Nach Chaos Härterer Kurs für die Bahn

Der Rückhalt in der Politik für den Verbleib des Schienennetzes unter dem Konzerndach schwindet.

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Die größten Pannen der Deutschen Bahn
Juli 2015Wegen der großen Hitze sind die Luftkühlungen mehrerer IC-Züge ausgefallen. Anders als im Sommer 2010 reagierte die Bahn diesmal schnell: Sie stellte für die besonders betroffene Linie Berlin-Amsterdam zwei Ersatzzüge bereit. Sie sollen eingesetzt werden, wenn die Luftkühlung in anderen IC auf der Strecke versagt, wie ein Sprecher mitteilte. Außerdem wurden in Osnabrück mehrere Busse stationiert. Dort mussten insgesamt mehrere Hundert Fahrgäste in nachfolgende Züge umsteigen, weil in ihren Zügen die Klimaanlage ausgefallen war. Es habe aber kein Fahrgast gesundheitliche Probleme bekommen, so der Sprecher. Bei etwa einem Dutzend älterer Intercitys auf der Linie Berlin-Amsterdam hatten die Klimaanlagen ihre Arbeit eingestellt. Quelle: dpa
Oktober 2014Ein Warnhinweis sorgt für Lacher, Spott und eine Entschuldigung der Deutschen Bahn: „Cannstatter Wasen: Es ist mit Verspätungen, überfüllten Zügen und verhaltensgestörten Personen zu rechnen“ ist am Samstag auf den Anzeigetafeln an mehreren Bahnhöfen in der Region Stuttgart zu lesen gewesen, wo das Volksfest an seinem letzten Wochenende in diesem Jahr wieder Tausende Besucher anlockte. „Wir entschuldigen uns dafür“, sagte eine Bahn-Sprecherin am Sonntag und bestätigte Online-Berichte der „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Stuttgarter Zeitung“. Ein Mitarbeiter habe den Text entgegen aller Vorgaben verfasst. Er werde Anfang der Woche zum Rapport bestellt. Dann solle auch der gesamte Vorgang aufgeklärt werden. Quelle: dpa
August 2013Ein ungewöhnlich hoher Krankenstand in der Urlaubszeit sorgte im August 2013 für ein Fahrplanchaos am Mainzer Hauptbahnhof - und für massiven Ärger bei den Fahrgästen. Die Deutsche Bahn hat für das Chaos am Mainzer Hauptbahnhof wegen massiver Personalprobleme auf Facebook um Entschuldigung gebeten. „Für die derzeitigen Einschränkungen möchte ich mich entschuldigen“, antwortete ein Mitarbeiter in dem Sozialen Netzwerk auf Beschwerden einer Nutzerin. Die Situation sei „wahrlich nicht schön“. Quelle: dpa
August 2013Um dem Problem der häufig verstopften und verdreckten Zugtoiletten Herr zu werden, setzt die Bahn ab sofort neue Reinigungskräfte, sogenannte Unterwegsreiniger, in ICE-Zügen ein. Die Reinigungskolonne, die auf der Fahrt die Toiletten putzt, wird um 50 Beschäftigte auf 250 aufgestockt, wie der Vorstandsvorsitzende DB Fernverkehr, Berthold Huber, ankündigte. Die Mitarbeiter sollen zugleich stärker entsprechend der Zugauslastung eingesetzt werden. Damit würden die Toiletten in besonders gefragten Bahnen mindestens zweimal und damit doppelt so oft auf der Fahrt gereinigt wie bisher. Der Fahrgastverband Pro Bahn und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) lobten die Initiative, wiesen aber zugleich auf andere Probleme hin. „Neben den kaputten oder dreckigen Toiletten gibt es tagtägliche Kundenbeschwerden vor allem über die Klimaanlagen und Verspätungen“, sagte Pro-Bahn-Bundessprecher Gerd Aschoff. Und das sind nicht die einzigen Pannen der Deutschen Bahn... Quelle: dpa
November 2011Nach der persönlichen Anmeldung im neuen elektronischen Ticketsystem „Touch & Travel“ waren für nachfolgende Nutzer die Kundendaten sichtbar. Quelle: dpa
Juli 2010Am einem Wochenende fallen in mehreren ICE-Zügen die Klimaanlagen aus. Fahrgäste kollabierten, Schüler mussten dehydriert ins Krankenhaus eingeliefert werden. Im Zuge der Panne wurde bekannt, dass die Klimaanlagen der Bahn nur bis 32 Grad funktionieren. Damals fielen in Dutzenden Zügen die Klimaanlagen aus. Quelle: dpa
April 2010 - ICE verliert TürBei voller Fahrt verliert ein ICE auf dem Weg von Amsterdam nach Basel eine Tür. Das Stahlteil schlägt in einen entgegenkommenden ICE ein. Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Frankfurt und Köln werden sechs Menschen leicht verletzt. Ursache für den Unfall ist eine lose Stellmutter an der Verriegelung. Foto: dpa

Der Auftrag an Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) war eindeutig. „Gewinnabführungen der Infrastruktursparten an die Holding werden ausgeschlossen“, heißt es im Koalitionsvertrag, den CDU/CSU und FDP 2009 schlossen. Mit dem Passus wollten die Liberalen verhindern, dass die Deutsche Bahn sich weiter der Einnahmen aus dem Schienennetz und den Bahnhöfen bedient. Denn die Eisenbahn-Infrastruktur gehört laut Grundgesetz mehrheitlich dem Staat und wird mit Steuergeldern gepäppelt.

