Für kaum ein Unternehmen ist die politische Einflussnahme so wichtig wie für die Deutsche Bahn. Und so wollte Rüdiger Grube die Sachen eigentlich selbst in die Hand nehmen. Als der Manager 2009 das Amt des Staatskonzernchefs übernahm, strich er den damaligen Posten des Chef-Lobbyisten aus dem Vorstand und übernahm die Aufgaben in Personalunion. Grube, der bis dato als Strategievorstand bei Daimler und Verwaltungsratsmitglied beim Luftfahrtkonzern EADS mit allen Wassern geschaffen war, sah sich in puncto Lobbyismuskompetenz offenbar selbst als Bestbesetzung.
Doch inzwischen muss Grube einräumen, dass die Beeinflussung politischer Entscheidungsträger nicht als Nebenaufgabe zu erledigen ist. Die Deutsche Bahn steht derzeit sowohl in Berlin als auch in Brüssel mächtig unter Druck. Zahlreiche Regulierungsvorhaben drohen die Bahn empfindlich zu treffen. Die mögliche Berufung des ehemaligen Kanzleramtsministers Ronald Pofalla in den Bahn-Vorstand wäre daher aus Konzernsicht eine konsequente Besetzung – der öffentlichen Empörung zum Trotz.
Seit Jahren schon setzt die Deutsche Bahn auf Spitzenpolitiker, um gegen Regulierungsvorhaben zu lobbyieren. Ex-Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) hielt für die Bahn Kontakt nach Brüssel. Der bayerische Ex-Verkehrsminister Otto Wiesheu (CSU) zog sieben Jahre lang im Vorstand die Drähte zu Bundesregierung und Bundestag. Derzeit leitet der CDU-Politiker und frühere Bahn-Aufsichtsrat Georg Brunnhuber die Abteilung Wirtschaft, Politik und Regulierung. Doch offenbar scheint Grube mit dem aktuellen Chef-Lobbyisten nicht sehr zufrieden zu sein.
Vor allem aus Brüssel droht der Bahn eine empfindliche Niederlage. Die EU-Kommission will das Schienennetz unabhängiger von Entscheidungen aus der Holding machen. Dazu bereitete Verkehrskommissar Siim Kallas ein viertes Eisenbahnpaket vor, dass die finanzielle Stärkung der Infrastrukturgesellschaften vorsieht. Der Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments (EP) hat die Vorgaben des Verkehrskommissars mit leichten Änderungen angenommen. So müssen künftig die Gewinne des Schienennetzes wieder in Bau und Instandhaltung von Gleisen, Brücken und Bahnhöfen fließen. Die Deutsche Bahn hatte jahrelang dagegen opponiert. Weil das EP und die Verkehrsminister der EU-Staaten noch zustimmen müssen, käme Pofalla die Aufgabe zu, das Schlimmste zu verhindern. Bislang hatten die Weltuntergangs-Argumente der Deutschen Bahn gegen eine schärfere Regulierung bei den Europapolitikern allerdings keinen Erfolg.
Lokführer kritisieren möglichen Wechsel Pofallas
Auch in Berlin ist der Druck gestiegen. Im Juni scheiterte im Bundesrat zwar eine Novelle des Eisenbahnregulierungsgesetzes. Die Deutsche Bahn hatte vor allem bei den Ministerpräsidenten mit SPD-Parteibuch erfolgreich lobbyiert. Eigentlich sollte die Bundesnetzagentur als Kontrollinstanz gestärkt werden – so wollte es der Bundestag. Die Bonner Behörde sollte künftig besser berechnen können, wie die Trassenpreise entstehen, wie effizient die Bahn mit öffentlichen Geldern umgeht und wie hoch die Rendite aus dem Schienennetz für die Bahn sein darf.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch die Bahn drohte damit, keine Eigenmittel mehr in das Schienennetz zu investieren. Das Gesetzesvorhaben scheiterte vorerst. Doch klar ist, dass der neue Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) das Papier als allererstes wieder aus der Schublade ziehen wird. Selbst die Pkw-Maut dürfte dafür in der Prioritätenrangfolge nach hinten rücken. Pofalla würde auch hier versuchen, Einfluss zu nehmen.
Wie sehr der Druck gegenüber der Deutschen Bahn gestiegen ist, zeigt auch folgendes Beispiel. Im Bundesverkehrsministerium wollte man die Debatte um Netzgewinne endgültig begraben. Spitzenbeamte ersannen ein Modell, wie die Deutsche Bahn gezwungen wäre, die Gewinne aus dem Betrieb des Schienennetzes wieder in das Netz zu reinvestieren. Um den Anschein zu erwecken, man reagiere nicht immer nur auf Druck der Politik, schlug Bahnchef Grube die im Ministerium erarbeitete Fonds-Lösung Mitte vergangenen Jahres plötzlich selbst vor.
Aus Unternehmenssicht wäre eine Berufung Pofallas jedenfalls eine Investition in die Zukunft. Die 1,3 bis 1,8 Millionen Euro, die ein Bahn-Vorstand pro Jahr verdient, könnten schnell wieder reingeholt werden, sollte der CDU-Politiker und Vertraute von Kanzlerin Merkel Regulierungsvorhaben erfolgreich verhindern. Die aktuelle Gesetzeslage sichert der Deutschen Bahn ein Monopol im Fernverkehr und Gewinne aus dem Schienennetz. Eigentlich wollte die frühere Bundesregierung aus CDU und FDP die Abführung der Netzgewinne an die Holding bereits 2009 kappen. Doch aus dem Vorhaben wurde in dem Koalitionsvertrag von 2009 nur ein „Prüfauftrag“. Dieser verpuffte wirkungslos. Die entscheidende Passage wurde damals kurzfristig aus dem Kanzleramt in den Koalitionsvertrag redigiert.
Fraglich ist, ob angesichts der öffentlichen Kritik der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn die Personalie Pofalla im März dieses Jahres durchwinken wird. Inzwischen mehren sich die kritischen Stimmen. „Die mögliche Berufung von Ronald Pofalla zur Deutschen Bahn halten wir für kritisch“, sagte Claus Weselsky, Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, der WirtschaftsWoche. Die GDL hält einen Sitz im Kontrollgremium. „Wir brauchen mehr Eisenbahnfachverstand im Unternehmen. Dinge sollten weniger über Lobbyismus, sondern mehr über Fachverstand bewegt werden. Ob die GDL einer Berufung Pofallas in den Bahn-Vorstand im Aufsichtsrat zustimmen wird, entscheiden wir erst, wenn es soweit ist.“