Michael Süß Das neue Luxusleben des Ex-Siemens-Vorstands

Eine neue Doppelrolle bei Georgsmarienhütte und Oerlikon bietet Ex-Siemens-Vorstand Michael Süß die Chance, seine Charakterzüge voll auszuleben: das Urviech, den harten Hund und den maßlosen Luxusjunkie.

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Michael Süß über Siemens und Georgsmarienhütte Quelle: Presse

Bei der Frage, ob es ein Leben nach Siemens gebe, muss Michael Süß zunächst lachen. Dann wird er auf einmal ernst und versucht es mit einem Vergleich.

In dem Zeichentrickfilm „Findet Nemo“, sagt Süß, suche der kleine Nemo seinen Vater. „Tagelang schwimmt der Clownfisch durch die Tiefen der Ozeane“, erzählt er und grinst nun wieder. Dunkel sei es dort, oft sogar schwarz und sehr bedrohlich. Dann, nach langer Zeit und vielen Irrungen, tauche der kleine Nemo in der Bucht von Sydney auf. „Und auf einmal sind da Licht und Sonne und die vielen Farben“, strahlt Süß und seine Stimme überschlägt sich fast. Genauso fühle er sich jetzt, fast ein Jahr nach seinem Abgang bei Siemens.

Süß, 1963 in München geboren, ist ein emotionaler Mensch. Im Mai vergangenen Jahres, als Siemens-Chef Joe Kaeser die Pläne für die Neuausrichtung des Konzerns vorstellte, musste Süß als Energievorstand seinen Schreibtisch räumen. Kaeser wollte das Geschäft mit Turbinen und Kraftwerken von den USA aus steuern lassen, von einer Amerikanerin.

Schmerzhafter Rauswurf bei Siemens

Acht Jahre hatte Süß bei Siemens verbracht, davon drei als Vorstand, zuständig für das Energiegeschäft. Noch immer, lässt er durchblicken, kann er den Rausschmiss nur schwer verwinden. Er hat mit Kaeser um den Kurs des Münchner Konzerns gerungen, lange, hart – und er hat verloren.

Wie Siemens 2014 abgeschnitten hat

Doch Süß kann einstecken. Gerade war er mit der Familie in der Nähe von Kitzbühel Ski fahren. An einem Nachmittag blieb er mit einem Ski in sulzigem Schnee hängen. Jetzt trägt er den rechten Arm in einer Schlinge, die Schulter ist gebrochen.

Trotzdem gibt Süß den Optimisten, den barocken Bayern und Brecher, der nach der Schmach nun auf Loslegen umschaltet. Wer ihn persönlich erlebt, spürt schnell: Süß will den anderen bei Siemens, vor allem aber seinem alten Widersacher Kaeser, noch einmal zeigen, was er kann. „Einige bei Siemens“, behauptet Süß, „bedauern meinen Weggang nämlich noch immer.“

Die Bühnen, um all seinen Bewunderern und vor allem sich selbst Genugtuung zu verschaffen, sind bereitet. Die eine liegt in der Schweiz, in der Gemeinde Freienbach am Zürichsee. Dort hat der Industriekonzern Oerlikon seine Zentrale.

Oerlikon: Entscheidung nach Ostern

Am Mittwoch nach Ostern treffen sich die Oerlikon-Aktionäre und wollen Süß zu ihrem Verwaltungsratspräsidenten wählen. Oerlikon, ein Hersteller von Vakuumpumpen und Spezialist für Oberflächenbeschichtung, beschäftigt fast 16.000 Mitarbeiter, darunter 4000 in Deutschland, und machte zuletzt einen Umsatz von gut drei Milliarden Euro. Zum Politikum ist Oerlikon geworden, seit der russische Oligarch Viktor Wekselberg 2006 mit seiner Holding Renova einstieg. Der 57-jährige Milliardär ist umstritten, seit er in den Neunzigerjahren mit der Übernahme russischer Staatskonzerne reich wurde.

