Paketflut im Weihnachtsgeschäft Wie das eigene Wachstum für Paketdienste zum Fluch wird

Die Paketdienste stehen nicht erst seit dem Boom des Online-Handels unter Druck. Ausbaden müssen diesen Druck die Fahrer. Einblicke in das harte Geschäft zwischen Lastenschleppen, Lieferstress und Laderampe.

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Foto eines DHL-Transporters Quelle: handelsblatt.com

Das Transportband rattert ohne Pause. Brauner Karton, gelbes Päckchen, zerknautschte Tüte, ein Paket von Zalando, Otto und Gluehbirnen.de. In endlosen Reihen schieben sich die Kartons durch die Codiermaschine. Ein roter Laser an einem Gerüst über dem Band strahlt jeden Karton an und erfasst so die Adressen. Alles läuft automatisch im Paketzentrum der Deutschen Post DHL in Krefeld, jede Sekunde ist kostbar. Morgen sollen die Sendungen beim Kunden an der Haustür sein.

Die Welt des Online-Handels ist eine Welt aus Kartons und Zahlen. 69,95 Euro kostet das Paar Schnürpumps bei Zalando, das gerade über das Paketband rattert. Im Preis inbegriffen ist eine Welt, die der Kunde nicht sieht: der Transport, der Umschlag im Sortierzentrum und die Beförderung bis zur Haustür, eine Welt der Rastlosigkeit und des Tempos. Mit zwei Metern pro Sekunde rasen die Päckchen durch das Sortierzentrum, um es danach in alle Himmelsrichtungen zu verlassen. 290 000 Sendungen sind es an gewöhnlichen Tagen, vor Weihnachten auch eine halbe Million.

Die Deutschen klicken und bestellen, die Paketdienste liefern – und ihre Manager grübeln. Der Internet-Handel ist für die Branche Segen und Fluch zugleich. Segen, weil er in den vergangenen Jahren ein ungeahntes Wachstum beschert hat. Fluch, weil der Druck stetig steigt – durch den Wettbewerb, durch unzufriedene Mitarbeiter – wie vor Nikolaus bei der Deutschen Post – und durch die Online-Händler, die immer mehr Leistung verlangen, aber weniger dafür zahlen wollen.

2,7 Milliarden Sendungen verschickten die Deutschen im vergangenen Jahr, berichtet der Bundesverband Paket und Expresslogistik. Dieses Jahr werden es noch einmal 100 Millionen mehr sein. Die Paketdienste investieren Milliarden, um mit der Masse fertig zu werden. Sie sind zum Wachstum verdammt, wollen sie nicht von der Flut überrollt werden.

Kurz vor zehn Uhr an einem Donnerstag. Viktor Ulbrecht arbeitet bereits seit zwei Stunden, bisher hat er noch kein Paket abgeliefert. Über eine Stunde stand er am Transportband, um die 210 Kartons in seinen Wagen zu laden, auch die Lieferungen aus dem Paketzentrum Krefeld. Jetzt lenkt er den gelben DHL-Laster auf einen Parkplatz am Rande des Marktplatzes von Erkrath-Hochdahl. Die Kleinstadt östlich von Düsseldorf ist Ulbrechts Zustellbezirk.

Die Paketzustellung der Zukunft

„Heute ist Markt“, sagt Ulbrecht, „da muss ich laufen.“ Sieben Kartons stapelt er auf seiner Sackkarre zu einem unförmigen Turm und läuft mit großen Schritten über den Marktplatz. „Normalerweise könnte ich hier noch ein Stück bis zur Fußgängerzone reinfahren und ein bisschen Zeit sparen, weil ich nicht andauernd zum Wagen zurücklaufen muss“, sagt er, während er seinen Lastkarren zwischen dem Fischhändler und dem Stand mit Tischdecken und Hosen vorbeimanövriert. Zuerst zum Ärztehaus, dann zum Buchgeschäft und ein paar Häuser weiter zu dem kleinen Thai-Massagestudio. Das Reformhaus erhält gleich drei Teile.

Früher waren es in der Mehrzahl Unternehmen, die sich gegenseitig Material oder Waren schickten. Heute machen diese Sendungen nur noch 42 Prozent des Paketaufkommens aus, hat der Branchenverband ausgerechnet. Stattdessen sind es die Internet-Händler, die ihren Kunden Bestellungen zu Mietsblöcken in der Innenstadt und Einfamilienhäusern auf dem Land senden.