Wer die Infrastruktur der Deutschen Bahn bezahlt Quelle: Deutsche Bahn

Aus dem Ansinnen wurde nichts. Ramsauers Beamte meinten 2011, es brächte unterm Strich keine Vorteile, der Bahn zu verbieten, Gewinne aus dem Schienennetz herauszuziehen. Also durfte es Bahn-Chef Rüdiger Grube weiter zur künftigen Geldquelle für die Konzernkasse aufbauen.

Doch damit könnte nach der Bundestageswahl Schluss sein. Das Zugchaos am Mainzer Stellwerk und die Probleme an den Stellwerken in Bebra (Hessen), Brandis-Beucha und Zwickau (Sachsen), Lahnstein-Friedrichssegen (Rheinland-Pfalz), Niederarnbach (Bayern) und Berlin-Halensee und -Tempelhof haben die politische Großwetterlage verändert.

Selbst Bahn-Freunde unter den Berliner Parlamentariern bezweifeln inzwischen die Vorteile von Fahr- und Netzbetrieb unter einem Dach. Unions-Politiker und Sozialdemokraten fordern strengere Regeln, Grüne und Liberale wollen die Sparte ganz abtrennen. In gleicher Richtung macht Brüssel Druck. Sogar Ramsauer macht kehrt. „Schließlich werden wir veranlassen, dass die Gewinne der Netz AG als Investitionen wieder ins Netz zurückfließen“, sagte er Anfang der Woche. „Verlassen Sie sich drauf, auch wenn es Zeit braucht.“

Es mehren sich die Fragezeichen hinter dem Verbleib der Infrastruktur im Konzern. Zum einen, weil die Verquickung von Netz- und Fahrbetrieb – von Ex-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn zum „Rad-Schiene-System“ stilisiert – auch unter Nachfolger Grube ein Quell für Diskriminierung geblieben ist. Zum anderen, weil die Bahn unfähig ist, für einen reibungslosen Betrieb auf dem Netz zu sorgen.

Bahn-Konzern zerschlagen

Mehr Wettbewerb auf der Schiene in Europa
GroßbritannienTrotz aller Qualitätsmängel: Großbritannien gilt in Sachen Wettbewerb inzwischen als Vorbild für Europa. Kaum ein Eisenbahnland ist so liberalisiert. Allerdings wird der Fernverkehr auf der Insel meist über so genannte Franchises ausgeschrieben. Unternehmen können sich für den Betrieb der insgesamt 19 Konzessionen bewerben. Wer den Zuschlag erhält, bekommt staatliche Subventionen. So betreibt DB Arriva, eine Tochter der Deutschen Bahn, beispielsweise die Linie CrossCountry von Aberdeen im Norden nach Birmingham. Das System ähnelt dem deutschen Nahverkehrsmodell. Parallel dazu ist auch eine Trassenvergabe möglich, die die Bahnen dann eigenwirtschaftlich betreiben. Allerdings wird dies bislang nur auf zwei Strecken genutzt: von London nach Hull im Nordosten und von London nach Bradford/Sunderland im Norden. Bislang gibt es in Großbritannien nur eine einzige Hochgeschwindigkeitsstrecke. Die „Highspeed 1“ führt von dem Eurotunnel nach London und erlaubt Geschwindigkeiten bis 300 km/h. Quelle: Christian Schröder
ItalienIn keinem anderen Land ist der Wettbewerb auf der Schiene im Fernverkehr so intensiv wie in Italien. Vor einem Jahr machte sich eine Gruppe von Unternehmern auf, die Staatsbahn Trenitalia auf der Rennstrecke von der Industriezone um die Stadt Mailand bis ins politische Zentrum Rom zu attackieren. Die bis zu 300 km/h schnellen "Italo"-Züge des Unternehmens NTV verbinden die Städte in unter drei Stunden - weiter geht es im Norden nach Turin und im Süden nach Neapel. NTV beförderte in den ersten rund acht Monaten seit Betriebsaufnahme mehr als zwei Millionen Passagiere. Der Marktstart gilt als Erfolg. Die Tickets sind für Frühbucher auf unter 30 Euro gefallen. Quelle: dapd
TschechienSeit September 2011 bietet das tschechische Verkehrsunternehmen Student Agency unter der Marke RegioJet Konkurrenzzüge zur tschechischen Staatsbahn CZ. Die Züge des Herstellers Bombardier pendeln zwischen Prag und Ostreva. Teilweise setzt Regiojet modernisierte Gebrauchtzüge der SBB aus der Schweiz ein. RegioJet hat sich zum Ziel gesetzt, Züge nicht nur in Tschechien, sondern auf mitteleuropäischen Strecken anzubieten. Im März 2012 startete RegioJet etwa in der südlichen Slowakei mit dem Betrieb von Zügen auf der 100 km langen Eisenbahnstrecke von der regionalen slowakisch-ungarischen Grenze zur Hauptstadt Bratislava. Student Agency ist seit zwei Jahren auch Kooperationspartner der Deutschen Bahn bei der Busverbindung zwischen Nürnberg und Prag. Quelle: Harold
FrankreichDie französische Staatsbahn SNCF ist Monopolist – und hat sich quasi selbst Konkurrenz geschaffen. Im April dieses Jahres hat das Unternehmen den Billig-TGV („iDTGV “) eingeführt. Insgesamt 62 Hochgeschwindigkeitszüge mit einfachem Komfort und hoher Passagierdichte fahren zwischen den Bahnhöfen Marne-la-Vallée (beim Vergnügungspark Euro Disney nahe Paris) sowie Marseille, Lyon und Montpellier. Die Preise für die rund dreieinhalb Stunden lange Fahrt ans Mittelmeer beginnen für Erwachsene bei 19 Euro je Einfachticket. SNCF will damit vor allem preissensible Studenten und junge Familien überzeugen. Die Bahn verhindert somit auch, dass potenzielle Wettbewerber mit Billigangeboten die TGV-Züge der SNCF angreifen. Quelle: Reuters
ÖsterreichSeit Dezember 2011 gibt es eine Alternative zu den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB): Die Westbahn verbindet die Städte Wien und Salzburg zwölf Mal am Tag. Die Züge benötigen für die 317 Kilometer lange Strecke 2:32 Stunden - nur zehn Minuten länger als Züge der ÖBB. Dafür bietet die Westbahn kostenloses Wlan und Gratiszeitungen in der Businessclass. Die Preise liegen mit 25 Euro um rund die Hälfte niedriger als bei der ÖBB ohne Ermäßigung. Der Einstieg der Westbahn hat teilweise zu einem harten und ruinösen Preiswettbewerb geführt. An der Westbahn ist die französische Staatsbahn SNCF mit 26 Prozent beteiligt.  