Die neun Divisionen von Siemens

Süß kann die Skepsis gegenüber Wekselberg nicht verstehen. „Das ist keine Heuschrecke“, sagt er. Wekselbergs Investments seien langfristig angelegt.

Süß’ zweite Bühne liegt knapp 800 Kilometer nördlich, im niedersächsischen Georgsmarienhütte nahe Osnabrück. Hier hat er schon Anfang dieses Jahres die Arbeit als Chef der Firmenholding von Jürgen Großmann aufgenommen, dem Selfmade-Man und Ex-Chef des Essener Energiekonzerns RWE. Dessen Reich aus Stahlhütten und -schmieden sowie Maschinen- und Anlagenbauern gilt als angeschlagen. Süß wird hier der harte Sanierer werden.

Die beiden Bühnen bedienen perfekt Süß’ Bedürfnisse. In der Schweiz trifft er auf einen alten Bekannten, den früheren Siemens-Vorstandschef Peter Löscher, der sich als Verwaltungsratschef bei Sulzer verdingt, einem Maschinenbauer der Alpenrepublik, an dem Wekselberg ebenfalls beteiligt ist. Dort kann er zusammen mit Löscher seinen Groll auf Kaeser pflegen. Den Spott, Wekselbergs Reich werde allmählich zum Auffangbecken für geschasste Siemens-Manager, kontert Süß: „Wekselberg weiß eben, wo er Qualität bekommt.“

Aufräumer in Tracht

In Georgsmarienhütte darf Süß, der bayrische Tracht und Krachlederne liebt, sein Ego ausleben und der Welt seine Qualitäten als Aufräumer beweisen. Gilt es, unbequeme Entscheidungen zu treffen, ist Süß der richtige Mann, und als solchen sieht er sich auch. Großmann habe sich vermutlich gedacht, er brauche jetzt auf der Georgsmarienhütte einen „Hund, der auch mal dazwischenhauen kann“, sagt Süß.

In dieser Rolle dürfte sich der Auserwählte 100-prozentig wiederfinden. Ehemalige Weggefährten bei Siemens haben Süß als ruppig und impulsiv, allerdings nie als nachtragend erlebt. „Ein bisschen wie Franz-Josef Strauß“, der aufschäumende bis jähzornige Vollblutpolitiker, der von 1961 bis 1988 an der Spitze der CSU stand, sagt ein Siemens-Manager.

von Florian Zerfaß, Matthias Kamp

Süß, der in den Achtzigerjahren an der TU München Maschinenbau studierte und nebenher bei BMW in der Gießerei arbeitete, ist Fan und Spezialist für Großanlagen. Riesige Gas- und Dampfturbinen, wie Siemens sie unter anderem in Berlin baut, waren immer sein Steckenpferd. „Da hatte er bei Neuentwicklungen dann auch manchmal geniale Ideen“, erinnert sich ein früherer Manager der Energiesparte, der eng mit Süß zusammengearbeitet hat. Ein Macher mit Schmieröl an den Fingern sei er, der auch mal in der Fabrik mit anpacke.

Der Fall des Michael Süß

Der blitzschnelle Stratege ist Süß hingegen nicht. Wichtige Entwicklungen wie den Trend zur dezentralen Energieversorgung in Westeuropa mit kleinen Turbinen und Motoren hat er klar verschlafen. Als einen Grund nennen Weggefährten seine häufige Beratungsresistenz. So lud Siemens vor einigen Jahren Jeremy Rifkin, den amerikanischen Ökonomen und Vordenker in Energiefragen, in das konzerneigene Tagungszentrum nach Feldafing am Starnberger See. Rifkin sollte vor Führungskräften über die Zukunft der Energieversorgung referieren. Der Amerikaner sprach über Windkraftanlagen, Biomassekraftwerke und kleinteilige Energieversorgung.

Am Ende, erinnert sich ein Teilnehmer, sei Süß aufgestanden und habe Rifkin auf seine unverwechselbare bayrische Art entgegengeschleudert: „Mr. Rifkin, what you are saying is all bullshit.“ Süß’ Kuhscheiße ist inzwischen Konzernstrategie, Siemens-Chef Kaeser treibt das Geschäft mit kleinen Turbinen mit Hochdruck voran.