Entwicklung des deutschen Paketmarktes

Für Boris Winkelmann ist das ein Problem. Der 44-Jährige ist Deutschland-Chef von DPD, des ehemaligen Deutschen Paketdienstes, der seit 2001 mehrheitlich zur französischen Post gehört. DPD ist stark bei Unternehmenslieferungen – doch vom wachsenden Geschäft mit den Online-Shops hat das Unternehmen kaum profitiert. DPD will deshalb DHL und die Otto-Versand-Tochter Hermes angreifen, die in erster Linie Verbraucher beliefern. Bisher konnten die beiden dieses Geschäft untereinander aufteilen, weil die anderen Kurierdienste sich nur für Geschäftskunden interessierten. Angelockt von dem Boom im Online-Handel, vollzieht jetzt nicht nur DPD, sondern auch der US-Paketdienst UPS einen Strategieschwenk.

Lieferungen werden immer aufwändiger

Doch der Boom bei den Lieferungen aus dem Internet stürzt die Branche ins Dilemma. Denn mit der Zahl der Pakete stieg auch die Zahl der Empfänger. Während ihre Boten früher fünf Stücke auf einmal bei einem Unternehmen abgeben konnten, müssen sie nun für fünf Pakete fünf Adressen anfahren. Und im Gegensatz zu Betrieben oder den Arztpraxen am Erkrather Marktplatz sind die Empfänger in den Mietwohnungen und Einfamilienhäusern auch oft nicht anzutreffen. Das treibt die Kosten pro Paket. „Vor allem die Lieferungen in den ländlichen Raum sind für die Paketdienste teuer“, sagt der Unternehmensberater Horst Manner-Romberg.

Zusteller Ulbrecht hat Glück: Seine Tour ist eine gute Mischung. Morgens beliefert er die Geschäfte in der Fußgängerzone und einige eng zusammenstehende Mietshäuser, mit Aufzügen. Erst am Nachmittag zieht sich der Tag hin, wenn er seinen Laster von Auffahrt zu Auffahrt der Einfamilienhäuser in den Wohnsiedlungen steuern muss. Bis 16 Uhr kann er heute fertig werden, schätzt Ulbrecht. Ein Achtstundentag.

Seit drei Jahren arbeitet der 29-Jährige mit den rotblonden kurzen Haaren und dem Dreitagebart bei der Deutschen Post DHL. Er wird pro Stunde bezahlt. Das Einstiegsgehalt liegt bei knapp 14 Euro, der Durchschnittslohn laut DHL bei etwa 18 Euro.

Mit seinem Gehalt ist Ulbrecht eine Ausnahme in der Branche. Manche Paketboten kommen auf maximal drei oder vier Euro die Stunde. Denn sie sind nicht direkt bei den Paketdiensten angestellt, sondern bei Subunternehmern: DPD und GLS, eine Tochter der britischen Post, beschäftigen gar keine eigenen Fahrer. Auch bei UPS sind rund 40 Prozent der Zusteller bei Subunternehmern beschäftigt, berichtet die Gewerkschaft Verdi. Und die geben den Preisdruck oft an ihre Mitarbeiter weiter.

Für den Marktführer Deutsche Post DHL ist das ein Problem. „Unsere Löhne sind etwa zwei bis zweieinhalb Mal so hoch wie die der Wettbewerber“, klagt Post-Chef Frank Appel. Sein Ziel ist es, diese Lücke zu schließen. Die Lohnkosten der Konkurrenz sollen hoch – und die der Post runter, durch verschärfte Arbeitsbedingungen und niedrigeres Lohnniveau für neue Mitarbeiter. Zumindest der erste Teil der Rechnung scheint sich zu erfüllen: Der Mindestlohn zwingt die Branche, ihren Paketboten vom nächsten Jahr an mehr zu zahlen.

Doch beim Lohnkostensparen im eigenen Haus stößt die Post auf heftigen Widerstand der Gewerkschaft Verdi. Zum Nikolaustag demonstrierte diese ihre Macht: Am Vorabend rief Verdi die Beschäftigten in den Paketzentren zu Betriebsversammlungen, um über die steigende Zahl befristeter Arbeitsverträge zu diskutieren. Drei Stunden dauerten die Zusammenkünfte mitten in der Hochbetriebszeit. Rund 200 000 Sendungen kamen laut Unternehmensangaben deshalb nicht rechtzeitig zum Nikolaustag zu den Kunden.

Für Paketbote Ulbrecht beginnt die Hochsaison schon im Herbst. Dann bekommt er seinen Weihnachtsbezirk – mit weniger Straßen, aber dafür mehr Lieferungen. Im Wochentakt passt die Post die Touren an, damit die Zusteller ihre Mengen schaffen können.

