Wenn der Lufthansa-Aufsichtsrat heute Carsten Spohr zum neuen Konzernchef wählt, ist das nach klassischen Maßstäben eigentlich keine Nachricht mehr, sondern ganz kalter Kaffee. Denn seit der heutige Vorstandsvorsitzende Christoph Franz im September überraschend seinen Wechsel an die Spitze des Schweizer Pharmariesen Roche bekannt gab, war für Beschäftigte und Beobachter sofort klar: Es wird Spohr. Dazu melden dies seit Monaten bereits gefühlt ein Dutzend Medien.
Damit endet eine monatelange Hängepartie, die am Ende sowohl Spohr als auch Lufthansa-Aufsichtsratschef Wolfgang Mayrhuber zu schädigen drohte. Wenn der eine Dax-Konzern wie Lanxess quasi über Nacht einen neuen Chef küren kann, dann wirkt es etwas unorganisiert und der Aufsichtsrat überfordert. Nun hat das Gremium in letzter Minute die Kurve bekommen, bevor der Schaden zu groß wurde.
Auch wenn Lufthansa-aufsichtsrats-Chef Mayrhuber bis zum Schluss nach einem Manager von außerhalb suchte und für den Top-Job viele Namen kursierten - etwa Stephan Gemkow, Ex-Lufthanseat und heute Chef des Düsseldorfer Mischkonzerns Haniel - , galt Spohr als einzig ernsthafter Kandidat. Der 47-Jährige ist Chef der Passagierflugsparte mit den Marken Lufthansa und Germanwings und verantwortlich für gut 17 Milliarden Euro Umsatz. "An ihm führt kein Weg vorbei", heißt es seit Franz Kündigung unisono bei Arbeitnehmern und auf der Kapitalseite des Aufsichtsrats. Dass Aufsichtsrats-Chef – und Franz‘ Vorgänger - Wolfgang Mayrhuber Spohr am Ende doch nicht sofort küren wollte, hatte gute Gründe.
Carsten Spohr: Pilot und Lufthansa-Kenner
Charismatisch, flugbegeistert und erfahren: Mit Carsten Spohr hat sich die Lufthansa für einen Favoriten auf den Chefposen entschieden. Seine steile Karriere bei der Airline findet so ihre Krönung.
Carsten Spohr wurde 1966 in Wanne-Eickel im nördlichen Ruhrgebiet geboren. Nach seinem Studium zum Wirtschaftsingenieur an der Universität Karlsruhe erwarb er die Verkehrspiloten-Lizenz an der Fliegerschule der Lufthansa. Danach absolvierte er das Trainee-Programm bei der Deutschen Aerospace AG.
Mit 27 Jahren kehrte Spohr zu der Airline zurück und schlug dort eine steile Karriere ein: Zunächst übernahm er die Leitung des zentralen Personalmarketings, später arbeitete er sich über verschiedene Funktionen zur Koordination der Regionaltöchter und dem Airline-Bündnis Star Alliance in die Spitze der Kerngesellschaft Lufthansa Passage empor. Zeitweise war er Assistent von Lufthansa-Legende Jürgen Weber.
Als Chef der Frachttochter Lufthansa Cargo lieferte Spohr bis zur Finanzkrise blendende Ergebnisse und zog schließlich 2011 gemeinsam mit dem scheidenden Lufthansa-Chef Christoph Franz in den Konzernvorstand ein. Gemeinsam setzten sie das harte Sparprogramm „Score“ durch.
Anfang Februar 2014 hat die lange Suche nach einem Nachfolger für Christoph Franz ein Ende: Lufthansa will Carsten Spohr zum neuen Vorstandschef machen. Der 47-Jährige galt im Vorfeld schon als Favorit.
Auch wenn seine Beliebtheit in der Belegschaft während der Sanierung abgenommen haben dürfte, gilt der begeisterte Flieger Spohr als charismatischer Gegenpol zu Franz. Dessen kühle, analytische Art verprellte viele Lufthanseaten. Spohr ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Zum einen wollte Mayrhuber den Regeln guter Unternehmensführung genügen und möglichst breit nach einem Nachfolger suchen. Nur so ließ sich der Verdacht einer Seilschaft ebenso vermeiden, wie die Erleichterung über Franz Abgang. Denn auch wenn der heutige Chef seine Karriere bei der Lufthansa begann und sich mit der ihm eigenen Akribie in die vielen Probleme der Linie eingearbeitet hat. Er ist nie richtig warm geworden mit der Belegschaft und erst nicht mit Mayrhuber.
