Das Vorwort des Buches, mit dem die Unternehmensberatung Roland Berger ihrem Namensgeber im vergangenen Herbst zum 75. Geburtstag gratulierte, wirkt wie eine Ermahnung aus gegebenem Anlass. „Wie schafft man es, schnell und trotzdem mit Bedacht zu wachsen?“, orakelt der langjährige Chef Burkhard Schwenker da. „Und wenn das auf Dauer nicht gelingt, wie erkennt man, ob der Neustart möglich ist? Neustart oder Exit, das ist für mich eine der spannendsten Fragen – und die Antwort ist ein Plädoyer dafür, dass sich wahres Unternehmertum auch in der nüchternen Entscheidung für einen Verkauf zeigen kann.“
Das Werk trägt den bezeichnenden Titel „Gute Führung“. In diesen Tagen müssen Schwenker und Berger mehr denn je beweisen, dass sie die tatsächlich leisten können. Denn für die „einzige internationale Strategieberatung europäischen Ursprungs“, wie sich Roland Berger Strategy Consultants selbst nennt, stellt sich die Existenzfrage. Die rund 250 Partner, denen das Unternehmen gehört, werden bald entscheiden, ob sie es verkaufen oder umbauen. Ganz frei sind sie bei der Wahl nicht: In der bisherigen Form ist Roland Berger auf Dauer kaum überlebensfähig.
Das Leben und Wirken von Roland Berger
Roland Berger in Berlin geboren
Abitur in Nürnberg
besteht er an der Uni München als Jahrgangsbester das Examen zum Diplom-Kaufmann. Nebenbei betreibt er eine Wäscherei, die er für 600.000 Mark verkauft
arbeitet Berger als Berater bei BCG in Boston und Mailand
Firmengründung in München
Referenzprojekt: Nach Bergers Konzept entsteht aus Touropa, Scharnow, Hummel und Dr. Tigges die TUI
erste Auslandsniederlassung in Mailand. Durch sein gutes Netz gewinnt Berger staatliche Institutionen als Kunden
verkauft Berger für knapp 100 Millionen Mark 75,1 Prozent seines Unternehmens an die Deutsche Bank
erhöht die Bank auf 95 Prozent
verkauft Berger die Firma zusammen mit seinen Mitarbeitern zurück
leitet Burkhard Schwenker die Beratung, Roland Berger wird Vorsitzender des Aufsichtsrats
Martin Wittig wird Chef, Schwenker Chefkontrolleur, Roland Berger Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats
Wittig tritt aus Krankheitsgründen zurück, Schwenker wird erneut Chef
Es sind zum einen veränderte Marktumstände, die die 1967 in München gegründete Beratung in die Enge getrieben haben. Die in den Neunzigerjahren zweistelligen Zuwachsraten sind passé. Unternehmen hinterfragen den Mehrwert der Flipchart-Vollschreiber kritischer als früher, statt persönlicher Beziehungen entscheiden vor allem in Großkonzernen jetzt Einkaufsabteilungen über den Zuschlag. Auf der anderen Seite werden die Beratungsthemen globaler. Die notwendige weltweite Präsenz können Berater aber nur mit hohen Investitionen finanzieren. Etliche Fusionen sind die Folge.
Dass Roland Bergers Zukunft auf der Kippe steht, ist aber auch die Folge von Missmanagement in eigener Sache. Die Top-Manager haben einige elementare Weisheiten, die sie ihren Kunden gern in PowerPoint-Präsentationen einbläuen, selbst nicht so genau genommen. So haben sie mit Preisrabatten Marktanteile gekauft und sind international zuletzt so stark gewachsen, dass die Strukturen kaum mithalten konnten. Zudem hat die unklare Nachfolge, bei der Patriarch Berger nicht loslassen wollte, die Entwicklung blockiert.
