Millionen für Metallica Wie sich die Deag verkalkuliert hat

Deag droht wegen des geplatzten Rockfestivals am Nürburgring tief in die Verlustzone zu rutschen. Das Landgericht Koblenz hat eine Millionenklage der Deag abgewiesen – die Prozessakten zeigen, wie sich der Konzertveranstalter offensichtlich komplett verkalkuliert hat.

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Peter Schwenkow Quelle: dpa

Peter Schwenkow gibt sich alle Mühe, die Folgen des geplatzten Rockfestivals am Nürburgring für die Deutsche Entertainment AG (Deag) herunterzuspielen. „Im Zusammenhang mit den Investitionen im Festivalsegment machen wir hohe, juristisch positiv beurteilte Forderungen geltend, von denen wir ausgehen, sie kurzfristig realisieren zu können“, schreibt der Chef des börsennotierten Berliner Konzertveranstalters im September bei der Vorlage der Halbjahreszahlen an seine Aktionäre.

Doch inzwischen ist das Jahr 2015 vorbei – und die Forderungen sind immer noch nicht realisiert. Am Donnerstag hat das Landgericht Koblenz bekanntgegeben, dass es die Klage der Deag gegen die Nürburgring-Betreibergesellschaft Capricorn Nürburgring GmbH (CNG) abgewiesen hat. 1,892 Millionen Euro wollte die Deag von ihrem ehemaligen Kooperationspartner, als erste Teilzahlung. In der mündlichen Verhandlung Ende Dezember ließ der Vorsitzende Richter Andreas Dühr allerdings schon durchklingen, dass das Gericht den von der Deag geltend gemachten Anspruch nicht sehe.

Ein herber Schlag für die Deag, die nun entscheiden muss, ob sie Rechtsmittel gegen das Urteil einlegt und vor das Oberlandesgericht zieht. Schafft sie es nicht, die Kosten für das Festivaldesaster einzuklagen, zeichnen sich für das Geschäftsjahr 2015 verheerende Zahlen ab.

Das sind die beliebtesten Festivals
Platz 5: Nature One (64.000 Besucher)300 DJs legen alljährlich bei Nature One im Hunsrück auf. 64.000 Raver tanzten bei der letztjährigen Ausgabe des Electrofestivals unter anderem zu den Klängen von Paul van Dyk, Sebastian Ingrosso und Tom Novy. Quelle: Jochen Herrmann, Wikimedia Commons, CC BY SA 3.0
Platz 4: Hurricane Festival (73.000 Besucher)In der Lüneburger Heide wird es jeden Sommer laut: Beim Hurricane Festival traten letztes Jahr unter anderem Rammstein, die Arctic Monkeys und Paul Kalkbrenner auf. Dazu versammelten sich 73.000 Feiernde auf der Motorrad-Sandrennbahn Eichenring. Quelle: ASK, Wikimedia Commons, CC BY SA 3.0
Platz 3: Rock im Park (76.000 Besucher)Es ist der kleine Bruder vom Rock am Ring: Acht Jahre später gegründet, fand es 1993 zunächst unter dem Namen Rock in Vienna in Wien statt. Erst seit dem 1995 in München heißt es Rock im Park und findet seit 1997 in Nürnberg statt. Vergangenes Jahr zogen unter anderem The Killers, Green Day und 30 Seconds to Mars 72.000 Besucher an. Quelle: Heini Samuelsen, Wikimedia Commons, CC BY SA 2.0
Platz 2: Wacken Open Air (84.500 Besucher)Das Mekka der Heavy-Metal-Jünger liegt in Schleswig-Holstein. Das Örtchen Wacken zog allein vergangenes Jahr 84.500 Menschen an. Diese feierten bei „Wacken Open Air“ unter anderem zu den Auftritten von Anthrax, Motörhead und Rage against the Machine. Quelle: dpa
Platz 1: Rock am Ring (87.000 Besucher)U2, Chris de Burgh und Marius Müller-Westernhagen sorgten vor 29 Jahren bei der Erstauflage von „Rock am Ring“ für Stimmung. Seitdem entwickelte sich das Ereignis zu Deutschlands größtem Festival: 85.000 Menschen feierte vergangenes Jahr am Nürburgring zu Fettes Brot, Limp Bizkit, Moonbootica und Papa Roach. Das Foto zeigt den Auftritt der Sportfreunde Stiller. Dieses Jahr soll die Festivallegende ihr Ende finden: Der neue Nürburgring-Betreiber hat den Vertrag mit Veranstalter Marek Lieberberg gekündigt, der letzte Rock am Ring findet vom 5. Bis zum 8. Juni statt. Quelle: dpa

