Wer vergangene Woche mit Experten und Managern aus dem Air-Berlin-Umfeld redete, sah eher lange Gesichter. Nachdem die Lufthansa überraschend ihr Angebot zum Kauf der Ferienflug-Tochter Niki zurückgezogen hatte, schien das Ende der Air-Berlin-Tochter sicher.
Nun endet das Jahr mit einer wahrlich überraschenden Wendung: Ausgerechnet der britisch-spanische Luftfahrtkonzern IAG will Niki kaufen. Dabei hatte sich die Mutter von British Airways und Iberia längst aus dem Rennen abgemeldet.
Noch ist der Deal nicht offiziell, IAG lehnt ein Stellungnahme ab. Doch die Insider- und Presseberichte mehren sich: Mit einem zweistelligen Millionenbetrag hat IAG offenbar die höchste Offerte abgegeben. Und Niki-Gründer Niki Lauda gibt sich bereits öffentlich geschlagen. "Ich bin nicht mehr im Rennen", so der Ex-Rennfahrer.
Zwar stehen die Einzelheiten erst fest, wenn IAG-Chef Willie Walsh mit Insolvenzverwalter Lucas Flöther einen festen Vertrag geschlossen hat. Doch sollte der kommen, ist das für die Lufthansa eine unangenehme Entwicklung. Deutschlands größte Airline muss plötzlich mit mehr Konkurrenz rechnen als gedacht.
Der Plan war ein anderer: Für den Fall, dass sie Niki nicht bekommt, war die Lufthansa vom endgültigen Ende der Linie ausgegangen. Als fliegender Single wäre die in Wien ansässige Linie kaum überlebensfähig gewesen. Sie braucht einen großen Partner, der sie bei Vertrieb und Verwaltung unterstützt. Das hätten am Ende außer Lufthansa nur Thomas Cook und IAG leisten können. Doch Thomas Cook und Ferientochter Condor haben zur Zeit auch ohne Niki genug zu tun und hätten wohl nur geboten, damit kein anderer den Zuschlag bekommt. IAG hingegen galt als desinteressiert. Immerhin hat sich British Airways aus Deutschland zurückgehalten und auch von der Billigtochter Vueling schien sich hierzulande nach dem auffälligen Start vor ein paar Jahren mit Platz sechs der Billigflieger zu begnügen, hinter Eurowings, Ryanair, Easyjet, Wizzair und Norwegian.
Das dürfte sich nach diesem Paukenschlag ändern. Wie ein IAG-Insider vermutet, wollen die Briten die Niki-Kapazitäten an Vueling anbinden. Die am Ende wahrscheinlich rund 20 Maschinen nebst Besatzung sollen vor allem in deutschen Großstädten wie Düsseldorf mehr Flüge bieten.
Das ist für Lufthansa in jedem Fall unangenehm. Zwar wird Niki nicht da fliegen, wo es die Kunden am meisten brauchen: Innerhalb der deutschsprachigen Länder auf den Strecken, wo die Lufthansa trotz dem Start von Easyjet in Berlin ein Monopol hat: im Dreieck Rheinland-Hamburg-München oder auf den Routen von oder nach Wien, Zürich und Brüssel.
Doch die verbleibenden Zielgebiete treffen Lufthansa. Ausgehend vom Geschäftsmodell müsste Niki für Vueling vor allem an die Badeorte am Mittelmeer oder in die größeren Städte in Italien und Spanien fliegen - ein Angriff auf Eurowings.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Und nicht nur, dass der Neuling den ohnehin recht starken Wettbewerb verstärken würde. Er kann dank seiner niedrigeren Kosten mit besseren Ticketpreisen locken. Vueling und IAG wachsen außerdem deutlich bescheidener und dürften deshalb verlässlicher fliegen als Eurowings. Die hat angesichts des Rekordwachstums bereits einige Routen wieder abgesagt und gewarnt, dass Flugreisende erstmal mit mehr Verspätungen und Umbuchungen rechnen müssen.
Trotzdem ist der Kauf am Ende für Lufthansa nicht das schlimmste Szenario. Zwar wäre es dem Marktführer lieber gewesen, wenn Niki ganz verschwunden wäre und er sich deren frei gewordene Startrechte Jets, Beschäftigte und die Flugzeuge hätte sichern können. Doch stärker hätte sie eine Übernahme durch Ryanair getroffen. „Die hätten uns dann gezielt an allen deutschen Flughäfen piesacken können“, so ein Lufthansa-Manager.