Der 75-Jährige, der formal als Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats vor allem repräsentative Funktionen hat, zählt trotz seines etwas in die Jahre gekommenen Netzwerks nach wie vor zu den wichtigsten Akquisiteuren. Mittlerweile scheint er jedoch vor allem an der Sicherung seines Nachruhms interessiert. Baustein dafür ist der „Roland Berger Preis für Menschenwürde“. Die mit einer Million Euro üppig dotierte Auszeichnung wird alljährlich bei einer Gala in Berlin verliehen. Da passt es nicht ins Bild, wenn das Lebenswerk des Stifters bröckelt. Bei den Verhandlungen über die Zukunft des Unternehmens werde Berger jede Verkaufslösung torpedieren, bei der sein Name entfalle, sind sich Insider sicher.
Die Aufgabe der Szenarioplanung unter erschwerten Umständen ist Burkhard Schwenker zugefallen. Nach sieben Jahren an der Berger-Spitze – aufreibend nicht zuletzt durch Stellungskämpfe mit dem Gründer – hatte sich der Tischlersohn 2010 auf den Posten des Aufsichtsratschefs verabschiedet. Als Nachfolger Martin Wittig Anfang Mai wegen gesundheitlicher Probleme zurücktreten musste, übernahm der 55-Jährige erneut den Chefposten.
Als Mann für den Übergang scheint Schwenker die Idealbesetzung. Er kennt die Beratung, gilt als integer und loyal, hat sich für das Unternehmen aufgeopfert und möglichst wenig an den Machtspielchen an der Spitze beteiligt. Doch selbst ihm bläst der Wind rauer ins Gesicht. So soll es bei der Partnerversammlung Ende Juli ungewohnt heftige Kritik gegeben haben. Offenbar liegen manche Nerven blank.
Deutliches Sparprogramm
Wie es um das Unternehmen tatsächlich bestellt ist, wissen nur wenige. Seit 2006 hat Berger keinen Geschäftsbericht mehr im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht. Wie bei den meisten Konkurrenten gelten Details der Entwicklung als geheim. Geschätzt lag der deutsche Jahresumsatz zuletzt bei 445 Millionen Euro. Immer wieder ist zu hören, dass Berger selbst in Deutschland zuletzt Verlust gemacht haben soll, was die Beratung jedoch entschieden dementiert.
Die Entscheidung über einen Verkauf haben die Berater Ende Juli erst einmal vertagt. Stattdessen beschlossen sie ein Revirement: Die oberste Führungsebene bildet künftig ein Trio. Frühere Superstars wie Portugal-Chef António Bernardo finden sich nun im zweiten Glied der Regionalverantwortlichen wieder. Bernardo hatte über Jahre das Kunststück fertiggebracht, in Portugal mit der in anderen Ländern nicht sonderlich profitablen Beratung des öffentlichen Sektors Millionen zu scheffeln. Die Euro-Krise hat dieses Geschäft jedoch vaporisiert.
Als Mann der Zukunft gilt im Top-Trio der Franzose Charles-Edouard Bouée, der das Geschäft in seinem Heimatmarkt und in Asien leitet. Er hat an Elite-Unis studiert, sich auf die Beratung bei Übernahmen spezialisiert und ist ein „Verkäufertyp wie Roland Berger selbst“, sagt einer, der ihn gut kennt. Insider sehen in ihm den wahrscheinlichen Nachfolger Schwenkers – wenn der den Chefposten nach Klärung der Eigentumsverhältnisse räumen sollte.
Derzeit zieht der amtierende Chef erst mal ein Sparprogramm durch. Zwar soll es keine Entlassungen geben, dafür aber deutliche Kürzungen bei den Sachkosten. So geben die Berater ihr Hauptquartier in den Highlight Towers im Münchner Norden auf, das sie erst 2006 mit großem Tamtam bezogen hatten. Neue Heimat wird ein Gebäude am Tucherpark – vor allem, weil die Miete dort deutlich günstiger ist.
