Bei ihrem Treffen legten die Herren großen Wert auf Diskretion. Sie versammelten sich in einem unscheinbaren Konferenzraum in einem abgelegenen Teil des Flughafens von Toronto. Um nicht aufzufallen, nannten sie ihr Beisammensein intern nicht Meeting, sondern „Kaffeerunde“.
Das illustre Kränzchen aus Managern der Deutschen Lufthansa, von Air France, British Airways, KLM, Swissair und anderen Airlines hatte viel zu verbergen. Denn Ziel des konspirativen Beisammenseins war die Bildung eines gigantischen Kartells, um gegenüber Unternehmen einheitliche Preise für deren Luftfracht durchzusetzen. So steht es in einer Klageschrift zu dem Treffen im Mai 2000, der Jahre später ein US-Bundesgericht stattgab.
Teures Cargo-Komplott
Von 1999 bis 2006 sprachen 33 Fluglinien Zuschläge zu Frachttarifen ab. Die Lufthansa ließ das Kartell als Kronzeugin platzen. Seitdem gab es viele Prozesse und Verfahren rund um den Globus.
Lufthansa u.a. (1): 1,76 Milliarden (1)
Air France u.a. (2): 200 bis 400 Millionen
zu 1) Verfahren in Köln
zu 2) Verfahren in den USA
Quellen: Unternehmensagaben, Reuters, teilweise geschätzt
Air Canada : 600 Millionen Euro
Lufthansa u.a. (2): 486 Millionen Euro
Lufthansa u.a. (3): 20 Millionen Euro
zu 2) Verfahren in den USA
zu 3) Verfahren in Kanada
USA: 1,3 Milliarden Euro
EU: 799 Millionen Euro
Brasilien: 94 Millionen Euro
Südkorea: 79 Millionen Euro
Andere: 180 Millionen Euro
Summe: 2,452 Milliarden Euro
Heute, fast eineinhalb Jahrzehnte später, dämmert den Teilnehmern: Ihr Plausch von damals könnte das teuerste Kaffeekränzchen zumindest der deutschen Kartellgeschichte werden. Denn nach WirtschaftsWoche-Informationen hat die Deutsche Bahn nun entschieden, die Teilnehmer des Torontoer Treffs zu verklagen. Bereits im vorigen Jahr hatte sie eine eher allgemein gehaltene Klage eingereicht, um die Verjährung ihrer Ansprüche zu verhindern. Nun konkretisiert sie diese und fordert Schadensersatz in der Rekordhöhe von gut zwei Milliarden Euro. Diesen Betrag, so der Staatskonzern, habe die Speditionstochter Schenker über Jahre hinweg wegen abgesprochener überhöhter Frachtraten zu viel bezahlt.
"Lufthansa hat eine maßgebliche Rolle gespielt"
Den größten Teil des Betrags, rund 1,2 Milliarden Euro plus 560 Millionen Euro Zinsen, will die Bahn direkt bei der Deutschen Lufthansa und zehn weiteren Fluglinien wie British Airways oder der Lan-Gruppe mit Hauptsitz in Chile vor dem Landgericht in Köln eintreiben, wo die größte deutsche Fluglinie ihren rechtlichen Sitz hat. Bereits im August hat Rechtsvorstand Gerd Becht unbemerkt von der Öffentlichkeit in New York ein ähnliches Verfahren über mehrere Hundert Millionen Euro unter anderem gegen nordamerikanische Airlines eröffnet.
„Zumindest hat die Lufthansa in dem Kartell eine maßgebliche Rolle gespielt“, begründet Becht die Hauptstoßrichtung gegen Deutschlands größte Fluggesellschaft: „Das zeigen die Ermittlungen etwa der Europäischen Kommission und aller anderen Kartellbehörden.“
Je nach Verlauf des Verfahrens könnte die Kranich-Linie sogar die Hauptlast der juristischen Auseinandersetzung tragen und im Extremfall für 1,76 Milliarden Euro aufkommen müssen. „Nach deutschem Kartellrecht kann ein Unternehmer als Gesamtschuldner grundsätzlich auch für Schäden durch andere Fluglinien haftbar gemacht werden“, sagt Kartellspezialistin Daniela Seeliger vom Düsseldorfer Büro der Kanzlei Linklaters. Das heißt, in einem solchen Fall müsste die Lufthansa erst einmal die Gesamtschadenssumme begleichen und danach bei den übrigen Teilnehmern des Kartells deren Anteile eintreiben.