Im Halbjahresbericht tönte Schwenkow zwar noch, das „adjustierte Ebit“ (Gewinn vor Zinsen und Steuern) liege deutlich über Vorjahr, der Umsatz um 23 Prozent im Plus. „Dies verdeutlicht, dass wir unsere seit Jahren erfolgreiche Strategie mit guten Fortschritten konsequent umsetzen und ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Vertrauen und freue mich, dass Sie uns auf diesem Weg als Aktionäre begleiten.“ Doch das adjustierte Ergebnis ist nur eine Kunstzahl. All das Geschwurbel kann nicht verdecken, dass der Deag schmerzhafte Verluste drohen, wenn sie juristisch scheitert.

Konzertveranstalter drohen katastrophale Zahlen

Mit weit weniger Getöse nahm die Deag nämlich auch eine Gewinnwarnung in den Halbjahresbericht auf. „Für den Fall, dass sich die oben genannten Forderungen trotz positiver Einschätzung der Rechtsanwälte nicht mit Berichtsjahr realisieren“, heißt es da, rechnet der Vorstand „mit einer Unterschreitung der Ergebnisprognose für 2015“. In Zahlen liest sich die Lage noch dramatischer.

Ohne den Kniff mit der Adjustierung lag das Ebit zum Halbjahr bei minus 8,5 Millionen Euro. Nach Steuern stand sogar ein Verlust von 9,3 Millionen Euro zu Buche, im Vorjahreszeitraum hatte es noch einen Gewinn von rund drei Millionen Euro gegeben. Das Eigenkapital schmolz im ersten Halbjahr von 44,3 auf 35,4 Millionen Euro zusammen (minus 20 Prozent), die Liquidität halbierte sich von 55 auf 27,2 Millionen Euro. Bei Vorlage der Neunmonatszahlen im November sah die Situation nicht besser aus. Die Deag griff wieder zum selben Trick und wies auch ein adjustiertes Konzernergebnis von 1,3 Millionen Euro aus, doch wenn man die Regressforderungen nicht einrechnet, steht ein Minus von stattlichen 13,2 Millionen Euro.

Die Niederlage in Koblenz kommt für die Deag äußerst ungelegen. Der Fall ist juristisch verworren. Nach einem Streit über die Vorlaufkosten war das Festival am Nürburgring im Frühjahr 2015 geplatzt und kurzfristig nach Gelsenkirchen verlegt worden. Im Kooperationsvertrag zwischen Deag und der Nürburgring-Betreibergesellschaft CNG gibt es eine Liquiditätsklausel. Die besagt: Reichen die Einnahmen aus dem Ticketverkauf nicht aus, um die vorab anfallenden Kosten zu decken, müssen Deag und Nürburgring die erforderlichen Mittel je hälftig bereitstellen. Zugleich regelt der Vertrag an anderer Stelle auch die Verteilung des Gesamtergebnisses: Gewinn oder Verlust sind ebenfalls je hälftig zu verteilen.

Landgericht Koblenz entscheidet gegen Deag

Die Deag hat ihre Teilforderung nun maßgeblich auf die Liquiditätsklausel gestützt: Die CNG habe im März 2015 die angeforderte Liquidität in Höhe von 1,892 Millionen Euro für Künstlergagen nicht überwiesen und damit den Vertrag verletzt. Deag-Anwalt Cornelis Lehment von der Kanzlei Lubberger Lehment durfte sich im Dezember bei der mündlichen Verhandlung in Koblenz schon vom Vorsitzenden Richter Dühr anhören, dass das Gericht diesen Anspruch so nicht sehe. Einen Anspruch auf Gesamtabrechnung zog Dühr in Betracht – bemängelte aber, dass die Deag diese bis dato nicht vorgelegt habe.

Die CNG will sich auf Anfrage aktuell nicht äußern, lässt aber durchblicken, dass ihr bislang keine Gesamtabrechnung zugestellt worden ist. Die Deag antwortet auf Fragen der WirtschaftsWoche nicht. Ihr Presserechts-Anwalt Christian Schertz schickt bloß ein rechtliches Informationsschreiben, in dem er wortreich darlegt, nichts zu sagen.