In den Sparbemühungen sehen Insider den Wunsch, die „Braut hübsch zu machen“, wie es in München heißt. Der Käufer soll das Unternehmen im Bestzustand bekommen. Doch es ist fraglicher denn je, ob es überhaupt zur Hochzeit kommt. Je länger sich die Verhandlungen mit potenziellen Käufern hinziehen, desto unwahrscheinlicher wird der Abschluss.
Interessiert waren die drei großen Wirtschaftsprüfer Deloitte, PricewaterhouseCoopers (PwC) und Ernst & Young. Mit Deloitte schien bereits 2010 alles für einen Zusammenschluss klar, bis die Beratung auf Initiative ihres Gründers den Deal in letzter Sekunde abblies. Dennoch riss der Kontakt nie ab. Inzwischen tendieren die Chancen, handelseinig zu werden, allerdings wieder „gegen null“, berichten Eingeweihte. Hinsichtlich der Struktur könne oder wolle Deloitte-Chef Barry Salzberg keine akzeptable Lösung bieten. Die Prüfer sind ebenfalls verschnupft: Man wolle sich nicht an einem Bieter-Wettkampf beteiligen, den Berger mit der Bestätigung von Verkaufsverhandlungen angezettelt habe.
Ernst & Young ist Berger bei den Verhandlungen weit entgegenkommen: Die Berater könnten rechtlich eigenständig bleiben und ihren Firmennamen behalten. Im Gegenzug für versprochene Millionen-Investitionen für den Ausbau müssten sie sich allerdings vertraglich auf Dauer an die Prüfer binden – „ohne Ausstiegsmöglichkeit“, wie ein Insider moniert. Ernst & Young gilt deshalb als zweite Wahl.
Gefährdete Wohlfühllösung
Berger-Chef Schwenker favorisiere einen Zusammenschluss mit PwC, verlautet aus dessen Umfeld. Die Verhandlungen in der Zentrale in New York waren offenbar weit gediehen, PwC-Weltchef Dennis Nally soll Schwenker große Zugeständnisse gemacht haben. Demnach wäre PwC bereit, das gesamte Top-Managementberatungsgeschäft – also auch das eigene – künftig weltweit unter Roland Berger zu firmieren.
Noch offen ist, wie die Eigenständigkeit der Berger-Partner auch rechtlich abgesichert werden könnte. Eine denkbare Lösung: PwC könnte das Prüf- vom Beratungsgeschäft trennen. So würde sich das Problem mit der sogenannten „Channel-One“-Regel lösen, die es verbietet, großen Kunden Prüf- und Beratungsleistungen aus einer Hand anzubieten.
Doch die scheinbare Wohlfühllösung ist inzwischen höchst gefährdet. PwC-Deutschland-Chef Norbert Winkeljohann hatte sich kürzlich in der WirtschaftsWoche (Heft 33/2013) skeptisch zu einem Zusammengehen geäußert und vor einer Zwei-Marken-Strategie gewarnt. Seitdem haben bei Berger wieder die Skeptiker Oberwasser. Das PwC-Angebot soll zwar formal noch auf dem Tisch liegen. Intern, so mehrere Insider, habe sich aber eine Mehrheit der Berger-Partner dagegen ausgesprochen. Die Beratung dementiert, dass es eine Vorentscheidung gibt.