Dem war es wohl ein wenig unheimlich, wenn nicht gar unangenehm, dass Franz viele der Entscheidungen von Mayrhuber wie das jahrelange Bremsen bei überfälligen Umbauten endlich umkehrte. Das reichte vom überfälligen Schleifen teurer Doppelstrukturen, der Freiheit des konzerneigenen Billigfliegers Germanwings im Kampf gegen die Verluste bei Europaflügen oder die lange verzögerten Investitionen in neue Flieger und einen besseren Service an Bord.
Dazu verpasste er der Lufthansa einen klaren unternehmerischen Fokus auf Effizienz und Leistungsorientierung. Noch ist die Linie im internen Umgang zu oft eine Wohlfühlgesellschaft und – trotz wachsender Konkurrenz und nachlassender Finanzzahlen - vom Glamour der Weltläufigkeit gelegentlich ebenso berauscht wie von der eigenen Überlegenheit bei Technik und Finesse im fliegerischen Alltagsgeschäft. „Wir haben dieses Jahr ja mehr als genug über Zahlen gesprochen“, stichelte Mayrhuber auf einem Führungskräftetreffen Ende des Jahres in Richtung Franz – als wenn das in diesem Jahr anders sein könnte.
Dauerkonflikte entschärfen
Zweiter Grund für das Aufsichtsrats-Zögern bei der Wahl Spohrs ist, dass die Berufung nach wie vor ein wenig zu früh kommt. Zwar hat Spohr sowohl als Leiter des angeschlagenen Frachtgeschäfts wie auch beim Umbau des Passagiergeschäfts bewiesen, dass er auch sanieren kann.
Doch muss Spohr den aktuellen Konzernumbau mit seinen vielen unpopulären Entscheidungen zu Ende bringen, würde ihn das wahrscheinlich seinen Rückhalt in der Belegschaft kosten. Damit ist er am Ende als Konzernführer für den Aufbruch möglicherweise geschwächt, wenn nicht gar verheizt. Denn noch hat er einen breiten Rückhalt im Konzern. "Er würde uns zum Besseren verändern, denn er hat fast alles, was wir an Franz vermissen", gesteht selbst ein führender Gewerkschafter, allen von Spohr veranlassten Einschnitten zum Trotz.
Denn dank seines Talents zur Kommunikation dürfte Spohr für mehr Konsens sorgen und die Dauerkonflikte mit Politikern um steigende Abgaben, mit Kunden um mit niedrigeren Flugpreisen verbundene Einschränkungen beim Service und mit Mitarbeitern um Gehaltskürzungen entschärfen. Zwar war Franz bemüht, seine Pläne den Betroffenen in vielen Versammlungen und Internet-Foren zu erklären. "Doch es bleibt der Eindruck, den bringen wir nicht von seiner Meinung ab, wogegen Spohr zumindest verspricht, Vorschläge zu prüfen", sagt ein Top-Gewerkschafter. Mit seiner technokratischen Wortwahl wirkte Franz zudem auf dem politischen Parkett ungeschickt und fremd, was dem Unternehmen eher schadete.
Der ausgebildete Airbus-Pilot Spohr hingegen bewegt sich dagegen mit der natürlichen Autorität eines Flugkapitäns. Der Akzent seiner Heimatstadt Wanne-Eikel macht ihn glaubhaft, egal, ob er mit einfacheren Mitarbeitern redet oder auf glamourösen Events in München oder Berlin glänzt.
Gleichzeitig dürfte Spohr für bessere Stimmung im Unternehmen sorgen. "Wir gelten doch inzwischen als sturer Sparverein, der das Opfer übermächtiger Konkurrenz ist", sagt ein Manager.
Die Sparprogramme der Lufthansa
Nach dem Golfkrieg Anfang der neunziger Jahre brach der Luftverkehr ein und die Lufthansa rutschte wegen zu hoher Kosten und Überkapazitäten an den Rand der Pleite. So startete der 1991 zum Vorstandschef gewählte Jürgen Webers sein erstes Sparprogramm, bei dem er mit Zustimmung der Gewerkschaften 8000 Stellen abbaute. Das Programm war ein Erfolg, nicht zuletzt, weil es die Lufthansa zur Schicksalsgemeinschaft machte und die Arbeit im Sparteam die späteren Konzernchefs Wolfgang Mayrhuber und Christoph Franz zu engen Vertrauten machte.
