Der Mythos Nürburgring ist weltbekannt, er steht für dramatische Rennen, für grandiose Siege und für bittere Niederlagen. Auf der Piste macht der schmale Grat zwischen Triumph und Tragödie die Spannung aus, abseits des Renngeschehens aber fabriziert die „Grüne Hölle“ seit geraumer Zeit recht einseitige Resultate: massenweise Verlierer. Jetzt steht der Verkauf des insolventen Nürburgrings an den Düsseldorfer Automobilzulieferer Capricorn und dessen Co-Investor Getspeed vor dem Aus – und das schier unendliche Ring-Drama hat ein neues, düsteres Kapitel.
Die jüngste Episode ist eine Blamage für alle Beteiligten, vom Käufergespann über die Insolvenzverwalter und ihre Berater von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, von der rheinland-pfälzischen Landesregierung bis zur EU-Kommission. Keiner von ihnen hat sich mit Ruhm bekleckert, alle haben sie dazu beigetragen, dass sich nun noch viel größere Probleme abzeichnen.
Zwischen Rücktrittsforderungen und Bonitätszweifeln, zwischen Klageandrohungen und der verzweifelten Suche nach neuen Geldgebern bleibt inzwischen nur noch eine sinnvolle Lösung: Ein radikaler Schnitt und eine komplette Neuausschreibung.
Groß angelegte Geldsuche
Noch versuchen Käufer und Verkäufer, genau das zu verhindern, noch läuft die groß angelegte Geldsuche. Doch sie erscheint zunehmend als der hilflose Versuch, ein heillos wackliges und schiefes Konstrukt noch irgendwie durchzubringen. Die Lage am Ring ist verfahren bis zum Anschlag.
Die zweite Kaufpreisrate ist offen, die vom Käufer gegebenen Sicherheiten stehen in Frage. Capricorn um seinen Chef Robertino Wild, bisher Seniorpartner im Bietergespann, hat keine Kontrolle mehr über seine Anteile an der Käufergesellschaft, musste sie an einen Treuhänder übertragen. Capricorn und Getspeed sind mittlerweile zerstritten, das Geld für den Kaufpreis aber hat derzeit offensichtlich keiner.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), die den Käufern nach dem Zuschlag groß die Aufwartung gemacht hatte, gerät damit zunehmend in die Bredouille. Ende April noch hatte sie eine groß angelegte PR-Offensive für Capricorn und Getspeed gestartet, beide Firmen besucht, den Nürburgring besucht, mehrere Pressetermine absolviert.
„Der Nürburgring blickt nun mit dem neuen Investor in eine neue Zukunft“, sagte Dreyer damals. Am Dienstag nun musste sie in einer Regierungserklärung auch auf die aktuellen Entwicklungen eingehen. „Erfüllen Sie die Verträge“, sagte Dreyer an die Adresse der Käufer gerichtet – doch die stecken in weit größeren Schwierigkeiten, als bisher bekannt ist.
Kontopfändung bei Capricorn
Das Amtsgericht Düsseldorf bestätigte der WirtschaftsWoche auf Anfrage, dass es vor einem Monat, im September dieses Jahres, einen Kontopfändungsbeschluss gegen die Capricorn Holding GmbH erlassen hat. Mit dieser Maßnahme setzte ein Düsseldorfer Notar seine Forderung in einer Größenordnung von etwa 50.000 Euro gegen Capricorn durch, das Amtsgericht erließ einen so genannten „Pfändungs- und Überweisungsbeschluss“ für ein Firmenkonto bei der Düsseldorfer Bank HSBC Trinkaus & Burkhardt. Die Forderung sei mittlerweile beglichen.
Das Amtsgericht Düseldorf bestätigte zudem, dass gegen die Capricorn Composite GmbH bereits im vergangenen Jahr ein Zwangsvollstreckungsverfahren lief. Capricorn Composite betreibt im Gewerbegebiet des kleinen Örtchens Meuspath unweit des Nürburgrings ein Werk, in dem Bauteile für Rennwagen aus Verbundwerkstoffen hergestellt wurden.
