Ein Flugzeugabsturz, schier endlose Arbeitskämpfe mit Piloten und Flugbegleitern sowie ständig neue Kosten durch Flughäfen oder die Luftraumüberwachung – seine gut ein Jahr dauernde Zeit als Lufthansa-Chef hat Carsten Spohr hat wahrscheinlich mehr unangenehme Überraschungen beschert als seinen drei Vorgängern zusammen.
Doch so richtig geärgert hat den 48-Jährigen wahrscheinlich nur eine Sache: Der Eindruck, er habe vor lauter Reaktionen auf Krisen und den ständig verschärften Sparprogrammen seinen beim Amtsantritt verkündeten Umbauplan der sieben Schritte aus den Augen verloren. Darum präsentierte Spohr – einen Tag bevor sich zeigt, ob die Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO einen Streik zur Haupturlaubszeit ausruft – noch mal sein Konzept. Unter der Schlagzeile "7to1 – Our way forward" stellte er in der bequemen Lounge am Frankfurter Flughafen nochmals alle Details vor.
Die sechs größten Baustellen der Lufthansa
13 Mal haben die Piloten der Lufthansa in den vergangenen gut eineinhalb Jahren gestreikt. Die Vereinigung Cockpit sorgt sich, dass die Piloten unter anderem Abstriche Altersvorsorge hinnehmen müssen - und trotzdem immer mehr Jobs aus dem Tarifvertrag ausgelagert werden. Sie liefern dem Konzern deshalb den härteste Arbeitskampf in seiner Geschichte. Das ist nicht der einzige Knatsch mit dem Personal: Die Flugbegleiter von Ufo sind etwas moderater unterwegs, wollen aber auch ihre tariflichen Besitzstände verteidigen.
Carsten Spohr hat die Lufthansa auf eine Strategie mit zwei sehr unterschiedlichen Plattformen festgelegt, die jetzt gerade erst anlaufen. Die Kernmarke Lufthansa soll bei gleichzeitiger Kostensenkung zur ersten Fünf-Sterne-Airline des Westens aufgewertet werden - eine Luxus-Auszeichnung des Fachmagazins Skytrax, die bislang nur Airlines aus Asien und dem Mittleren Osten erreicht haben. Am anderen Ende der Skala steht künftig „Eurowings“, die nur noch als Plattform für die diversen und möglichst kostengünstigen Flugbetriebe des Lufthansa-Konzerns dienen soll. Die ersten Eurowings-Langstrecken ab Köln werden beispielsweise von der deutsch-türkischen Gesellschaft Sunexpress geflogen. Noch komplizierter wird das Angebot durch die Strategie, auf beiden Plattformen jeweils unterschiedliche Service-Pakete anzubieten.
So richtig gut läuft es für die Lufthansa mit ihrem schwierigen Heimatmarkt Zentraleuropa eigentlich nur in den Neben-Geschäftsbereichen Technik und Verpflegung. In ihrem Kerngeschäft der Passagier- und Frachtbeförderung fliegt die Lufthansa unter dem Strich Verluste ein. Spohrs Plan, Wachstum nur noch in kostengünstigen Segmenten stattfinden zu lassen, bedeutet eigentlich einen Schrumpfkurs für die Kerngesellschaft der Lufthansa Passage. Doch den Mitarbeitern wird Wachstum auch dort versprochen.
Sinkende Ticketpreise sind gut für die Passagiere, knabbern andererseits aber an den schmalen Margen der Fluggesellschaften. Bereits im vergangenen Jahr sind die Erlöse auf breiter Front um drei Prozent zurückgegangen. Der zuletzt stark gesunkene Kerosinpreis begünstigt derzeit Gesellschaften, die sich nicht gegen starke Preisschwankungen abgesichert haben. Lufthansa gehört nicht dazu, sondern hat einen Großteil ihres Spritbedarfs für die kommenden zwei Jahre bereits abgesichert und leidet zudem an der ungünstigen Währungsrelation zwischen Euro und Dollar. Um ihre Tickets zu verkaufen, muss sie aber die Kampfpreise der Konkurrenz halten.
In regelmäßigen Abständen verlangt Lufthansa politischen Schutz vor dem angeblich unfairen Wettbewerb durch Fluggesellschaften vom Arabischen Golf. Zuletzt stimmten auch die großen US-Gesellschaften in den Chor ein. Aber es bleibt dabei: Emirates, Qatar Airways und Etihad lenken mit immer größeren Flugzeugen tausende Fluggäste aus Europa über ihre Wüstendrehkreuze und haben bereits weite Teile des Verkehrs nach Südostasien und Ozeanien fest im Griff. Um streitbare Gewerkschaften, hohe Gebühren und Sozialabgaben oder Nachtflugverbote an ihren Heimatbasen müssen sich die Araber keine Gedanken machen. Zudem ändern die europäischen Billigflieger ihr Geschäftsmodell und werden für Geschäftsleute immer attraktiver. So folgt Ryanair dem Vorbild von Easyjet und verlässt die Provinz-Flughäfen. Am Eurowings-Drehkreuz Köln-Bonn treten die Iren demnächst sogar wieder mit Inlandsflügen nach Berlin an.