Top 10 der Managementberater in Deutschland 2012 (Zahlen teilweise geschätzt) | ||
Umsatz in Mio. Euro | Mitarbeiter | |
McKinsey (Umsatzschätzung >600 Mio. Euro; einschließlich Leistungsanteile der deutschen Gesellschaften an grenzüberschreitenden Projekten) | >600 | 2300 |
The Boston Consulting Group (einschließlich Leistungsanteile der deutschen Gesellschaften an grenzüberschreitenden Projekten) | 490 | 1880 |
Roland Berger | 445 | 1250 |
KPMG (Von den WP-Gesellschaften gemeldete anteilige Umsätze mit Managementberatung und managementberatungsnahen Leistungen in Deutschland; Zahlen inkl. BrainNet Supply Management Consultants, Übernahme 07/2012) | 403 | 2150 |
PricewaterhouseCoopers (Von den WP-Gesellschaften gemeldete anteilige Umsätze mit Managementberatung und managementberatungsnahen Leistungen in Deutschland) | 315 | 1468 |
Accenutre (anteilige Umsätze mit Managementberatung in Deutschland) | 296 | 825 |
Oliver Wyman Group (einschließlich Leistungsanteile der deutschen Gesellschaften an grenzüberschreitenden Projekten) | 280 | 730 |
Deloitte Consulting (Von den WP-Gesellschaften gemeldete anteilige Umsätze mit Managementberatung und managementberatungsnahen Leistungen in Deutschland) | 275 | 1406 |
Booz & Company (einschließlich Leistungsanteile der deutschen Gesellschaften an grenzüberschreitenden Projekten; Übernahme von Management Engineers 04/2013, Umsätze noch nicht enthalten) | 262 | 600 |
Bain & Company (einschließlich Leistungsanteile der deutschen Gesellschaften an grenzüberschreitenden Projekten) | 256 | 600 |
Quelle: Lünendonk |
In München ist die Meinung über den künftigen Kurs ohnehin gespalten. So gibt es Zweifel über die kulturelle Kompatibilität von Beratern und Prüfern. Aktuell sollen die älteren Partner eher bereit sein, zu verkaufen und damit Kasse zu machen, während die Jüngeren lieber allein weitermachen wollen, weil sie sich davon bessere Karrierechancen versprechen.
Als Alternative zur Fusion spukt in München die Idee einer strategischen Allianz herum. Die Beratung könne weitgehend eigenständig bleiben und sich mit einem künftigen Partner aus der Prüferbranche Mandate zuschanzen. Was eine solche Konstruktion tatsächlich bringt und wie sie im Einzelnen laufen könnte, ist unklar.
Die Lücke zu den Top-Wettbewerbern McKinsey und Boston Consulting Group (BCG) ließe sich so kaum schließen: Auch Roland Berger will strategische Top-Managementberatung auf höchstem Niveau servieren. Trotz aller Bemühungen ist das Versprechen kaum eingelöst.
Roland Berger war traditionell als Haus für Restrukturierungen bekannt. Die Truppe um den mittlerweile pensionierten Berger-Intimus Karl Kraus (Spitzname „Machete“), einen früheren Boxer ohne Hochschulabschluss, etablierte sich als Gruppe fürs Grobe und war stolz darauf, auch mal die Weihnachtstage gemeinsam im Büro zu verleben. Intellektuelle Geistesblitze zuckten nur selten über ihre Schreibtische.
Um den Kunden Mehrwert zu bieten, fehlt der Beratung die internationale Präsenz. Gründer Berger hatte nach seiner Blockade des Deloitte-Deals 50 Millionen Euro für den Ausbau zur Verfügung gestellt, die gleiche Summe machten die Partner locker. Die Investitionen sind hoch verzinst, die Zahlungen belasten das Ergebnis.
Mit dem Geld eröffnete Schwenker-Vorgänger Wittig weltweit Büros, aktuell gibt es welche in 36 Ländern, darunter abgelegenere Standorte wie Marokko, Libanon und die Ukraine. Doch die Offensive hat sich bisher kaum ausgezahlt, in den meisten Ländern soll das Geschäft nicht profitabel laufen, was Berger auf Anfrage verneint.
Internationale Expansion
Das Thema mangelnder weltweiter Präsenz treibt die Beratung seit Jahrzehnten um. Einen „regelrechten Minderwertigkeitskomplex“ attestiert ihr ein langjähriger Top-Manager. Deshalb hatte die Berger-Führung vor Jahren mal über ein Zusammengehen mit dem Wettbewerber Bain & Company debattiert, die Pläne aber nie ernsthaft verfolgt. Stattdessen gab es viele Anläufe, denen viele Abbrüche folgten.
