NS-Geschichte "Bei der Lufthansa kann noch Belastendes auftauchen"

Der Bochumer Historiker Lutz Budrass sieht große Forschungslücken zur NS-Geschichte bei Airbus und weiteren Konzernen mit Vorgängerunternehmen aus der NS-Zeit. Erstmals erzählt der Wissenschaftler, warum er nur zwei Tage im Lufthansa-Archiv forschen durfte.

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Logo der Lufthansa. Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Budrass, der frühere Daimler-Finanzchef Manfred Gentz hat in den 90er-Jahren gesagt: „Die Firmengeschichte 1933 bis 1945 tabulos zu beschreiben gehört für mich zur Firmenhygiene.“ Sehen das die Unternehmen heute auch noch so?

Budrass: Er sagte das in den Neunzigerjahren. Da gab es eine Hochphase der Unternehmensgeschichte zur NS-Zeit, die die Forschung sehr viel weiter gebracht hat. Inzwischen sind wir aber wieder im Rückwärtsgang. Viele Unternehmen wollen nichts von einer umfassenden Aufarbeitung wissen. Wenn die NS-Zeit und der Übergang in die Nachkriegszeit überhaupt aufgearbeitet werden, dann oft nur in der Form, dass ausgerechnet wird, für wie viele Opfer das Unternehmen verantwortlich ist. Das ist eine Art ritueller Selbstgeißelung nach dem Motto: Da wurden Zwangsarbeiter beschäftigt, das war ganz schlimm, aber heute sind alle Täter tot und wir sind jetzt ein modernes Unternehmen. Damit soll das Thema dann abgehakt sein.

Warum reicht das nicht?

Damit ist nicht beantwortet, warum die Unternehmen damals unmoralisch handelten. Es bestehen womöglich Parallelen zu heute, wenn Unternehmen ebenfalls aus Opportunismus oder Gewinnstreben heraus unethisch handeln. Das alles soll aber meist nicht thematisiert werden. Mit der Feststellung allein, dass ein Unternehmen Zwangsarbeiter beschäftigte, ist nichts erklärt. Die Zwangsarbeiterbeschäftigung ist nur ein erster Indikator, ein Lackmustest für die unternehmenshistorische Betrachtung.

Gilt das auch für die Lufthansa, mit der sie sich intensiv beschäftigt haben?

Die Abläufe, die ich erlebt habe, sprechen für sich. Die Lufthansa wollte zum 75-jährigen Firmenjubiläum im Jahr 2001 einen Bildband herausgeben. Dann fiel auf, dass der umfassende Zwangsarbeitereinsatz in der NS-Zeit darin praktisch nicht vorkam. Ich wurde damals beauftragt, das Thema zu recherchieren und legte nach acht Monaten eine Studie vor. Danach entschied die Lufthansa jedoch, das Jubiläum nicht zu feiern und den schon fertigen Bildband nicht zu veröffentlichen. Meine Studie blieb bei der Lufthansa in der Schublade und wurde vom Unternehmen nur auf konkrete Anfragen hin verschickt.

Was war die Überlegung hinter diesem Vorgehen?

Die Lufthansa hat wohl gehofft, so nicht in die Debatte über Zwangsarbeiter hineingezogen zu werden. Sie hat in den Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter eingezahlt, wollte sich aber eine öffentliche und womöglich markenschädigende Debatte ersparen.

Bildband mit herausnehmbarer Studie

Erstmal ging das Kalkül auf. Doch dann wurden Sie vom Blessing Verlag gebeten, ein Buch über die Geschichte der Lufthansa zu schreiben.

Als die Lufthansa Anfang dieses Jahres merkte, dass mein Buch erscheinen wird, entschied sie sich Hals über Kopf, den 2001 konzipierten Bildband jetzt herauszubringen und meine damals verfasste Studie als separates Heft beizufügen. Die Angst bei der Lufthansa war groß, dass mein Buch schlimme Enthüllungen enthält und dann öffentlich diskutiert wird, dass die Lufthansa sich 15 Jahre lang geweigert hat, meine Studie zu veröffentlichen. Der Bildband kam schließlich ein paar Tage vor meinem Buch auf den Markt.