Trotz der Erfolge der Sanierung knickte der Lufthansa-Gewinn 1996 wieder ein. Die nach wie vor zu hohen Kosten sollte das Programm 15 drücken, von 17 Pfennigen um einen Passagier einen Kilometer weit zu transportieren auf höchstens 15, was einer Einsparung von einer Milliarde Mark oder fünf Prozent des Umsatzes entsprach. Das Programm erreichte das Sparziel eine Milliarde, doch am Ende scheiterte es, weil andere Kosten die Lufthansa wieder zu einem der teuersten Anbieter der Branche machte.
Trotz boomender Wirtschaft sanken Ende der neunziger Jahre die Lufthansa-Gewinne, nicht zuletzt wegen der wachsenden Konkurrenz durch Billigflieger. Darum sollte Operational Excellence nicht nur die Kosten senken, sondern auch die Qualität und besonders die Pünktlichkeit steigern, damit die Lufthansa ihre höheren Preise rechtfertigen konnte. In Sachen Pünktlichkeit half das Programm. Doch zum Qualitätsführer machte es Lufthansa nicht, nicht zuletzt, weil der Bordservice trotz hoher Investitionen unter dem Branchenstandard blieb.
Noch vor dem Ende des New Economy-Booms sackte 2000 der Lufthansa-Gewinn. Weil bisherige Sparprogramme kaum langfristig wirkten, wollte Konzernchef-Jürgen Weber mit D-Check – benannt nach der Generalüberholung eines Flugzeugs – die Arbeitsweise des Unternehmen verändern und die Kosten nachhaltig um eine Milliarde Euro senken. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 kam D-Check akut und wurde dank Streckenstreichungen und Lohnzugeständnissen von gut 200 Millionen Euro mit fast 1,5 Milliarden Euro Ersparnis das einzige erfolgreiche Sparprogramm des Jahrzehnts.
Kaum im Amt musste der neue Konzernchef Wolfgang Mayrhuber nach Krisen wie dem Nachfrageeinbruch durch die Lungenseuche Sars in China für das Jahr 2003 einen erneuten Gewinneinbruch verkünden und wollte mit dem Aktionsplan die Kosten um 1,2 Milliarden Euro senken. Parallel dazu versuchte die Lufthansa ihren Europaverkehr im Rahmen von „Zukunft Kont“ neu und effizienter zu organisieren. Am Ende fehlte dem Programm die klare Linie und weil Flughäfen und anderen Lieferanten kaum Sparbeiträge lieferten, blieb es unter den Erwartungen.
Nach dem wenig erfolgreichen Aktionsplan rückte die Lufthansa in der nächsten Effizienzrunde wieder die Qualitätsverbesserung nach vorne. Doch das komplette „Upgrade to Industrie Leadership“ genannte Programm verpuffte, nicht zuletzt, weil in der 2008 beginnenden Finanzkrise den Kunden und besonders Geschäftsreisenden Qualität weniger wichtig war als ein guter Preis. Darunter litt besonders die Lufthansa, deren Service besonders im Vergleich zu Wettbewerbern wie Emirates eher dürftig ausfällt.
Nach dem Misserfolg des Qualitätsprogramm Upgrade startete Christoph Franz seine Zeit als Chef das Fluggeschäfts mit einem klassischen Sparprogramm. Auch weil es erstmals Entlassungen androhte und einen – Hochverrats verdächtigen - Umbau der Europaflüge in Richtung der Billigflieger vorschlug, musste Franz zurück rudern. Doch weil der Spardruck bleib und der Versuch den Einkauf im Konzern zu zentralisieren, grandios scheiterte, bleib am Ende eine magere Ersparnis von gut 600 Millionen - und an der unzeitgemäß aufwändigen Arbeitsweise änderte sich nichts.
Kaum Konzernchef, kündigte Christoph Franz den in drei wirkungslosen Sparrunden vermiedenen Komplettumbau an: mit zuvor unvorstellbaren Dingen wie Entlassungen, Entmachtung der Konzerntöchter zu Gunsten der Zentrale und dem Übergang der tiefroten Europafliegerei zur Billigtochter Germanwings. Die Aussichten sind gut, weil Franz Erfolge vorsichtig feiert, die Führung durch konzernfremde Manager ergänzte, der ganze Vorstand in Workshops für das Programm wirbt - und Franz beim Umbau der Tochter Austrian zeigte, dass er noch radikalere Dinge wie ein Ausflaggen nicht fürchtet.