Beispielhaft hierfür steht der größte Markt Amerika. Die ersten Schritte dort waren vielversprechend. Im Schlepptau der Fusion von Daimler und Chrysler begannen sich US-Unternehmen für Managementwissen aus Deutschland zu interessieren, etwa das Zusammenwirken von Zulieferern und Autoherstellern. Das Platzen der Internet-Blase im Jahr 2000 läutete den Rückzug ein. Zusätzlich geriet die Beratung in juristische Bedrängnis. Das New Yorker Büro in der Park Avenue war teilweise unbesetzt und wurde nur bei Klientenbesuchen wieder reaktiviert.
2003 startete Berger den nächsten Versuch, den das Unternehmen 2008 weitgehend beendete. Aktuell gibt es wieder einen Anlauf. So hat Berger mehrere Teams von Konkurrenten wie Charles River Associates abgeworben, doch wirkliche Schlagkraft hat die Beratung noch nicht erzielt.
Zweiter Vorzeigemarkt ist China, wo Roland Berger ordentlich zugelegt hat und fünf Büros unterhält. Kunden sind vor allem chinesische Unternehmen, die weniger zahlen als internationale Konzerne und oft Nachforderungen stellen. Sie sollen für zwei Drittel der China-Umsätze sorgen. Profitabel war das Geschäft dort nach Angaben mehrerer Insider bisher noch nie, was das Unternehmen bestreitet.
Welche Rolle(n) Berater heute spielen
In vielen Unternehmen ist das Branchen-Know-how und Erfahrungswissen vorhanden, um neue Lösungen zu finden. Es muss nur aus den Mitarbeitern herausgekitzelt werden. Als Moderator bereitet der Berater die wesentlichen Arbeitsschritte und Methoden hierfür vor, sorgt für eine strukturierte Diskussion, fördert neue Ansichten, gibt kollektivem Denken eine Struktur und entwickelt gemeinsam mit Management und Mitarbeitern neue Strategien, Organisationsmodelle und Prozesse. Ein guter Moderator ist Organisator, Didaktiker, Trainer, Coach und Sparringspartner des Topmanagements zugleich.
Bei der klassischen Form der Beratung kaufen Unternehmen Fach- und Erfahrungswissen ein, das im Unternehmen selbst nicht vorhanden ist. Seit den Anfängen der Strategieberatung á la McKinsey prägt die Expertenrolle das öffentliche Bild der Beraterbranche. Und so bieten noch heute praktisch alle Beratungsunternehmen diese Rolle an, sehr ausgeprägt auch bei Spezialistenboutiquen zu finden, die sich auf ein Fachgebiet (z.B. Einkauf oder Controlling) oder eine Branche (z.B. Finanzdienstleistung) fokussiert haben. Die Beratungsprojekte, in denen Experten gefragt sind, zeichnen sich durch längere Analyse- und Konzeptionsphasen aus. Denn hier kann der Experte mit seinem Fachwissen am meisten bewirken.
Bei besonders kniffligen und komplexen Fragestellungen erwarten die Kunden von Beratern wahre Starqualitäten. Der Vordenker muss entweder überragende intellektuelle Fähigkeiten mitbringen oder über langjährige Industrieerfahrung verfügen. In der Praxis wird zwischen so genannten Brain- und Grey-Hair-Projekten unterschieden. Bei Brain-Projekten ist die zu lösende Aufgabe neu und von großer Komplexität. Der Berater muss vor allem mit Kreativität, Innovation und Pionierleistungen bei neuen Ansätzen, Konzepten und Techniken aufwarten können. Bei Grey-Hair-Projekten sind dagegen kundenindividuelle Lösungen gefragt, die Aufgabenstellung ist jedoch meist im Grundsatz bekannt und Lösungsansätze können durchaus aus anderen Projekten übertragen werden. Die Kunden erwarten von Grey-Hair-Vordenkern nutzbare Erfahrungen und Vorwissen aus früheren Projekten sowie Urteilsvermögen. Bei Brain- wie bei Grey-Hair-Projekten sind Standardlösungen unakzeptabel. Hier zählt vor allem Seniorität und Spezialwissen.
