Radikales Reformpaket Deutsche Bahn will schneller und pünktlicher werden

Vor einem Jahr startete der Konzern ein radikales Reformpaket. Es zeigt erste Erfolge. Einen brutalen Engpass gibt es allerdings in Köln.

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Grauner Quelle: Marcus Simaitis für WirtschaftsWoche

Seinen Kampf gegen die Sekunden führt Matthias Gramer an diesem Januartag an Gleis 6 des Kölner Hauptbahnhofs. Am Bahnsteig steht ein ICE mit Ziel Basel. 45 Sekunden vor der geplanten Abfahrt um 16:55 Uhr startet die Mitarbeiterin der örtlichen Aufsicht den Abfertigungsprozess. Sie drückt den Knopf für die automatische Ansage, die die Fahrgäste zum Einsteigen auffordert. Dann pfeift sie. Die Türen schließen, der Lokführer löst die Bremsen, der ICE setzt sich in Bewegung. Dabei ist er ganze acht Sekunden zu spät. Das ist ganz gut, für Gramer aber nicht gut genug. „Wir wollen unsere Fernverkehrszüge künftig mit dem Zeigersprung auf die Strecke bringen“, sagt er.

So sieht der neue ICE 4 aus
Der neue Hoffnungsträger: Der ICE 4 im ICE-Werk Rummelsburg in Berlin. Ab Spätherbst fährt er von Hamburg nach München. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Der ICE 4 ist vorne breiter als etwa der Vorgänger ICE 3. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Größere Piktogramme im Einstiegsbereich zeigen, wie der Wagen genutzt werden soll. Hier sind Handys verboten. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
In der ersten Klasse gibt es Leselampen am Platz. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Für die Bahn sind die Sitze eine echte Innovation. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Die Anzeigen in den Großraumwagen sind nicht neu, aber sie sind jetzt besser. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Der Spender für das Desinfektionsmittel ist jetzt fester Bestandteil der Armaturen. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche

Der 38-Jährige ist einer von 72 im Bahner-Deutsch „Knotenkoordinatoren“ getauften Bahnhofsspezialisten der Deutschen Bahn. Seit März 2016 arbeiten diese an den wichtigsten Bahnhöfen Deutschlands daran, Züge künftig pünktlich auf die Strecke zu bringen. Gerade in Köln gibt es viel Luft nach oben. Jeden Tag starten dort 40 bis 45 ICEs und Intercitys in den Fernverkehr, 2015 war nicht mal jeder zweite pünktlich. Gramer leitet eine siebenköpfige Optimierungstruppe, die sämtliche Prozesse überprüft und beispielsweise dafür gesorgt hat, dass die Türen eines Zuges früher als bisher schließen. Im Idealfall gehen sie 15 Sekunden vor der geplanten Abfahrt zu. Fahrgäste können nicht mehr damit rechnen, dass sie noch in letzter Sekunde einsteigen können. Dafür fuhren 2016 fast sieben von zehn Zügen mit weniger als einer Minute Verspätung aus dem Kölner Bahnhof.

Pünktlichkeit ist ein wichtiges Ziel des Ende 2015 gestarteten Reformprojekts Zukunft Bahn. Mit 50 teils radikalen Maßnahmen will Vorstandschef Rüdiger Grube den Konzern wieder auf die Erfolgsspur bringen. Das war bitter nötig. 2015 musste die Bahn den ersten Verlust seit zwölf Jahren vermelden. Mit dem Programm setzt Grube vor allem auf Qualität und Vorsorge. Die Bahn hat jeden ICE auf null Fehler herunterrepariert, Böschungen an der Strecke werden nun stärker zurückgeschnitten, Weichen bekommen Sensoren für die Ferndiagnose. Der Paradigmenwechsel kostet Geld, war aber längst überfällig und soll die Bahn nun verlässlicher und damit attraktiver machen. Er scheint sich tatsächlich auszuzahlen.