Mit neuen Festivals wollte der Konzertveranstalter Deag den Musikmarkt rocken: Doch Wirtschaftsprüfer haben das Testat für Teile des Abschlusses verweigert – und warnen, dass die Existenz auf dem Spiel stehen könnte.
von Florian Zerfaß

Für die Deag eher misslich: Sie hat beim Landgericht Hamburg noch eine zweite Klage gegen ein Konsortium um die Gothaer Versicherung eingereicht. Dort hatte die Deag eine Ausfallversicherung für das Festival abgeschlossen und will diese um eine Klausel erweitert haben, dass die Versicherung auch bei Vertragsbruch des Partners („Breach of Contract“) zahlen muss. Den Vertragsbruch stützt die Deag unter anderem darauf, dass die Nürburgring-Betreiber ihren Pflichten aus der Liquiditätsklausel nicht nachgekommen seien.

Dass das Landgericht Koblenz den Anspruch daraus in der ersten Instanz verneint hat, erhöht die Chancen der Deag in der Auseinandersetzung mit der Versicherung sicher nicht.

Auf ganzer Linie verkalkuliert

Auch zur Klage gegen die Versicherung äußert sich die Deag nicht. Die Gothaer Versicherung teilt auf Anfrage nur mit, dass sie eine Abweisung der Klage beantragt hat. Nach Auskunft des Landgerichts Hamburg ist bislang noch kein Verhandlungstermin angesetzt worden. Auch diese Forderung wird sich also für die Deag, wenn überhaupt, nicht kurzfristig realisieren lassen.

Die zehn größten Musikfestivals nach Umsatz 2014

In Koblenz wiederum hat auch die CNG schwere Vorwürfe gegen die Deag erhoben: Diese habe selbst ihre vertraglichen Pflichten verletzt. Die Prozessakten zeigen, dass sich die Deag bei ihrem mit großem Bohei angekündigten Eintritt in Rockfestivalmarkt komplett verkalkuliert hat. Beim Start des Ticketverkaufs im November 2014 hatte sie noch einen „Wachstumsschub durch massiven Eintritt in den Rockfestivalmarkt“ angekündigt und einen „profitablen Zusatzumsatz von mehr als 30 Millionen Euro im Jahr 2015“ in Aussicht gestellt. Doch das Rockfestival in der grünen Hölle entwickelte sich zum Inferno mit tiefroten Zahlen.

Bei Abschluss des Kooperationsvertrags stellten Deag und CNG ein vorläufiges Budget auf, entwickelten drei Szenarien, die in der Koblenzer Prozessakte zu finden sind. Im optimistischsten Szenario – wenn das Festival mit rund 85.000 Karten ausverkauft gewesen wäre – rechneten sie mit 3,8 Millionen Euro Gewinn. Selbst im pessimistischsten – wenn nur 50.000 Karten verkauft werden sollten – erwarteten sie noch eine gute halbe Million Euro Gewinn. Diese Rechnung ging von vorne bis hinten nicht auf.

Kosten laufen aus dem Ruder, Einnahmen fließen nicht

Das liegt zum einen daran, dass die Kosten viel zu niedrig angesetzt waren – vor allem die für die Gagen der Rockbands. Bei allen drei Szenarien wurden im ersten Budget von Mai 2014 Gagenkosten in Höhe von 4,5 Millionen Euro angesetzt. Im November 2014 aber, als der Vorverkauf startete, musste das Künstlerbudget um 80 Prozent erhöht werden: auf 8,125 Millionen Euro.

Neben zu optimistisch angesetzten Kosten fielen die Einnahmen weitaus geringer aus als erwartet. Die Schuld dafür sieht die CNG ebenfalls bei der Deag. So sei zum Beispiel der Vorverkauf verspätet gestartet, statt im September 2014 erst im November. Der Ticketverkauf, den laut Kooperationsvertrag die Deag verantwortet, kam nie richtig in die Gänge. Im März 2015, als es zum Bruch zwischen Deag und CNG kam, waren gerade mal 9170 Tickets für alle drei Tage und schlappe 2410 Eintagestickets verkauft. Selbst das pessimistischste Szenario mit 50.000 verkauften Drei-Tages-Tickets war damit in weiter Ferne.