Wer nur die schönen Seiten der Lufthansa im Regal stehen haben möchte, kann Ihre Studie aus dem Bildband einfach herausnehmen. Das dunkle NS-Kapitel zum rausschütteln und wegwerfen – respektloser kann man mit dem Thema eigentlich nicht umgehen.

Dass die Lufthansa die Zwangsarbeiter-Studie nicht integriert, sondern separiert veröffentlicht, ist in der Tat eine Steilvorlage für Kritiker. Es zeigt, dass die Lufthansa einfach nicht weiß, wie sie mit der Sache angemessen umgehen soll. Sie kennt ihre Geschichte nicht. Deshalb sieht sie das NS-Thema immer noch als potenzielle große Gefahr für das Firmenimage. Niemand im Konzern verfügt über die Kompetenz eine sachliche Haltung zu seiner Geschichte zu formulieren. Die Furcht vor Enthüllungen, die möglicherweise noch irgendwo lauern, ist deshalb so groß.

Was könnte denn noch kommen?

Als ich 2000 im Lufthansa-Archiv recherchierte bin ich zufällig auf Unterlagen gestoßen, die belegen, dass die Lufthansa am Flughafen Tempelhof in Berlin Juden aus dem sogenannten geschlossenen Arbeitseinsatz einsetzte. Das NS-Regime stellte Unternehmen seine Opfer quasi als Leiharbeiter zur Verfügung, lange bevor die ersten ausländischen Zwangsarbeiter eintrafen. Das war im Fall der Lufthansa neu und noch nicht erforscht. In diesem Sinne kann natürlich immer noch mal etwas Belastendes auftauchen. Allerdings konnte ich für das neue Buch nur zwei Tage lang im Lufthansa-Archiv forschen.

Warum nur zwei Tage?

1999 und 2000 hatte ich bei der Arbeit für die erste Studie sehr viel mehr Zeit. Für das neue Buch aber war nach zwei Tagen Schluss. Die Archivarin kam und sagte, das Archiv sei ab sofort nur noch für Lufthansa-Mitarbeiter zugänglich.

Man hat Sie aus dem Archiv geschmissen?

Die Interpretation des Geschehens überlasse ich anderen. Tatsache aber ist, dass ich nach zwei Tagen gehen musste.

Waghalsige Piloten in ihren fliegenden Kisten

Sie werfen der Lufthansa in Ihrem Buch eine „plumpe Verleugnung ihrer Geschichte“ vor. Was fordern Sie von der Lufthansa?

Die Lufthansa vermarktet zwei Versionen ihrer Entstehung. Einerseits die Vorkriegs- und Kriegszeit als eine Geschichte der technischen Meisterleistungen und der waghalsigen Piloten in ihren fliegenden Kisten. Andererseits die Nachkriegsgeschichte als eine unglaubliche Aufstiegsstory von einem Unternehmen mit acht Flugzeugen zu einer der größten Airlines der Welt. Alles andere wird ausgeblendet. Notwendig ist bei der Lufthansa aber eine umfassende, wissenschaftliche Betrachtung von der Erstgründung 1926 bis zur Neugründung 1955…

…die Ihr Buch erstmals leistet. Warum akzeptiert die Lufthansa diese Darstellung nicht als ihre Unternehmensgeschichte?

Das zu tun, bietet sich an. Aus einer solchen Betrachtung der NS-Zeit kann man ganz hervorragend lernen, wie Unternehmen darauf reagieren, wenn es enormen Druck von außen gibt.

Wie deutsche Unternehmen mit ihrer NS-Zeit umgehen
Daimler-Plakat Quelle: Todor Bozhinov Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Adolf Hitler besichtigt einen VW Käfer Quelle: dpa/dpaweb
Deutsche Bank Quelle: dpa
Konzentrationslager in Auschwitz Quelle: dpa/dpaweb
Flugzeug der Lufthansa Quelle: dpa
Krupp-Zentrale Quelle: dpa
Bertelsmann-Gebäude Quelle: dapd

Druck von außen gibt es auch heute, etwa durch die Globalisierung.