Gerichtsvollzieher bei Getspeed
Auch an der Zahlungsmoral von Getspeed werden Zweifel laut. Das Unternehmen um Hauptgesellschafter Axel Heinemann – einen früheren Partner der Boston Consulting Group – sitzt ebenfalls in Meuspath im Gewerbegebiet und betreut unter anderem Rennfahrer, die ihre Autos dort für die Rennen vorbereiten lassen können.
Erst im September erhielt auch Getspeed unangenehmen Besuch: Ein Handwerker aus der Region hatte den Gerichtsvollzieher vorbei geschickt, um eine offene Rechnung einzutreiben. Die Forderung, die er erst mit Hilfe des Gerichtsvollziehers beglichen bekam, betrug vergleichsweise lächerliche 4500 Euro. Entsprechende Dokumente liegen der WirtschaftsWoche vor.
Das Nürburgring-Desaster
Die legendäre Rennstrecke in der Eifel ist für ihre Eigentümer seit Jahren ein Millionengrab. Die Nürburgring GmbH – sie gehört zu 90 Prozent das Land Rheinland-Pfalz und zu zehn Prozent der Landkreis Ahrweiler – ist seit 2006 bilanziell überschuldet und kann sich nur dank immer neuer Landes-Millionen über Wasser halten. Haupt-Verlustbringer ist die Formel 1, die von 2003 bis 2009 ein Loch von 55 Millionen Euro in die Kasse riss. Für das Rennen 2011 kalkuliert das Land mit einem Minus weiteren 13,5 Millionen Euro. Der Landesrechnungshof geht von höheren Kosten aus.
Um aus den Miesen zu kommen, wollten der damalige Nürburgring-Geschäftsführer Walter Kafitz (SPD) und die damalige SPD-Alleinregierung von Kurt Beck mit dem riesigen Erlebnispark „Nürburgring 2009“ zusätzliche Besucher anlocken. Die Einnahmen sollten die Verluste aus der Formel 1 decken. Der Park besteht aus zwei Bauabschnitten: Die Nürburgring GmbH baute ein Erlebniszentrum mit Rennsportmuseum (Ringwerk), eine Achterbahn, eine überdachte Shoppingmeile (Boulevard) sowie zwei Veranstaltungshallen. Der zweite Abschnitt, entwickelt von Kai Richters Firma Mediinvest, umfasst zwei Hotels mit Personalwohnhaus, einen Ferienpark und das Eifeldorf „Grüne Hölle“, in dem sich eine Disco und diverse Restaurants befinden.
Die Baukosten stiegen von ursprünglich geplanten 215 auf 330 Millionen Euro. Der erste Bauabschnitt sollte zur Hälfte, der zweite komplett privat finanziert werden. Bei der Suche nach Investoren für den ersten Bauabschnitt fielen Land und Nürburgring GmbH auf dubiose Finanzvermittler herein. Die für den zweiten Bauabschnitt zuständige Firma Mediinvest von Kai Richter erhielt 85,5 Millionen Euro von der Rheinland-Pfälzische Gesellschaft für Immobilien und Projektmanagement mbH (RIM). Die ist eine hundertprozentige Tochter der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB), welche wiederum zu hundert Prozent dem Land gehört. Die MSR wurde später mitsamt der Gebäude von Landesgesellschaften übernommen.
Ab Mai 2010 vergab die Nürburgring GmbH den Betrieb des kompletten Parks inklusive der Rennstrecken an die private Nürburgring Automotive GmbH (NAG), die je zur Hälfte Kai Richters Mediinvest und der Düsseldorfer Lindner-Hotelgruppe gehört. Im Februar 2012 kündigte das Land den Betreibern wegen ausstehender Pachtzahlungen. Die NAG geht juristisch gegen die Kündigung vor. Nach ihrer Sicht der Dinge schuldet das Land den Betreibern noch Geld, diese Forderungen habe man mit der Pacht verrechnet. Streit gibt es um die von den Betreibern angekündigte Entlassung von einem Viertel der Belegschaft. Die EU-Kommission prüft nach mehreren Beschwerden von Konkurrenten, ob das Land bei der Verpachtung an die NAG gegen Vergaberecht verstoßen hat.