Reihenweise saftige Strafen
Der Bahn-Coup, davon gehen Experten aus, dürfte den Umgang deutscher Unternehmen mit Kartellsündern tief greifend verändern. Gaben sich die meisten von ihnen bisher mit den Bußgeldern zufrieden, die die Behörden gegen Kartellsünder verhängten und in die Staatskassen lenkten, rückt durch die Bahn-Klage nun die Wiedergutmachung auf die Agenda. „Da sind so hohe Summen drin, dass Geschädigte öfter und härter klagen und die hohen Verfahrenskosten und Ärger mit den involvierten Kunden nicht mehr fürchten“, sagt ein Kartelljurist, der nicht zwischen die Stühle geraten will.
Die größten Kartelle
Branche: Kautschuk
Kartellmitglieder: ENI, Bayer, Shell, Dow, Unipetrol, Trade-Stromil
Verhängte Geldbuße: 519 Millionen €
Jahr: 2006
Branche: Erdgas
Kartellmitglieder: E.On, GdF
Verhängte Geldbuße: 640 Millionen €
Jahr: 2009
Branche: Gasisolierte Schaltanlagen
Kartellmitglieder: Siemens, ABB, Alstom, Areva, Fuji, Hitachi, Mitsubishi, Toshiba
Verhängte Geldbuße: 751 Millionen €
Jahr: 2007
Branche: Vitamin
Kartellmitglieder: Hoffmann-La Roche, BASF, Aventis, Solvay, Merck, Daiichi, Eisai, Takeda
Verhängte Geldbuße: 791 Millionen €
Jahr: 2001
Branche: Luftfracht
Kartellmitglieder: Air France, British Airways
Verhängte Geldbuße: 799 Millionen €
Jahr: 2010
Branche: Kugellager
Kartellmitglieder: SKF, Schaeffler, JTEKT, NSK, NFC, NTN
Verhängte Geldbuße: 953 Millionen €
Jahr: 2014
Branche: Aufzüge und Rolltreppen
Kartellmitglieder: ThyssenKrupp, Otis, KONE, Schindler
Verhängte Geldbuße: 992 Millionen €
Jahr: 2007
Branche: Autoglas
Kartellmitglieder: Saint-Gobain, Asahi, Pilkington, Soliver
Verhängte Geldbuße: 1384 Millionen €
Jahr: 2008
Branche: Fernsehröhren und Monitore
Kartellmitglieder: Philips, LG Electronics, Samsung, Panasonic, Toshiba, Technicolor Verhängte Geldbuße: 1471 Millionen €
Jahr: 2012
Branche: Manipulation Derivate Euribor/ Libor/Yen
Kartellmitglieder: Deutsche Bank, Royal Bank of Scotland, Citigroup, Société Générale, JP Morgan, RP Martin
Verhängte Geldbuße: 1710 Millionen €
Jahr: 2013
So ist gerade ein deutscher Autohersteller bei der Bahn vorstellig geworden, um sich Nachhilfe in Sachen Kartellklagen geben zu lassen. Immerhin laufen seit einiger Zeit Kartellverfahren gegen große Zulieferer in ganz Europa. Der Düsseldorfer Handelskonzern Metro und der französische Reifenriese Michelin haben bereits eigene Kartellabteilungen gegründet. Die Deutsche Post hat selbst schon zwei Mitglieder des Luftfrachtkartells angegangen.
Die Schadensersatzklagen der Bahn in Köln und New York basieren auf einer langen Reihe von Gerichtsurteilen und Verfahren rund um den Globus – von Brasilien über die EU bis nach Neuseeland. Darin involviert waren jedes Mal eine oder mehrere von 33 Fluggesellschaften, denen unerlaubte Absprachen bei Frachtraten vorgeworfen wurden. Zu den Kartellsündern zählen die Frachttöchter sämtlicher großen Player von der Deutschen Lufthansa über American Airlines, Air France-KLM und Korean Air bis zu Cathay Pacific aus Hongkong.