Online-Händler schlagen gegen Retouren zurück Deutsche erliegen dem Rückschick-Wahn

Deutschland gilt als Retourenrepublik, selbst Bestelltrickser haben leichtes Spiel. Doch die Händler rüsten auf. Womit Kunden in Zukunft rechnen müssen.

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Schrei vor Glück - oder schick's zurück. Zalando-Logistikzentum in Erfurt. Quelle: dpa

Zwei Wochen nach Heiligabend hat das Weihnachtsgeschäft in Hamburg-Bramfeld gerade erst so richtig begonnen. Hier betreibt Hermes, die Logistik-Tochter des Otto-Konzerns, Europas größten Retourenbetrieb. Bunte Pakete rauschen hier über Fließbandstraßen, darunter zahlreiche Weihnachtspräsente, die bei den Empfängern auf wenig Begeisterung stießen und nun umgetauscht werden.

Mehr als 1000 Mitarbeiter untersuchen zurückgeschickte Schuhe auf Kratzer, prüfen Regenschirme, reinigen Hemden oder polieren Schmuck, bevor das Gros der Ware zurück in den Verkauf geht. Jährlich rund 50 Millionen Retouren werden in Hamburg für den Otto-Versand, aber auch für externe Internet-Shops abgewickelt.

Die Hamburger Rücksendefabrik ist Teil einer florierenden Industrie. Denn Deutschland gilt als Retourenrepublik: In keinem anderen Land Europas werden mehr Warenbestellungen von den Kunden wieder zurückverfrachtet – zum Ärger der Händler, die nun vor allem notorischen Dauerretournierern und Paket-Tricksern den Kampf angesagt haben.

Davon gibt es reichlich, nicht nur nach den Weihnachtsfeiertagen. Zum klassischen Gruselkanon der Internet-Zunft zählen Berichte über Brautkleider, die nach der Feier samt Lippenstiftspuren wieder zurückgeschickt werden. Oktoberfest-Dirndl trudeln wieder beim Händler ein, sobald die Wiesn-Saison zu Ende geht. Und die Mängel neuer Großbildfernseher bemerken Fußballfans besonders gern, nachdem das Endspiel abgepfiffen wurde. Kein Wunder, dass sich in den Hosentaschen retournierter Smokings regelmäßig Eintritts- und Menükarten finden. Und um möglichst schnell mit dem jeweils neuesten iPhone telefonieren zu können, bestellen Apple-Jünger beim Launch neuer Geräte schon mal vorsorglich bei mehreren Elektronikshops, nehmen aber nur das erste Paket an, heißt es in der Branche.

Jüngst sorgten sogenannte Zalando-Partys für Furore, bei denen Provinz-Teenager haufenweise Schuhe und Kleider bei dem Berliner Modeversender orderten, um sich am gemeinschaftlichen Aufbrezeln zu erfreuen – und den Fummel hernach wieder loszuwerden. Gratis, versteht sich.

Das deutsche Widerrufsrecht macht solche Exzesse möglich. 14 Tage nach Erhalt der Ware können Verbraucher den Artikel ohne Angabe von Gründen an den Verkäufer zurücksenden und erhalten im Gegenzug das Geld zurück. Für die Händler sind die Retouren ein Graus. Schließlich muss die Ware nicht nur transportiert, sondern auch inspiziert, gesäubert, mitunter repariert und meist neu verpackt werden. Dabei verlieren die Artikel erheblich an Wert.

Retourenabwicklung je 7,39€

Nach einer Studie von Björn Asdecker, Leiter der Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Universität Bamberg, und seinem Kollegen Alexander Weigel kostet eine normale Retourenabwicklung den Händler im Mittel 7,93 Euro – ohne Berücksichtigung des Wertverlustes.

Anteil ungerechtfertigter Retouren aus Sicht der Shopbetreiber (zum Vergrößern bitte anklicken).

Bei geschätzten 247 Millionen Rücksendungen im Jahr 2011 ergibt sich daraus ein gewaltiger Kostenblock, zumal der Aufwand bei missbräuchlichen Retouren deutlich höher ist, konstatieren die Forscher. Ihr Anteil variiert nach Wahrnehmung der befragten Shopbetreiber jedoch deutlich nach Art der verkauften Produkte (siehe Grafik).

Der Kampf gegen spätere Retouren beginnt bereits bei der Produktpräsentation im Internet: Je genauer sich Kunden vorher informieren können, desto geringer ist später die Rücksendequote. Fotos und detaillierte Produktbeschreibungen sind Pflichtprogramm, auch Vergrößerungsoptionen, Kundenkommentare und Produktvideos gehören zu den Standards.