Die neue Struktur von Siemens
Division Power and GasDiese Einheit umfasst das Siemens-Portfolio an großen Gas- und Dampfturbinen, Kompressoren sowie künftig die Gasturbinen zur dezentralen Energieversorgung. Umsatz 2013: rund 14 Milliarden EuroDefinierte Zielmarge: elf - 15 ProzentGeführt werden soll die Division von Roland Fischer, der derzeit die Division Power Generation leitet. Quelle: dpa
Division Wind Power & RenewablesDie Sparte baut Windkraftanlagen zur Stromerzeugung an Land und auf See. Siemens ist weltweit Marktführer bei Offshore-Windkraftanlagen. Nach Umsatz ist die Division eine der kleineren. Da mit einem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien weltweit zu rechnen ist, aber auch eine der zukunftsträchtigsten. Umsatz 2013: 5 Milliarden EuroDefinierte Zielmarge: 5 - 8 %Chef: Markus Tacke. Tacke ist derzeit Chef des Bereichs Wind Power. Quelle: dpa
Division Power Generation ServicesHier wird das Service-Geschäft für die große installierte Basis von Siemens-Anlagen in der Energieerzeugung abgewickelt. Umsatz: Die Geschäftszahlen werden in den Divisionen Power& Gas und Windkraft und erneuerbare Energie aufgeführt. Chef der Division ist Randy Zwirn. Er leitet bisher die so genannte Division Energy Service, die damit umbenannt und ausgeweitet wurde. Quelle: REUTERS
Division Energy ManagementIn dieser Division gehen die bisherigen Divisionen Low and Medium Voltage und Smart Grid auf. Das Geschäft dreht sich rund um Lösungen und Produkte für die Stromübertragung und -verteilung sowie Technologien für intelligente Stromnetze.Umsatz 2013: zwölf Milliarden EuroDefiniert Zielmarge: sieben - zehn Prozent Die Führung übernehmen Ralf Christian und Jan Mrosik, die Leiter der aufgelösten Divisionen Low&Medium Voltage und Smart Grid. Quelle: dpa
Division Power TransmissionStromtransport, Schalttechnik und Transformatoren sowie Energieübertragungssysteme sind Kern der Einheit Power Transmission. Siemens ist unter anderem führend bei der Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ). Dieser Technologie kommt beim Netzumbau und der Integration von erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle zu. Umsatz: wird in der Division Energy Management ausgewiesen Die Leitung der Division übernimmt ebenfalls Jan Morsik. Der bisherige Chef der Division Karlheinz Springer muss seinen Sessel räumen. Er hatte den Posten im April 2012 übernommen. Morsik fielen wahrscheinlich die Probleme mit zwei Hochspannungsleitungen in Kanada auf die Füße. Neben höheren Baukosten vielen dort Vertragsstrafen wegen Verzögerungen an. Quelle: REUTERS
Division Building TechnologiesIn diesem Bereich bündelt Siemens integrierte Automatisierungslösungen und intelligente Technik für Gebäude.Umsatz 2013: 6 Milliarden EuroDefinierte Zielmarge: acht - elf Prozent Chef der Division ist und bleibt Johannes Milde. Quelle: dpa
Division MobilityHier bündelt Siemens die Zugtechnik und die Bahnautomatisierung. Sollte der Zusammenschluss mit Alstom zustande kommen, würde diese Sparte wohl an die Franzosen abgetreten werden. Umsatz 2013: 7 Milliarden Euro Definierte Ziel-Marge: sechs - neun ProzentChef der Division wird Jochen Eickholt, der heute die Division Rail Systems führt. Quelle: dpa

Sein Waterloo erlebte Süß schließlich, als er vor zwei Jahren immer neue Verzögerungen beim Anschluss mehrerer Nordsee-Windparks ans Stromnetz melden musste. Die Pannenserie schlug bei Siemens mit Abschreibungen in dreistelliger Millionenhöhe zu Buche. Doch auch hier gab sich der Manager uneinsichtig.

