Mauer entfernt knarzen die ungeschliffenen Holzstufen. Die Treppenhauswände haben einen ungesunden Grünton, auf einem Treppenabsatz steigt Carsten Spohr über Kinderschuhe hinweg.

Die Umgebung ist ebenso ab- wie ungewohnt für den Lufthansa-Chef, der sein Berufsleben sonst in Hightechgebäuden verbringt. Hier gibt es nicht mal einen Aufzug, das helle Sakko auf Spohrs sportlichem Oberkörper spannt, weil es an Kragen und Schultern nach hinten gerutscht ist.

Doch wer modern sein will, muss leiden, und als der 49-Jährige im vierten Stock durch die Wohnungstür in den halbdunklen Flur tritt, hat sich die Mühe sichtbar gelohnt. Schnell macht sich ein dickes Lachen im Gesicht des Konzernchefs breit. Und beim Weg vorbei an ein paar ausrangierten Flugsesseln ruft er den Anwesenden ein lockeres „Hallo“ in jenem tragend-durchsetzungsfähigen Ton zu, der eine Jugend im und am Gelsenkirchener Parkstadion belegt.

Mit diesen Angeboten will die Lufthansa künftig punkten
Warum Konzernchef Spohr auf Innovation setzt 2015 war für die Lufthansa ein Rekordjahr. Doch die Aussichten sind bestenfalls gemischt. Im Wettbewerb mit Billigfliegern und Konkurrenten aus den Golfstaaten leidet der Konzern unter hohen Kosten, vergleichsweise altbackenem Service und gemächlichen Abläufen. Stärker als seine Vorgänger setzt Konzernchef Carsten Spohr darum auf Neuerung bei den Angeboten. „Qualität und Effizienz kann jede Airline lernen“, sagt Spohr. Innovation nicht. Quelle: dpa
Besserer Service durch kontaktlose Kontrollen„Wir müssen um das besser sein, was wir wegen des Standorts Deutschland, teurer sein müssen“, begründet Konzernchef Spohr seine Service-Offensive. Kern sind Neuerungen für Geschäftsreisende und Vielflieger. Sie bringen der Airline das meiste Geld. Zu den Innovationen zählt die kontaktlose Kontrolle an den Türen zur Lounge oder den Flugsteigen. Hier lesen Empfangsgeräte die Daten auf der Vielfliegerkarte oder dem Handy. Die Technik erkennt, ob ein Passagier in die noblen Warteräume darf. Damit entfällt das lästige rauskramen der Karte. Stand: Ist an ersten Lounges im TestbetriebBildquelle: Lufthansa Quelle: PR
Verkauf von Extras via Mail und virtueller RealitätNichts ist im Airlinegeschäft rentabler als der Verkauf von Extras zum Ticket. Um die Kundschaft nicht durch das Streichen bisher kostenloser Service zu verärgern, bietet Lufthansa im Rahmen des Smile-Programms für mehr Service vermehrt Dinge, die bisher nicht zu kaufen waren. Wer früh am Airport ist, bekommt etwa in München per Mail oder SMS die Frage, ob er gegen Aufpreis in die Lounge will. In New York gewähren die Lufthanseaten per Virtual-Reality-Brillen einen Einblick in die Premium-Economy oder die Business Class – und verkaufen dann gern das passende Upgrade. Das ist erst der Anfang. Die Datenbrillen könnten bald einen plastischen Eindruck der Angebote im Bordkatalog vermitteln. Stand: Feldversuche laufen Quelle: dpa
Koffersuche per Big Data Wenig vermiest die Reise so wie ein verlorener Koffer. Zwar kann die Lufthansa fehlgeleitetes Gepäck nicht verhindern. Doch sie will die Folgen mildern. Ein mit Rimowa und der Telekom entwickelter Koffer zeigt auf einem Display Ziel und Besitzer des Gepäckstücks - selbst wenn das Bändchen abgerissen ist. Zudem will die Lufthansa künftig schon nach der Landung direkt informieren, dass der Koffer nicht auf dem Band liegt. Mit Hilfe der Daten aus früheren Kofferverlusten soll ausgerechnet werden, wann der Besitzer mit ihm rechnen kann.Stand: Der Koffer ist zu kaufen, die Infodienste laufen im Probebetrieb Quelle: dpa
Fracht für Privatleute Wenn die Urlaubsmitbringsel auf der Heimreise die Gepäckgrenze sprengen, kostet das in der Regel hohe Übergepäck-Zuschläge. Künftig will die Lufthansa ihren Kunden diesen Transport mit anbieten. Das erspart Reisenden die lästige Suche nach einem lokalen Spediteur, der sich der Sache annimmt, oder den teuren Gang zu Expressdienstleistern wie DHL oder FedEx.Stand: Feldversuche laufen Quelle: dpa
Lukrativer Wachstumsmarkt Drohnen Mit dem Boom ferngesteuerter oder autonomer Flugkörper wachsen die Ansprüche an die Betreiber in den Bereichen Sicherheit und Zuverlässigkeit. Davon erhofft sich Konzernchef Spohr Aufträge von Unternehmen, die ihre Drohnen sicherheitshalber von Profis wie der Wartungstochter Lufthansa Technik betreuen und mit Extras aufrüsten lassen wollen. Derzeit läuft eine Studie bei der Beratungstochter LH Consulting, wie sich damit Geld verdienen lässt. Stand: erste Studien ab Juli fertig(Symbolbild) Quelle: dpa
Mobiles Bezahlen für Vielreisende Bezahlen per Kreditkarten ist nicht nur bequem, sondern oft auch etwas unsicher und in jedem Fall lästig, wenn es darum geht, die Belege für die Spesenabrechnung zuordnen. Da will die Lufthansa-Bezahltochter Airplus helfen: Zum einen soll sich eine virtuelle Kreditkarte unter anderem in Kassensysteme etwa in Restaurants einloggen. Sie sammelt dann nach dem Einbongen die Posten. Beim Bezahlen bleibt den Kunden die Überraschung erspart. Getrenntzahlern erlaubt die VR-Karte das vorzeitige Auseinanderrechnen. Ein Reiseassistent sammelt Belege und ordnet sie für die Spesenabrechnung. Stand: Prototypen laufen (Symbolbild) Quelle: dpa