Bei umfangreicheren Beratungsprojekten, die zum Beispiel in mehreren Ländern gleichzeitig stattfinden, übertragen Unternehmen die Projektkoordination und -steuerung gerne Beratungsdienstleistern. Der Projektmanager stellt sicher, dass die einzelnen Maßnahmen und Projektschritte termingerecht umgesetzt werden. Diese Rolle erfordert Organisationstalent und Methoden-Know-how.
"Umbauarbeiten" gehören heute in Unternehmen zum Tagesgeschäft. Beim Gros der Beratungsprojekte handelt es sich um sogenannte "Procedure-Projekte" – das heißt, dem Unternehmen ist das zu bearbeitende Problem gut bekannt, es hat aber selbst nicht genug Leute und häufig auch nicht das Know-how, um diese Umbauarbeiten aus eigener Kraft heraus zu stemmen. Bei IT- oder Transformationsprojekten liefern Berater wie z.B. Accenture, Capgemini, IBM oder BearingPoint Lösungen, die sie anschließend gemeinsam mit dem Kunden auch umsetzen.
Nach dem Hilfe-zur-Selbsthilfe-Prinzip schulen praxiserfahrene Spezialisten die Mitarbeiter des Kunden in Methoden- oder Fachtrainings, damit diese Aufgabenstellungen selber lösen und umsetzen können. Die Idee: Wenn die eigenen Mitarbeiter befähigt werden, Projekte umzusetzen, muss das Unternehmen künftig nicht mehr so viel Geld für Beratung ausgeben. Um anderen etwas beizubringen, braucht es Fachwissen, Empathie und didaktisches Geschick.
Der Berater stellt dem Unternehmen bereits entwickelte und in der Praxis getestete Methoden und Prozesslösungen – wie zum Beispiel Lean Management oder Six Sigma - zur Verfügung.
Diese Rolle beinhaltet hauptsächlich das Design und die Steuerung von Transformations- und Veränderungsprojekten. Der Berater bietet (verhältnismäßig) kleinen fachlich-inhaltlichen Input, er ist mehr Begleiter, Treiber, Controller, Anreger und Coach. Deshalb haben darauf spezialisierte Berater häufig auch keine explizite Branchen- oder fachliche Spezialisierung.
Der Berater verabschiedet sich von seiner Rolle als Berater und übernimmt als Senior Projektmanager selbst weitgehend die Führungs- und Umsetzungsfunktion. Interims-Manager sind bei der Überbrückung von Engpässen oder Umbruchsituationen gefragt. Diese Rolle übernehmen meist nur Berater, die vorher eigene Linienverantwortung in der Industrie gesammelt haben oder Ex-Linienmanager ohne explizite Beratungserfahrung.
Beim Management von Unternehmen werden datenanalytische Fähigkeiten immer wichtiger. Einige Beratungsunternehmen haben dazu eigene Teams im Angebot, die nur darauf spezialisiert sind, Daten zu erheben, zu analysieren und zu interpretieren, etwa um den Vertrieb zu verbessern und Kunden besser kennen lernen zu können.
Kunden fragen auch Beratung nach, um Entscheidungen oder Vorhaben zu legitimieren. Die Bestätigung der eigenen Meinung mittels einer neutralen Sichtweise kann der (fachlichen) Absicherung, der Entscheidungssicherheit, aber auch der Kommunikation dienen. Für die Legitimationsfunktion werden häufig die bekannten Brands herangezogen, aber auch externe Gutachter mit Spezialwissen können diese Rolle übernehmen.
