Neun Jahre nach Einsturz des Kölner Stadtarchivs Strafprozess gegen fünf Beteiligte beginnt

Bilfinger und Züblin wollten in Köln den südlichen Teil der neuen U-Bahn bauen. Dann stürzte das Stadtarchiv ein, zwei Anwohner starben. Was im März 2009 genau passierte, ist noch unklar. Nun beginnt der Strafprozess.

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Kölner Stadtarchiv: Strafprozess beginnt neun Jahre nach Einsturz Quelle: dpa

Köln Nur der Engel am Friedrich-Weilhelm-Gymnasium am Waidmarkt in Köln kann die ganze Katastrophe überblicken: die riesige Baugrube, eingezäunt, bewacht. Vorne hat sie sich mit Grund- und Regenwasser gefüllt. Dahinter arbeiten Taucher Tag und Nacht daran, Proben zu entnehmen. An der Wand gegenüber kleben noch weiße Kacheln: Hier war mal ein Badezimmer. Ein braunes Schild, das sonst an Autobahnen Sehenswürdigkeiten erklärt, steht vor der Grube: Einsturzstelle.

Einst stand dort das Historische Archiv der Stadt Köln. Dann kam der 3. März 2009. Die Bauarbeiter in der Baugrube hören ein Geräusch und räumen die Baustelle. Kurz darauf sind das Stadtarchiv und die angrenzenden Häuser in sich zusammengestürzt. Zwei Bewohner sterben. Zurück bleibt ein gewaltiger Schutthaufen – und ein Skandal, der die Baubranche bis heute beschäftigt.

An diesem Mittwoch beginnt nun der Strafprozess vor dem Kölner Landgericht gegen fünf Angeklagte, die am Ausbau der U-Bahn beteiligt waren, darunter ehemalige Mitarbeiter des damaligen Baukonzerns Bilfinger. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten fahrlässige Tötung und Baugefährdung vor. Nun soll vor Gericht geklärt werden, wie es zu dem Unglück kam. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass Fehler beim Bau der Nord-Süd-U-Bahn zum Einsturz des Archivgebäudes in der Kölner Südstadt führten.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft sieht die Kette fataler Fehler so aus: Zwei Bauarbeiter sollen beim Ausschachten des Tunnels auf ein Hindernis gestoßen sein, das sie nicht beseitigen konnten. Anstatt dies der Bauleitung zu melden, hätten sie den Aushub einfach fortgesetzt. Deswegen soll in einer unterirdischen Wand ein Loch entstanden sein. Am Unglückstag gab die Wand nach, Sand, Kies und Wasser drangen in die Baugrube ein. Dem Archiv wurde buchstäblich der Boden entzogen, sodass es mitsamt der Nachbargebäude in sich zusammenbrach. Sollte die Staatsanwaltschaft dies beweisen können, läge die Schuld bei den Mitarbeitern.

Ursprünglich zählten beide Bauarbeiter zum Kreis der Angeklagten, doch nur einem von ihnen wird jetzt der Prozess gemacht. Das Verfahren gegen den anderen hat das Landgericht in der vergangenen Woche vorläufig eingestellt, da er lebensbedrohlich erkrankt sei. Ein weiterer Angeklagter war im vergangenen Jahr gestorben.

Die übrigen vier Angeklagten – drei Männer und eine Frau – waren laut Staatsanwaltschaft für die Prüfung und Überwachung der Bauarbeiten zuständig. Sie sollen die Herstellung der unterirdischen Wände nicht mit der gebotenen Sorgfalt kontrolliert und den Verstoß beim Ausbaggern deshalb nicht bemerkt haben.

Die Staatsanwaltschaft steht unter Druck – und musste nun Anklage erheben. Denn im kommenden Jahr läuft eine zehnjährige Frist ab. Bis dahin muss das Gericht ein Urteil gefällt haben, sonst bleibt die Schuldfrage offen. Seit 2013 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen rund 100 Beschuldigte wegen fahrlässiger Tötung und Baugefährdung. Für den Prozess wurden nun 126 Verhandlungstage bis ins nächste Jahr hinein angesetzt, voraussichtlich werden Dutzende Zeugen und Sachverständige geladen. Allein die Anklageschrift umfasst 196 Seiten.

Die Bauunternehmen Bilfinger und Züblin hatten gemeinsam mit dem Tiefbauspezialisten Wayss & Freytag für den U-Bahn-Bau des Abschnittes Süd eine Arbeitsgemeinschaft (Arge) gebildet. Ein Sprecher der Arge sagte: „Die komplexe Frage, auf welchem Wege innerhalb weniger Minuten über 5000 Kubikmeter Erde in die Baugrube fließen konnten, ist bislang nicht geklärt worden.“

Die Unternehmen sind nicht Teil der Klage, die Schadenssumme von 1,2 Milliarden Euro wird separat in einem Zivilverfahren verhandelt. Sollte die Arge das Verfahren verlieren und schadensersatzpflichtig werden, gibt es zwar Versicherungen. Welche Summe die aber übernehmen würden, ist unklar. Und: Gerade ein Unternehmen wie Bilfinger, das sich in der Neuausrichtung vom Bauunternehmen zum Industriedienstleister befindet, könnte sich eine Schadensersatzzahlung nicht leisten. Bis es zur Hauptverhandlung kommt, kann es noch Jahre dauern. Denn es liegt bisher kein abschließendes Gutachten vor. Noch tauchen die Taucher im Grundwasser der Baugrube Tag und Nacht, um Beweise zu sichern.

Der Einsturz des Stadtarchivs wirkt bis heute nach: Die Kölner Nord-Süd-Stadtbahn wird nun erst im Jahr 2026 in Betrieb gehen können, also drei Jahre später als geplant. Bis dahin fahren die Bahnen in beide Richtungen, wer allerding über den Waidmarkt will, muss zu Fuß gehen oder in den Bus umsteigen. Auch die Restaurierung der geretteten Dokumente wird noch lange Zeit dauern – mindestens 30 Jahre, sagte die Leiterin des Archivs, Bettina Schmidt-Czaia. 95 Prozent des Archivguts seien geborgen, die letzten fünf Prozent gelten als verloren. Von dem geretteten Material konnten bisher 13 Prozent gereinigt und wieder nutzbar gemacht werden.

Unterdessen kommt ein Paar kommt unter dem Regenschirm geduckt die Straße an der Einsturzstelle entlang. Die beiden wohnen ganz in der Nähe. Auch nach fast neun Jahren ist der Einsturz des Stadtarchivs immer noch Thema: „Das hätte nicht sein müssen“, sagt die Frau. „Das hätte man vermeiden müssen.“ Ob man den Schuldigen finden wird? „ Das wird doch so gedreht, dass es keinen Schuldigen gibt“, sagt sie. Und schon im Weitergehen sagt er noch: „Ob Oper oder U-Bahn: Wir sollten das Bauen lassen. Köln kann nur eins: Karneval.“

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