Tatsächlich ist Spohr der konzernweit wohl größte Fan der Berliner Büro-WG. Eigentlich entwickelt die Tochter bloß Apps und andere Ideen für Onlinegeschäfte, aber der Konzernchef sieht sie auch als Keimzelle einer neuen, digitalen, schnellen Lufthansa. Um allen den Stellenwert klarzumachen, gab er ihr den flotten Namen „Innovation Hub“. Sie soll Drehkreuz eines konzernweiten Erneuerungsprogramms sein, mit dem Spohr die Gebrechen des 90-jährigen Konzerns heilen will.

Lufthansa hat hohe Kosten

Im Wettbewerb mit Billigfliegern und Konkurrenten aus den Golfstaaten wie Etihad leidet die Lufthansa unter hohen Kosten und gemächlichen Abläufen. „Wollen wir Kunden den Aufpreis wert sein, den wir wegen unserer höheren Kosten am Standort Deutschland verlangen müssen, brauchen wir einen steten Fluss neuer Ideen“, sagt Spohr.

Wie es bei der Lufthansa besser werden soll

Innovationen waren deshalb schon ein zentraler Punkt in seinem Plan 7 to 1, den er im Juli 2014 40 Tage nach seinem Amtsantritt 2014 vorstellte. Doch dann folgten erst mal zwei Jahre Widrigkeiten und Rückschläge. Die Belegschaft streikte mehr als ein Dutzend Mal, eine Maschine der Tochtergesellschaft Germanwings stürzte ab, es häuften sich die Flugpannen. Nun aber will Spohr endlich „Treiber, nicht Getriebener “ sein. Er will durchstarten.