Die erhofften Besuchermassen bleiben aus. Die als schnellste der Welt geplante Achterbahn funktioniert bis heute nicht. In der „Grünen Hölle“ ist von Oktober bis März nur ein einziges Restaurant durchgängig geöffnet, der Rest ist die meiste Zeit dicht. Das Land wirft den Betreibern zudem vor, die Gebäude vernachlässigt zu haben. In mehreren Restaurants ist Schimmel aufgetreten. Der Landesrechnungshof schätzt den zusätzlichen Investitionsbedarf des Landes in den nächsten 20 Jahren auf bis zu 420 Millionen Euro.
Wegen ihrer Rolle bei der gescheiterten Privatfinanzierung hat die Staatsanwaltschaft Koblenz im Februar 2012 Anklage wegen Untreue gegen den ehemaligen rheinland-pfälzischen Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) erhoben. Auch der frühere Nürburgring-Hauptgeschäftsführer Walter Kafitz und zwei weitere ehemalige Manager der Nürburgring GmbH wurden wegen Untreue angeklagt. Der frühere ISB-Chef und ein RIM-Manager wurden wegen Beihilfe zur Untreue angeklagt. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue gegen Kai Richter dauern an.
Getspeed bestätigte den Vorgang ebenfalls, möchte „die Angelegenheit in der Presse aber nicht weiter kommentieren“. In Unternehmenskreisen ist von „einer Verkettung unglücklicher, sehr ärgerlicher Missverständnisse die Rede“. Der Handwerker ist unterdessen immer noch verärgert: Neben der inzwischen eingetriebenen Forderung von rund 4500 Euro hat das Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler im Juni dieses Jahres entschieden, dass Getspeed auch Verfahrenskosten in Höhe von knapp 1200 Euro zahlen muss. Auf diese warte er bislang ebenfalls vergeblich, teilte der Handwerker der WirtschaftsWoche mit, auch hier sei die Vollstreckung beantragt.
Warten auf die zweite Kaufpreisrate
Der Nürburgring kommt aus den Turbulenzen einfach nicht raus. Im Juli 2012 hatte die weitgehend landeseigene Nürburgring GmbH Insolvenz angemeldet, rund eine halbe Milliarde Euro hat die SPD-geführte Regierung in den zurückliegenden Jahren dort versenkt. Insolvenz-Sachwalter Jens Lieser und Sanierungsgeschäftsführer Thomas Schmidt beschlossen, den Ring zu verkaufen.
Am 11. März vergab der Gläubigerausschuss den Zuschlag an Capricorn und Getspeed, für einen offiziell ausgewiesenen Kaufpreis in Höhe von 77 Millionen Euro. Hauptbestandteile: Eine Fremdkapitalfinanzierung in Höhe von 45 Millionen Euro über die Deutsche Bank und ein Eigenkapitalanteil von 15 Millionen Euro, zahlbar in drei Raten zu je fünf Millionen Euro Ende März, Ende Juli und Ende Dezember.
Capricorn Robertino Wild hatte mit Anteilen von zwei Dritteln das Sagen in der Käufergesellschaft, Getspeed war mit einem Drittel Juniorpartner. Die erste Rate von fünf Millionen Euro – aufgebracht von Getspeed – war noch gezahlt worden, doch schon bei der zweiten, Ende Juli fälligen Rate, begannen die Schwierigkeiten.
Als sie bis Mitte August nicht eingegangen war, verlängerte Sachwalter Lieser das Zahlungsziel rückwirkend bis zum 31. Oktober dieses Jahres. Ohne Zustimmung des Gläubigerausschusses, die laut Liesers Sprecher nicht erforderlich war. Für den Aufschub ließ sich Lieser Sicherheiten stellen, unter anderem Pfandrechte auf die private Kunstsammlung von Capricorn-Chef Wild.
Kunstsammlung doppelt verpfändet
Doch Lieser – der als Sachwalter in der persönlichen Haftung ist – griff daneben, wie sich mittlerweile herausgestellt hat: Die Kunstsammlung war zu diesem Zeitpunkt bereits verpfändet. Dies berichtete die Koblenzer „Rhein-Zeitung“ am Montag, diese Information haben die Insolvenzverwalter wie auch Wild auf Nachfrage bestätigt.