Symptomatisch dafür ist die Müngstener Brücke. Als vor zwei Jahren die Sanierung der höchsten deutschen Eisenbahnbrücke bei Solingen in Nordrhein-Westfalen anstand, berechneten die Statiker der Netzsparte das Gewicht der Regionalzüge falsch. Sie vergaßen schlichtweg das Gewicht der Passagiere. Das Eisenbahnbundesamt ließ die Brücke sperren. Ein halbes Jahr lang mussten mehrere Tausend Passagiere pro Tag mit dem Ersatzbus pendeln.

Gleichzeitig erweist sich die These vom Diskriminierungspotenzial integrierter Bahn-Konzerne als bittere Realität. Auf Druck der EU-Kommission lenkt die Bahn gerade ein, Wettbewerbern Teile der Stromrechnung zu erlassen. Die Mengen- und Laufzeitrabatte sind in der Praxis nur für Züge der Deutschen Bahn interessant – ein Nachteil für die Konkurrenz.

Als Opfer sieht sich auch der Betreiber des Fernzugs HKX zwischen Hamburg und Köln. Der Wettbewerber hatte mit der Bahn im Frühjahr 2010 die Preise für die Stopps an den Bahnhöfen vereinbart. Kein halbes Jahr später, im September 2010, setzte der Staatskonzern die Zuglänge, von der an ein Halt deutlich mehr kostet, von 180 Meter auf 170 Meter herab. HKX sollte deshalb an fünf Tagen die Woche, an denen die Züge 178 Meter lang sind, weit mehr als doppelt so viel bezahlen wie geplant. Nur auf Druck der Bundesnetzagentur gab die Bahn nach.

Für die Politik ist das Maß voll. Ziel müsse es sein, „das Schienennetz als separaten Infrastrukturdienstleister unabhängig zu machen, der Zugtrassen und Bahnhöfe diskriminierungsfrei zur Verfügung stellt“, sagt der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic. Auch sein Grünen-Kollege Anton Hofreiter fordert „endlich eine Trennung des Schienennetzes“.

Selbst die SPD schwenkt auf einen härteren Kurs ein. Sollte etwa eine Selbstverpflichtung der Bahn nicht ausreichen, die Gewinne aus dem Netz zu reinvestieren, oder der Rückfluss der Bahn-Dividende ins Netz nicht garantiert werden können, müsse „auch geprüft werden, ob die Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge zwischen Holding und DB Netz AG in der jetzigen Form unserem Ziel, alle Trasseneinnahmen für die Schieneninfrastruktur zu verwenden, entgegenstehen“, heißt es in einem Fraktionspapier.

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