Kein Hurra für Effizienz

Sein Programm dazu hat er mittlerweile auf die drei Kernthemen Qualität, Effizienz und Innovation zusammengestrichen. „Weil sich drei Dinge halt besser merken lassen als sieben“, sagt er und holt damit einen Lacher bei seinen neun in der Berliner Wohnung anwesenden Hoffnungsträgern, die für ihren Chef sogar die MacBooks zugeklappt haben. Nachdem sich Spohr im ehemaligen Wohnzimmer kurz ein paar Projekte hat zeigen lassen, wird er ernst: „Alles, was wir tun, muss in diese Logik passen. Sonst braucht es diese Sache nicht.“

Das Bekenntnis zu Innovation gehört zum Standardrepertoire jeder Vorstandsansprache. Spohrs Vorgänger Christoph Franz war da keine Ausnahme. In der Berliner Start-up-Szene werkeln mittlerweile auch Abgesandte anderer Großkonzerne. Und wenn der Lufthansa-Chef erklärt, dass Europas größte Fluglinie eine Kultur brauche, in der „das tägliche Arbeiten an mehr Kundennähe und schnellen Neuerungen“ alltäglich ist, klingt auch das erst mal nach den üblichen Phrasen.

Doch Spohr schiebt das Thema persönlich an. Er hat einen gruppenweiten Innovationspreis ins Leben gerufen, an dem sich im vergangenen Herbst 135 Teams aus dem Konzern beteiligten. Und er steckt viel Geld ins Flugziel permanente Revolution. Bis 2020 hat er dafür jeweils gut 100 Millionen Euro pro Jahr eingeplant – das ist der Gegenwert eines neuen Großraumjets Typ Airbus A330. Das Geld soll auch in solche Projekte fließen, die sonst „kein Geld bekämen, weil der Erfolg nicht sicher ist“, so der LH-Chef. Seine Leute sollen sich was trauen.

Profitieren sollen alle

Apps, der Einsatz virtueller Realität beim Verkauf von Extras für Fluggäste, neue Systeme für eine bessere Beladung der Frachter, Drohnen – Spohr will das volle Programm. Profitieren sollen alle:

  • Passagiere bekommen besseren Service: „Wir müssen die Bedürfnisse der Kunden schneller und genauer erkennen und erfüllen“, gibt Spohr vor. Beispielhaft sei das Smile-Projekt, das unter anderem durch die Analyse großer Datenmengen neue Angebote wie Lounge-Besuche für Wenigflieger erlaubt oder beim Aufspüren von verlorenem Gepäck hilft. Auch die zukaufbaren Extras bei der Billiglinie Eurowings zählen für Spohr zu dieser Kategorie.
  • Mitarbeiter sollen nach zermürbenden Abbaurunden und Streiks frisch motiviert und ans Unternehmen gebunden werden. „Fordere ich mehr Effizienz, schreit keiner Hurra, bei mehr Neuerungen und Kundennähe aber fast jeder“, sagt der Lufthansa-Chef.
  • Investoren lockt Spohr damit, dass sich der Plan finanziell lohnt. Via Datenbrille etwa können Mitarbeiter Kunden am Flughafen Extras wie die Premium-Economy-Kabine zeigen – und gleich das passende Upgrade verkaufen.

Welche Airlines ihre Kunden verwöhnen
Menschenmengen an den Flughäfen Quelle: dpa
Michael O´Leary. Quelle: dpa
Tuifly Quelle: dpa
Germanwings Quelle: dpa
Condor Quelle: AP
Air Berlin Quelle: dpa
Turkish Airlines Quelle: REUTERS

Mit solchen Neuerungen ist Spohr spät dran. „Nicht nur Industriekonzerne wie General Electric, sondern auch Billigflieger wie Norwegian und Easyjet sind da Jahre voraus“, sagt Andrew Lobbenberg, Analyst der Investmentbank UBS. Bisher hat sich die Lufthansa vor allem dadurch ausgezeichnet, dass sie oft als Erste neue Flugzeugmodelle wie den sparsamen Airbus A320neo kaufte. Mit Kundennähe und Effizienz war es nicht weit her.

Sitzsack, Sand und Bierfass

Das soll nun anders werden. Doch wie jede Revolution stößt auch Spohrs Programm intern auf Widerstände. Vergleichbare Großprogramme hatten bei der Lufthansa bislang stets das Ziel, die Kosten zu senken.
Entsprechend schlecht ist ihr Ruf: „Solche Programme haben wir erst ein halbes Jahr diskutiert, dann präsentierte ein Stab von zig Leuten detaillierte Vorgaben, und nach einem weiteren halben Jahr lief dann die Umsetzung. Sind die Ziele erreicht, ist zwei Jahre Ruhe, und alle fallen ins Reformkoma, bis das Ganze von vorn losgeht“, lästert ein hochrangiger Lufthanseat. Den Umbau zum Alltag zu machen ist schwer.

