Personalberatung "Für wirklich gefragte Leute ist LinkedIn ein Albtraum"

Für Steve Ingham, Chef der britischen Personalberatung Michael Page, ist Deutschland europaweit der unreifste Recruitingmarkt. Was er von sozialen Netzwerken hält und wie er der deutschen Konkurrenz auf den Pelz rücken will.

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Steve Ingham Quelle: Laif

WirtschaftsWoche: Herr Ingham, Banken setzen weltweit Zehntausende von Mitarbeitern auf die Straße. Auch andere Branchen halten sich mit Neueinstellungen zurück. Wie wirkt sich das auf Ihr Geschäft aus?

Ingham: Die Finanzkrise und die Skandale der letzten Zeit haben das Image der Banken ramponiert. Wer hat schon Lust, dort Karriere zu machen, wenn gerade Polizisten die größte Bank Deutschlands stürmen oder es wie in England Berufsverbote hagelt? Selbstverständlich wirkt sich das auch auf unser Geschäft aus. Bisher haben wir etwa 20 Prozent unseres Umsatzes weltweit mit Finanzdienstleistern gemacht. Aktuell sind es nur noch acht Prozent.

Wie kompensieren Sie diese Einbußen?

Die Wurzeln von Michael Page liegen in der Vermittlung von Finanz- und Buchhaltungsexperten. Doch wir vermitteln auch andere Spezialisten vom Einkäufer, Lieferkettenmanager, Ingenieur, Personalexperten, IT-Fachmann bis zum Vertriebs- und Marketingmanager. Geografisch sehen wir unsere größten Chancen in China, Brasilien und Deutschland. 2012 haben wir hier beim Umsatz um zehn Prozent auf knapp 100 Millionen Euro zugelegt. Ich habe mir fest vorgenommen, bis zum Ende meiner Karriere 1000 Mitarbeiter in Deutschland an Bord zu haben.

Sie sind seit gut zwei Jahrzehnten in Deutschland aktiv, aber beschäftigen hier erst 250 Mitarbeiter. Warum wollen Sie gerade jetzt durchstarten?

Deutschland ist in Europa immer noch der unreifste Recruitingmarkt. In Deutschland war es bis 1994 verboten, Lebensläufe von Kandidaten in Datenbanken zu speichern und sie Unternehmen aktiv zur Vermittlung zugänglich zu machen. Das hat unsere Recruitingaktivitäten zunächst eingeschränkt. Entsprechend gemütlich war es für die deutschen Headhunter, die die Vermittlung rein über persönliche Netzwerke betrieben. In diesen mittelständisch geprägten Markt sind wir Anfang der Neunziger eingetreten. Das hat stark zur Professionalisierung des Geschäfts beigetragen. Bisher nehmen die Deutschen ihre Bewerbung aber immer noch eher selbst in die Hand.

Für deutsche Headhunter ist Michael Page ein rotes Tuch. Sie werfen Ihnen vor, mit Lebensläufen zu handeln und die Personalberatung industrialisiert zu haben.

Warum sollte ich den Vorwurf ernst nehmen, dass wir uns in einem industrialisierten Markt bewegen? Unsere Zielgruppen sind Fach- und Führungskräfte, die im Schnitt pro Jahr rund 80 000 Euro verdienen. Das ist ein Volumengeschäft. Egon Zehnder, Spencer Stuart oder Korn/Ferry, die CEOs per Direktansprache vermitteln, werden erst ab Jahresgehältern von 150 000 Euro aktiv. Das ist ein völlig anderes Feld.

Die Konkurrenz wirft Ihnen vor, die Preise kaputt zu machen.

Unser Kostenapparat ist erheblich niedriger, weil wir keine top-luxuriösen Büros benötigen. Bei uns geht alles eine Nummer bodenständiger.

Sehen Sie Ihr Geschäft nicht langfristig von den sozialen Netzwerken bedroht?

Tatsächlich sind Netzwerke wie LinkedIn fast zu reinen Recruitingplattformen verkommen. Sie dienen nicht mehr wirklich dem sozialen Netzwerken. Für auf dem Jobmarkt wirklich gefragte Leute ist LinkedIn ein Albtraum. Sie werden ungefiltert mit Jobanfragen bombardiert und wenden sich genervt ab. Wen erreicht man hier als Rekrutierer? Vor allem Verzweifelte, die schlecht bezahlt werden oder deren Jobs bedroht sind. Natürlich nutzen alle Headhunter – auch wir – soziale Netzwerke neben Stellenanzeigen in Print- und Online-Medien sowie Research in Unternehmen und Branche als Quelle für Kandidaten. Nach der ersten Suche beginnt die eigentliche Arbeit mit den Interviews. Erst dort entwickeln unsere Berater das Gefühl dafür, ob eine Person die richtige Besetzung für eine Stelle ist.

Wie wichtig sind gedruckte Stellenanzeigen bei der Kandidatensuche?

Vor 20 Jahren war der Stellenteil der "Financial Times" die Bibel für uns, vor zehn Jahren die Online-Stellenbörse Monster. Heute arbeiten wir weltweit mit 140 Jobportalen zusammen. Die gedruckte Stellenanzeige hat durchaus Bedeutung. Sie wird aber in zehn Jahren komplett durch Online-Angebote ersetzt sein.

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