Nun droht Ungemach im Reich der Mitte. So soll sich gerade ein Team zu Bain verabschiedet haben. Das könnte der Vorbote eines größeren Exodus sein. Gerüchteweise haben die Partner intern bereits eine Abspaltung ihres Geschäfts von der Muttergesellschaft debattiert. Roland Berger verneint, dass es solche Diskussionen gibt.
Die internationale Expansion, so beklagen mehrere ehemalige Chefs von Außenbüros, habe über Jahre unter der kurzfristigen Gewinnorientierung der Zentrale gelitten. Märkte wie Indien, Brasilien und Russland wurden aufwendig erschlossen, später wurde das Engagement wieder reduziert. „Berger hatte nie die Kraft und den Willen, eine längere Schwächephase durchzustehen“, klagt ein Ex-Top-Manager. Hinzu kamen Belastungen aus dem Rückkauf des Unternehmens von der Deutschen Bank ab 1998. Den finanzierten die Berater über Kredite, die sie dann abstottern mussten. Für Anlaufverluste im Ausland blieb wenig Budget. So standen für einen der US-Eroberungsversuche gerade mal vier Millionen Euro zur Verfügung.
Zudem fehlte den Top-Managern das tiefe Verständnis für das internationale Geschäft, monieren Insider. „Die Verantwortlichen waren ziemlich provinziell im Geiste und glaubten, dass das Geschäft gefälligst überall so geführt werden solle wie in München“, sagt ein Berger-Mann. Ein anderer Berger-Spitzenberater spottete regelmäßig über den „bayrischen Beamtenverein“.
In den vergangenen Jahren hat sich die Führung in München bemüht, aufzuholen. Doch mit dem rasanten Wachstum hat die Organisation nicht Schritt gehalten. „Sie ist weniger stabil als früher, es fehlt die gemeinsame Identität“, sagt ein kürzlich ausgeschiedener Partner. In vielen Ländern seien zusammengekaufte Teams am Start, die erst zusammenwachsen müssten.
Um Marktanteile im Ausland zu erobern, hat Berger wie Wettbewerber mit hohen Rabatten operiert. Das ist eine übliche Strategie und bringt eine höhere Auslastung, hatte aber auch unerwünschte Nebeneffekte: „Wenn wichtige Projekte reinkamen, waren unsere besten Leute blockiert“, sagt ein Ex-Top-Mann. Aktuell fahre die Beratung wieder diesen Kurs. Dass ein Kurswechsel hin zu höheren Preisen schwierig ist, gehört aber eigentlich zu den Binsenweisheiten aller Strategieberater.
Zudem fehle teilweise die Expertise, ob sich das Engagement in einem Auslandsmarkt überhaupt lohnt. Im malaysischen Kuala Lumpur etwa legt die Beratung gerade los, die ohnehin nicht üppigen Pfründen sind aber eigentlich bereits verteilt. „Solcher strategischer Schwachsinn ist für die aktuell desolate Ertragsschwäche verantwortlich“, schimpft ein langjähriger Partner. Um die gleichen Fehler nicht erneut zu machen und länger durchzuhalten, wäre mehr finanzielle Durchschlagskraft gefragt. Doch woher soll die kommen, wenn nicht von einem externen Partner? Dass Gründer Berger selbst noch einmal in die Tasche greift, ist unwahrscheinlich.
Grenzen überschritten
Schon jetzt liegen der Beratung zudem etliche Ehemalige auf der Tasche – eine Roland-Berger-Spezialität. Bei anderen Beratungen zählt das Alumni-Netzwerk zu den wertvollsten Gütern, von den Kontakten profitiert das Unternehmen. Berger dagegen hat es geschafft, einen Großteil der ehemaligen Führungskräfte zu vergrätzen.
