Am Dienstagnachmittag konnte sich Lufthansa-Chef Carsten Spohr kurz freuen. Am Morgen hatte die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit zwar den fünften Streik in einer Woche losgetreten. Doch kurz nach 14 Uhr stärkte Spohr ein Teil des Betriebsrats unverhofft den Rücken.
Vertreter des Bodenpersonals riefen zu einer Gegendemonstration gegen die Flugzeugführer auf. „Was immer die Piloten herausholen, muss am Ende des Tages an anderen Stellen im Unternehmen gegenfinanziert werden", sagte Rüdiger Fell vom Lufthansa-Betriebsrat Frankfurt Boden, der sich der nicht-gewerkschaftlichen „Vereinigung Boden“ zugehörig fühlt. „Was sie als Erhöhung fordern, haben viele Kollegen an der Station Frankfurt als volles Gehalt.“
Doch Spohrs Freude über die Rückendeckung währte nicht lange. Statt einer Front der Solidarität gegen die gut bezahlten Flugzeugführer zeigte die Anti-Pilotendemo schmerzlich die wachsende Spaltung des Unternehmens. Schnell distanzierten sich die anderen Gewerkschaften des Unternehmens mehr oder weniger deutlich von dem Aufruf.
Zuerst sagte sich Verdi als mitgliederstärkste Arbeitnehmervertretung von dem Aufruf der Bodenkollegen los. „Wir halten die Demonstration für falsch und haben unsere Mitglieder aufgefordert, daran nicht teilzunehmen“, sagte Verdi-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle. Es folgte die Kabinengewerkschaft Ufo. Deren Tarifchef Nicoley Baublies nannte den Aufruf „ein bitteres Armutszeugnis“.
Bruderkampf der Gewerkschaften
Im Laufe des Dienstagnachmittags hieß es dann aus Pilotenkreisen, dass der Beschluss des Bodenbetriebsrats denkbar knapp ausgefallen war. „Von den 33 Mitgliedern des Gremiums haben höchstens neun dafür gestimmt“, so ein erboster Pilot. „Ist das unsere Art von Demokratie?“
Immer wieder Streiks bei Lufthansa und ihren Töchtern
Flugkapitäne der Lufthansa legen mehrmals die Arbeit nieder. Von dem Premieren-Streik sind mehrere tausend Verbindungen betroffen. Am Ende erstreitet die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) ihren ersten Tarifvertrag.
Das Boden- und Kabinenpersonal der Lufthansa streikt fünf Tage lang. Mehrere hundert Flüge fallen aus. Die Gewerkschaft Verdi und das Unternehmen einigen sich am Ende auf höhere Gehälter.
Die Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo verursacht den bis dahin größten Ausfall an einem einzigen Streiktag in der Geschichte der Lufthansa. Rund 1000 Flüge werden gestrichen, es trifft über 100.000 Passagiere. Beide Seiten beschließen eine Schlichtung.
Ein Warnstreik des Bodenpersonals legt den Flugverkehr der Lufthansa in Deutschland fast lahm. Der Airline zufolge sind rund 150.000 Passagiere betroffen. Im Mai verabreden Verdi und der Konzern anschließend gestufte Entgelterhöhungen und einen Kündigungsschutz.
Start einer Streikserie von mittlerweile 13 Runden der Lufthansa-Piloten. Anfangs fallen rund 3800 Flüge aus. Es geht um Übergangsrenten, Gehalt, Altersvorsorge und im Hintergrund auch immer um die Billigtochter Eurowings.
Die Piloten erklären die im Mai begonnene Schlichtung für gescheitert. Drei Wochen später bieten sie Lufthansa Einsparungen von über 400 Millionen Euro an, um Job-Verlagerungen zu verhindern.
Vorerst letzte Etappe des Pilotenstreiks: 16 Stunden Ausstand auf der Langstrecke sowie am folgenden Tag auch auf den Kurz- und Mittelstrecken. Das Landesarbeitsgericht Hessen erklärt den Ausstand für unrechtmäßig, weil tariffremde Ziele verfolgt würden. Seit April 2014 sind wegen der Pilotenstreiks mehr als 8500 Flüge ausgefallen, wovon rund eine Million Passagiere betroffen waren.
Die Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo startet einen einwöchigen Ausstand des Lufthansa-Kabinenpersonals. Der Konflikt wird schließlich vom SPD-Politiker Matthias Platzeck geschlichtet.