Wo Kunden zufrieden sind – und wo nicht
Pünktlichkeit: Jeder fünfte ICE kam 2015 mindestens sechs Minuten zu spät an. Die Leistungen entsprechen nicht annähernd den Zielen der Deutschen Bahn. Sie will in diesem Jahr eine Pünktlichkeitsquote von 80 Prozent erreichen, langfristig sogar auf 85 Prozent hoch kommen. Die Tendenz 2016 bleibt jedoch weiter schwach. Im Januar lag die Pünktlichkeitsquote bei 77 Prozent. Quelle: AP
Preise: Die Zeiten der jährlichen Preiserhöhung wegen „gestiegener Energie- und Personalkosten“ sind vorbei. Zumindest im Fernverkehr blieben die Preise seit zwei Jahren stabil - den Fernbussen sei Dank. 19-Euro-Sparpreise locken inzwischen selbst Schüler und Studenten. Die neue Devise des Vorstands: lieber volle Züge statt leerer Kassen. Preislich ist die Bahn inzwischen wettbewerbsfähig. Quelle: dpa
ICE-Restaurant: Leider ist die Küche zu oft kaputt. Mal bleiben die Getränke warm oder der Kaffee kalt. Mitunter fehlen die angepriesenen Snacks wegen schlechter Logistik. Dennoch: Wenn es läuft, dann ist ein Sitz im ICE-Restaurant der schönste Platz im Zug – gerne auch bei einem der guten Weine.Urheber: Volker Emersleben // Deutsche Bahn AG
WLAN: In der zweiten Klasse eines ICE ist WLAN noch immer nicht kostenlos und in der ersten Klasse funktioniert der Download alles andere als einwandfrei. Als 2010 zahlreiche ICE grundsaniert wurden, verzichtete das Unternehmen sogar auf den Einbau der WLAN-Technik. So viel Behäbigkeit wird nun bestraft. Die Fernbusse machen der Bahn in Sachen WLAN was vor. Erst Ende 2016 soll es auch im ICE besser werden. Viel zu spät. Quelle: dpa
Information: Schon mal in Bielefeld am Bahnhof gewesen? Seit Jahren fallen die Anzeigentafeln immer wieder aus. Bielefeld gibt es leider auch anderswo. Und wenn die Anzeigen am Bahnsteig funktionieren, dann korrespondieren sie oft nicht mit den Informationen der Bahn-Apps. In den Zügen sollte die Bahn mal ihre Durchsagen auf Relevanz überprüfen. Immerhin am Bahnsteig soll es bald Entwirrung geben. Die Bahn will Multi-Zug-Anzeigen einsetzen: mit drei Zügen auf dem Display. Das klingt gut. 40 von insgesamt 120 Fernbahnhöfen sind bereits umgerüstet. Quelle: dpa
Apps: Nicht jede Frage an @DB_Bahn beantwortet das Twitter-Team zwar zu voller Zufriedenheit. Dennoch zeigen die Twitterer der Deutschen Bahn, wie schnell und effektiv ein Konzern mit seinen Kunden kommunizieren kann. Eine starke Leistung. Auch der DB Navigator bietet echten Mehrwert. Die Deutsche Bahn beweist mit ihren Apps, dass auch traditionelle Konzerne digitale Maßstände setzen können.   Quelle: dpa
Lounges: Ein großzügiger Service für Vielfahrer: kostenloser Kaffee, Tee, Wasser und Softdrinks. In der ersten Klasse erhalten Fahrgäste auch Bier, Wein und Snacks. Leider ist die zweite Klasse oft zu voll. Die Deutsche Bahn prüft den Aufbau zusätzlicher Lounges in ein bis zwei Städten. Quelle: dpa

So zeigen interne Zahlen der Bahn, dass sich die Abfahrtspünktlichkeit der an den wichtigsten Knoten bereitgestellten Züge deutlich verbessert hat. Im Schnitt machten sich im vergangenen Jahr 75 Prozent der täglich rund 420 irgendwo in Deutschland startenden Fernverkehrszüge planmäßig auf die Reise – acht Prozentpunkte mehr als geplant und deutlich besser als 2015. Andersherum gilt: Immer noch kommt jeder vierte ICE und Intercity verspätet aus der Werkstatt oder dem Betriebshof.

„Wenn wir die Pünktlichkeit des Gesamtsystems verbessern wollen, müssen wir vor allem die Fernverkehrszüge pünktlich auf die Strecke schicken“, sagt Bahn-Manager Gramer. Jede Verzögerung eines ICEs am Start führe sonst zu weiteren Verspätungen auf der Strecke, auch für den Nahverkehr. Schnellere Züge haben Vorrang, sind sie verspätet, kommt es zu Staus. Die Bahn muss vor allem Problemknoten wie Köln lösen, um ihre Kunden zufriedener zu machen.

Gelingt ihr das, könnte Grube spät, aber nicht zu spät doch noch die Kurve bekommen – und als erfolgreicher Bahn-Manager in die Unternehmensgeschichte eingehen. Bisher ist die Bilanz seit seinem Start 2009 geprägt von Versäumnissen. Grube hat die Konkurrenz der Fernbusse unterschätzt, der Regionalverkehr verliert Marktanteile, die Güterbahntochter DB Cargo steckt in einer existenziellen Krise. Den Reformprozess hat Grubes früherer Vorstandskollege Volker Kefer angestoßen, der das Unternehmen im Streit um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 verlassen hat. Grube soll das Konzept nun exekutieren. So will es der Aufsichtsrat, der Grubes Vertrag um zwei bis drei Jahre verlängern wird. Es wirkt wie ein Gnadenakt aus Mangel an Alternativen.

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