Andrew Muirhead arbeitet daran. Dem Büro des Innovationschefs der Wartungstochter Lufthansa Technik in Hamburg fehlt der konzerntypische Ernst. Es ragt als gelber Würfel ins Treppenhaus des bumerangförmigen Innovationszentrums, zur Dekoration zählen Spielsachen wie rückstandslos fließender kinetischer Sand.

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Vor der Tür hängt ein offenes Bierfass. Das ist kein Ansporn zu abendlichen Partys, sondern Basis für Innovationen bei Lufthansa Technik. Wer eine Idee hat, nimmt sich einen der neben dem Fass liegenden Bierdeckel und beschreibt auf einer Seite ein Problem. Auf der anderen Seite skizziert er dessen Lösung und sagt, wie die Lufthansa so Geld verdienen kann. „Mehr Platz gibt es nicht, so kommt jeder schnell auf den Punkt“, sagt Muirhead.

„Die Lösung ist ...“

Es soll auch an diesem einfachen Konzept liegen, dass die Lufthansa die Zahl neuer Patente in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt hat.

Die wichtigsten Billigflieger in Deutschland

Muirhead hat die Abläufe auch jenseits des Bierfasses renoviert. In sein Team holte er neben in der Wolle gefärbten Flugzeugtechnikern auch Meeresbiologen. „Fachfremde trauen sich eher, jene vermeintlich dummen Fragen zu stellen, die uns weiterbringen“, sagt der gebürtige Australier.

Formulierungen wie „Das geht nicht“ oder „Das Problem ist ...“ sind bei Sitzungen verpönt, stattdessen sollen seine Leute lieber „Das geht, wenn ...“ oder „Die Lösung ist ...“ sagen. Meetings mit Tischen und Stühlen hat Muirhead durch Runden auf Sitzsäcken ersetzt.

Die Weiterentwicklung ist alternativlos

Dabei wurde er direkt mit der Schwerfälligkeit eines Großkonzerns konfrontiert. Die Beschaffungsabteilung blockierte die Renovierung zunächst, weil ihre SAP-Systeme keine Brainstorming-Möbel vorsahen. Mittlerweile buchen aber Kollegen aus allen Konzernteilen Muirheads Denkraum.

Dass sich sein Programm gegen die Trägheit der Organisation durchsetzen muss, ist Spohr bewusst. „Doch es gibt am Ende keine Alternative zur Weiterentwicklung“, sagt er. Um Widerstände zu minimieren, will er die Hierarchien reduzieren. Er hat eine Führungsebene gestrichen und die Verantwortung für Zentralfunktionen wie die Gestaltung der Flugzeugkabine in Tochtergesellschaften verlagert.

Sozialdumping zur Innovation?

Spohr kämpft nicht nur mit den Gesetzen der Schwerkraft, sondern auch mit den Arbeitnehmervertretern. Sie nehmen ihm übel, dass er Tausende Jobs wie aktuell bei den Flugküchen gestrichen hat und beim Start des Billigablegers Eurowings die bestehenden Tarifverträge trickreich aushebelte, indem er neue Tochtergesellschaften in Österreich gründete. „Wenn Sozialdumping zur Innovation gehört, ist das nicht unser Weg“, ätzt ein hochrangiger Pilotenvertreter.

Wenn es auf der Bordtoilette nicht mehr müffelt
Ein Sitz zum Stehen  Quelle: PR
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Ein Betriebsrat sieht Spohrs Lieblingsprojekt skeptisch: „Der Innovation Hub ist vor allem eine Spielwiese, auf der sich frühere Vorstandsassistenten präsentieren können. Im Alltag bringt uns das wenig“, sagt er.

Das würde Spohr so nie stehen lassen. Bei seinem Besuch lobt er den Berliner Ableger dafür, dass er allein oder mit Partnern bereits ein Dutzend Apps und Webseiten in Deutschland, der Schweiz und Österreich sowie in Großbritannien und Südkorea aufgelegt hat. Das bescherte dem Konzern eine fünfstellige Zahl neuer Kunden. Die 750.000 Euro Startkapital soll der Innovation Hub schon wieder reingeholt haben. So soll es weitergehen. Und zwar in der ganzen Lufthansa.

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