In Georgsmarienhütte darf Süß, der bayrische Tracht und Krachlederne liebt, sein Ego ausleben und der Welt seine Qualitäten als Aufräumer beweisen. Gilt es, unbequeme Entscheidungen zu treffen, ist Süß der richtige Mann, und als solchen sieht er sich auch. Großmann habe sich vermutlich gedacht, er brauche jetzt auf der Georgsmarienhütte einen „Hund, der auch mal dazwischenhauen kann“, sagt Süß.
In dieser Rolle dürfte sich der Auserwählte 100-prozentig wiederfinden. Ehemalige Weggefährten bei Siemens haben Süß als ruppig und impulsiv, allerdings nie als nachtragend erlebt. „Ein bisschen wie Franz-Josef Strauß“, der aufschäumende bis jähzornige Vollblutpolitiker, der von 1961 bis 1988 an der Spitze der CSU stand, sagt ein Siemens-Manager.
Süß, der in den Achtzigerjahren an der TU München Maschinenbau studierte und nebenher bei BMW in der Gießerei arbeitete, ist Fan und Spezialist für Großanlagen. Riesige Gas- und Dampfturbinen, wie Siemens sie unter anderem in Berlin baut, waren immer sein Steckenpferd. „Da hatte er bei Neuentwicklungen dann auch manchmal geniale Ideen“, erinnert sich ein früherer Manager der Energiesparte, der eng mit Süß zusammengearbeitet hat. Ein Macher mit Schmieröl an den Fingern sei er, der auch mal in der Fabrik mit anpacke.
Der Fall des Michael Süß
Der blitzschnelle Stratege ist Süß hingegen nicht. Wichtige Entwicklungen wie den Trend zur dezentralen Energieversorgung in Westeuropa mit kleinen Turbinen und Motoren hat er klar verschlafen. Als einen Grund nennen Weggefährten seine häufige Beratungsresistenz. So lud Siemens vor einigen Jahren Jeremy Rifkin, den amerikanischen Ökonomen und Vordenker in Energiefragen, in das konzerneigene Tagungszentrum nach Feldafing am Starnberger See. Rifkin sollte vor Führungskräften über die Zukunft der Energieversorgung referieren. Der Amerikaner sprach über Windkraftanlagen, Biomassekraftwerke und kleinteilige Energieversorgung.
Am Ende, erinnert sich ein Teilnehmer, sei Süß aufgestanden und habe Rifkin auf seine unverwechselbare bayrische Art entgegengeschleudert: „Mr. Rifkin, what you are saying is all bullshit.“ Süß’ Kuhscheiße ist inzwischen Konzernstrategie, Siemens-Chef Kaeser treibt das Geschäft mit kleinen Turbinen mit Hochdruck voran.
Sein Waterloo erlebte Süß schließlich, als er vor zwei Jahren immer neue Verzögerungen beim Anschluss mehrerer Nordsee-Windparks ans Stromnetz melden musste. Die Pannenserie schlug bei Siemens mit Abschreibungen in dreistelliger Millionenhöhe zu Buche. Doch auch hier gab sich der Manager uneinsichtig.
Auch ohne die Siemens-Abfindung in Höhe von fast 4,3 Millionen Euro müsste Süß nicht mehr arbeiten. Als ehemaliger Gesellschafter einer mittelständischen Gießerei und Ex-Vorstand bei MTU, zu Zeiten als der Friedrichshafener Triebwerksbauer an die Börse ging, ist er finanziell unabhängig. Er besitzt ein Haus am Starnberger See und baut gerade ein zweites.
Doch der 51-Jährige, verheiratet und Vater von vier Kindern, kann nicht aufhören. „Der Spaß treibt mich“, sagt er und hebt die Stimme. Eine Sünde sei es doch, nur das süße Leben zu genießen, wenn man so viele Talente habe, sagt Süß bar aller Selbstzweifel. Müßiggang sei für ihn keine Option, auch weil er sich davor fürchtet, eines Morgens aufzuwachen und festzustellen, dass das „süße Leben“, wie er es nennt, nicht die erhoffte Erfüllung bringt. „Doch dann kann es zu spät für einen Wiedereinstieg sein“, sagt Süß.