„Hierzu habe ich mich vom Verkäufer nötigen lassen, mein Fehler. Aber was machen Sie, wenn man Ihnen die geladene Pistole an den Kopf hält?“, teilt Wild mit. Konsequenz: Wild musste seine Anteile von zwei Dritteln an der Käufergesellschaft auf einen Treuhänder übertragen. „Ich bin leider Opfer meiner Naivität geworden, und dafür werde ich nun die Verantwortung übernehmen“, sagt Wild. Bedeutet konkret: Er versucht nun, neue Geldgeber aufzutreiben.
Schon für den Zuschlag hatte Wild im März umfangreiche Sicherheiten stellen müssen, darunter eine Briefgrundschuld auf seine Villa in bester Lage des Düsseldorfer Nobelstadtteils Oberkassel mit direktem Blick auf den Rhein. Doch Insolvenz-Sachwalter Jens Lieser und Sanierungsgeschäftsführer Thomas Schmidt stellten später fest, dass zuvor bereits andere Grundschulden auf die Villa im Grundbuch eingetragen worden waren. Auch diese Information bestätigten die Insolvenzverwalter auf Nachfrage über ihren Sprecher. Die Grundschuld sei lediglich im dritten Rang eingetragen.
„Sanierer“ zogen die Reißleine nicht
Laut Grundbuchunterlagen, die der WirtschaftsWoche vorliegen, ist die Villa in Oberkassel mit insgesamt zwölf Millionen Euro belastet, sieben Millionen waren zuvor eingetragen, fünf Millionen entfallen auf die Briefgrundschuld der Insolvenzverwalter. Ihre Chancen, das Geld im Vollstreckungsfall zu bekommen, sind damit eher gering. Laut Protokoll der Sitzung des Gläubigerausschusses ergab eine Plausibilitätsprüfung, dass die Villa für fünf Millionen Euro gut ist.
Dass die „Ring-Sanierer“ – so ließen sich Lieser und Schmidt in Pressemitteilungen nennen – nicht früher die Reißleine zogen, sorgt nun für Unmut im Gläubigerausschuss, dessen Mitglieder bisher über die Mehrfach-Belastungen nicht informiert waren. Auch von der Tatsache, dass die Finanzierung der Fremdkapitalrate über die Deutsche Bank nicht mehr besteht, erfuhren Gläubigerausschussmitglieder erst durch Recherchen der WirtschaftsWoche.
KPMG unterschätzte die Risiken
Dem Gläubigerausschuss dagegen war in der entscheidenden Sitzung noch mitgeteilt worden, die Finanzierung über die Deutsche Bank sei „banküblich und valide“ und auf ein Jahr befristet. KPMG-Berater Alexander Bischoff teilte den Mitgliedern des Gremiums laut Protokoll der Sitzung sogar mit, dass es sich bei dem Angebot von Capricorn um das „wirtschaftlich beste Angebot“ handele: „Das einzige Risiko bei Capricorn ist das Risiko der Beihilferückforderung und dass bis 15. Dezember 2014 keine Beihilfeentscheidung vorliegt.“
Doch inzwischen sind noch ganz andere Risiken offenkundig geworden, obwohl die Beihilfeentscheidung am 1. Oktober ergangen ist. Die Kommission hat der Landesregierung darin Beihilfen in dreistelliger Millionenhöhe um die Ohren gehauen, den Verkauf an Capricorn aber abgesegnet.
Im März 2012, noch vor der Insolvenz der Nürburgring GmbH, hatte die Kommission ein Verfahren wegen des Verdachts auf illegale Beihilfen der SPD-Landesregierung unter Kurt Beck eingeleitet. Aus diesem Grund muss ein Verkaufsverfahren europarechtskonform ablaufen, was unter anderem erfordert, dass den Bietern die Auswahlkriterien vorab bekannt gegeben werden.
Dilettantischer Verkaufsprozess
Nur wenn die europarechtlichen Anforderungen eingehalten werden, gehen die Beihilfen nicht auf den Erwerber über. Ein entscheidendes Kriterium, das die Verkäufer den Bietern mitgeteilt hatten, ist die Finanzierungssicherheit – die nun durch die tatsächlichen Entwicklungen immer mehr in Zweifel gezogen wird.
