Niedrigerer Preis, höherer Komfort Wie Wettbewerb auf der Schiene gelingen kann

Hochgeschwindigkeitszug von NTV.

Der weltgrößte Infrastrukturfonds kauft für 2,5 Milliarden Euro die italienische Schnellzugfirma Ntv – weil nirgendwo der Wettbewerb auf der Schiene besser klappt als in Italien.

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Als der Vertrag über 2,5 Milliarden Euro im Prinzip unterschrieben ist, überkommt Luca Cordero di Montezemolo kurz Wehmut. Der 70-Jährige, der über Jahre den italienischen Sportwagenbauer Ferrari führte, neigt eigentlich nicht zu Sentimentalitäten. Große Gefühle in der Öffentlichkeit sind auch nicht das Ding von Italiens Industrie-Ikone. Aber die Situation ist eben eine besondere.

Und so wirkt di Montezemolo ungewöhnlich ergriffen, als er an die Anfänge seines jüngsten Erfolgs erinnert. „Ich weiß noch“, sagt er, „als ich damit zum ersten Mal zu Diego Della Valle und er mich für verrückt erklärte.“

Mehr als zehn Jahre ist das nun her – und di Montezemolos Anliegen an seinen Freund und Todd’s-Gründer Della Valle war tatsächlich verrückt: Er wollte Geld von dem Luxus-Unternehmer, damit sie für gut eine Milliarde Euro Europas ersten privaten Schnellzuganbieter gründeten. Das hatte noch nie ein privater Unternehmer irgendwo auf der Welt versucht. „Am Ende war es einzig Freundschaft, weswegen er zustimmte“, sagt di Montezemolo der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera.

Hochgeschwindigkeitszüge in anderen Ländern

Das hat sich für Della Valle gelohnt. Zusammen mit di Montezemolo und einigen weiteren Aktionären hat ihm das Investment zur Gründung des weltweit ersten privaten Schnellzuganbieters, Ntv, in diesen Tagen eine hübsche Rendite beschert. Die Global Infrastructure Partners (GIP), der weltgrößte Investmentfonds in Infrastruktur, kaufen für 2,5 Milliarden Euro Ntv. Und untermauern mit dieser Summe, was lange als unmöglich galt: Wettbewerb im Hochgeschwindigkeitssegment auf der Schiene ist möglich.

Genau das ist in Italien passiert: Ein staatlicher und ein privater Schnellzuganbieter liefern sich einen Wettbewerb um Kunden. Neben Ntv den Italo betreibt auch der Staatskonzern Ferrovie dello Stato (FS) über seine Tochter Trenitalia mit den Le Frecce (die Pfeile) ein erfolgreiches Schnellzugsystem.

Warum aber klappt der Wettbewerb ausgerechnet in Italien und in den anderen EU-Ländern nicht? Nun, die grundsätzlichen Rahmenbedingungen sind denen in Deutschland ähnlich. Allerdings gibt es drei Unterschiede: Der Staat war entschlossen, die Infrastruktur für ein intelligentes und effizientes Hochgeschwindigkeitsnetz zu schaffen. Zwei Unternehmer hatten den Mut, für mehr Wettbewerb ins Risiko zu gehen. Und anders als die Deutschen rieb man sich nicht in Phantomdebatten über Börsengänge oder Zerschlagungsphantasien der Staatsbahn auf, sondern schaffte Strukturen für mehr Wettbewerb.

Geld und Macht

Als das Wunder 2007 mit der Idee zweier Unternehmer begann, hatte gerade der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Romano Prodi den Zugmarkt liberalisiert. Er war zuvor EU-Kommissionspräsident gewesen, mit dem Thema in Brüssel am Widerstand in anderen Ländern gescheitert und wollte nun wenigstens daheim mit gutem Beispiel vorangehen.

Die besten Züge der Welt
CRRC Fuxing Quelle: dpa
Deutschland hat den FlexibelstenDer ICE der Deutschen Bahn ist das Aushängeschild der deutschen Eisenbahnindustrie. Seit 1992 ist er im Einsatz. Gebaut wird er im Siemens-Werk in Krefeld. Doch bei der neusten Generation setzen Deutsche Bahn und Siemens nicht mehr auf maximales Tempo. Die Höchstgeschwindigkeit bei dem ICE4 liegt je nach Version bei 250 Kilometer pro Stunde. Stattdessen steht beim ICE4 die Flexibilität im Vordergrund. Das Besondere: Jeder zweite Mittelwagen treibt den Zug an. Die anderen Mittelwagen rollen nur mit. So lässt sich ein ICE4 in verschiedenen Zuglängen betreiben. Die Deutsche Bahn hat den Zug mal in zwölf, mal in sieben Wagen bestellt. 130 Züge sollen in den nächsten Jahren die Fernverkehrsflotte des Staatskonzerns verstärken. Seit Jahresende fahren bereits die ersten fünf ICE4 mit jeweils zwölf Wagen von Hamburg nach München und zurück. International hat Siemens den Zug noch nicht verkauft. Im Ausland geht der Münchener Konzern erfolgreich mit dem Velaro an den Start – einer baugleichen Version des ICE3. Quelle: Siemens
TGV-Nachfolger AGV von Alstom Quelle: Alstom
Spanien hat den RobustestenSpanien wird eher weniger mit Hochgeschwindigkeit auf der Schiene in Verbindung gebracht. Dabei hat auch das südeuropäische Land einen National Champion. Talgo-Züge fallen optisch durch die weit nach vorne gezogene Nase auf. Spitzname: Ente. Die neuste Baureihe fährt Geschwindigkeiten von bis zu 330 Kilometer pro Stunde. In Spanien erhielt der Talgo 350 den Zuschlag für Hochgeschwindigkeitsstrecken in Spanien. Parallel gingen Aufträge für den Velaro an Siemens. Talgo und Siemens sind damit direkte Konkurrenten in Spanien. Das spanische Unternehmen konnte jüngst einen wichtigen Exporterfolg erzielen: Künftig betreiben die Spanier die Strecke von Medina nach Mekka in Saudi-Arabien – der bislang einzigen Hochgeschwindigkeitsstrecke im Nahen Osten. Zum Einsatz kommen 36 Züge des Typs Talgo 350 mit einer geplanten Spitzengeschwindigkeit von 330 Kilometer pro Stunde. Das Besondere: Talgo hat die Züge eigens dafür hochgerüstet, damit sie der widrigen Umgebung mit Hitze, Temperaturschwankungen und Sand standhalten. Die Spanier sind stolz auf ihr „Wüstenpaket“. Quelle: Talgo
Bombardier Zefiro 380 Quelle: Bombardier
Shinkansen Quelle: Getty Images

Dazu benötigte er zwei Dinge: Geld und neue Strukturen bei der Staatsbahn. Für das eine braucht es politischen Willen, für das andere politische Durchsetzungsfähigkeit. Beides kam im Fall der Züge zusammen. Italiens Regierung verpflichtete sich auf ein Investitionsprogramm zum Ausbau der Schnellzugstrecken im Land. 32 Milliarden Euro flossen allein seit 2007 in den Ausbau dieser Strecken.

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