NS-Geschichte "Bei der Lufthansa kann noch Belastendes auftauchen"

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Waghalsige Piloten in ihren fliegenden Kisten

Sie werfen der Lufthansa in Ihrem Buch eine „plumpe Verleugnung ihrer Geschichte“ vor. Was fordern Sie von der Lufthansa?

Die Lufthansa vermarktet zwei Versionen ihrer Entstehung. Einerseits die Vorkriegs- und Kriegszeit als eine Geschichte der technischen Meisterleistungen und der waghalsigen Piloten in ihren fliegenden Kisten. Andererseits die Nachkriegsgeschichte als eine unglaubliche Aufstiegsstory von einem Unternehmen mit acht Flugzeugen zu einer der größten Airlines der Welt. Alles andere wird ausgeblendet. Notwendig ist bei der Lufthansa aber eine umfassende, wissenschaftliche Betrachtung von der Erstgründung 1926 bis zur Neugründung 1955…

…die Ihr Buch erstmals leistet. Warum akzeptiert die Lufthansa diese Darstellung nicht als ihre Unternehmensgeschichte?

Das zu tun, bietet sich an. Aus einer solchen Betrachtung der NS-Zeit kann man ganz hervorragend lernen, wie Unternehmen darauf reagieren, wenn es enormen Druck von außen gibt.

Wie deutsche Unternehmen mit ihrer NS-Zeit umgehen
Daimler-Plakat Quelle: Todor Bozhinov Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Adolf Hitler besichtigt einen VW Käfer Quelle: dpa/dpaweb
Deutsche Bank Quelle: dpa
Konzentrationslager in Auschwitz Quelle: dpa/dpaweb
Flugzeug der Lufthansa Quelle: dpa
Krupp-Zentrale Quelle: dpa
Bertelsmann-Gebäude Quelle: dapd

Druck von außen gibt es auch heute, etwa durch die Globalisierung.

Eben. Da stehen Unternehmen auch tagtäglich vor der Frage: Handle ich im Sinne des Gewinns und des kurzfristigen Vorteils gegenüber der Konkurrenz oder eben im Sinne der Gesundheit der Kunden und Mitarbeiter, der Fairness gegenüber Zulieferern, der Umwelt. Wenn ich verstehe, wie das Unternehmen früher mit Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung umging, bin ich viel besser gewappnet für die Gegenwart. Und ich bin heute in meinem Handeln auch nur dann wirklich glaubwürdig, wenn ich mich der Vergangenheit wirklich gestellt habe. Es ist wie im Privaten: Wer von seinen Kindern respektiert werden will, sollte keine großen Lebenslügen mit sich herumschleppen. Wie bei Audi und Lufthansa legten die bis 1945 handelnden Manager vielfach die Fundamente für die nach dem Krieg entstandenen Unternehmen – was die nüchterne Aufklärung auch dieser Kontinuität bis heute erschwert.

Welche Industriebranchen pflegen solche Lebenslügen?

Ich habe viel zur Luftfahrtindustrie geforscht und kann sagen, dass es wohl die am engsten mit dem NS-Regime verflochtene Branche war. Aber es gibt erstaunlich wenige wissenschaftliche Arbeiten dazu. Die Vergangenheit von Flugzeugherstellern wie Messerschmitt, die es heute nicht mehr gibt, die aber zum Fundament von Airbus gehören, müsste dringend aufgearbeitet werden. Hier ist Airbus-Chef Thomas Enders wirklich gefordert. Die Messerschmitt AG war einer der größten Nutzer von KZ-Häftlingen überhaupt. Die haben richtig Dreck am Stecken. So erklärt sich auch, dass bestimmte Kreise Gegengutachten in Auftrag geben, wenn ich über Verstrickungen der Luftfahrtindustrie schreibe.

Wie die Auto Union Hitlers Geburtstag feierte
Hitler-AutoUnion-Buch
Oldtimer der Auto Union Quelle: dpa
Logo der Auto Union an einem Oldtimer Quelle: dpa
Oldtimer der Auto Union Quelle: dpa
Cover
Hitler-AutoUnion-Buch
Hitler-AutoUnion-Buch

Wer sind „bestimmte Kreise“?

Ein Beispiel: Ich habe mich 2006 kritisch darüber geäußert, dass die Flugzeugbauer Messerschmitt und Dornier mit Gedenktafeln im U-Bahnhof der TU München geehrt werden. Daraufhin haben die Messerschmitt-Stiftung und die TU München einen dafür nicht ausgewiesenen Historiker beauftragt, ein Buch über Messerschmitt zu schreiben, das sich ausdrücklich gegen mich richtet und mich durch die Gleichsetzung mit dem Holocaust-Leugner David Irving persönlich verunglimpft. Der Verleger des Buches lebt davon, unkritische Heldengeschichten über die deutsche Luftfahrt zu verbreiten. Und selbst das Deutsche Museum in München schleppt die unkritischen Heldenverehrung als Altlast mit. Es gibt eine Buchreihe des Deutschen Museums über die deutsche Luftfahrt mit über 30 Bänden. Diese Bücher sind eine einzige Ansammlung von Heiligenbildchen: Unsere tollen Flugzeuge und ihre genialen Schöpfer.

Ihre Forderung nach schonungsloser Aufarbeitung geht in Richtung Wirtschaft. Aber sind nicht Behörden, Vereine oder andere Organisationen ebenso in der Pflicht?

Die Wirtschaft ist für mich der erste Adressat für die Aufforderung nach sauberer Aufarbeitung ihrer Vergangenheit, weil sie in der NS-Zeit die größten Freiräume hatte. Kaum eine Firma wurde gezwungen, für das Regime zu arbeiten, Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge einzusetzen. Es geschah aus nüchternem, wirtschaftlichem Kalkül.

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