Noch am 1. Oktober hatte die EU-Kommission den Verkauf auf Vorschlag des zuständigen Wettbewerbskommissars Joaquin Almunia abgesegnet. Eigene Prüfungen zur Finanzierung hatte die Kommission laut ihrer Beschlussvorlage nicht vorgenommen, sondern sich nahezu ausschließlich auf die Angaben der Insolvenzverwalter gestützt. Der CDU-Europaabgeordnete Werner Langen hatte direkt nach dem Beschluss die „Blauäugigkeit der Kommission“ gerügt. Keine zwei Wochen später fällt der EU-Kommission das Thema nun wieder vor die Füße.
„Die Kommission hat sich auf das Lügengebäude der Konkursverwalter verlassen“, sagt Langen nun. Doch mit der Blamage steht die Kommission keineswegs alleine da. Auch Lieser und Schmidt sowie die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, die sie mit dem Verkauf beauftragt haben, müssen unangenehme Fragen beantworten. Der Verkaufsprozess lief schon lange an dilettantisch ab.
Ein dubioser Millionenbieter im Datenraum
Im November 2013 etwa berichtete die WirtschaftsWoche über einen dubiosen Bieter namens La Tene Capital aus Hongkong, der sich mit geklauten Selbstbeweihräucherungstexten auf seiner Webseite, aber ohne belastbare Finanzierung einen Zugang zum so genannten Datenraum der Nürburgring GmbH erschleichen konnte.
Im Datenraum durften ausgewählte Bieter vertrauliche Geschäftsunterlagen der Nürburgring GmbH einsehen. Voraussetzung dafür war nach den mitgeteilten Kriterien ein Finanzierungsnachweis, den La Tene Capital allerdings nie hatte.
Vier Tage nach dem Bericht der WirtschaftsWoche, so zeigt es die Beschlussvorlage der EU-Kommission, warfen Lieser, Schmidt und KPMG den Bieter La Tene Capital aus dem Verfahren. Von der ursprünglich geforderten Bankgarantie auf erstes Anfordern, die zunächst von den Bietern für den finalen Zuschlag verlangt worden war, rückten die Insolvenzverwalter und ihre Helfer von KPMG im Laufe des Verkaufsverfahrens ebenfalls ab. Statt der Garantie auf erstes Anfordern begnügten sie sich mit einer einfachen Finanzierungsbestätigung.
Abstruse Begründungen
Dass diese längst nicht mehr besteht und der Wunschkäufer Capricorn seit Monaten ohne gesicherte Finanzierung unterwegs war, legten die die Insolvenzverwalter gegenüber der EU-Kommission bis zum Beschluss am 1. Oktober nicht offen. Auf Nachfrage hierzu teilen die Pleite-Profis nun mit: „Wir haben keine Offenlegungspflicht. Allein entscheidend war, dass die Finanzierung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses banküblich nachgewiesen wurde. Wann die Käuferin einen Kreditvertrag unterschreibt, ist schlicht Sache der Käuferin.“ Sie unterschrieb allerdings nie und kann es mittlerweile auch nicht mehr, weil die Bestätigung ausgelaufen ist.
Noch abstruser wirkt die Begründung der Insolvenzverwalter, warum sie seit Mai keine Sitzung des Gläubigerausschusses mehr einberufen haben – obwohl es durch den Zahlungsausfall bei der Ende Juli fälligen zweiten Rate gute Gründe für eine Dringlichkeitssitzung gegeben hätte.
„Eine Einberufung der Gläubigerausschuss-Sitzung ist dann erforderlich, wenn wesentliche Entscheidungen zu treffen sind. Da bisher der Kaufvertrag erfüllt wurde, stünde eine solche Entscheidung frühestens Anfang November 2014 an“, lassen sie ihren Sprecher mitteilen.
Exklusive Einschätzungen
Die Einschätzung, dass der Kaufvertrag bisher erfüllt wurde, haben sie ziemlich exklusiv. Genauso wie den Titel ihres Vortrags Anfang Juli in Frankfurt, als sie vor den Kollegen vom Verband der Restrukturierungsexperten über „Die Rettung des Nürburgrings“ schwadronierte. Jetzt müssen sie selbst ihre Haut retten. Denn die Vorfälle sind kaum mehr vermittelbar, der Unmut im Gläubigerausschuss wächst. Und der 31. Oktober, an dem die zweite Kaufpreisrate nach dem Aufschub erneut fällig wird, rückt immer näher.