Die Prozessunterlagen lassen auch die Buchführung der börsennotierten Deag in einem merkwürdigen Licht erscheinen. Als die Deag fast zwei Millionen Euro für die Künstlergagen anforderte, wollte die CNG erstmal Belege für die Kosten sehen und forderte die Verträge mit den Künstlern an. Deag-Finanzchef Christian Diekmann teilte per Mail allerdings mit, dass die bis dahin vorgelegten Unterlagen bereits vollständig seien. Wo es keine beidseitig gezeichneten Verträge gebe, gebe es „eine Vereinbarung, meist per email, selten mündlich“.

CNG-Chef Carsten Schumacher forderte daraufhin: „Insbesondere der Vertrag mit Metallica muss bitte sauber dokumentiert sein. Bekannterweise liegt uns kein unterschriebener Vertrag vor.“ Nach Angaben der CNG lieferte die Deag auch auf diese ausdrückliche Aufforderung hin keinen unterschriebenen Vertrag mit Metallica. Die Deag äußert sich auch zu diesen Vorwürfen nicht.

Für manche Künstler gab es nicht mal unterschriebene Verträge

Dass CNG-Chef Schumacher insbesondere auf den Metallica-Vertrag einen genauen Blick werfen wollte, ist kein Zufall. Denn die Heavy-Metal-Legenden waren als Zugpferd des Festivals gebucht – mit insgesamt 7.333.332,00 US-Dollar für das Festival am Nürburgring sowie die Zwillingsveranstaltung Rockavaria in München verschlangen die US-Rocker laut Deag-Klage auch den Löwenanteil des Gagenbudgets.

Andere Top-Acts kassierten ebenfalls Millionenbeträge. Die britische Rockband Muse durfte sich laut Deag-Klage über 3.162.500,00 britische Pfund für die geplanten Auftritte am Nürburgring und in München freuen, die Alternative-Rocker von Incubus über 1.100.000,00 US-Dollar. Immerhin sechsstellige Beträge sprangen noch für Faith No More (840.000,00 Dollar) und The Hives (220.000,00 Euro) heraus. Und bei solchen Summen hat die Deag Schwierigkeiten, für alle Bands gegengezeichnete Verträge vorzulegen?

Anlegerschützer kritisieren Deag

Daniel Bauer kommt das merkwürdig vor. „Um eine Auszahlung in der Größenordnung leisten zu können, müssen unterschriebene Verträge vorliegen“, sagt der Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). „Telefonische Absprachen und E-Mails mit den wesentlichen Daten reichen in diesem Falle aus meiner Sicht nicht aus.  Alleine aus Dokumentationszwecken führt kein Weg an einer schriftlichen vertraglichen Vereinbarung vorbei.“ Das Vorgehen sei für eine Gesellschaft von der Größe der Deutschen Entertainment AG, die auch noch börsennotiert ist, „nicht angebracht“. In ihr jüngst veröffentlichtes „Schwarzbuch Börse“, in dem die SdK „Skandale, Missstände und Pleiten“ des Kapitalmarkts festhält, hat sie auch die Deag aufgenommen.

Am Kapitalmarkt sind die Berliner abgestraft worden. 2015 ging es für die Deag-Aktie gut 40 Prozent nach unten. Den Jahreshöchststand von 8,08 Euro im Februar halbierte die Deag bis Jahresende sogar und schloss 2015 mit einem Kurs von nur noch vier Euro ab. Am Donnerstag verlor die Deag-Aktie zweistellig. Mit 3,33 Euro (Stand: 12:40 Uhr) verzeichnete sie zeitweilig einen Tagesverlust von 12,16 Prozent.

An der Festivalstrategie hält Schwenkow aber unbeirrbar fest. Obwohl sich die bisherigen Einschätzungen des Deag-Vorstands nicht erfüllt haben, bleibt er weiterhin optimistisch. Ende Mai finden Rockavaria in München und Rock im Revier in Gelsenkirchen wieder statt. Bei Vorlage der Halbjahreszahlen schrieb Schwenkow seinen Aktionären, dass die Investitionen in den Festivalbereich zwar höher ausgefallen seien als erwartet. „Ich rechne aber damit, dass sie sich kurzfristig auszahlen und bereits im kommenden Jahr zu positiven Ergebnisbeiträgen führen werden.“ Wie der Ticketverkauf diesmal läuft, will er jedoch nicht sagen.

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