Auf Hilfe aus Berlin oder Brüssel hat die Lufthansa in den vergangenen Jahren meist vergeblich gewartet. Die nationale Luftverkehrssteuer verteuert Tickets für Flugreisen von deutschen Flughäfen. Sie bietet zudem der europäischen Konkurrenz Anreize, Umsteiger auf die eigenen Drehkreuze zu locken. Grenznah lebende Passagiere können gleich ganz auf ausländische Flughäfen und Airlines ausweichen. Den häufig angemahnten nationalen Luftverkehrsplan gibt es auch immer noch nicht. Dafür unsinnige Subventionen für Regionalflughäfen, die bislang das Geschäftsmodell der Billigflieger gestützt haben.
Lufthansa fliegt nur noch Strecken, die Geld bringen
Die "Fortschritte und Maßnahmen auf den sieben Handlungsfeldern" sind wesentlich lebendiger und konkreter als es die Einladung versprach. Damit Lufthansa auch in zehn Jahren noch zu den Marktführern gehört, will er zum einen den Service neu denken. Lufthansa soll weiter rund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr investieren, aber nur noch Strecken fliegen, die Geld bringen. Für mehr Gewinn sorgen soll – neben Sparprogrammen und einem Fokus auf profitable Geschäfte – auch eine neue Organisation mit weniger Führungsebenen und mehr Verantwortung für Mitarbeiter. Und zu guter Letzt will Spohr die Lufthansa digitaler aufstellen.
Der Wandel ist bitter nötig. Das von ihm als quasi als Chefassistent des vorherigen Konzernchefs Christoph Franz geprägte Effizienzprogramm Score bringt zwar nach drei Jahren mehr als die geplanten gut zwei Milliarden Euro ein. Doch am Ende kletterte der Überschuss nur um ein paar hundert Millionen Euro. Denn fast genauso schnell wie Spohr und seine Leute Ausgaben kürzen und die Kunden zu zusätzliche Ausgaben verführen oder zwingen, wachsen neue Ausgaben nach oder zwingen effizientere Wettbewerber zu mehr Rabatten.
So bleiben am Ende zwar noch 1,5 Milliarden Euro operativer Gewinn. Das klingt nach viel. Doch es ist zu wenig, um durch besseren Service, mehr Marketing und neue Routen Billigfliegern oder trotzen.
Lufthansa zieht sich aus Düsseldorf zurück
Für die Mitarbeiter bedeutet das härtere Zeiten. Glaubten viele Mitarbeiter, allen voran die Piloten, noch vor einem Jahr, durch Streiks verhindern zu können, dass Spohr immer mehr Verkehr von der klassischen Lufthansa auf die Billigtöchter verlagert, so ist nun klar: der drahtige Konzernlenker will eher mehr als weniger verlagern. Er hat kein Problem, die Zahl der Flieger der Marke Lufthansa von einst geplanten 480 Maschinen nicht nur auf die heute 310 Jets zu schrumpfen, sondern kann sich auch 250 Flugzeuge und weniger vorstellen. Selbst dass sich die Marke Lufthansa ganz auf Langstreckenflüge beschränkt und Zubringer von Billigtöchtern innerhalb oder außerhalb des Konzern erledigen lässt, ist nicht mehr undenkbar.
Denn das, glaubt Spohr, ist immer noch besser als Strecken und Kunden komplett der Konkurrenz zu überlassen. Dafür ist Spohr auch bereit, neue Fluglinien zuzukaufen oder bei der Billigtochter Eurowings Investoren von außerhalb zuzulassen.
Ängste der Piloten werden real
Was Spohrs Vorgabe "Perspektive statt Privilegien" bedeutet, erleben gerade Kunden und Belegschaft in Düsseldorf. Vom drittgrößten – und lange lukrativsten – Flughafen im Netz zieht sich die Lufthansa als Marke weitgehend zurück. Nachdem sie auf der Kurzstrecke bereits alle Flüge – außer denen nach Frankfurt und München – an ihre Billigtochter Germanwings übergeben hat, kappt sie nun die verblieben Langstrecken auf eine Route nach New York. Und das liegt nicht an der Macht der Golflinien, sondern an den US-Linien Delta und American mit ihrem Partner Air Berlin, die besonders in der Economy-Class deutlich effizienter und damit für Kunden preiswerter fliegen.
Dazu praktiziert Eurowings konsequent eine neue Tarifpolitik. Wen sie noch neu einstellt, der bekommt statt eines besser dotierten Lufthansa-Arbeitsvertrags nun einen einfacheren von Eurowings mit weniger Grundgehalt und schmaleren Zulagen.
Das Vorbild scheint zu wirken. Hatten es die Gewerkschaften gerade angesichts der Erfolge der Piloten in den vergangenen Jahren nicht leicht in ihrem Werben für Kompromisse, so ist die Bedrohung nun real.
Noch ist freilich offen, ob sein Konzept Spohrs Belegschaft genauso schnell überzeugt wie die Investoren. Denn von der bequemen Lounge eilte Spohr zurück an seinen Schreibtisch mit der direkten Leitung zum Krisenstab. Er habe sich für heute Abend erstmal nichts vorgenommen, ließ er verlauten.