Wild teilt der WirtschaftsWoche mit, dass er derzeit versuche, das Geld noch aufzutreiben. Zudem wolle er seinen Mitgesellschafter Heinemann loswerden, von dem er sich hintergangen fühle. Die Insolvenzverwalter wie auch Heinemann sehen dagegen in Wild den Schuldigen.
Daran, dass Wild das Geld noch aufbringen kann, glauben beide nicht mehr. Per Presseerklärung teilten Lieser und Schmidt mit, dass Wilds Capricorn-Holding nun nicht mehr Gesellschafterin der Käufergesellschaft ist. Es obliege nun dem Mitgesellschafter Getspeed und dem Treuhänder, „für eine ordnungsgemäße Erfüllung des am 11. März 2014 geschlossenen Kaufvertrages zu sorgen.“
Geldgeber verzweifelt gesucht
Heinemann sagte am Samstag bei einer Veranstaltung am Nürburgring, dass er nun an einem alternativen Finanzierungskonzept ohne Capricorn arbeite. Das nötige Geld scheint Heinemann aber trotz größter Bemühungen bisher nicht beisammen zu haben. Nach Informationen der WirtschaftsWoche gab es am Freitag – wiederum mit Unterstützung von KPMG – Verhandlungen mit potenziellen Investoren, die Gespräche sollen über das ganze Wochenende fortgesetzt worden sein und weiter andauern.
Unter den verbliebenen Kandidaten soll sich nach Informationen der WirtschaftsWoche eine Investorengruppe aus drei vermögenden Geschäftsleuten befinden, die auch an der Test- und Präsentationsstrecke „Bilster Berg“ beteiligt sind. Eine Einigung mit einem der Interessenten habe es allerdings bislang nicht gegeben.
Noch am Montag bat Heinemann zudem offenbar dringend um ein Treffen mit Vertretern aus dem Umfeld des ADAC Nordrhein, um weitere Finanzierungsmöglichkeiten zu besprechen. Auch hier gibt es keine Einigung. Heinemann teilte auf Anfrage mit, es gebe ein „reges Investoreninteresse“. In Unternehmenskreisen heißt es, man sei zuversichtlich, eine zum Nürburgring passende neue Gesellschafterstruktur auf die Beine stellen zu können. Lieser und Schmidt erklärten derweil in Interviews mit Blick auf die laufenden Gespräche, sie seien „vorsichtig optimistisch“.
Immer bessere Klagechancen
Doch die Situation für den Nürburgring wird derweil immer schlimmer. Mit jedem zusätzlichen Detail, das über die zahlreichen finanziellen Ungereimtheiten ans Tageslicht kommt, verbessern sich die Chancen der unterlegenen Nürburgring-Interessenten, die gegen den Zuschlag für Capricorn rechtlich vorgehen wollen. Ein Konsortium um den US-Finanzinvestor HIG Capital zählt dazu, ebenso das US-Technologieunternehmen Nexovation, aber auch der gemeinnützige Verein „Ja zum Nürburgring“ um ADAC-Ehrenpräsident Otto Flimm.
Sollten sie – wie bereits von mehreren angekündigt – vor den Europäischen Gerichten gegen den Zuschlag klagen, schwebt über dem Nürburgring jahrelang das Damoklesschwert eines jahrelangen Rechtsstreits. Etwas Erleichterung sollte Capricorn immerhin ein Pachtvertrag verschaffen. Lauf Kaufvertrag gibt es ein entsprechendes Übergangsmodell, mit dem das Bietergespann Capricorn-Getspeed den Ring zunächst pachten kann, wenn bis Ende des Jahres noch gar keine Entscheidung der EU-Kommission vorliegt oder eine positive Entscheidung, die aber noch nicht bestandskräftig ist. Doch auch gegen den Pachtvertrag rüsten sich unterlegene Bieter offenbar: Nach Informationen der WirtschaftsWoche gibt es Überlegungen, nicht nur den Zuschlag für Capricorn anzugreifen, sondern auch den Pachtvertrag als Übergangslösung.
