O’Learys Plan für Ryanair Aus dem Aldi der Lüfte soll das Amazon des Reisens werden

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O´Learys Angst vor Google, Facebook und Amazon

Für die Herbergen in den 207 Orten, die Ryanair derzeit in Europa und rund ums Mittelmeer anfliegt, eine erfreuliche Aussicht. Überhaupt, den Umbau lässt sich der sonst für seine Knauserigkeit bekannte O’Leary, der Kunden in der Vergangenheit schon mal drohte, für die Benutzung von Toiletten abzukassieren, laut Insidern jährlich rund 100 Millionen Euro kosten. Die fließen vor allem in den Aufbau von Datenbanken und der weiteren digitalen Infrastruktur.

Der große Angriff ist zugleich Verteidigung. O’Leary und sein Team fürchten, dass sich Datensauger wie Google oder Facebook oder Amazon selbst auf die Reisebranche stürzen. Google hat sich mit eigenen Angeboten auf das Terrain schon vorgepirscht. Die Techkonzerne haben mehr Geld – vor allem aber die relevanten Daten. Sie könnten bessere Angebote machen und gleich die profitablen Extras dazupacken. Die Fluglinien würden dann zu reinen Transportern degradiert, die nur noch einen vorgegebenen Flugplan abfliegen.

O’Leary ist deshalb nicht der Einzige, der in der Flugbranche gegen das Horrorszenario ansteuert. Fluglinien vermitteln auf ihren Seiten schon seit Jahren nebenbei Übernachtungen, Mietwagen und Reiseversicherungen. Nur, gegen Größen wie Booking.com hat sich noch keine einzige durchgesetzt. Ryanair trauen Experten den Generalangriff nun aber zu. Gerade die Verbindung aus Unverschämtheit, wie sie sonst nur rüde Start-ups wie Uber an den Tag legen, und die auf Effizienz getrimmte Firmenkultur sei entscheidend: „Ryanair macht alles eine Nummer größer und konsequenter als die Wettbewerber“, sagt etwa Markus Orth, selbstständiger Berater und bis vor Kurzem Chef von Europas Last-Minute-Marktführer L’Tur.

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Auch Björn Maul, Partner der Beratung Oliver Wyman, bescheinigt: „Ein Anbieter wie Ryanair hat alle Voraussetzungen, um auch im Reisebereich extrem erfolgreich zu sein.“

Das liegt schon an der schieren Marktmacht. Laut Umfragen ist Ryanair Europas bekannteste Reisemarke.

Mit rund 600 Millionen Besuchern besitzt das Unternehmen zudem die populärste Flugseite im Internet. „Bald dürften es eine Milliarde Besucher sein“, tönt Vorstand Jacobs. Die spielen Ryanair in der neuen Strategie geradewegs zu: Der US-Marktforscher IdeaWorksCompany hat ermittelt, dass bis zu 95 Prozent aller Urlaubssuchen im Internet mit der Auswahl des Flugs beginnen. Und während Wettbewerber viel Geld ausgeben, um Kunden über Anzeigen zu ihren Angeboten zu locken, steuern diese das Ryanair-Angebot von selbst an, da die Linie wie keine andere für Billigflieger steht. „Wir kämen nie auf die Idee, anderen einen Dollar für Werbung zu lassen“, sagt Marketingvorstand Jacobs.

Vor allem aber setzen die Iren einmal beschlossene Strategien schneller um als die Wettbewerber. Das haben sie zuletzt im Herbst 2013 gezeigt. Bei einem Vorstandstreffen in einem kargen Raum der etwas zugigen Hauptverwaltung in Dublin mussten die schlechtesten Zahlen des Unternehmens seit dem Jahr 2008 verdaut werden. Das Unternehmen hatte sich bei der Absicherung des Spritpreises verzockt, und zusätzlich blieben die Passagiere weg. Das Management verwies O’Leary darauf, dass die Konkurrenz die Kundschaft einfach besser behandele. „Hast du mal bei uns ein Ticket gebucht? Hölle“, teilte ein Vorstand seinem Chef mit. O’Leary schwieg. Dann verkündete er, dass Ryanair fortan alles besser und billiger machen werde als die Konkurrenz.

Nur ein halbes Jahr später lieferte er. Ryanair stellte im Londoner Design Museum sein Programm „Always Getting Better“ vor. Von einst gut 70 Extragebühren war nur ein Bruchteil übrig geblieben, O’Leary führte Rabatte für Familien ein und stellte obendrein eine Smartphone-App vor, mit der sich ein Flug mit drei Klicks in kaum 90 Sekunden statt der bisher üblichen fünf Minuten buchen ließ. Und dann verkündete der Chef noch, dass die Linie künftig auch Großflughäfen und nicht mehr nur Provinzpisten wie Hahn ansteuern werde. „In der Zeit hätten wir bloß eine Arbeitsgruppe installiert und eine Tagesordnung verabschiedet“, konstatiert ein führender Lufthansa-Manager.

Mit der Offensive hat Ryanair den Vorsprung der Konkurrenten nicht nur eingeholt, sondern überholt. „2013 waren sie hoffnungslos hinterher, nun sind sie auf einer Höhe mit Wettbewerbern wie Easyjet – wenn nicht gar vor ihnen“, sagt Thomas Jaeger, Chef des auf die Flugbranche spezialisierten Datendienstes Ch-Aviation. Der Wandel geht jetzt weiter, angetrieben wird er im dritten Stock der Dubliner Zentrale. Die Erneuerungsabteilung heißt natürlich Lab, hier sitzen bestenfalls 30-Jährige vor Raumteilern in leuchtendem Rot, Grün und Gelb und starren auf Bildschirme. In einem kaum 20 Quadratmeter großen Konferenzraum drängt sich rund ein Dutzend Leute um einen hohen, in Apple-Weiß gehaltenen Stehtisch. An den Wänden kleben bunte Post-it-Zettel, auf den Whiteboards stehen Schlagworte wie „Kundenerlebnis“.

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