Sein Gespür für "Good Vibrations" zeigte Spohr, als die Lufthansa 2012 den ersten Jumbojet Boeing 747-8 bekam. Franz sagte, Flugzeuge seien teuer. Spohr hingegen jubelte, der tolle Flieger lasse die Lufthansa umweltfreundlicher und komfortabler denn je fliegen. Ein Insider: "Wir brauchen einen, der Selbstbewusstsein, Aufbruch sowie Freude am Fliegen vermittelt."
Dass der Aufsichtsrat dennoch zögerte Spohr zu küren, hatte gute Gründe. So sehr das die unter Franz etwas geschundene Lufthansa-Seele auch braucht, sie braucht es eben nicht gerade jetzt wo der Umbau noch nicht vorbei und die Linie noch nicht wieder auf Kurs ist. Denn in der gegenwärtigen Phase "werden Spohrs Stärken wahrscheinlich ein wenig verschenkt", glaubt Shakeel Adam, weltweit tätiger Berater mit engen Kontakten in die Chefetagen der Flugbranche.
"Bester Läufer erst zum Schluss"
Bevor der Passagechef als charismatischer Stratege für gute Laune sorgen könne, braucht die Linie erst noch einen harten Hund, der zwei, drei Jahre lang die von Franz begonnene Sanierung beendet – oder zumindest deutlich weiter treibt. Denn wer beenden soll, was Franz begonnen hat, darf vor allem keine Angst haben, sich unbeliebt zu machen. Und das muss jeder, der jetzt Lufthansa-Chef wird. Etwa beim Sanierungsprogramm Score, das den Gewinn bis 2015 um mindestens 1,5 Milliarden Euro steigern soll.
Zwar versuchte Franz, die Kritik an seinem Abgang damit zu entkräften, dass der Umbau praktisch bereits geschafft sei, wenn er Ende Mai 2014 gehe. "Doch er sollte wirklich wissen, dass das Sparziel trotz aller Erfolge noch weit weg ist", schimpft ein Manager des Konzerns. "Bei jedem Sparprogramm kommen die härtesten Zeiten doch erst am Schluss."
Darum forderten einige der Kapitalvertreter im Aufsichtsrat, die Mühen der Ebene einem Interimsmanager zu überlassen und Spohr vor der Landeerlaubnis auf den Chefsessel noch eine Warteschleife drehen zu lassen. "Eine Sanierung ist wie eine Staffel", sagt Berater Adam. "Da geht der beste Läufer in der Regel als letzter an den Start."
Dass sich der Aufsichtsrat nun gegen einen Übergangssanierer entschieden hat, kann nur bedeuten: „Es gab wohl für das das Gremium noch keinen geeigneten Kandidaten, der die Rolle „Buhmann auf Zeit“ haben wollte“, glaubt eine LH-Führungskraft.
Wenn Spohr nun am ersten Mai 2014 Konzernchef wird, erwartet ihn kein leichter Job. Und das liegt nicht nur daran, dass die von Franz anvisierte Ergebnisverbesserung erst zu einem Bruchteil geschafft ist. Angesichts eines jüngst von Finanzchefin Menne bestätigten operativen Gewinns von bestenfalls einer Milliarde Euro ist das Ziel des Score-Programms von 2,3 Milliarden Euro operativer Gewinn noch ein großes Stück entfernt.
Dazu kommen interne Fallstricke, die Franz durch seine Personalpolitik hinterlassen hat. Der scheidende Chef fand zur echt, dass die Lufthansa-Führung mit ihren vielen Ingenieuren und Managern aus den eigenen Reihen mit wenig Auslandserfahrung neben den Fluglinien vom Golf oder Billigairlines etwas ideenlos wirkte. Er heuerte darum bevorzugt Seiteneinsteiger und Branchenfremde an. Diese Querdenker eckten wie erwünscht an der alten Garde an.
Verlieren die Neulinge nun ihren Mentor, könnte Top-Leuten wie Personalchefin Bettina Volkens oder IT-Leiter Christoph Kollatz nun bei ihrer Renovierungsarbeit die Rückendeckung von ganz oben fehlen. Darum drohen Grabenkämpfe mit Managern, die diese vermeintliche Schwäche nutzen wollen, nicht zuletzt indem sie die Kompetenz der Seiteneinsteiger anzweifeln. Franz' direkter Nachfolger müsste sich auf die Seite der Fremden schlagen und damit wahrscheinlich seinen eigenen Rückhalt im Unternehmen gefährden.
Das alles ist dem Aufsichtsrat bewusst. „Aber Spohr hat alle in den vergangenen Jahren immer positiv überrascht“, heißt es in Aufsichtsratskreisen. „Warum sollte ihm das jetzt nicht wieder gelingen.“