Wichtige Verträge fehlen noch
Die Nürburgring Betriebsgesellschaft mbH, die derzeit das operative Geschäft führt, bemüht sich derweil nach den dramatischen Entwicklungen um Capricorn, die Wogen zu glätten. Das operative Geschäft des Nürburgrings gehe uneingeschränkt weiter und sei von dem Gesellschafterwechsel in keiner Weise betroffen. „Wir halten ausdrücklich fest, dass die bereits geschlossenen Verträge der capricorn NÜRBURGRING GmbH (CNG) mit Veranstaltern, Kunden und Lieferanten selbstverständlich eingehalten und umgesetzt werden. Alle Veranstaltungen sind gesichert“, sagte Geschäftsführer Carsten Schumacher.
Wichtige Verträge allerdings hängen in der Schwebe. Die Langstreckenserie VLN etwa, die pro Jahr zehn Rennen am Nürburgring ausrichtet, will einen neuen Vertrag bisher nicht unterschreiben, sie verlangt wegen der unklaren Situation entsprechende Garantien und aufschiebende Bedingungen.
Das bestätigte ihr Geschäftsführer Karl Mauer. Auch für eine der wichtigsten Veranstaltungen des Jahres, das 24-Stunden-Rennen, soll es nach Informationen der WirtschaftsWoche noch keinen unterschriebenen Vertrag für 2014 mit dem ADAC Nordrhein geben.
Pulverfass Nürburgring bleibt brisant
Das Pulverfass Nürburgring verliert also trotz des Verkaufs nichts an Brisanz. Heinemann muss nun dringend bis 31. Oktober die zweite Rate von fünf Millionen Euro auf den Tisch legen. Sonst drohen ihm selbst empfindliche Verluste. Die erste, von Getspeed aufgebrachte Rate, liegt auf einem Treuhandkonto.
Sollte der Kaufvertrag nicht eingehalten werden, können die Insolvenzverwalter vom Vertrag zurücktreten, womit auch eine Vertragsstrafe zulasten des Käufers in Höhe von 25 Millionen Euro fällig wird. Die Raten, die bis zu diesem Zeitpunkt auf dem Treuhandkonto eingegangen sind, werden für die Vertragsstrafe herangezogen.
Eine brenzlige Situation für Heinemann, der die fünf Millionen nicht vollständig selbst aufgebracht hat, sondern sich einen Teil der Summe bei der Sparkasse Krefeld geliehen hat. Dies bestätigte er der WirtschaftsWoche. Er wäre damit nicht nur fünf Millionen Euro los, sondern würde auch auf den Schulden sitzen bleiben.
Es ist absehbar, dass Heinemann alles tun wird, die fünf Millionen Euro irgendwie aufzutreiben – zumal ihm die Zahlung der zweiten Kaufpreisrate einen eleganten Ausweg aus seinem Dilemma eröffnet.
Es bleibt nur die Neuausschreibung
Im Dezember gibt es die Möglichkeit für den Käufer, vom Kaufvertrag zurückzutreten. Voraussetzung ist, dass es bis dahin noch keine bestandskräftige Entscheidung der EU-Kommission gibt. Die Kommission hat ihren Beschluss bisher noch nicht veröffentlicht, ab Veröffentlichung beträgt die Frist für unterlegene Bieter zur Einreichung einer Klage zwei Monate.
Bis Dezember kann die Entscheidung damit auf keinen Fall rechtskräftig werden; wenn er die zweite Rate aufbringt, kann Heinemann im Dezember vom Vertrag zurücktreten und bekommt dann die bereits gezahlten Raten zurückerstattet.
Damit aber würde das Problem Nürburgring wieder an die Insolvenzverwalter zurückfallen – und indirekt an das Land, das sein Dauer-Desaster endlich loswerden will. Die CDU-Oppositionschefin Julia Klöckner fordert schon die Rücktritte von Finanzminister Carsten Kühl, Infrastrukturminister Roger Lewentz und Fraktionschef Hendrik Hering (alle SPD), der beste Weg seien gleich Neuwahlen.
Ministerpräsidentin Dreyer wies die Forderungen zurück. „Die aktuellen Entwicklungen erfüllen mich auch mit Sorge“, gestand Dreyer ein, eine Neuausschreibung aber müsse unbedingt „vermieden“ werden. Dabei wäre es angesichts der verfahrenen Situation und den drohenden jahrelangen Rechtsstreiten das Beste, genau diesen Schnitt jetzt direkt zu machen.