Eben. Da stehen Unternehmen auch tagtäglich vor der Frage: Handle ich im Sinne des Gewinns und des kurzfristigen Vorteils gegenüber der Konkurrenz oder eben im Sinne der Gesundheit der Kunden und Mitarbeiter, der Fairness gegenüber Zulieferern, der Umwelt. Wenn ich verstehe, wie das Unternehmen früher mit Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung umging, bin ich viel besser gewappnet für die Gegenwart. Und ich bin heute in meinem Handeln auch nur dann wirklich glaubwürdig, wenn ich mich der Vergangenheit wirklich gestellt habe. Es ist wie im Privaten: Wer von seinen Kindern respektiert werden will, sollte keine großen Lebenslügen mit sich herumschleppen. Wie bei Audi und Lufthansa legten die bis 1945 handelnden Manager vielfach die Fundamente für die nach dem Krieg entstandenen Unternehmen – was die nüchterne Aufklärung auch dieser Kontinuität bis heute erschwert.

Welche Industriebranchen pflegen solche Lebenslügen?

Ich habe viel zur Luftfahrtindustrie geforscht und kann sagen, dass es wohl die am engsten mit dem NS-Regime verflochtene Branche war. Aber es gibt erstaunlich wenige wissenschaftliche Arbeiten dazu. Die Vergangenheit von Flugzeugherstellern wie Messerschmitt, die es heute nicht mehr gibt, die aber zum Fundament von Airbus gehören, müsste dringend aufgearbeitet werden. Hier ist Airbus-Chef Thomas Enders wirklich gefordert. Die Messerschmitt AG war einer der größten Nutzer von KZ-Häftlingen überhaupt. Die haben richtig Dreck am Stecken. So erklärt sich auch, dass bestimmte Kreise Gegengutachten in Auftrag geben, wenn ich über Verstrickungen der Luftfahrtindustrie schreibe.

Wie die Auto Union Hitlers Geburtstag feierte
Hitler-AutoUnion-Buch
Oldtimer der Auto Union Quelle: dpa
Logo der Auto Union an einem Oldtimer Quelle: dpa
Oldtimer der Auto Union Quelle: dpa
Cover
Hitler-AutoUnion-Buch
Hitler-AutoUnion-Buch

Wer sind „bestimmte Kreise“?

Ein Beispiel: Ich habe mich 2006 kritisch darüber geäußert, dass die Flugzeugbauer Messerschmitt und Dornier mit Gedenktafeln im U-Bahnhof der TU München geehrt werden. Daraufhin haben die Messerschmitt-Stiftung und die TU München einen dafür nicht ausgewiesenen Historiker beauftragt, ein Buch über Messerschmitt zu schreiben, das sich ausdrücklich gegen mich richtet und mich durch die Gleichsetzung mit dem Holocaust-Leugner David Irving persönlich verunglimpft. Der Verleger des Buches lebt davon, unkritische Heldengeschichten über die deutsche Luftfahrt zu verbreiten. Und selbst das Deutsche Museum in München schleppt die unkritischen Heldenverehrung als Altlast mit. Es gibt eine Buchreihe des Deutschen Museums über die deutsche Luftfahrt mit über 30 Bänden. Diese Bücher sind eine einzige Ansammlung von Heiligenbildchen: Unsere tollen Flugzeuge und ihre genialen Schöpfer.

Ihre Forderung nach schonungsloser Aufarbeitung geht in Richtung Wirtschaft. Aber sind nicht Behörden, Vereine oder andere Organisationen ebenso in der Pflicht?

Die Wirtschaft ist für mich der erste Adressat für die Aufforderung nach sauberer Aufarbeitung ihrer Vergangenheit, weil sie in der NS-Zeit die größten Freiräume hatte. Kaum eine Firma wurde gezwungen, für das Regime zu arbeiten, Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge einzusetzen. Es geschah aus nüchternem, wirtschaftlichem Kalkül.

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