Das sind Post-Gebühren für Privatkunden ab 2015

Ulbrecht hievt einen Weinkarton und stöhnt. „Das sind bestimmt 25 Kilogramm“, schätzt er. Drei Kartons bringt er der Empfängerin, jeder mit 18 Flaschen. Die Kundin hat vielleicht für ihre Angehörigen mit bestellt. Rund 10 000 Mitarbeiter hat der Konzern vorübergehend angeheuert, um die Socken, Ohrringe oder Spielzeuge unter die deutschen Tannenbäume zu bringen. „Ich glaube, wir schaffen dieses Jahr wieder einen neuen Paketrekord“, sagt Ulbrecht.

Die Macht von Online-Händlern wie Amazon oder Zalando verschärft den Druck auf die Paketdienste. „Das sind systemrelevante Kunden“, sagt Berater Manner-Romberg. Mittlerweile versenden Amazon und Co. so viel, dass die Sortierzentren von DHL oder Hermes an ihre Grenzen kommen.

Milliarden für neue Logistiknetze

Was das bedeutet, war im vergangenen Jahr in den USA zu beobachten: Kurz vor Weihnachten stapelten sich die Päckchen am UPS-Luftumschlagsplatz in Louisville im US-Bundesstaat Kentucky. Die Sortieranlagen, deren Bänder sich durch mehrere Stockwerke schlängeln, reichten nicht aus, um die Masse an Weihnachtsgeschenken zu bewältigen. Gleichzeitig machten Winterstürme den Paketboten auf der Straße zu schaffen. Amazon musste Kunden, die Weihnachten ohne Geschenke feiern mussten, mit 20-Dollar-Gutscheinen besänftigen. Auch UPS kam das Chaos teuer: Der Konzern mit Sitz in Atlanta musste seine Gewinnprognose senken.

In Deutschland investieren die Unternehmen deshalb Milliarden in den Ausbau ihrer Logistiknetze. Alleine die Deutsche Post will 750 Millionen Euro in den Aus- und Neubau ihrer Paketumschlagzentren stecken, Hermes 300 Millionen Euro. UPS hat entschieden, eine Milliarde Euro aufzuwenden, um das Europa-Netzwerk zu vergrößern. Und DPD setzt auf neue Serviceleistungen für Privatkunden: Um die Konkurrenz auszustechen, will das Unternehmen die Zustellzeit auf 30 Minuten genau voraussagen und in Großstädten auch samstags ausliefern. „Natürlich ist das erst einmal eine Investition“, sagt Manager Winkelmann. „Aber wir müssen das machen, wenn wir den Kunden Service bieten wollen.“

Doch die Investitionen bergen Risiken. Was, wenn den erweiterten Umschlagzentren auf einmal einer der systemrelevanten Großkunden wegbricht? So wie Royal Mail in Großbritannien. Dort hat sich Amazon entschieden, einen eigenen Lieferdienst aufzubauen. Royal Mail musste die Wachstumsprognose um die Hälfte reduzieren.

„Früher haben wir darauf geachtet, was die Wettbewerber machen. Heute achten wir darauf, was die großen Online-Händler wie Amazon machen“, sagt DPD-Chef Winkelmann. „Das sind unsere Kunden. Aber wenn wir nicht aufpassen und da nicht den entsprechenden Service bringen, sind das morgen auch unsere Wettbewerber.“