Der Technikspezialist getgoods.de etwa verlinkt zusätzlich Testurteile und setzt auf Rundumansichten von Produkten. In einem eigens eingerichteten Fotostudio mit acht Mitarbeitern lichtet der Händler aus Frankfurt an der Oder neuerdings Kameras und Notebooks ab, die den Kunden dann als 360-Grad-Aufnahmen gezeigt werden.

Anziehspiele mit Barbie


Die 10 größten Onlinehändler in Deutschland
Apple Quelle: AP
Alternate.de Quelle: Screenshot
Platz 8: Conrad.de Quelle: Screenshot
Tchibo.de Quelle: dpa
Platz 6: Bonprix.de Quelle: Screenshot
Cyberport.de Quelle: Screenshot
Platz 4: Notebooksbilliger.de Quelle: Screenshot

Bei Kleidungsstücken und Schuhen gibt es noch jede Menge Nachholbedarf. Fast alle Anbieter feilen an Visualisierungsmodellen. Bei H&M lassen sich im Online-Shop Models wie Barbiepuppen anziehen. Der Otto-Versand entwickelt Formen zur virtuellen Anprobe und tüftelt gemeinsam mit dem Analyse-Unternehmen Blue Yonder an Absatz- und Retourenprognosen.

Figürliche Ferndiagnostik

Rein technisch wäre deutlich mehr möglich. Amazon-Gründer Jeff Bezos hat schon vor geraumer Zeit ein Instrument ersonnen, um die nachweihnachtliche Rückgabeflut einzudämmen: Hinter dem sogenannten „Tante Mildred“-Patent verbirgt sich eine Art Sperrliste für ungewollte Präsente. Damit kann jeder Amazon-Kunde in Zukunft über einen Filter festlegen, dass alle Geschenke von Tante Mildred nicht ausgeliefert, sondern stattdessen automatisch in Geschenkgutscheine umgewandelt werden. Der Rückgabeprozess entfällt. Vor dem Scharfschalten der elektronischen Geschenkebremse scheut Amazon bislang aber noch zurück.

Auch Analysetools, die Bestellmuster auswerten, könnten die Retourenzahl eindämmen, glaubt der Karlsruher Unternehmensberater Sahi Rahman. Bestellt eine Kundin etwa ihre Tops und Shirts stets in den Größen 40 und 42, schickt die 42er-Variante aber regelmäßig zurück, könnte in Zukunft der Hinweis aufploppen, dass Größe 42 leider nicht verfügbar ist. Fraglich allerdings, ob sich Kunden derlei figürliche Ferndiagnostik gefallen ließen.

Vorsicht vor sensiblen Kunden

Wie sensibel Online-Käufer reagieren können, musste Zalando erfahren. Im vergangenen Jahr hatte der Händler Vielretournierer per E-Mail darauf hingewiesen, dass ihre Rücksendequote überdurchschnittlich hoch sei. Viele Kunden fühlten sich gegängelt und machten ihrem Ärger in Internet-Foren Luft. Inzwischen haben die Berliner die Aktion wieder gestoppt.

Während Großanbieter Abwicklung und Verwertung langsam in den Griff bekommen, haben Startup-Unternehmen und Nischenanbieter Nachholbedarf. Dass Kunden ihre Westen und Stiefel prophylaktisch bei einer Erstbestellung in mehreren Größen ordern, gehöre zum Geschäft, sagt Ulf Jähncke, Chef von goodboy.de, einem Shop, der sich auf Bekleidung für Hundehalter spezialisiert hat. Stammkunden könnten die Größen deutlich besser abschätzen. Ärgerlich seien aber jene Fälle, bei denen die Käufer „nach einem Jahr bemerken, dass ihre Jacke nicht wasserdicht ist“, so Jähncke. Die Ware muss verramscht oder komplett entsorgt werden. Auf einem der Teil der Kosten bleibt Jähncke sitzen.

Nicht nur der Hundehalterausrüster fürchtet solche Kunden. Beim Betreiber des Shops fahrrad.de wurde festgestellt, dass „Fahrräder beispielsweise vor dem Urlaub bestellt und dann gefahren zurückgegeben“ werden, sagt Unternehmenssprecherin Hanna-Marie Mayer. Besonders dreist war ein Biker, der seine 600 Euro teure Ausrüstung, bestehend aus Schuhen, Helm, Trikot und Hose, zurückschickte – nach 60 Tagen, sichtlich abgenutzt und ohne Marken-Labels. Immerhin, die Ausrüstung war frisch gewaschen.

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