Ufo ruft bei Eurowings und Germanwings das Kabinenpersonal zu einem 24-stündigen Streik auf. Der Konflikt dauert an.
Nachdem Verhandlungen über die Vergütung von rund 5400 Piloten der Kerngesellschaft Lufthansa und der Tochter Germanwings gescheitert sind, ruft die VC erneut zum Streik auf. Die Gewerkschaft fordert - über fünf Jahre - ein Plus von 22 Prozent.
Der plötzliche Bruderkampf der Gewerkschaften dürfte nicht nur Spohr überrascht haben. Denn noch im vorigen Jahr hatte auch die Kabinenpersonal-Gewerkschaft Ufo den Pilotenstreik scharf kritisiert. Der Ufo-Tarifverantwortliche Uwe Hien kritisierte im September 2015, dass die „verhärteten Positionen, die weiter einzementiert werden, letztlich Arbeitsplätze der gesamten Lufthansa bedroht werden“. Und wer dieser Tage privat mit dem Lufthansa-Service-Personal spricht, spürt ebenfalls den wachsenden Unmut über die Piloten und ihre Gehaltsforderungen.
Doch mindestens ebenso stört die Beschäftigten der Umbaukurs von Spohr. "Die Doktrin von Herrn Spohr, das gesamte Tarifgefüge komplett aufzubrechen, funktioniert nicht", sagt Gewerkschafter Baublies.
Die Bedrohung durch Ryanair scheint trügerisch weit weg
Am besten erklärt den plötzlichen Mangel an Solidarität mit der Anti-Piloten-Demo ein Schreiben der Verdi Jugend bei der Lufthansa Technik in Hamburg. Das vom Nachwuchs der Wartungstochter mit dem sozialistischen Lied-Vers „Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will“ unterzeichnete Schreiben bietet zwar wenig Verständnis für die hohe Gehaltsforderung der Cockpit-Kollegen.
Doch die Unterzeichner stört neben dem Versuch, die Belegschaft zum „Schulterschluss zwischen Mitarbeitern und Management“ aufzurufen, dass ihre Kollegen über die Gehaltsrunde den zweiten Teil des Cockpit-Kampfs übersehen: Die Verlagerung von Arbeit aus der heutigen Lufthansa mit ihren gut dotierten Tarifverträgen hin zu Billigtöchtern. „Das Schröpfen vom am besten verdienenden Teil unserer arbeitenden Belegschaft würde die Lohnspirale nach unten noch mehr anfeuern. Überall im Konzern werden unsere Tarifverträge angegriffen“, so das Schreiben.
Und am Ende heißt es: „Unterstützt die Demo unserer PilotInnen!“
„Damit sprechen die jungen Wilden der Wartung dem ganzen Konzern aus der Seele“, so ein führender Kenner der Lufthansa.
Das Dilemma: Zwar wird der Druck, unter dem die Lufthansa wirtschaftlich steht, immer offensichtlicher. So startet im kommenden Frühjahr etwa Erzrivale Ryanair ab dem Hauptdrehkreuz Frankfurt - und tritt damit direkt gegen die Lufthansa an. Einigen wie Kabinen-Gewerkschafter Baublies ist das bewusst. Er fordert darum ein schnelles Ende der Streiks und Verhandlungen zwischen Piloten und Lufthansa mit Hilfe eines Schlichters, bevor die Lufthansa in größere wirtschaftliche Probleme gerät: "Beide Seiten müssten sich erstmal wieder von ihren Dogmen verabschieden und dann an einen Tisch." Doch angesichts der in diesem Jahr für Lufthansa-Verhältnis ungewohnt üppigen Gewinne erscheint vielen anderen die Bedrohung noch weit weg.
„Das zeigt, dass Spohr trotz allem die Notwendigkeit für weitere Effizienzprogramme und den Aufbau der Billigplattformen noch nicht richtig vermittelt hat“, so der Konzernkenner. „Das mag nicht allein sein Versäumnis sein, weil seine Vorgänger die nötigen Veränderungen um des lieben Friedens willen auf die lange Bank geschoben haben“, so der Insider weiter. „Doch jetzt ist es Spohrs Problem und er muss in Sachen Veränderung jetzt nachlegen und nicht, wenn in der beginnenden Krise irgendwann mal alle mitziehen.“