Hilfe, mein Paket ist weg! Was tun?
Kann ich bestimmen, wo mein Paket landet?Zusteller dürfen Pakete nicht einfach so vor der Haustür abstellen - es sei denn, es liegt eine schriftliche Abstellerlaubnis vor, so die Zeitschrift „Test" der Stiftung Warentest. Mit dieser Erlaubnis muss der Empfänger die Annahme des Pakets nicht mehr per Unterschrift quittieren. Der Zusteller darf die Sendung stattdessen an einen vorher festgelegten Ort legen, beispielsweise in die Garage. Wird das Paket dann jedoch geklaut, haftet der Empfänger. Auch Transportschäden lassen sich in diesem Fall schwer reklamieren, da schlecht bewiesen werden kann, wer den Schaden verursacht hat. Wer sich dennoch für eine Abstellerlaubnis entscheidet, muss mit jedem Paketdienst einen separaten Ablagevertrag schließen. Quelle: dpa
Laut ihren Geschäftsbedingungen dürfen die Zusteller Pakete und Päckchen jedoch beim Nachbarn abgeben. Der Empfänger muss darüber mit einer "gut leserlichen" Karte informiert werden, schreibt "Test". Quelle: dpa
Eine andere Möglichkeit ist, sich die Sendungen an einen Wunschort zustellen zu lassen, beispielsweise an eine Packstation (DHL). Dort können Empfänger mit einer Kundenkarte plus Pin-Nummer rund um die Uhr ihre Bestellungen in Empfang nehmen. Sobald die Sendung in der Wunsch-Packstation bereit liegt, wird der Kunde per SMS oder eMail informiert. Quelle: Handelsblatt Online
DHL bietet neuerdings auch Paketkästen an, die Kunden etwa auf dem eigenen Grundstück aufstellen können. Hermes, DPD, UPS und GLS arbeiten nach eigenen Angaben gemeinsam an einer ähnlichen Paket-Box. Quelle: dpa
Gleichzeitig testet die Deutsche Post DHL den Einsatz von Drohnen zur Paketzustellung. Auch der US-Paketdienst UPS denkt nach eigenen Angaben über den Einsatz von solchen Fluggeräten nach, genauso wie der Online-Händler Amazon. Quelle: dpa
Was tun, wenn das Geschenk nicht bei mir ankommt?In der Regel sind Pakete bis zu einer Schadenshöhe von 500 bis 750 Euro versichert. Die Unternehmen haften bei Verlust bis zu diesem Wert. Bei Hermes sind auch Päckchen mit bis zu 50 Euro versichert. DHL versichert Päckchen nicht; wer versicherten Versand will, muss die Sendung als Paket verschicken lassen. Kommt nichts an, muss der Kunde den Verlust melden und einen Nachforschungsantrag stellen. Dafür nötig sind der Einlieferungsschein und eine genaue Beschreibung des Inhalts. Schadensersatz muss der Paketdienst demnach auch leisten, wenn es keinen Benachrichtigungsschein gibt und das Paket verschwunden ist. Die Stiftung Warentest rät aber, wertvolle Gegenstände und Bargeld ausschließlich per Wertversand zu verschicken. Quelle: dpa
Was tun, wenn das Paket beschädigt ist?Nachbarn sollten beschädigte Sendungen nicht annehmen, empfiehlt die Stiftung Warentest. Denn mit ihrer Unterschrift würden sie bestätigen, dass eine Lieferung in Ordnung ist. Der Empfänger selbst sollte ein ramponiertes Paket möglichst in Anwesenheit des Boten öffnen und Schäden sofort reklamieren. Ansonsten müssen Schäden binnen sieben Tagen beim Paketdienst gemeldet werden. Quelle: dpa

Denn die Internet-Käufer sind verwöhnt. Der kostenlose Versand gehört bei größeren Online-Shops zum Standard – und auch die kostenlose Rücksendung. „Die Kunden bestellen, und was ihnen nicht passt oder gefällt, schicken sie zurück. Das funktioniert genauso wie die Umkleidekabine im Geschäft“, sagt Dieter Urbanke, Geschäftsführer der Hermes-Tochter Fulfilment, die als Dienstleister für Online-Händler Rücksendungen abwickelt. Urbanke lässt zurückgeschickte Kleidung aufbügeln oder Elektronik und Möbel wieder einlagern. Für die Online-Händler sind Retouren ein Kostenfaktor – und trotzdem unverzichtbar. „Wer als Online-Händler Retouren erschwert, läuft Gefahr, die Nachfrage zu reduzieren“, sagt Urbanke.

Was die Online-Händler an Versandkosten nicht über den Preis an die Kunden weitergeben können, versuchen sie bei den Paketdiensten rauszuholen. Rund zwei Euro bezahlen Amazon oder Zalando pro Paket an die Kuriere, schätzen Branchenkenner. Doch in den vergangenen Jahren gelang es den Paketdiensten kaum, Preiserhöhungen durchzusetzen. Hermes will zum nächsten Jahr durchschnittlich 3,9 Prozent draufschlagen. Auch die Deutsche Post kündigte höhere Preise für Privatkunden an. „Wir sind zuversichtlich, dass man im Paketmarkt zum jetzigen Zeitpunkt Preiserhöhungen durchsetzen kann“, sagt Post-Chef Appel.

Paketbote Ulbrecht steht vor einer Packstation, einem Schließfachsystem für Pakete. Für die Kunden ist die Packstation ein zusätzlicher Service, weil sie nicht in der Schlange in der Postfiliale auf ihre Lieferungen warten müssen – für Ulbrecht bedeutet die Station weniger Arbeit. Er identifiziert sich mit einer Chipkarte, sofort springt ein Fach mit einem leisen Klick auf. „Retourensendung“, sagt er und schleppt den Karton zu seinem Lkw. Heute Abend landet das Paket wieder auf der Laderampe, damit es schnell zurück zum Lager des Online-Händlers findet – und danach zur Haustür des nächsten Kunden.

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