Die hatten beim Rückkauf der Anteile von der Deutschen Bank Bürgschaften übernommen und dafür stimmrechtslose Anteile an der Beratung erhalten, deren Auszahlung diese dann Jahr um Jahr verzögerte. Nachdem die WirtschaftsWoche 2010 darüber berichtet hatte, schlossen sich mehr als 50 frühere Partner zusammen, um juristisch gegen ihr Ex-Unternehmen vorzugehen. Mit Erfolg: Im Frühjahr gab es einen Vergleich über 40 Millionen Euro, Ende August hat Berger die erste Rate überwiesen. „Was ist das für ein Unternehmen, das sich so einen Konflikt leistet“, wundert sich ein Beteiligter.
Die mangelnde Geschlossenheit ehemaliger und aktiver Berger-Partner ist auch eine Folge von Person und Führungsstil des Gründers. Obgleich die Aussagen der Ehemaligen mitunter von individuellen Frustrationen geprägt sind, stimmen ihre Einschätzungen im Grunde überein. Sie beschreiben Berger als eitlen Gutsherrn, der mögliche Widersacher aus dem Unternehmen drängte und dafür überehrgeizige Gefolgsleute förderte und mit zusätzlichen Geldspritzen belohnte. Das Entlohnungssystem war nie auch nur ansatzweise transparent. „Eine Kultur der Zusammenarbeit ist nur mühsam gewachsen und immer wieder zerstört worden“, klagt ein Insider.
Ohne Berger wäre die Beratung allerdings auch nichts. Der gesellige Gründer pendelte nicht nur zwischen seinen Herzensstädten München und Berlin hin und her, sondern im Dienst des Unternehmens um die ganze Welt, wo er es auf einzigartige Weise verstand, Kontakte zu knüpfen und Mächtige für sich einzunehmen. Doch die eigene Unentbehrlichkeit ist ihm offenkundig allzu sehr bewusst geworden. So sicherte er sich bei seinem Ausscheiden vom operativen Chefposten ein Vetorecht gegen alle wichtigen Entscheidungen und funkte zumindest in den ersten Jahren eifrig im Tagesgeschäft dazwischen.
So überschritt der „Gröbaz“, der größte Berater aller Zeiten, wie Kritiker ihn verhöhnen, mit seinem Multi-Engagement immer wieder Grenzen. Nicht vermittelbar war vor allem Bergers Rolle bei der Opel-Rettungsaktion 2009. Während seine Beratung ein Sanierungskonzept für die Tochter des insolventen US-Autoherstellers GM ausarbeitete, ließ sich Roland Berger vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zum Unterhändler berufen, der einen Privatinvestor suchen sollte. Der angeblich neutrale Unterhändler Berger saß gleichzeitig auch noch im Aufsichtsrat von Fiat – neben dem kanadisch-österreichischen Autozulieferer Magna der Hauptinteressent an Opel.
Auch mit anderen Privataktivitäten eckte Berger intern und extern immer wieder an. Denn der Gründer betätigt sich nicht nur als Kunstmäzen und Wohltäter. Nebenbei ist Berger auch noch Finanzinvestor, der – zeitweise mit dem früheren Arcandor-Chef Thomas Middelhoff als Partner – sanierungsbedürftige Firmen aufkauft.
Nun steht das Unternehmen am Scheideweg. Falls sich die Fusionsbemühungen endgültig zerschlagen, muss ein Plan B her. Einen kompletten Zerfall wird es aller Widrigkeiten zum Trotz auf absehbare Zeit nicht geben, aber ewig weiterwursteln geht auch nicht. Eine Option wäre die Rückkehr zu den Kernkompetenzen, was jedoch größere Einschnitte und eine dauerhafte Existenz als Nischenanbieter zur Folge hätte.
Wie geht es weiter? Roland Berger könnte derzeit einen guten Berater brauchen.