Auch ohne die Siemens-Abfindung in Höhe von fast 4,3 Millionen Euro müsste Süß nicht mehr arbeiten. Als ehemaliger Gesellschafter einer mittelständischen Gießerei und Ex-Vorstand bei MTU, zu Zeiten als der Friedrichshafener Triebwerksbauer an die Börse ging, ist er finanziell unabhängig. Er besitzt ein Haus am Starnberger See und baut gerade ein zweites.

Doch der 51-Jährige, verheiratet und Vater von vier Kindern, kann nicht aufhören. „Der Spaß treibt mich“, sagt er und hebt die Stimme. Eine Sünde sei es doch, nur das süße Leben zu genießen, wenn man so viele Talente habe, sagt Süß bar aller Selbstzweifel. Müßiggang sei für ihn keine Option, auch weil er sich davor fürchtet, eines Morgens aufzuwachen und festzustellen, dass das „süße Leben“, wie er es nennt, nicht die erhoffte Erfüllung bringt. „Doch dann kann es zu spät für einen Wiedereinstieg sein“, sagt Süß.

Wein, Bier und deftiges Essen

Also wird der Bayer weitermachen und seine Umgebung mit seiner ungehobelten Art quälen. Süß, dessen derbe Spontaneität zugleich etwas undomestiziertes Sympathisches birgt, braucht, so scheint es, immer eine neue Herausforderung, immer einen neuen Kick. Er hat bei BMW, Porsche, MTU und Siemens gearbeitet, doch eigentlich wollte er Geschichte studieren. Er verwarf die Idee aber bald, weil das Studium seine beruflichen Möglichkeiten und die Chance, viel Geld zu verdienen, stark eingeschränkt hätte. „Da wären doch nur Forschung und Lehre geblieben“, sagt Süß. Und als Lehrer wäre er sicher nicht zu Oerlikon und zur Georgsmarienhütte gekommen. Es gebe ihm eben geistige Frische, erklärt Süß, wenn er oft etwas Neues mache.

Hemmungslose Hummergelage

Allerdings lebt auch Süß nicht vom Geist allein. Das teilt er mit seinem künftigen Aufseher, dem Stahlbaron Großmann, der für seine hemmungslosen Hummergelage auf dem Weltwirtschaftsforum und seine Schlemmerorgien im eigenen Sterne-Lokal La Vie in Osnabrück berühmt und berüchtigt ist. Ohne schnelle Autos, Zigarren, guten Wein, deftiges Essen und ein paar Maß Bier auf dem Münchner Oktoberfest kann Süß ebenso wenig wie Großmann, was beide ungeniert mit ihrer Leibesfülle demonstrieren. Was andere darüber denken, interessiert Süß kaum. Er macht einfach, ist ein Bauchmensch und authentisch ohne Abstriche.

Als etwa in der Siemens-Zentrale am Wittelsbacher Platz mal wieder der Wirtschaftsausschuss des Betriebsrats ewig diskutierte, wurde es Süß irgendwann zu langweilig. Er stand wortlos auf, ging rüber zu einem Luxusautohändler am Odeonsplatz und kaufte sich einen Sportwagen von Aston Martin.

In solchen Fällen besitzt Süß kein Maß. Vor drei Jahren musste er für Siemens nach Brasilien, wo der Konzern in einem Industriepark vor den Toren São Paulos eine Fabrik betreibt. Anders als andere Besucher der Niederlassung verlangte Süß, das kurze Stück von São Paulo zur Fabrik mit einem Helikopter zu fliegen. Süß erklärt dies mit den schwierigen brasilianischen Verkehrsverhältnissen. Auf dem Heimweg nach Deutschland, erzählt einer, der dabei war, wies Süß seine Entourage an, in einem Fünf-Sterne-Hotel der Stadt haltzumachen. Denn er wollte vor dem Rückflug nach München noch ausgiebig speisen.

Das Essen in der First Class schien dem Geschmack und Appetit des Bon Vivant nicht zu genügen.

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